David R. Roediger: Class, Race and Marxism Wo bleibt die Klassensolidarität?

Sachliteratur

Den Zusammenhang von Klasse und Race marxistisch denken – eine Herausforderung, der sich dieses Buch nicht konsequent genug stellt.

David R. Roediger: Class, Race and Marxism.
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David R. Roediger: Class, Race and Marxism. Foto: Alex Proimos (CC BY-NC 2.0 cropped)

27. April 2018
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Mit dem Siegeszug des Neoliberalismus sind erfolgreich geführte Arbeiter_innenkämpfe in den frühindustrialisierten Staaten zunehmend zur Randerscheinung verkommen. Gleichzeitig erleben wir seither – so eine analytische Perspektive wie sie unter anderem Poststrukturalist_innen wie Chantal Mouffe und Ernesto Laclau anstrengen – einen Anstieg von sogenannten „identitätsbezogenen“ Bewegungen.

Innerhalb einer fragmentierten Linken, die regelrecht verzweifelt versucht, sich und ihre Ziele im Angesicht sich verengender Spielräume für gesellschaftlich mehrheitsfähige linke Politik neu auszurichten, bleibt die Suche nach beständigen politischen und strategischen Synergien zwischen traditionellem Arbeiter_innenkampf und anti-rassistischen, anti-sexistischen et cetera Kämpfen weiterhin unabgeschlossen. In gewisser Weise schliesst David R. Roedigers Buch „Class, Race, and Marxism“ an diese Problematik an, ohne jedoch für die Revitalisierung linker Klassenpolitik tatsächlich neue Pfade zu betreten.

Seit seinem Buch „The Wages of Whitness. Race and the Making of the Amercian Working Class“ gilt der US-amerikanische marxistische Historiker und ehemalige Professor für African-American Studies als einer der bedeutendsten Vertreter der sogenannten whiteness studies. Roedigers Arbeiten befassen sich grundsätzlich mit der Frage nach dem theoretischen und gesellschaftlich-praktischen Zusammenhang – der Intersektion – von Race und Klasse.

Dabei untersucht er in seinen Studien zur Geschichte der US-amerikanischen Arbeiter_innenbewegung das Ineinandergreifen beider Kategorien, die sowohl jede für sich als auch gemeinsam das Produkt historisch spezifischer Prozesse sozialer Konstruktion und Reproduktion sind. So auch seine neuste Publikation, die von Roediger bereits publizierte Essays thematisch unter der Klammer eines wissenschaftlichen und politischen Marxismus zu bündeln versucht.

Rückkehr zum Arbeiter_innenkampf oder Stärkung von „Identitätspolitiken“?

In der Gesamtbetrachtung hat die Essay-Sammlung einige Höhen und Tiefen. In der Einleitung greift Roediger die Grundproblematik der Debatte um den Zusammenhang von Race und Klasse auf. Darin diskutiert er die politischen Schnittpunkte zwischen kapitalismuskritischen Bewegungen, wie Occupy Wallstreet und den Kämpfen gegen Rassismus, wie sie aktuell vor allem in den Protesten gegen Polizeigewalt im Rahmen der Black Lives Matter Bewegung in Erscheinung treten. Roediger hält dabei politisch gegen Marxist_innen wie David Harvey oder Ellen M. Wood, die sich für eine politische Vorrangstellung anti-kapitalistischer Kämpfe gegenüber „identitätsbezogener“ aussprechen.

Allein anti-kapitalistische Kämpfe, so das vermeintliche Argument Harveys und Woods, besässen die umfassende gesellschaftliche Wirkmächtigkeit, die bestehenden kapitalistischen Verhältnisse umzuwälzen und in der Konsequenz zu überwinden. Identitätsbezogene Kämpfe, auch wenn sie nicht unmittelbar anti-kapitalistische Ziele formulieren, müssen, so Roediger, jedoch als Teil des Klassenkampfes verstanden werden, da sie sowohl die grundsätzliche Logik sozialer Ungleichheit in kapitalistischen Gesellschaften angreifen als auch die Möglichkeit bieten, unterschiedliche Formen des politischen Kampfes innovativ miteinander zu verbinden.

Klassenkampf dürfe demnach nicht allein vor dem Hintergrund der ungleichen Verteilung von Produktionsmitteln analysiert werden. Ebenso müsse die Spaltung der Arbeiter_innenklasse als Ergebnis des Wettbewerbs auf dem Arbeitsmarkt genauer betrachtet werden.

Klasse und Race marxistisch Denken

Das Buch ist anschliessend thematisch in zwei unterschiedliche Schwerpunkte unterteilt. Im ersten Teil zeichnet Roediger die Diskussion um den Zusammenhang von Race und Klasse im akademischen Feld nach und setzt sich dabei kritisch mit dem Umstand auseinander, dass Race in vielen (marxistischen) Debatten ein blinder Fleck zu sein scheint oder als analytische Kategorie sogar gänzlich zurückgewiesen wird.

Seine dezidierte Haltung zum Zusammenhang von Race und Klasse wird dabei schnell offensichtlich: Um die Herausbildung einer bestimmten Arbeiter_innenidentität historisch nachvollziehen zu können, ist es, so Roediger, letztlich notwendig, soziale Differenzierungslogiken mit einer historisch-materialistischen Analyse zu kombinieren. Rassismus, ebenso wie andere Formen sozialer Fragmentierung, werden von der Kapitalist_innenklasse als Instrument zur Beherrschung der Arbeiter_innenklasse genutzt, mit dem Ziel die Arbeiter_innenklasse im Kampf um die Durchsetzung ihrer Interessen gezielt zu schwächen.

Das Making of Race in kapitalistischen Gesellschaften

Im zweiten, inhaltlich gehaltvolleren Teil des Bandes, entfaltet Roediger seine theoretische Perspektive auf Grundlage seiner historischen Studien zum Wandel des Managements von Arbeit. Als ein Produkt kapitalistischer Vergesellschaftung, so seine These, wird Race ebenso wie Klasse als soziale Kategorie nach den Ansprüchen der Kapitalakkumulation geformt und durch psychologische und ideologische Mechanismen gesellschaftlich verankert und reproduziert. Damit sei nicht gesagt, dass Formen von Diskriminierung und sozialer Ungleichheit nicht auch jenseits kapitalistischer Gesellschaften existierten.

Stattdessen betont er, dass Rassismus innerhalb der Rationalität des Kapitalverhältnisses funktional wird. Das Ziel: Die politische Organisation der Arbeiter_innenschaft schwächen. Gegenüber anderen Marxist_innen hebt er dabei den Zusammenhang zweier gleichzeitig nebeneinander bestehender Logiken hervor: Einerseits wird menschliche Arbeit in kapitalistischen Gesellschaften als abstrakte Grösse behandelt. Durch diese Abstraktion können unterschiedlichen Formen, der von Arbeiter_innen verausgabten Arbeit in ein Verhältnis zueinander gesetzt werden, das sie unabhängig von ihren individuellen Merkmalen miteinander vergleichbar macht.

Menschliche Arbeitskraft wird so zur Ware, die losgelöst von ihrer jeweiligen Charakteristik frei verfügbar auf dem Arbeitsmarkt gehandelt werden kann. Andererseits werden Arbeitskräfte jedoch auf der Grundlage von Geschlecht, Hautfarbe, Alter et cetera durch die besitzende Klasse sozial hierarchisiert; stets mit dem Ziel die Arbeitskraft zu verbilligen und die Arbeiter_innenschaft zu spalten.

In seinen historischen Studien zur Arbeiter_innenbewegung in den USA zeichnet Roediger einen solchen Prozess sozialer Zuschreibung nach, infolge dessen Gruppen von Menschen auf der Basis ihrer Hautfarbe Fähigkeiten und Eigenschaften zu- beziehungsweise abgesprochen wurden und der Zugang zu umkämpften Ressourcen wie Arbeit, Eigentum, Produktionsmitteln et cetera entsprechend hierarchisch strukturiert wurde.

Daraus schlussfolgert er: Wer zu einem bestimmten Zeitpunkt als „weiss“ gilt und damit gegenüber „Nicht-Weissen“ neben sozialen insbesondere ökonomische Privilegien geniesst, ist abhängig von der historisch-spezifischen Konstruktion dieser Kategorie sowie von der Fähigkeit von Individuen, sich einen Platz innerhalb privilegierter Gruppen zu erkämpfen. Rassistische Differenzierungen befördern somit die Spaltung der Arbeiter_innenklasse, indem sie innerhalb dieser Formen exklusive Solidarität hervorbringen.

Insgesamt lässt die Essay-Sammlung Roedigers eine Reihe von Fragen unbeantwortet. Vor allem in Hinblick auf den Anspruch der konsequenten theoretischen und politischen Zusammenführung von Race, Klasse und Marxismus und dem Ziel der Neubegründung einer mehrheitsfähigen, linken Klassenpolitik fehlt es an Substanz. Die Grundintention des Bandes, eine Klammer um das Verhältnis von Race und Klasse zu schliessen, die sich unter anderem von post-marxistischen und post-strukturalistischen Strömungen absetzt, bleibt dann leider auch immer wieder hinter den in der Einführung erweckten Erwartungen zurück.

Durchaus erhellend ist die historisch-materialistische Argumentation, die Roediger zur theoretischen Zusammenführung von Race und Klasse punktuell ausführt. Dadurch wird es möglich, die soziale Konstruktion von Kategorien wie Race neben ihrer Eigenlogik auch vor dem Hintergrund der Spezifik der kapitalistischen Produktionsweise zu kontextualisieren und entsprechend zu kritisieren. Die minutiöse Darstellung des theoretischen Streits um den Zusammenhang beider Kategorien im akademischen Feld, die beinahe die Hälfte des Buches umfasst, bietet hingegen wenig Raum für die Diskussion um politische und strategische Schnittmengen zwischen den unterschiedlichen emanzipatorischen Kämpfen der Gegenwart.

Eine konsequenter ausgeführte inhaltliche Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen marxistischen Zugriffen auf den Zusammenhang von Race und Klasse wäre an dieser Stelle des Buches für Leser_innen, die mit dem Werk Roedigers und seiner theoretischen Selbstverortung weniger vertraut sind, sinnvoll gewesen. Zudem bleibt auch bei Roediger unklar, inwiefern Formen sozialer Ungleichheit auf Grundlage gruppenspezifischer Diskriminierungen jenseits des Kapitalismus fortbestehen beziehungsweise wie diese praktisch überwunden werden können.

Zwar spricht sich Roediger zu Beginn für die politische Integration von anti-rassistischen Kämpfen in anti-kapitalistische, linke Projekte aus; jedoch wirft das zwar durchaus lesenswerte letzte Kapitel zur Problematik von Exklusionsmechanismen, die innerhalb von gruppenübergreifenden Solidaritätszusammenhängen entstehen können, erneut die Frage nach einer politischen Strategie auf, die unterschiedliche emanzipatorische Kämpfe sinnvoll miteinander zu verknüpfen vermag.

„Class, Race and Marxism“ ist weder ein theoretisches Einführungsbuch noch ein politisches Manifest. Die ausgewählten Essays werfen vielmehr Schlaglichter auf die Debatte. Dabei sind sie vor allem das Zeugnis einer akademischen Auseinandersetzung mit der Problematik. Die Frage, wie und wann Arbeiter_innen in kapitalistischen Gesellschaften als aktive Gestalter der Geschichte in Erscheinung treten und sich dabei auch über bestehende, sozial konstruierte Differenzen innerhalb der eigenen Klasse hinwegsetzen, bleibt nach der Lektüre des Buches leider unbeantwortet. Dem Ziel der übergreifenden Klassensolidarität ist man damit noch nicht nähergekommen.

Janina Puder
kritisch-lesen.de

David R. Roediger: Class, Race and Marxism. Verso, New York 2017. 208 Seiten. ca. 14.00 SFr., ISBN: 9781786631237

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