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Peter Gelderloos: Tausend widerständige Territorien

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Peter Gelderloos: Tausend widerständige Territorien Bereits vorhandene Lösungen

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Sachliteratur

Tausend widerständige Territorien ist ein Buch, dass Hoffnung gibt, indem es die Lesenden auf heilsame Weise von den Illusionen der Parteipolitik und NGOs-Vermittlung, von Green New Deals und technokratischen Lösungen der Eliten enttäuscht.

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Datum 1. Mai 2025
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Bereits vor mehr als zwei Jahren las ich das Buch The Solutions are already here von Peter Gelderloos. Die erneute Lektüre, welche die bm-crew ins Deutsche übersetzte, lies aber eine ganze Weile auf sich warten. Dies mag daran gelegen haben, dass ich mich nochmals durcharbeiten musste, dass ich nach wie vor ein ambivalentes Verhältnis zum Stil des Autoren habe oder, dass ich in den letzten Monaten zu sehr darin verstrickt war, Beziehungen in meiner unmittelbaren Umgebung zu gestalten. Letzteres wäre im Sinne des Buches sicherlich nicht das Schlechteste, immerhin müssen wir uns gut aufstellen und solidarische Beziehungen und Strukturen entwickeln, wenn die bestehende Gesellschaftsform zusammenbrechen sollte.

Tausend widerständige Territorien ist ein Buch, dass Hoffnung gibt, indem es die Lesenden auf heilsame Weise von den Illusionen der Parteipolitik und NGOs-Vermittlung, von Green New Deals und technokratischen Lösungen der Eliten enttäuscht. Sich davon zu distanzieren, bleibt auch im deutschsprachigen Raum weiterhin ein anstrengender Prozess, da immer noch und wieder neu darauf gehofft wird, dass Projekte mit linksliberalen, sozialdemokratischen oder parteikommunistischen Anstrich, es irgendwie richten werden. Dies wird aber nicht geschehen: Die „westlichen“ Ländern steuern auf autokratische Herrschaftsformen zu, unter denen die ökologische Zerstörung weiter betreiben und die Profitinteressen der herrschenden Klassen weiter bedient werden.

Umso mehr gilt es sich auf weltweit vorhandene sozial-ökologische Kämpfe ausserhalb des Rahmens der Herrschaftsordnung zu orientieren und nach Autonomie zu streben. Zu diesem Zweck korrespondierte Peter Gelderloos mit Personen aus verschiedenen Ländern weltweit, die in anarchistische oder verwandte Organisationen eingebettet sind. Besonderes wird hierbei auf indigene Stimmen gehört, wodurch antikoloniale Sichtweisen den Stil beeinflussen, ohne universalistisch vereinnahmt zu werden. Daraus ergibt sich eine bunte Collage von globalen, vielfältigen und fluiden Aktivitäten – eben von tausend widerständigen Territorien, die es wertzuschätzen und von denen es zu lernen gilt. Hierbei von einer „Revolution“ zu sprechen mag irreführend erscheinen, wenn man dem klassischen Verständnis von ihr verhaftet bleibt. Letztendlich zielt der Autor aber auf's Ganze, dass sich auch sinnvollerweise unter einem dezidiert ökologischen Blickwinkel assoziieren kann.

Das Buch ist in fünf Kapiteln gegliedert. In „Die Lage im Überblick“, wird die Klimaerwärmung zum Ausgangspunkt genommen, welche nicht allein alltäglich zu Tot, Vertreibung und Verelendung führt, sondern prognostiziert auch zum Kollaps bestehender Gesellschaftsformen führen wird, wobei die Institutionen des bestehenden politischen Systems über Jahrzehnte ihre Unfähigkeit erwiesen haben, darauf zu reagieren. Viel perfider werden Diskurse zu „Umweltschutz“ sogar eingehegt, betreiben Unternehmen Greenwashing und nutzen Politiker*innen vermeidliche ökologische Erneuerung zur Innovation, um neue Profite zu generieren, wie im zweiten Kapitel „Wenn Füchse Hühnerställe bauen“ herausgearbeitet wird.

„Auswege gibt es schon längst“, wie der Autor im dritten Kapitel anhand seiner zahlreichen Beispiele weltweit aufzeigt – darunter der Kampf gegen Abholzung für Palmölplantagen in Indonesien, jener der Sámi im Norden Europas gegen die Enteignung ihrer Gebiete und die Zone à défendre in Notre-Dame-des-Landes bei Nantes. Im Kapitel „Vielfältige Strategien“ plädiert der Autor für eine Pluralität von Taktiken und wendet sich gegen vermeintlich einfache Lösungsvorschläge aus dem Spektrum des sogenannten Öko-Leninismus. Schliesslich endet das Buch mit dem fünften Kapitel zu „Eine wirklich andere Zukunft“, mit der Skizzierung eines best-case-Szenarios ausgehend von Katalonien als der langjährigen Lebensumgebung des geborenen US-Amerikaners. Dies regt zum Nachdenken an, auch wenn die realistischere Prognose derzeit darin besteht, dass jene, die für eine sozial-revolutionäre Gesellschaftstransformation eintreten, weggesperrt und umgebracht werden.

Da Gelderloos vernünftigerweise die grundlegende Kritik an der Naturbeherrschung, mit jener an Kapitalismus, Staat und weisser Vorherrschaft verknüpft, irritiert etwas, dass er nicht auch noch dezidiert feministischer Perspektiven einfliessen lässt. Dafür lässt sich das Buch flüssig lesen und bleibt aufgrund der zahlreichen Beispiele abwechslungsreich und anschaulich.

Die Kämpfe und Initiativen, die im letzten Kapitel beschrieben wurden, sind Teil einer revolutionären Welle, die sich in beinahe jedem Land dieser Welt aufbaut. Die Beispiele, die ich gegeben habe, sind nur eine winzige Auswahl eines umfangreichen Netzwerkes der Blockade, Sabotage, Zerstörung, Heilung, Kultivierung, Gestaltung, des Lernens, der Kommunikation – und die grösste Hoffnung für unseren Planeten.

Es ist die einzige derzeit existierende Kraft, die alle folgenden Kriterien erfüllt: eine strukturelle Unabhängigkeit von den Institutionen, die für den Ökozid und den kolonialisierenden Kapitalismus verantwortlich sind; die Fähigkeit, den Staat in wesentlichen Konflikten zum Einlenken zu zwingen; Zugang zu lokalem Wissen, das für echte und intelligente Antworten auf die sich abzeichnende Klimakatastrophe notwendig ist; die Tendenz, Barrieren zu durchbrechen und ein zunehmend globales Bewusstsein zu schaffen, das das Wissen über die Verschränkung aller Formen der Unterdrückung und aller sich abzeichnenden Krisen in den Mittelpunkt stellt; Zugang zu Traditionen der Organisation und ökosozialen Beziehungen, die die Möglichkeit für eine Welt ohne Kapitalismus und ohne Ökozid eröffnen.

Bitte missversteht meinen leidenschaftlichen Bericht nicht als Optimismus. Es ist immer noch ein Kampf David gegen Goliath, und wenn wir die ökologische Krise wie eine Wette in einem Casino angehen würden – wie es zum Beispiel Ökonom*innen tun -, dann wäre unser Geld klüger angelegt, wenn wir auf die Kräfte der Apokalypse setzten. Wenn wir jedoch unser Leben aufs Spiel setzen – und es steht bereits auf dem Spiel, ob wir es schon erkannt haben oder nicht -, ist dieses bunte Netzwerk von Aussenseiter*innen unsere grösste Hoffnung. Alle anderen Vorschläge zur Bewältigung der ökologischen Krise sind eine weitere Variante der Strategie, bei der David zum Schildträger von Goliath wird, in der Hoffnung, Goliath würde irgendwann doch seinen Speer zum Guten einsetzen. (S. 222)

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Peter Gelderloos: Tausend widerständige Territorien. Ord&visor Förlag 2023. 330 Seiten ca. 27.00 SFr., ISBN: 9789188965646.