Christian Alt, Christian Schiffer: Angela Merkel ist Hitlers Tochter Becoming Hans Fuchs

Sachliteratur

Ein anschauliches Selbstexperiment führt in den Kaninchenbau der Verschwörungstheorien.

Demonstration von und Verschwörungsgläubigen und Rechtsextremen als Vorabend Demo am 31. Juli 2020 in Berlin.
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Demonstration von und Verschwörungsgläubigen und Rechtsextremen als Vorabend Demo am 31. Juli 2020 in Berlin. Foto: Leonhard Lenz (PD)

30. November 2020
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Im April 2020 kam es im Facebook-Feed einer Freundin zum absoluten Overkill. Eine Bekannte von ihr begann, Aufrufe zum Widerstand gegen Zwangsimpfungen und Videos zu den Welteroberungsplänen von Bill Gates und George Soros zu posten. Kurz darauf kam es parallel zu den Demonstrationen gegen Polizeigewalt auch zu Demonstrationen gegen die „Zwangsmassnahmen“ im Zuge von Corona: Menschen demonstrierten gegen den „Maskenzwang“, gegen den Staat, manchmal auch gegen Angela Merkel oder das „China-Virus“. Wo zuvor noch bei namhaften Drogeriemärkten Toilettenpapier gehortet und der Ernährungsplan präventiv auf Nudeln mit Tomatensosse umgestellt wurde, ging es nun im Namen der Grundrechte gegen die Diktatur Deutschland auf die Strasse – dass in einer Diktatur ein solcher Protest wahrscheinlich kaum möglich gewesen wäre, war wenig relevant.

Verschwörungstheoretiker*innen – Menschen, die wahlweise daran glauben, dass die Bundesrepublik Deutschland eine Firma ist, Barack Obama ein Echsenmensch, Hitler lebt oder eben, dass Bill Gates durch das Injizieren von Mikrochips die Weltherrschaft erlangen will – finden in Krisenzeiten zunehmend Gehör; vor allem digital. Vom pensionierten Fussballer und BBC-Moderator, der nach einem Erweckungserlebnis nun die Wahrheit verkündet, bis hin zum veganen Fernsehkoch, von eigenen Verwandten und Bekannten in der süddeutschen Provinz wie der norddeutschen Weltstadt riechen, sehen, fühlen alle die Verschwörung. Die Paranoia greift um sich, füllt das Feuilleton und befördert immer wieder neue Vorstellungen darüber, was Politik, Wirtschaft, den eigenen beruflichen Misserfolg bedingt.

Eine Reise durch die Theorie und Praxis der Verschwörungstheorien

Genau um diese Art des Umgangs mit der Realität geht es auch im peppig geschriebenen, streckenweise flapsigen, episodenhaft unterhaltsamen Buch von Christian Alt und Christian Schiffer mit dem Titel „Angela Merkel ist Hitlers Tochter. Im Land der Verschwörungstheorien.“ In vierzehn Kapiteln manövrieren die Autoren – beide mit Netzkultur vertraut und schreibend für verschiedene Medien aktiv – im lockeren populärwissenschaftlichen Stil, ohne These oder komplexe Argumentation, durch die unübersichtliche verschwörungstheoretische Landschaft, die sie in einem Selbstversuch erschlossen haben und nun mit der Leser*innenschaft teilen.

Alles beginnt noch recht harmlos, als die Autoren amüsiert darüber nachdenken, ihre eigene Verschwörungstheorie in Umlauf zu bringen. Rauchmelder sollen es sein, die als Überwachungseinheiten wirken. Aber bevor es an die Entwicklung der eigenen Theorie geht, liefern die Autoren allerlei wissenswerte Informationen, die man auf diese oder gar wissenschaftlichere Art und Weise auch in anderen Büchern wie Michael Butters „‚Nichts ist, wie es scheint'. Über Verschwörungstheorien“ findet.

Interessanter als die gewissenhafte und nachvollziehbare Darstellung eines geschichtlichen Abrisses des Denkens über Verschwörungstheorien sind aber andere Aspekte des Buches, die ihm seinen eigenen Charakter verleihen. Die Autoren verfassen ihre Reise in den Kaninchenbau konsequent plauderhaft, gerade so, als ob man sich selbst mit ihnen unterhalten würde. Zugleich merkt man dem Text an, dass er die zunehmende Irritation über die Welt der Verschwörungstheoretiker*innen verarbeiten muss. Mit offenem Mund sah ich mich mit den beiden am Küchentisch sitzen und hörte ihnen zu, als sie davon berichten, wie sie selbst argumentativ unfähig bleiben mussten bei dem Versuch, einen der „bösen“ Verschwörungstheoretiker zu überzeugen.

Dieser war gar nicht so böse, hatte zahlreiche Argumente zur Hand und war auch keineswegs blöde, wie die Autoren zuvor angenommen hatten. Menschen, die an Verschwörungstheorien glauben, sind keine homogene Gruppe. Kein Merkmal eint sie und auch pauschalisierende Annahmen darüber, dass sie alle wahlweise Esoteriker*innen, Nazis oder sozioökonomisch abgehängt seien, sind empirisch nicht haltbar, wobei Korrelationen mit formalem Bildungsabschluss oder Einkommen durchaus vorkommen, den Glauben aber nicht bedingen.

Auch die Autoren brechen mit stereotypen Vorstellungen. So nehmen sie das vorweg, was eine 2019 vor Corona durch die Konrad-Adenauer-Stiftung durchgeführte und vor Kurzem veröffentliche Studie, deutlich macht: Ein Zehntel aller deutschen Bürger*innen geht heute sicher davon aus, das die Welt von geheimen Mächten gesteuert wird (Roose 2020) – und das durch alle Schichten der Gesellschaft hinweg. Laut Alt und Schiffer eint die Menschen, die an Verschwörungstheorien glauben, das unbedingte Suchen nach Kausalitäten, wo es möglicherweise gar keine gibt.

Diese Suche nach Kausalitäten, die – wie man an anderer Stelle bei Butter nachlesen kann, kulturgeschichtlich erst durch das Aufkommen der Naturwissenschaften im Zusammenspiel mit philosophischen Konzepten zur Intentionalität dominant wurde – wird von Alt und Schiffer dann psychologisch ausgedeutet. Die Suche nach Kausalitäten oder auch nach komplexen, alternativen Erklärungen sehen sie als Bias an, der Menschen dazu verleitet, immer danach zu fragen, wer es gewesen ist und hinter jedweder schwerwiegenden Veränderung einen gleichsam schwerwiegenden Grund zu vermuten, auch wenn da gar kein Grund ist. Es ist also das Gehirn, dass für Verschwörungstheorien verantwortlich ist und die verschwörungssuchende Verhaltensweise ist, folgt man Alt und Schiffer, nachvollziehbar.

Selbstversuch in der Filterblase – Botkommunikation und Echsenmenschen

Eindrücklich weisen die Autoren in einem medialen Selbstversuch darauf hin, dass die Diskussion und Verbreitung von Verschwörungstheorien, insbesondere in sozialen Medien, in geschlossenen Räumen beziehungsweise gesteuert durch die Algorithmen, sich ebendort selbst verstärkt. Es entsteht eine Echokammer: Wer anfängt, sich mit Verschwörungstheorien auseinanderzusetzen, bekommt von den Algorithmen immer mehr Gruppen, News, Videos oder Werbeangebote zu Verschwörungstheorien vorgeschlagen.

Alt und Schiffer machen so die Wirkungsweisen und die Realität verschwörungstheoretischen Denkens im Netz sichtbar. Um dies möglichst realitätsnah zu ermöglichen, kreieren sie den imaginären Internetnutzer Hans Fuchs, für den das Internet durchaus noch „Neuland“ ist. Hans Fuchs war Türsteher am Hamburger Dammtor, unterwegs mit einem Kartoffelfrachter, Motorradfahrer – jetzt langweilt er sich und entdeckt das Internet. Mit Hans Fuchs schaffen die Autoren eine Person, die wohl genauso anfällig für Verschwörungstheorien ist wie jeder andere auch.

Als Hans Fuchs begegeben sie sich vermeintlich naiv bei Facebook auf die Suche nach der Wahrheit der Verschwörung. Den Autoren eröffnet Hans Fuchs den Zugang zu Räumen, in die Journalist*innen sonst nicht vordringen können. Fuchs kommuniziert im Netz nicht nur mit Bots, sondern auch mit realen Verschwörungstheoretiker*innen. Letztlich löschen die Autoren Hans Fuchs; er steigt aus der Maschinerie der Newsmeldungen, Nachrichten und Veranstaltungseinladungen der sozialen Medien aus.

Die eigens für den Versuch erschaffene digitale Person lässt die Verschwörungstheorien zurück. Dies haben viele Menschen getan und auch mit diesen haben sich die Autoren unterhalten und ihre Geschichten im Buch sichtbar gemacht. Am Ende ihres Trips verlassen sie nach mehreren Stunden Informationsbeschallung eine Veranstaltung des oben schon erwähnten David Icke – des Fussballers mit den Echsenmenschen. Wo vorher Frustration und Erschütterung die Konfrontation mit den Verschwörungstheorien und ihren Anhänger*innen bestimmten, ist es nun Wut, die freilich recht unbestimmt auf die Leichtgläubigkeit der Menschen gerichtet ist.

Als Reaktion starten die Autoren die Gegenaufklärung – sie wollen eine Wissenspyramide bauen. Wissen über Verschwörungstheorien selbst, Wissen über komplexe Zusammenhänge und Skepsis: Das kann vor Verschwörungstheorien selbst schützen. Am Ende des Buches steht also der Anfang: Die Autoren glauben nicht, dass Menschen so leichtgläubig sein müssen. Auf ihrem Weg in den Kaninchenbau und wieder hinaus haben sie zum einen ausgemacht, dass insbesondere ein Fehlen an Informationen zu erklärenden Theoretisierungen führt.

An Politiker*innen gerichtet formulieren sie den Aufruf, dass Informationen transparenter vermittelt werden müssen. Zum anderen solle auch die Wissenschaft ihre Ergebnisse endlich populärer kommunizieren. Dieser Aufruf zu mehr Transparenz, mehr öffentlicher Wissenschaft und einem verstärkten Dialog wirkt in Anbetracht der Ergebnisse des Selbstversuchs dann aber seltsam zahnlos: Appelliert wird an die Expert*innen, genauer und klarer zu informieren.

Das diese Expert*innen oft genug selbst nicht mehr sagen können als „Wir sind uns noch nicht sicher“ oder durch Verschwörungstheoretiker*innen wahlweise als „systemkonform“ oder eben Teil der Verschwörung markiert werden, wird ausgeblendet. Das Problem, Menschen klar zu informieren und sie zugleich zur eigenen Positionierung und Reflexion anzuregen, lösen die Autoren in die Richtung der Information von oben auf. Das dies noch nicht die abschliessende Lösung sein kann, sollte klar sein – wie der Bau der Wissenspyramide konkret aussieht bleibt abzuwarten.

Sebastian Engelmann
kritisch-lesen.de

Christian Alt, Christian Schiffer: Angela Merkel ist Hitlers Tochter. Im Land der Verschwörungstheorien. Hanser Verlag, München 2018. 288 Seiten, ca. 22.00 SFr ISBN: 978-3446260283

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