César Rendueles: Kanaillen-Kapitalismus Eine literarische Reise durch die Geschichte der freien Marktwirtschaft

Sachliteratur

„Tell me something girl, are you happy in this modern world?“ singen Lady Gaga und Bradley Cooper in 'Shallow' von ihrem Erfolgsfilm ‚A Star is Born‘.

César Rendueles während einer Wikimedia-Konferenz, Juli 2015.
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César Rendueles während einer Wikimedia-Konferenz, Juli 2015. Foto: Luisalvaz (CC BY-SA 3.0 unported - cropped)

14. Februar 2019
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Wenn man die geschlechtsspezifische Anspielung in dieser Textzeile weglässt, steckt man mitten drin im Buch ‚Kanaillen-Kapitalismus' von César Rendueles. Es geht um das Glück in der modernen Welt, im Kapitalismus. Das Schimpfwort Kanaille ist zwar hierzulande etwas ausser Mode gekommen, doch passt es gerade deshalb ganz gut zu diesem Buch, das etwas unmodernes, oder unmodisches, hat.

Rendueles ist Soziologe, Literaturliebhaber und Kapitalismuskritiker. In einem sozialdemokratischen Haushalt gross geworden hat er bereits als Teenager eine kritische Haltung zum Kapitalismus entwickelt. So schildert er es in Szenen aus seinem Leben, auf die er im Buch immer wieder zurück greift. Schliesslich ging er an die Uni und vertiefte sich in die Geschichte des Kapitalismus und des Geldes.

Waren Handel und Geldhandel vor vielen Jahrhunderten ein zutiefst diskreditiertes 'unchristliches' Gewerbe, änderte sich dies im Laufe der Zeit und kehrte sich schliesslich um. Heute, so sieht es Rendueles, triumphieren Geldhändler die Gesellschaft und beherrschen die Gesellschaftspolitik.

Der spanische Soziologe fragt sich, wie das hat so kommen können? Warum leben wir in einer Gesellschaft, in der wir zwar Grundgesetze haben und Persönlichkeitsrechte besitzen, diese aber in Arbeitsverhältnissen stark eingeschränkt werden. Rendueles fragt sich, warum wir uns freiwillig Systemen unterwerfen, die uns unglücklich machen? Und statt dessen Konsumprodukte als Tauschwert erhalten, die im Grunde einen ständigen Geldfluss provozieren, ohne einen Mehrwert an Zufriedenheit zu erzielen. Gleichzeitig ist es schwieriger geworden, sich diesem zu entziehen. Vor 100 Jahren sei es sehr viel gewöhnlicher gewesen, mit nur sehr wenig Geld zu leben, und eben nur mit gelegentlicher Arbeit.

Diese Entwicklung setzt Rendueles in Zusammenhang mit der Entwicklung der, von aristrokratischen Regierungen geprägten, Landwirtschaftsgesellschaft, hin zur demokratisch legitimierten Industriegesellschaft. Dies sei ein langsamer Prozess gewesen. Die Verwandlung der Industriegesellschaft hin zur, von Gelddingen dominierten, Dienstleistungsgesellschaft der Gegenwart hingegen ging recht rasant.

Rendueles vergleicht in seinem Buch Forschungsergebnisse immer wieder mit Beispielen aus der Literatur, und verfolgt damit eine klare Strategie, die er in sieben Kapiteln ausarbeitet. Diese münden in dem Beispiel der konservativen spanischen Politikerin Esperanza Aguirre, die in einer Rede feststellte, dass man verhindern müsse, „das eine Koalition von Verlierern die Macht ergreift,“ also von Menschen, die im Wettlauf um Geld immer weniger mithalten können, und die obendrein ohne Privilegien geboren wurden.

Diesen ‚Verlierern' gäbe die Demokratie die Macht, durch Wahlen mehr Gerechtigkeit und Gleichheit herzustellen. Aguirre plädiert dafür, die Demokratie einzuschränken, damit nur die Bevorteilten noch an der Ausgestaltung der Demokratie mitarbeiten können. Und das eben ist geradezu beispielhaft die Logik des ‚Kanaillen-Kapitalismus', der, so sieht es Rendueles, immer mehr um sich greift. Doch ist das gesamte Buch leicht, ja geradezu spielerisch, durchkomponiert, und, trotz des komplexen Themas, flüssig zu lesen. Rendueles will keine Vision einer neuen, besseren Welt entwerfen, sondern wirft einen Blick auf unsere politische Gegenwart und schaut weitschweifend in die Vergangenheit, sucht nacht deren Ursprüngen.

M. Freerix

César Rendueles: Kanaillen-Kapitalismus. Suhrkamp Verlag 2018. 300 Seiten, ca. 24.00 SFr. ISBN: 978-3518127377