Aufblende
Weltweit protestieren zurzeit viele Menschen gegen staatliche Coronaverordnungen. Von weit rechts bis ins linke Lager hinein hört man den Ruf nach Freiheit gegen staatliche Zwangsmassnahmen. Menschen, die bislang als kreuzbrave Bürger galten, laufen lautstark mit kernigen Anti-Impf-Parolen ausgerüstet durch die Innenstädte und verunsichern hauptamtliche und freischaffende Liebhaber der staatlichen Gesundheitspolitik.Dabei zeigt ein differenzierter Blick auf das bunte Bild der Gegner der Corona-Politik, dass diese sich im Kern nicht wesentlich von den Befürwortern unterscheiden. Für Erstere versündigt sich der bürgerliche Staat an seiner vermeintlichen Aufgabe, die individuellen und kollektiven Freiheiten seiner Bürger nach aussen und innen abzusichern. Letztere hingegen sind der Meinung, dass gerade jetzt durch ein konsequentes staatliches Handeln langfristig den Interessen der Bürger Genüge getan wird. Einig sind sich Befürworter und Gegner somit im positiven Bezug auf das staatliche Gewaltmonopol, das dem „Gemeinwohl“ verpflichtet ist beziehungsweise sein soll.
Wenn Bürger die „Freiheit“ beschwören, dann übersehen sie geflissentlich die Wirtschaftsordnung der Gesellschaft, die durch unübersehbare Gesetzespakete, Verordnungen, Strafandrohungen etc. gewaltmässig abgesichert werden muss. Sie übersehen die mit der Eigentumsordnung in die Welt kommenden Gegensätze zwischen Käufern und Verkäufern, zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, zwischen Kooperation und Konkurrenz, deren unschöne Folgen allen unter dem Stichwort „Marktversagen“ durchaus bekannt sind.
Das „Recht der Allgemeinheit“, das sie von ihren unterschiedlichen Standpunkten einklagen, beinhaltet also die „Vernunft“, die zum Fortbestand dieser Gegensätze in der kapitalistischen Gesellschaft erforderlich ist.
Rückblende
Blenden wir von der gegenwärtigen Protestkultur zirka 100 Jahre zurück in die zwanziger Jahre. Damals gab es in vielen Ländern europa- und weltweit Streiks, Aufstände, Demonstrationen, Revolutionen, die das gesamte Spektrum des Widerstandes gegen die Eigentumsordnung und die sie sichernden staatlichen Massnahmen abbildeten. Von untertäniger Bittstellerei über kompromissloser Durchsetzung ökonomischer und politischer Forderungen bis zur Infragestellung der gesamten politökonomischen Strukturen aller bisherigen Gesellschaften reichte die Bandbreite der damaligen kritischen Auseinandersetzung mit den für den grössten Teil der Bevölkerung schädlichen Lebensbedingungen.Zu den radikalen Kritikern der gesellschaftlichen Verhältnisse im Kapitalismus gehörte die Gruppe Internationaler Kommunisten (GIK). Sie bildete sich 1927 vor dem Hintergrund der Diktatur über das Proletariat in der Sowjetunion und zugleich als Resultat der Klassenkämpfe in Deutschland. Die in den Niederlanden ansässige kleine Gruppe von Marxisten publizierte zahlreiche Bücher und Zeitschriften in niederländischer und deutscher Sprache, bis die Faschisten 1940 die Niederlande besetzten und jede öffentliche Arbeit linker Gruppierungen zu verhindern wussten.
Nun liegt erstmals die niederländische Zeitschrift „Radencommunisme“ (Rätekommunismus) der Gruppe von 1938 bis 1940 in deutscher Übersetzung vor. Nach den zuvor wiederveröffentlichten deutschsprachigen Zeitschriften „Pressedienst“ (1928 bis 1933) und „Rätekorrespondenz“ (1934 bis 1937) bieten auch die Ausgaben des „Radencommunisme“ nicht nur für historisch interessierte Leser einen aufschlussreichen marxistischen Blick auf den Zeitraum von der Weltwirtschaftskrise über die Machtergreifung Hitlers in Deutschland bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges.
In ihren Publikationen analysierte die Gruppe Internationaler Kommunisten die politische Ökonomie in den kapitalistischen Staaten und deren Kolonien sowie die aktuellen Entwicklungen des Klassenkampfes. Im Gegensatz zu den moskautreuen Kommunisten lehnten sie taktische und strategische Bündnisse mit den bürgerlichen Parteien und Organisationen ab, da sie notwendig die Instrumentalisierung der Arbeiterklasse für die Belange der herrschenden Klasse bedeuteten würden.
Wie die Aufhebung der Lohnarbeit im Zuge der sozialen Revolution erreicht und im Anschluss an die soziale Revolution gesichert werden kann, mit anderen Worten, wie die gemeinschaftlich ausgeübte Verfügung über die Produktion durch die freien Produzenten sich organisieren lässt, das ist der zentrale Inhalt, den die GIK in ihren Schriften propagierte. Entsprechend bestand für die GIK die erste Aufgabe der revolutionären Arbeiter darin, zu versuchen, die revolutionäre Betriebseinheit zu bewahren und die neue Art des Kampfes unter dem Motto „Raus aus der Gewerkschaft, rein in die Betriebsorganisation“ zur einzig gültigen zu machen.