Peter Ryley: Making Another World Possible Historische anarchistische Ökologie

Sachliteratur

Wie Milo Probst in seinem Buch Umweltschutz für die 99% (2021) auf anschauliche Weise verarbeitet hat, gab es schon an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert eine ausgeprägte Diskussion über Ökologie im Anarchismus.

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Cover zum Buch. Foto: Katie Chan (CC-BY-SA 4.0 cropped)

26. Juni 2023
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Und dieser war bereits direkt mit Klassenfragen und Kapitalismus (auch wenn es eine Weile brauchte, diese Verknüpfung wieder zu entdecken). Peter Ryley, der an der Universität in Sussex arbeitete, beschäftigte sich ausgiebig mit diesem Themen und veröffentlichte 2013 das Buch Making Another World Possible . Anarchism, Anti-Capitalism and Ecology in Late 19th and Early 20th Century Britain.

Er differenziert eine anarchistische politische Ökonomie von jener des Marxismus aus. Diese stellt nicht allein eine Analyse des Kapitalismus dar aus dessen Negation ein konviviales gesellschaftliches Naturverhältnis entstehen würde, sondern bringt ebenso „positive“ Überlegungen hervor, wie dieses aktiv gestaltet werden könnte. Wie Kropotkin in Landwirtschaft, Industrie und Handwerk (1898) herausstellt ist dazu ein Element die Dezentralisierung der Grossstädte. Weiterhin sollen Menschen in einer anarchistisch-kommunistischen Gesellschaftsform abwechselnden Tätigkeiten nachgehen können und damit auch einen Bezug zur Landwirtschaft haben.

Ryley betrachtet aber nicht allein die Anarch@-Kommunist*innen, sondern ebenso individualanarchistische Beiträge zu ökologischen Fragen im britischen Kontext. So bezieht er sich etwa auf die libertäre Feministin Josephine Butler. Offenbar hielten die Individualanarchist*innen allerdings grösstenteils am Privateigentum fest und waren dementsprechend skeptisch gegenüber umfassender Vergesellschaftung des Eigentums.

Im letzten Kapitel weist Ryley darauf hin, dass anhand von Elisée Reclus und Patrick Geddes von einem dezidiert ökologischen Anarchismus gesprochen werden kann. Letzterer war ein bekannter Stadtplaner in London, welcher laut Ryley das Konzept der sozialen Ökologie von Murray Bookchin bereits vorausgedacht hat. Der ökologische Anarchismus könne als praktische Synthese verschiedener anarchistischer Stränge gelten, wie sie unter anderem Voltarine de Cleyre anstrebte. Es folgt noch eine Passage aus dem Fazit des Buches:

«Yet Geddes did not reject the urban, he celebrated it. The maximizing of liberty and the optimizing of evolution could only take place in autonomous communities that can sustain advanced human culture and that means cities. Nor, despite his stress on continuities with the past, did he want to replicate it. The past may always be with us, but our liberation from it is just as important. That liberation would happen through the evolution of historical forms into very different variants of familiar themes. In this way, he was a modernist rather than a nostalgic, believing firmly in technological and intellectual progress. It is just that he advocated a qualitatively different model, based on a social evolution that mirrored that of the natural world. Development, for Geddes, could not be imposed, but unlike Kropotkin, he did not see it as a spontaneous result of revolution. Instead, spontaneity was to be replaced by planning. Geddes' idea of planning was not an imposed process. It was based on guidance rather than direction, on example, experimentation and mutual aid; it was to be driven from below rather than imposed from above. Town and city planning as envisaged by Geddes was not governmental, but a collaborative way of developing and evolving the life of cities to promote social development and enable each individual to be a free and active citizen. It was integral to his broader emancipatory philosophy.

Geddes' major contribution to the anarchist movement was to adapt Kropotkin and Reclus' environmentalism and bio-regionalism in ways that they may not have fully approved of. Those anarchists clinging to class struggle and a distinctively libertarian socialist ideology would certainly be uncomfortable with it. Yet, here were their main themes worked into a coherent and libertarian ideology that was no longer tied to a romantic, revolutionary or impossible strategy. Instead, Geddes developed a method that was inherently peaceful and pragmatic, even if only immediately realizable in those pockets Reclus had identified. On top of which, with its acceptance of market exchange and its emphasis on cultural change and individual intellectual development, it would not be unattractive to individualists. It was through Geddes that the possibility of synthesis was made apparent, even if it was neither fully developed nor accepted.»

Vorwort: Mit dieser kleinen Serie möchte ich einer bornierten deutschsprachigen Szene, für anarchistisch interessiert Personen ins Bewusstsein bringen, dass es im englischsprachigen Raum seit zwei Jahrzehnten eine etablierte Sparte der Anarchismus-Studien gibt. Wenn ich auf diesem Blog und in meinen Veranstaltungen von anarchistischer Theorie spreche, meine ich damit unter anderem dies. Dass bedeutet nicht, dass Anarchist*innen meiner Ansicht nach alle Bücher schreiben oder sich überhaupt akademisch betätigen sollen. Überhaupt bleibt das Verhältnis von Universitäten und sozialen Bewegungen, Wissenschaft und Anarchismus auch kontinuierlich weiter zu diskutieren. Bevor hier jedoch eine „Akademisierung“ oder „Vermarktung“ anarchistischer Gedanken und Aktivitäten gewittert wird, wäre schön, erst mal auf die Inhalte zu schauen, welche jene Kreise hervorbringen.

Jonathan Eibisch

Peter Ryley: Making Another World Possible. Bloomsbury Academic, New York/London 2013. 224 Seiten. ca. SFr. 44.00. ISBN: 978-1441154408.