Katja Kullmann: Die Singuläre Frau Jenseits von Zweisamkeitsschmacht und neoliberalem Individualismus

Sachliteratur

Es gibt viele Begriffe, um Frauen ohne romantische Beziehung zu beschreiben oder abzuwerten. Katja Kullmann verbindet die Kulturgeschichte alleinstehender Frauen mit einer persönlichen Auseinandersetzung.

Katja Kullmann nach einer Lesung im Optimal Recordstore, München 2022.
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Katja Kullmann nach einer Lesung im Optimal Recordstore, München 2022. Foto: Kaethe17 (CC-BY-SA 4.0 cropped)

7. Dezember 2022
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Literatur darüber, wie Menschen in (heterosexuellen) Zweierbeziehungen leben, gibt es wie Sand am Meer. Nicht erst seit „Ethical Slut“ von Dossie Easton und Janet Hardy geht eine Kritik daran mit einer stärkeren Auseinandersetzung mit offenen Beziehungsmodellen und Polyamorie einher. Im Mittelpunkt dieser Literatur steht aber immer entweder das „Streben nach Beziehung(en)“ oder das „In-romantischen-Beziehung(en)-sein“. Einer der bisher wenig in der Sachbuchliteratur aufgegriffenen Figur – der alleinstehenden Frau – nähert sich Katja Kullmann.

Diese Figur hat viele Gesichter und Erscheinungsformen – sie reichen von der selbstbewussten Solistin über die proseccotrinkende Single-Frau, bis hin zum „Mangelwesen“ oder zur feministischen „Störenfriedin“. Neuneinhalb Millionen Frauen in Deutschland sind alleinstehend – ein nicht zu unterschätzender Anteil der Gesamtbevölkerung. Und doch gibt es wenig Wissen über sie. Katja Kullmann nähert sich diesem Wissen an – von New York in den Wedding, von den höheren Töchtern zu den Arbeiterfrauen, mit Laurie Penny, bell hooks, Vivian Gornick und weiteren an ihrer Seite. Sie zieht eigene Ankedoten, literarische Auseinandersetzungen, wissenschaftliche Studien, politische Kampfschriften und popkulturelle Bezugnahmen heran, um Frauen, die – freiwillig oder nicht, bewusst oder unbewusst – nicht in romantischen Beziehungen leben, in ihrer Vielfältigkeit und ihren Gemeinsamkeiten einzufangen und sich der Figur der alleinstehenden Frau zu nähern. Von der neuen Frau in den 1920er und 30er Jahren, über die ledige Frau der Nachkriegszeit und die Singles der Sechziger Jahre, bis hin zu den selbstverpartnerten jungen Frauen heute – die selbstbewusste Aneignung und Definition über die eigene (romantische) Beziehungslosigkeit findet sich an unterschiedlichen historischen Stellen immer wieder.

Kullmann hebt dabei die Wichtigkeit anderer sozialer Beziehungen hervor; Ihr Lob der sogenannten „losen Bekanntschaften“, mit denen man einzelne Interessen teilt, aber nicht sozial eng verbunden ist, ist erfrischend, weil sie jenseits einer positiven Bezugnahme auf enge Freund*innenschaften auch das Besondere in entfernteren Verhältnissen hervorhebt. Kullmann geht es nicht um den individuellen Blick auf sich selbst, sondern um das Eingebunden-Sein in soziale Beziehungen, die nicht massgeblich auf eine:n Partner:in ausgerichtet sind:

„Immer wieder setzte – und setzt – die Frau ohne Begleitung sich mit den mannigfaltigen Spielarten von sozialer Nähe und Distanz auseinander. So gut wie nichts nimmt sie ‚für selbstverständlich'. Sensibel lotet sie aus, wie weit, wie tief, wie hoch diese oder jene Bekanntschaft reichen könnte. Und das oft ohne jeden Erwartungsdruck.“

Jenseits der Exklusivität von Paarbeziehungen und den laut Kuhlmann damit einhergehenden Erwartungen geht es dabei darum, Verbindlichkeit mit Menschen herzustellen und dabei auch die Mannigfaltigkeit der Möglichkeiten zwischenmenschlicher Beziehungen anzunehmen.

Singuläre Frauen als Schraubenzieher in den Rädern des Patriarchats

Kullman bezieht sich auf das Konzept der Amatonormativität der US-amerikanischen Philosophin Elizabeth Brake. Dies hinterfragt die weit verbreitete Annahme, dass es allen Menschen in einer romantischen Paarbeziehung besser ginge und solche Beziehungen daher ein erstrebenswertes Lebensziel seien. Der Ausschluss zeigt sich an vielen Stellen:

„Die Amatonormativität und die Heteronormativität sind noch immer Befestigungswälle, die diejenigen, die sich weder als Mann noch als Frau begreifen sowie diejenigen, die anders – oder eben: garnicht – lieben, als Obskuritäten im Ausserhalb markieren.“

Auch wenn Annahmen wie die, dass die singuläre Frau „die eigentliche, die wahre Heldin der Moderne“ sei, übertrieben und wie ein ins Buch gegossenes Clickbaiting wirken, so zeigt Kullmann doch die Relevanz dieser Figur auf. Die singuläre Frau entwickelt sie als positive Bezugnahme auf den beziehungslosen Zustand, der nicht schon durch Vorannahmen eingefärbt ist und im Gegensatz zum Begriff des „Singles“ keinen Mangelbezug darstellt:

„Die Wortbedeutung von singulär changiert zwischen einmalig, einzigartig, unvergleichlich – und einzeln oder vereinzelt. Beides trifft auf die Frau ohne Begleitung zu“.

Zwischen Politischer Theorie und persönlichen Einblicken

Zu kurz kommt die Auseinandersetzung mit Heteronormativität und die Einbettung von Zweierbeziehungen in dieses Machtverhältnis: Wenn Katja Kullmann kurz anreisst, dass sie aus ihrer Perspektive als weisse, heterosexuelle cis-Frau schreibt, so wird dieses beziehungsgewordene Konstrukt des Patriarchats nur stellenweise mit angesprochen. Wenn Frauen im Patriarchat nur über ihr Verhältnis zu Männern gesehen und definiert werden, so hat aber die Figur der singulären Frau trotz allem etwas Disruptives.

Popkulturell akzeptable Bezugnahmen auf das Leben ohne Partnerschaft werden laut Kullmann nur als „Transitversionen einer Frau“ dargestellt, sei es in der sogenannten „chick lit“, in Serien wie „Sex and the City“ oder in Beyoncé-Songtexten. Sie geht auf die unterschiedlichen Wahrnehmungen und Erfahrungen entlang der Kategorien Alter, Klasse und Herkunft ein und findet doch immer wieder Gemeinsamkeiten in den Erzählungen singulärer Frauen. Interessant ist das Kapitel zur Entwicklung von Grossstädten und die damit einhergehende Unabhängigkeit junger Frauen aus dem ländlichen Raum. Die dringend gebrauchte Arbeitskraft im späten 19. Jahrhundert liess weltweit junge Frauen in die Städte strömen, die hier (noch) ungebunden das Sozial- und Nachtleben ebenso prägten wie bestimmte Wohnformen.

Selten habe ich nach dem Lesen noch so häufig über ein Buch gesprochen, was nicht nur mit dem Inhalt an sich, als vielmehr mit der Art und Weise zu tun hat, wie es geschrieben ist. Es ist eine gelungene Mischung aus Sachbuch, Essay und persönlichen Einblicken. Dabei nähert sich Kullmann unter Bezugnahme auf einen umfangreichen Quellenkatalog der Figur der alleinstehenden Frau. Der intelligente, manchmal bissige Humor, der vor allem Frauen mittleren Alters eigen zu sein scheint, und der eine gewisse Distanz zu sich selbst und zu anderen durchschimmern lässt, weicht im Verlauf des Buches ehrlichen Selbsterkenntnissen und Analysen, die das Patriarchat benennen und doch immer wieder auf die zwischenmenschliche Ebene zurückkehren. Kullmann sieht die Notwendigkeit für die Veränderung der Geschlechterverhältnisse – und so auch der Fixierung auf Paarbeziehungen. Es geht ihr darum, die grosse Menschheitsgeschichte der romantischen Paarbeziehung in Frage zu stellen. Doch sich selbst sieht sie dabei weniger als Kämpferin als vielmehr als Deserteurin. Diesen Austritt aus den gesellschaftlichen Anforderungen zur Grundlage dieses spannenden Buches zu machen, verdient Dank.

peps perdu
kritisch-lesen.de

Katja Kullmann: Die Singuläre Frau. Hanser Verlag, Berlin 2022. 336 Seiten, ca. SFr 28.00. ISBN 978-3446269392

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