Margarete Stokowski: Die letzten Tage des Patriarchats Feministische Machtumverteilung

Sachliteratur

Was haben Feminist*innen erreicht, wofür wird aktuell gekämpft und bröckelt das Patriarchat wirklich? Eine Bestandsaufnahme mit einer Prise Optimismus für die Zukunft.

Margarete Stokowski auf dem Blauen Sofa während der Frankfurter Buchmesse 2018.
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Margarete Stokowski auf dem Blauen Sofa während der Frankfurter Buchmesse 2018. Foto: Martin Kraft (CC BY-SA 3.0 unported - cropped)

14. März 2019
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Margarete Stokowski ist in den letzten Jahren in der öffentlichen deutschen Debatte rund um den Feminismus eine der prägnantesten Stimmen geworden. Schon seit 2011 schreibt sie Kolumnen. Sie begann bei der taz, nun kommt sie wöchentlich bei Spiegel Online zu Wort. Nachdem ihr erstes Buch „Untenrum frei“ ein voller Erfolg war, folgte im September 2018 das zweite. „Die letzten Tage des Patriarchats“ ist eine thematisch sortierte Chronik von Stokowskis Kolumnen. Hier und da hat sie die Kolumnen kommentiert und einige relevante gesellschaftspolitische Ereignisse kontextualisiert. Sie macht deutlich, wie sich der Feminismus in Deutschland in den letzten Jahren entwickelt hat, was die wesentlichen Themen in Bezug auf politisches und kulturelles Geschehen sind und dass die Themen jede*n Einzelne*n betreffen.

Stokowski benennt ausserdem Trotzreaktionen von Traditionsfreund*innen, mit denen Feminist*innen sich herumschlagen müssen, strukturell wie persönlich. Im Grossen und Ganzen zeigt Stokowski sich optimistisch und meint, in den letzten sieben Jahren sowohl den Zerfall des Patriarchats beobachtet zu haben als auch sein letztes unwilliges Aufbäumen in Form von Backlash-Bewegungen. Man könnte das auch anders interpretieren. Aber ein bisschen Optimismus tut gut, vor allem, wenn Feminismus weiterhin viel Arbeit bedeuten wird. Zudem ehrt diese zuversichtliche Haltung die tatsächlichen Errungenschaften des Feminismus und fokussiert den langsamen Prozess der Machtumverteilung, von der, so Stokowski, letztendlich alle profitieren werden.

Um richtig in „Die letzten Tage des Patriarchats“ einzutauchen, muss man es aber zunächst über die ersten Kapitel hinausschaffen. Löblicherweise möchte Stokowski in ihrer repräsentativen Kolumnensammlung ein ehrliches Bild ihrer Arbeit abgeben, deshalb hat sie, wie sie selbst sagt, ein paar weniger gute Kolumnen mit abgedruckt. Es ist schade, dass diese das Buch eröffnen und möglicherweise Leser*innen abschrecken, denn im Folgenden entblösst Stokowski erfolgreich typisches Verhalten von Gegner*innen des Feminismus und liefert schlagfertige Argumente, von denen man sich einiges abgucken kann.

Nein, solche Pillen sind keine Smarties

In „Die letzten Tage des Patriarchats“ geht es um Körper, Beziehungen, Selbstbestimmung und Teilhabe. Diese Dinge sind stark abhängig von Politik, Gesetzgebung und Medien und eines ist klar: Es geht immer um Macht. Macht ist natürlich total abstrakt, genauso wie das Patriarchat, was eigentlich so viel wie Macht des Vaters bedeutet. Aber Stokowski bricht dieses männliche Dominanzsystem anhand von Alltagsbeispielen wie Kleidung oder Toilettenbenutzung herunter.

Macht funktioniert zum Beispiel so, dass Frauenkörper nicht nur ständig gemassregelt werden – weshalb Stokowski für mehr dicke Mädchen in Leggins plädiert – sondern ihnen historisch gesehen aufgrund der angeblichen Andersheit ihrer Körper Fähigkeiten abgesprochen wurden, um sie auszuschliessen. Sie führt aus, auf wie vielen Ebenen die juristische und gesellschaftliche Denke von Zweigeschlechtlichkeit sich als Strapaze im Lebensalltag von Trans- und Interpersonen auswirkt. Intergeschlechtliche Personen waren auch noch bis vor kurzem gezwungen, sich entweder als männlich oder weiblich einzuordnen, sogar offiziell in ihrem Pass.

In North Carolina dürfen Menschen gesetzlich nur die öffentlichen Toiletten benutzen, die dem Geschlecht in ihrem Pass entsprechen – offensichtlich problematisch und eventuell sogar gefährlich für eine Person, die als Frau lebt, in deren Pass aber noch „Mann“ steht. Wenn Stokowski solche Situationen aufdröselt und dabei binäres Denken kritisiert, ist ihr Fazit häufig ein Verweis auf die Komplexität. Ihr Vorschlag ist, stattdessen Spektren anzuerkennen – zum Beispiel Spektren von Geschlechtern oder Spektren von Unterdrückungsmodi.

Stokowski beschränkt sich nicht darauf zu zeigen, in welchen Bereichen Cis-Frauen, Transpersonen und intergeschlechtliche Menschen diskriminiert werden. Sie weist auch auf die Mechanismen der Unterdrückung hin. Auf witzige Weise entblösst Stokowski die Absurdität, mit der oftmals über die sogenannten Frauen-Themen – die natürlich eigentlich alle Menschen betreffen – diskutiert wird. Charaktereigenschaften dieser Debatten sind Bevormundung, Kleinreden und Irrationalität. Es ist erstaunlich, dass sich Argumentationsmuster immer wiederholen, auch wenn sie wenig innovativ sind. Stokowski schreibt:

„Als Frauen zu Beginn des 20. Jahrhunderts für das Frauenwahlrecht kämpften, befürchtete man, sie würden sich nicht mehr um den Haushalt kümmern, ihre Kinder verelenden lassen und ihre Männer knechten. Als Frauen in den siebziger Jahren für das Recht auf Abtreibung kämpften, warf man ihnen unter anderem vor, sie wollten nur ‚durch die Betten hüpfen'. Und als es vor kurzem in Deutschland darum ging, ob die Pille danach als Notfallverhütung rezeptfrei erhältlich sein sollte wie in vielen anderen Ländern auch, erklärte der gesundheitspolitische Sprecher der CDU, Jens Spahn, dass solche Pillen ‚nun mal keine Smarties' seien, ganz so, als würden Frauen anfangen, sich davon zu ernähren, sobald sie frei in der Apotheke verfügbar wären.“ (S. 209)

Bestimmte Argumentationsmuster gegen den Feminismus lassen sich auch nach 100 Jahren in Variation wiederfinden. Auf jeden Fall lesen sich manche Kolumnen in „Das Ende des Patriarchats“ als eine Art „Ach Leute, muss ich das wirklich noch mal erklären?“ Scheinbar ja.

Dialog gegen Hass und Angst

Eine der häufigsten Fragen, die sie gestellt bekommt, sei diejenige nach ihrem Umgang mit Hasskommentaren oder Onlinekommentaren im Allgemeinen. Schliesslich schreibe sie immer über hochbrisante Themen. Oft antworte sie gar nicht. Es sei fraglich, ob es sich lohnt, Energie für Leute zu verschwenden, die einem einen leidvollen Tod wünschen. In ihrem Buch hat Stokowski aber einige Beispiele von Zuschriften und Antworten für ihre interessierten Leser*innen eingefügt. Das Kapitel „Nimm die Hand aus der Hose, wenn ich mit dir rede“ ist sogar ein vollständiger Brief an einen solchen Hater. Sie nutzt ihre Antwort an ihn, um deutlich zu machen, dass der irrationale und oft regelrecht dumme Hass im Netz eng mit den imperialistischen, weiss-herrschaftlichen, kapitalistischen, patriarchalen Strukturen zusammenhängt. Die meisten Meinungstexte – zu denen auch Stokowskis Kolumnen zählen – werden zwar von weissen Männern geschrieben, aber die meistbeleidigten Autor*innen solcher Texte sind Frauen oder Schwarze/People of Color, so Stokowski.

Verwandt mit dem Hass im Netz sind Stokowskis Überlegungen zu Rechtspopulismus. Verwandt deshalb, weil viele der Hassnachrichten, die sie im Buch zitiert, von bekennenden Pegida- oder AfD-Fürsprecher*innen verfasst wurden. Eines ist klar, Feminismus und rechtes Gedankengut passen einfach nicht zusammen. Darüber kann auch nicht hinwegtäuschen, dass es rechte Frauen gibt, die sich möglicherweise für Frauen einsetzen. Stokowski schreibt:

„Wenn Feminismus bedeutet – meine Definition –, dass alle Menschen die gleichen Rechte und Freiheiten haben sollten, unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer Sexualität und ihrem Körper, dann ist diese Haltung unvereinbar mit rechtem Denken.“ (S. 252)

Stokowski fragt sich, was den Rechten und Hassnachrichten-Schreibenden entgegengestellt werden kann. Manchmal scheinen Menschen Dinge zu überdenken, wenn Stokowski auf ihre Nachrichten reagiert. Generell rät sie, dass man der Versuchung widerstehen sollte, rechtsgesinnten Menschen ihre Intelligenz abzusprechen, oder sie als hässlich zu bezeichnen. Das würde negative Emotionen hervorrufen, die der Motor von Pegida, AfD und Co. zu sein scheinen.

Ärger, Wut, Hass in Kombination mit einer irrationalen Angst vor „dem Anderen“, die innerhalb der eigenen Reihen und teilweise von den Medien angefeuert wird, führen zu verheerenden Ergebnissen, eigentlich für alle. Stokowski klingt hoffnungsvoll, dass das eigene respektvolle Verhalten dennoch das Gleiche bei ihrem Gegenüber hervorruft. Hoffnung hin oder her, man kann leider nicht genau sagen, wie viele Tage es das Patriarchat noch geben wird. Aber eines ist sicher: Dinge verändern sich, zum Beispiel durch Gesetzesänderungen, wie die Anerkennung der gleichgeschlechtlichen Ehe oder „divers“ als Genderkategorie im Pass.

Der letzte Teil des Buches steht unter dem Titel „Für die Zukunft“. Dieser wirkt ein bisschen wahllos zusammengestellt, was Stokowski in einem Interview mit Deutschlandfunk Kultur damit begründet, dass die Zukunft, also das Leben nach dem Ende des Patriarchats, überhaupt nicht vorhersehbar sei. So schreibt sie über banalere Themen wie Motorsägen Lehrgänge, das Für und Wider von Achtsamkeit als neue Lifestyle-Marke oder Schlafen. Falls das Patriarchat wirklich enden sollte, können wir vielleicht entspannt über solche Dinge sprechen, aber vorerst werden uns noch notwendige Gespräche über gesellschaftliche Ungerechtigkeiten begleiten.

Anna von Rath
kritisch-lesen.de

Margarete Stokowski: Die letzten Tage des Patriarchats. Rowohlt, Reinbek 2018. 320 Seiten, ca. 25.00 SFr ISBN: 978-3-498-06363-4

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