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Jacques Derrida: Psyche. Erfindung des Anderen. | Untergrund-Blättle

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Jacques Derrida: Psyche. Erfindung des Anderen. Fabelhafte Psyche!

Sachliteratur

Der bereits in französischer Sprache 1987 erschienener Text liegt nun auch seit einigen Jahren in Deutsch vor: Es geht um die Erfindung des Anderen und die Frage, was das ist, Allegorie, Mythos, Fabel – oder „Ereignis“.

Der französische Philosph Jacques Derrida.
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Der französische Philosph Jacques Derrida. Foto: Auto-épreuve (CC BY-SA 4.0 cropped)

20. Januar 2021
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Nun also eine Psyche ohne Akzent, auf Deutsch gewissermassen, sehr gedrängt und sich auf das Wesentliche beschränkend, von Jacques Derrida (1930-2004), der sich wie wenige Philosophen durch sein Werk hindurch mit diesen Fragen beschäftigte.

Ist der Andere also immer der Andere, weil Andere ihn so bezeichnen (erfinden)? Ein Konstrukt gar? Psyche, die unversehrte Unberührbare und gewiss sehr feminin, oder etwa jener amerikanische Student, den Derrida in „Die Postkarte“ (1986) erwähnte, mit und ohne Freud (in „Berühren, Jean-Luc Nancy“ 2007 noch ganz mit dem Vater der Psychoanalyse und seinem Strasbourger Freund und Kollegen). Psyche vor Eros, der möglicherweise auf sie herunter schaut. Oder geht dieser Text, welcher wohl nicht zufällig mit einer Fabel von Francis Ponge beginnt, deren kurze Prosa mit dem Hinweis endet, („NACH sieben Jahren Unglück / Zerbrach sie Ihren Spiegel“), möglicherweise weit mehr gewaltig darüber hinaus? Um eine Spiegelung (Erfindung) alleine kann es sich hier wohl kaum handeln. Der Autor wagt eine Hypothese:

„In einem Diskurs-Bereich, der sich seit dem Ende des 17. Jahrhunderts in Europa annähernd stabilisiert hat, gibt es nur zwei grosse autorisierte Beispielsarten für Erfindung. Einerseits erfindet man Geschichten (fiktive oder fabelhafte Erzählungen), und andererseits Maschinen, technische Vorrichtungen (dispositifs) im weitesten Sinne des Wortes“ (S. 25).

Man ahnt es bereits, dieser Text aus der Mitte der 1980er Jahre, der nicht ohne Grund als ein Schlüsselwerk der Dekonstruktion betrachtet wird, bezieht ausdrücklich die technischen Interventionen jener Zeit mit ein (Reproduktions- und Telekommunikationstechniken, ein beliebiger Impfstoff, Geräte zur ferngelenkten Zerstörung, und so weiter). Die Maschine kommt stets zum Menschen zurück, manchmal eben als Heimsuchung.

Diese Krise, ein Begriff welcher schon damals inflationär benutzt wurde, wolle man nun „mit Hilfe der Kultur hinter uns lassen“, ein aussichtsloses Unterfangen. Dieses auf den berühmten „Würfelwurf“ in Mallarmés Gedichten anspielendes Vorhaben erinnert fatal an die Geschichte jenes ehemaligen Investment-Fondmanagers, der heute in New York nach der Finanzkrise eine „Schnitzel-Revolution“ betreibt, einen Imbissstand mit deutschen Spezialitäten inklusive Currywurst.

Er schlafe heute zwar weniger als früher, dafür aber besser, berichtete er im deutsch-französischen Kulturkanal Arte. Da haben wir nun eine Ökonomie der Einbildungskraft. Und wenn es denn möglich sei selbst die Ökonomie und Institutionen zu erfinden (mit Hilfe bestimmter Forschungs- Bildungs- und Kulturpolitik), dann wäre es auch möglich, etwas, was stets als eine innovative Bewegung wahrgenommen wird, in Richtung einer Vergangenheit zurück zu falten. Hier setzt sich Derrida mit Schellings deutschem Idealismus auseinander, als einem Anthropo-Theozentrismus, sowie mit Descartes, welcher den Sitz der Psyche gar in der Zirbeldrüse verorten wollte. Genau hier müsse die Dekonstruktion ansetzen, selbst zu erfinden, die Möglichkeiten ausloten, sogar darüber hinaus zu gehen und dies könne nur mehrstimmig geschehen. Die Erfindung des Anderen kann also auch etwas völlig anderes sein.

Psyche ist ausgedehnt, Derrida schafft es aber problemlos den gesamten Kontext, in den sie eingebunden ist, sowie störende Faktoren zu benennen. Ein flammender Aufruf, das Unmögliche zu erfinden, die vorgegebenen institutionellen Regeln und Konventionen nicht zu akzeptieren. Ein schönes Buch.

Adi Quarti
kritisch-lesen.de

Jacques Derrida: Psyche. Erfindung des Anderen. Passagen Verlag, Wien 2011. 112 Seiten ca. 19.00 SFr., ISBN 9783851659375

Dieser Artikel steht unter einer Creative Commons (CC BY-NC-ND 3.0) Lizenz.

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