Arne Andersen: Apartheid in Israel – Tabu in Deutschland? Plädoyer für die Einstaatenlösung
Sachliteratur
Nach dem 7. Oktober 2023 war die deutschsprachige Presse schnell mit Urteilen über den Terror der Hamas und das Leid Israels.
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20. September 2024
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Korrektur
Da tut es gut, wenn der Neue ISP-Verlag und der Autor Arne Andersen ein Buch mit dem Titel „Apartheid in Israel – Tabu in Deutschland?“ (ISBN: 978-3-89900-160-0) vorlegen, das auf knapp 500 Seiten zwei Schwerpunkte abhandelt:
1. Die Geschichte Palästinas seit dem 19. Jahrhundert und den ersten Siedlungsbemühungen der Zionisten mit ihrem Anspruch auf ganz Palästina. Das Buch endet mit dem aktuellen Krieg in Gaza (und berücksichtigt Quellen bis zum August 2024)
2. Die Einschränkung der Meinungsfreiheit in Deutschland und dem Versuch jede Kritik an Israel und den zionistischen Expansionsbestrebungen mit dem Antisemitismus-Vorwurf mundtot zu machen.
Der Historiker Arne Andersen beweist in einem ersten, sehr umfänglichen Kapitel, dass die zionistische Expansion nach und in Palästina Ausdruck des imperialen Zeitalters waren. Der Urvater der Zionisten, Theodor Herzl, verstand sich als Verbündeter der imperialistischen Mächte: „Für Europa würden wir dort ein Stück des Walles gegen Asien bilden, wir würden den Vorpostendienst der Kultur gegen die Barbarei besorgen.“
Schon 1896 notierte Herzl in seinem Tagebuch: „Die arme Bevölkerung trachten wir unbemerkt über die Grenze zu schaffen...“ (Zit. n. Andersen S. 55) Damit beschrieb der ideelle Gründungsvater Israels schon im 19. Jahrhundert dessen heutige Politik – nur dass die Vertreibung der Palästinenser nicht „unbemerkt“ passiert, sondern zumindest in Gaza mit einem Genozid verbunden ist.
Mit einem Judenstaat konnten die damaligen europäischen Mächte das Problem des Antisemitismus externalisieren. Dabei fand das Konzept des Zionismus – wie das Buch belegt – zunächst wenig Resonanz unter Juden, die meisten hatten sich assimiliert und verstanden sich trotz des Antisemitismus als Deutsche, Franzosen oder Engländer. Selbst als die Nationalsozialisten darangingen, die Juden auszurotten, bestanden fast alle Länder auf sehr begrenzten Einwanderungsquoten. Sie folgten – wie Andersen schreibt – dem St. Florians-Prinzip und unterstützten Palästina als Lösung des jüdischen Flüchtlingsproblems. (S. 108) Die dort lebenden Palästinenser tauchten in diesen Überlegungen nicht auf.
So nimmt es nicht Wunder, dass die UN-Resolution 181, die 1947 die ungleiche Teilung Palästinas besiegelte, nur auf massivsten Druck der USA zustande kam. Wie die USA ihre Unterstützung des neu zu gründenden Israels durchdrückten, liest sich in diesem Buch wie ein Krimi. Die nachfolgende Vertreibung von über 700.000 Palästinensern in der Nakba verfolgten die USA genauestens. Sie lieferte Grundlagen für die spätere Counterinsurgency-Strategie in Vietnam wie der Autor mit einem Artikel des US-Marine-Corps mit dem Titel „Alles ist erlaubt“ nachweisen konnte. (S.128)
Doch es werden nicht nur die Durchsetzung der Gross-Israel-Pläne mit viel Material belegt, sondern auch die Herausbildung des palästinensischen Volkes und ihr Widerstand gegen die Siedlerkolonialisten beschrieben. Der grosse Aufstand in den 1930er Jahren tauchen dabei genauso auf wie der Grosse Marsch der Rückkehr 2018 in Gaza. Dabei verweist Andersen auch immer wieder auf die mutigen Frauen, ohne die der palästinensische Kampf um Selbstbestimmung nicht vorstellbar wäre. Die Geschichte Palästinas endet mit dem jetzigen Gaza-Krieg, der auch hier nach dem jetzigen Stand umfassend beschrieben wird.
Der zweite Teil untersucht zunächst die Strategie Israels, wie sie versucht, Kritik an ihrem Siedlerkolonialismus und ihrer Apartheidspolitik mit allen Mitteln zum Schweigen zu bringen. In den 1910er Jahren hatte die israelische Regierung dazu sogar eigens ein besonderes Ministerium, das Ministerium für strategische Angelegenheiten, gegründet, um weltweit jegliche Kritik an dieser Politik als Antisemitismus zu verleumden. Im Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit stand die BDS-Bewegung, die gerade als zivilgesellschaftliche Organisation mit ihren begrenzten Forderungen Israel im internationalen Diskurs schlecht aussehen liess.
Ihre Boykott-Forderung verglich Israel und seine westlichen Gefolgsleute immer wieder mit der staatlich-verordneten Nazi-Kampagne „Kauft nicht bei Juden!“ Der Autor weist ausdrücklich darauf hin, dass hier Nicht-Vergleichbares – auf der einen Seite ein staatlicher, rassistischer Boykott auf der anderen ein zivilgesellschaftlicher Boykott gegenüber einem Staat – verglichen wird. Als Bonmot beschreibt er auch – den von Zionisten kaum erwähnten – Boykott der jüdischen Zivilgesellschaft gegen Nazi-Deutschland. Mit Unterstützung zweier Juristen (J.Feest und S.Scheerer) geht er anhand von zahlreichen Beispielen und Gerichtsurteilen auf die Israelkritik in Deutschland und die versuchte Einschränkung der Meinungsfreiheit ein.
In einem Schlusskapitel spricht sich der Autor für eine Einstaatenlösung aus. „Allerdings“ – so Andersen „hat dieses Modell nur eine Chance, wenn sich Israel vom politischen Zionismus des Eretz Israel verabschiedet.“ (S. 432)
Das Buch ist nicht nur wegen seiner Materialfülle – besonders die zahlreichen Karten und Illustrationen haben mir gefallen – eine absolute Empfehlung. Man muss es nicht gleich vollständig durchlesen, obwohl es durch seine Lebendigkeit auch Spass macht, man kann es mit dem Inhaltsverzeichnis auch als kompetentes Nachschlagewerk nutzen. Dem Buch ist angesichts der vielfach zu beobachtenden Einseitigkeit der deutschsprachigen Presse eine weite Verbreitung zu wünschen.
Arne Andersen: Apartheid in Israel – Tabu in Deutschland? ISP-Verlag 2024. 499 Seiten ca. 30.00 SFr. ISBN: 978-3-89900-160-0.