Peter Hacks: Marxistische Hinsichten Schreiben gegen die Konterrevolution

Sachliteratur

Peter Hacks war nicht nur Dramatiker, sondern auch ein politischer Denker und Verteidiger des DDR-Sozialismus.

Peter Hacks vor Westberliner Studenten, Februar 1965.
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Peter Hacks vor Westberliner Studenten, Februar 1965. Foto: Bundesarchiv, Bild 183-D0213-0049-003 (CC BY-SA 3.0 cropped)

17. Dezember 2019
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Auf den ersten Blick erinnert der Umschlag eher an einen Märchenband. Und gewissermassen handeln Peter Hacksʼ „Politische Schriften 1955–2003“ mit dem vorangestellten Titel „Marxistische Hinsichten“ mitunter auch von Märchen, die sich vor allem in der DDR, aber auch in Westdeutschland zutrugen. Hacks, geboren 1928 im polnischen Wrocław, ist bekannt als ein herausragender DDR-Dramatiker und -Lyriker. Nach seiner Promotion in München migrierte er 1955 in die DDR. Es war ein Wendepunkt für Hacks, der sich fortan verstärkt marxistisch bildete. Die DDR wurde zu Hacks' politischer Heimat. Er verfasste hier neben Dramen auch allerlei Kritiken und Schriften über Politik und Kunst in der DDR und Westdeutschland.

Dabei war er vielmehr ein Zerstörer von Märchen als ihr Erzähler. Ihm galt es, die Märchen über den Sozialismus und seine konkrete Umsetzung in der DDR zu entlarven und die DDR trotz allem zu verteidigen. Kontinuierlich mischte sich Hacks in Debatten ein und scheute auch nicht vor Positionen zurück, mit denen er aneckte oder sich politisch gar isolierte. Ein jüngst erschienener Band mit beinahe allen politischen Schriften von 1955 bis zu seinem Tod im Jahr 2003 erweitert den Blick auf Hacks' politisch-intellektuelles Wirken. Noch vor seinem Tod erschienen 2003 bereits die Gesamtausgabe, schlicht „Hacks' Werke“.

Hegel, Theater und die Konterrevolution

Sofort fällt auf, dass Hacks auf einen bemerkenswerten Sprachschatz zurückgreift. Die verschiedenen Textgattungen, seien es Essay, Gespräch oder Notiz, tragen ebenso zu einer abwechslungsreichen Lektüre bei. Bleibt Hacks im „Hamburger Streitgespräch“ trotz einiger vehementer und zugespitzter Aussagen auch mal vage, so legt er mit „Die Schwärze der Welt am Eingang des Tunnels“ einen literaturtheoretisch gut informierten Text zum Zustand der Kunst vor. Teilweise wird es herausfordernd, ihm zu folgen. Typisch für Hacks: Der Schritt vom politischen Kommentar zum wilden Ritt durch die Geschichte ist nicht weit. Dass Hacks seinen Hegel gelesen hat, wundert nicht und schimmert oft durch.

Bei der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit hört es natürlich nicht auf. In zahlreichen Texten erfährt man von Hacksʼ Positionen innerhalb des DDR-Politikbetriebs. Er zögerte nicht, Kolleg*innen anzugreifen und scharfe Kommentare wie „Neues von Biermann“ – sicher ein Schlüsseltext des Buches – zu verfassen. Gelesen wurde aus letzterem vor allem die Zustimmung zur Ausbürgerung des prominenten Liedermachers Biermann, unterschlagen wurde laut Heinz Hamm, Herausgeber und Verfasser des Vorworts, die politische „Klarheit und Weitsicht“ (S. 34) des Textes. Daran zeigt sich das Streitbare an Hacks, nämlich seine fast bedingungslose Parteinahme für das System der DDR, aber auch seine einzigartige Position als Intellektueller der DDR. Jedes seiner Urteile, sogar das vernichtendste, birgt immer etwas Produktives in sich.

Eine Frage der Ästhetik

Wenn Hacks dazu übergeht, Politik und Kunst gemeinsam zu verhandeln, ist die Lektüre besonders bereichernd. Es scheint, als seien diese beiden Sphären für ihn unmittelbar ineinander verwoben. Politik bedingt Kunst, und Kunst beeinflusst wiederum Politik. Gerade die DDR „ermöglichte die Neuentdeckung der Kunst und die Wiederaufnahme der grössten ästhetischen Fragen“ (S. 92.), schreibt Hacks im Vorwort zu „Das Poetische“. Hacks glaubt, dass „auch die beste aller wirklichen Welten einen Fehler behalten muss.“ Die Kunst im Sozialismus habe sich dem „Verhältnis der Utopie zur Realität“ (S. 92) anzunehmen.

Er spricht von „einer befreundeten Feindschaft des Denkbaren zum Machbaren“ (S. 93). Hier bleiben die politischen Schriften eine genaue Bestimmung der Schnittmengen von Ästhetik und Politik jedoch schuldig. Doch all das herausarbeiten zu wollen, regt zu weiteren Hacks-Lektüren an. Es bietet sich beispielsweise an, die „Politischen Schriften“ und die „Massgaben der Kunst“, das kunsttheoretische Hauptwerk Hacksʼ, nebeneinander zu legen und Brücken ausfindig zu machen.

Das Einfache, das unmöglich zu machen ist

Der Spalt zwischen Realität und Utopie hat bei Peter Hacks eine theoretische Begründung. Hacks betrachtet in Anlehnung an Walter Ulbricht den Sozialismus als eine eigenständige, langfristige Gesellschaftsformation, die stets dem gesellschaftlichen Fortschritt verpflichtet sei. Der Kommunismus bleibt für ihn ab Mitte der 1970er – entgegen Marx – stets ein Ideal, nach dem man sich zu richten habe. Hacks konzentriert sich auf alles seiner nach Meinung direkt Umsetzbare am Sozialismus. Man müsse die „Gegenwartsprobleme“ (S. 155) anpacken. Den Kommunismus als nicht umsetzbar zu charakterisieren, ist eigentlich ein (links-)bürgerliches oder antikommunistisches Argumentationsmuster. Jedoch konnte Hacks angesichts der negativen Entwicklungen der Ökonomie wie Politik der DDR vielleicht nur durch die Aufrechterhaltung dieses Ideals Kommunist bleiben. In einem Gespräch mit Frank Tichy merkt Hacks an, „dass der schlechteste Sozialismus immer noch besser ist als der beste Kapitalismus“ (S. 272).

Der DDR half das nicht weiter. Den Anfang vom Ende markierte für Hacks die Absetzung Walter Ulbrichts, und schliesslich begrub ab 1989 die kapitalistische Restauration die DDR unter sich. Für Hacks stellte das eine „Konterrevolution“ (S. 388) dar. Er verdrängte seine Verzweiflung und arbeitete akribisch weiter an seiner Kunst. Seine Meinung war im Osten immer weniger gefragt, nur in West-Blättern veröffentlichte er gelegentlich. Von seinem geplanten grossen Werk „Marxistische Hinsichten“ erzählte er niemandem. Die letzten 15 Jahre seines Lebens arbeitete er an diesem Projekt, seiner letzten grossen politischen Arbeit. Elf verschiedenfarbige Mappen fanden sich dazu im Literaturarchiv Marbach. Diese Niederschriften wurden wie andere Texte nun erstmalig veröffentlicht.

Zugänglich ist der Band durch seinen Aufbau und aufgrund des unfertigen Projekts „Marxistische Hinsichten“ eher Hacks-Forscher*innen. Dennoch ist ein aussergewöhnliches Lektüreerlebnis auch denjenigen garantiert, die von Peter Hacks noch nie gehört haben. So viel Witz und Scharfzüngigkeit vereinen nur wenige Schriftsteller*innen in ihren Schriften. Schade ist allerdings, dass einige Texte nur in Auszügen vorliegen. Entsteht doch beim Blick auf den Untertitel erst einmal der Eindruck von Vollständigkeit, zumal eine Lektüre der vollständigen Texte sicherlich bereichernd wäre. In einem Interview aus dem Nachlass erklärte Hacks: „Wenn Sie mich fragen, wie berühmt ich einmal sein werde, erwidere ich: äusserst.“

Das lässt sich heute so noch nicht bestätigen, aber wer weiss: Womöglich sind in naher Zukunft Stücke von Peter Hacks ja auch wieder in den Repertoires deutscher Theater zu finden. Der Eulenspiegel-Verlag und die Peter-Hacks-Gesellschaft, die das Werk von Hacks nach langer (nicht zuletzt verlegerischer) Stille einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen möchte, arbeiten daran; zuletzt mit diesem Buch.

Thore Freitag
kritisch-lesen.de

Peter Hacks: Marxistische Hinsichten. Politische Schriften 1955–2003. Eulenspiegel, Berlin 2018. 608 Seiten. ca. 24.00 SFr., ISBN 978-3-359-01329-7