Ludwig Pfau: Freie Studien. Preussisches Regiment, Theokratisches Kirchentum und autokratische Justiz. Texte zu Ästhetik, Religions- und Herrschaftskritik
Sachliteratur
Heiner Jestrabek, Publizist, Sachbuchautor, Freidenker und Heimatforscher hat wieder einmal in Buchform einen Freiheitsbaum aufgestellt.


Ludwig Pfau (Daguerreotypie), Juni 1848. Foto: Carl Reutlinger (PD)
In bewährter Weise beinhaltet das Buch eine Einleitung vom Herausgeber, in der Lebensstationen und Mitstreiter von Pfau vorgestellt, Pfaus Werk kurz charakterisiert und seine Person von Zeitgenossen gewürdigt werden. (6-47) Dann folgen kommentierte Dokumente: „Eigenhändiger Lebenslauf“ (48-49), „Gedichte. Auswahl 1848-1859“ (50-57), „Freie Studien“ (58-62), die umfangreiche Schrift „Die Kunst im Staat“ (63-178), „Proudhon und die Franzosen“ (179-193), „Die Bretonischen Volkslieder“ (194-208), „`Das preussische Regiment“ vor Gericht´.
Rede gehalten zur Verteidigung vor dem Stadtgericht in Frankfurt am Main“ (209-223), „Theoretisches Kirchentum und Autokratische Justiz. Ein Gotteslästerungs-Prozess vor dem Schwurgericht in Esslingen 1877“ (224-254), „Praktische Ethik und Polemik“ (255-259) und „Der Legitimismus“ (260-262); daran anschliessend eine Rezension über Pfau von Jestrabek (263) und das Literaturverzeichnis (266-267) - alles anschaulich und gefällig illustriert mit zeitgenössischen Stichen, Karikaturen und Fotos in Miniaturform.
Wer war dieser Ludwig Pfau? Er war einer der vielen selbstbewussten, klugen, literarisch-philosophisch und musisch gebildetn, freiheitsliebenden und vor allem mutigen Persönlichkeiten aus dem Volk im 19. Jahrhundert: am 25. August1821 als Sohn eines Gärtnermeisters in Heilbronn geboren, lernte er nach dem Besuch des Heilbronner Gymnasiums den Gärtnerberuf im väterlichen Betrieb. 1839 ging er nach Paris, wo er Porträtzeichnungen anfertigte und Bücher botanischen Inhalts illustrierte, kehrte 1841 nach Heilbronn zurück, um den Militärdienst abzuleisten und wieder im väterlichen Betrieb zu arbeiten.
Nach dieser Übergangszeit begann er ein Studium der Philosophie in Tübingen. Dort lernte Pfau seinen Förderer Theodor Vischer (1807-1887) und die Ideen der Junghegelianer kennen. 1847 wechselte er an die Universität Heidelberg, fand Anschluss an die badische politische Opposition, zog jedoch schon Ende des Jahres nach Stuttgart, wo er zusammen mit Hermann Kurz das Witz- und Satireblatt „Der Eulenspiegel“ herausgab, selbst Beiträge verfasste und auch agitatorische Revolutionsgedichte 1848/1849 publizierte.
Selbstredend engagierte sich Pfau auch in der Revolution 1848/49, war sogar Vorstandsmitglied des „Württembergischen Landesausschusses“, der revolutionären Gegenregierung, flüchte nach deren Niederschlagung nach Baden, um sich an den Abwehrkämpfen der badisch-pfälzischen Revolutionäre gegen das preussische Militär Preussen zu beteiligen. Nach der am 18. Juni 1849 erfolgten gewaltsamen Auflösung des „Rumpfparlaments“, der Übereste der Nationalversammlung, die von Frankfurt nach Stuttgart ausgewichen war, wurde auch Pfau politisch verfolgt und strafrechtlich zu 21 Jahren Gefängnis verurteilt. Er floh am 11./12. Juli 1849 in die Schweiz, von dort 1852 nach Paris, wo er als Übersetzer von Romanen und des Hauptwerkes von Piere Joseph Proudhon (1809-1865) wirkte.
Nach der Generalamnestie politisch Verfolgter und Verurteilter in Württemberg kehrte Pfau 1863 nach Stuttgart zurück, wo er in der Redaktion der Tageszeitung „Der Beobachter. Ein Volksblatt für Schwaben“ arbeitete. Diese Zeitung unterstützte im Spektrum der liberalen Opposition, die kleinbürgerlichen Demokraten, die sich 1866 in der Demokratischen Volkspartei (DVP) zusammenschlossen.
Wie diese Partei vertrat auch die Zeitung radikaldemokratische, antifeudale, antipreussische und antiklerikale politische Positionen. Ludwig Pfau brachte diese antipreussische und antiklerikale Haltung zuletzt 1877 und 1883 kurze Gefängnistrafen ein. Er starb 1894 in Stuttgart, wo er wie in seiner Geburtsstadt Heilbronn hohes Ansehen besass und öffentliche Ehre erfuhr.
Ludwig Pfaus Texte, Gedichte und Schriften, wirken auf heutige Zeitgenossen vielleicht sprachlich befremdlich. Inhaltlich zeugen sie von einem Kleinbürgertum, das politisch das Freiheitsideal für den Menschen hochhält, die Anbiederung des Klerus an die weltliche Macht verurteilt, den (preussischen) Militarismus anprangert, ästhetisch das klassischen Schönheitsideal verteidigt und für diese Überzeugungen mit seiner ganzen Persönlichkeit auch einsteht.
Ja, die gute alte Zeit …
Ludwig Pfau: Freie Studien. Preussisches Regiment, Theokratisches Kirchentum und autokratische Justiz. Texte zu Ästhetik, Religions- und Herrschaftskritik. Hrsg. von Heiner Jestrabek. Reutlingen: Verlag freiheitsbaum, edition Spinoza 2021. 267 Seiten. ca. SFr. 14.00 ISBN 9783922589723
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