Industrie 4.0?
Der Titel und manche radikale Formulierung – mehr als einmal ist zu lesen: „Industrie 4.0 wird u.a. deswegen scheitern“ (140) – sollte also nicht darüber hinwegtäuschen, dass die beiden Autoren sich durchaus konstruktiv an der Debatte beteiligen. „Unbestritten: Die Vernetzung von technischen Systemen wird eine Revolution zur Folge haben. Industrie 4.0 – wie sie heute in der Mehrheit verstanden und gelebt wird – leistet hierzu aber keinen Beitrag“ (191).Den beiden Autoren geht es also um die Bedingung des Erfolges von Industrie 4.0: „Solange Industrie 4.0 aber keine Vision hat, wird sie scheitern“ (191) – und das wollen die Autoren ebenso wenig wie die anderen Wissenschaftler, für die nichts selbstverständlicher ist, als sich positiv auf den Konkurrenzerfolg der Deutschen Nation zu beziehen[1]: „Dass sich die deutschen Unternehmen weniger als ihre Wettbewerber aus den USA und Japan vorstellen, dass mit der Digitalisierung neue Konkurrenten in ihren Markt eindringen könnten, hat dabei nicht unbedingt eine beruhigende Wirkung“ (194). Für einen deutschen Wissenschaftler, soviel ist klar, hat es eben nur eine beruhigende Wirkung, wenn deutsche Unternehmen in den Markt der USA und Japan eindringen.
Ja, aber bitte nicht so!
Im Buch werden so verschiedene Kritikpunkte an der Industrie 4.0 abgehandelt, die verstanden werden sollen als ein: so nicht! Im ersten Kapitel stellen die Autoren dar, inwiefern die ersten industriellen Revolutionen missverstanden werden, wenn sie auf reine technische Innovationen reduziert werden – ein Schicksal, dass sie auch der Industrie 4.0 voraussagen. Das zweite Kapitel beinhaltet eine Art Glossar der Industrie 4.0, das folgende behandelt dann die falschen und widersprüchlichen Erwartungen verschiedener Akteure.Im vierten Kapitel werden verschiedene Stakholder der Industrie 4.0 benannt, im fünften der Normverlauf eines „Hype“ nachgezeichnet. Es folgen zwei Beispiele von gescheiterten Implementierungen der Industrie 4.0 und ein Kapitel über die Auswirkungen auf die Mitarbeiter. Im achten Kapitel wird die Frage gestellt, inwiefern die Industrie 4.0 einen Frontalangriff auf unseren Wohlstand bedeutet. Das neunte Kapitel bildet den Abschluss mit der Wiederholung der Hauptthese, dass man die Industrie 4.0 nicht nur als technische Innovation sehen darf. Es folgt das Fazit.
Die Kritik der Form...
Der Aufbau des Buches, das ständige vorgreifen und spätere Einholen des Geschriebenen, schlägt sich dabei nieder in einer wahren Flut von Floskeln der Art „Aber dazu später mehr“ (21), „und darüber wird noch zu reden sein“ (61), „das werden noch sehen“ (61), „auch dazu später mehr“ (83), „doch dazu auch hier später mehr“ (101). Kaum geht es da mal um Cloudworking, ist klar: „Ausführlich werden wir uns dem Thema Cloud noch widmen“ (101) und auch ein paar Seiten weiter ist es wieder erwähnenswert, dass „wir später noch ausführlich thematisieren werden“ (113) wie das mit der Cloud ist....kann die Kritik des Inhalts nicht ersetzen
Zur Kritik des Buches soll hier nur das erste Kapitel herangezogen werden: Industrie 4.0 würde sich – so die Autoren – zu sehr auf die technische Seite beziehen und dabei andere vernachlässigen, die bei bisherigen „Revolutionen“ ausschlaggebend waren. So erscheint ihnen die wirkliche Innovation von Ford nicht die Fliessbandproduktion zu sein, sondern der hohe Lohn, der bei Ford gezahlt wurde: „Ford hat sich den Markt, den er bedienen wollte, selbst geschaffen. Dies war das eigentlich Revolutionäre!“ (26). Tatsächlich ist die Behauptung der Autoren, dass Ford selbst die Nachfrage nach seinem Produkt geschaffen habe, indem er seine eigenen Mitarbeiter weniger und besser bezahlt arbeiten liess: „So befähigten sie jene Mitarbeiter auf Basis der notwendigen Freizeit, realisiert durch die 40-Stunden-Woche, sowie durch eine attraktive Bezahlung, aktiv am Wirtschaftsleben teilhaben zu können.“ (28).Der Lohn als negative Grösse dieser Wirtschaft erscheint in der Buchführung als Kost, die niedrig zu halten ist. Wenn ein Unternehmen andere Kosten minimiert, ist es durchaus möglich, in der Konkurrenz um Arbeitskräfte und für die Motivation der Mitarbeiter sich diesen Lohn etwas mehr kosten zu lassen. Dass aber die Ausgaben für den Lohn sich amortisieren soll durch die Kaufkraft der Arbeitskräfte ist Unsinn: Dafür müssten diese ihr ganzes [!] Gehalt in Autos investieren, und damit so Kleinigkeiten wie Lebensmittel und Miete verschmähen.
Wenn man dann noch berücksichtigt was die Autoren selbst schreiben, „dass sich Fords Mitarbeiter von ihrem Lohn problemlos zwei fabrikneue Autors pro Jahr hätten kaufen können“ (24), müssten sie dies entweder auch getan haben – was wohl niemand behauptet -, oder aber dieser „selbst geschaffene“ Markt hätte sich nach einem halben Jahr schon wieder erledigt, wenn nämlich die Mitarbeiter sich ihren Wagen gekauft hätten und ihre Lohntüte dann zu anderen Unternehmen trügen.
Dass die Autoren allerdings nicht nur behaupten, diese hohen Löhne würden sich selbst wieder einspielen, sondern wären sogar das eigentliche Geheimnis des Gewinns von Ford, ist endgültiger Unfug: Selbst wenn die Fordmitarbeiter sich jedes Jahr zwei Autor kaufen würden, könnte das Unternehmen damit höchsten die Kosten für den Lohn wieder einspielen (wie bereits erwähnt, nur wenn die Mitarbeiter sich das Essen abgewöhnen und ihre Autos nicht betanken) – keinesfalls aber überhaupt die ganzen Kosten der Produktion decken, die ja bekanntlich nicht nur aus den Kosten für den Lohn bestehen, denn auch Produktionsmittel und -ressourcen wollen bezahlt sein. Wie dabei dann auch noch ein Überschuss erzielt werden soll, ist bei den Gebrüdern Grimm nachzulesen.
Der Gewinn eines Unternehmens basiert nun einmal nicht darauf, seine eigenen Märkte zu schaffen, sondern sich den Mehrwert anzueignen, welche die Arbeiter in der Fabrik leisten. Würde tatsächlich alles als Lohn ausgezahlt werden, was an Reichtum produziert werden würde, dann könnte auch ein „roter Bosch“ (27) keinen Gewinn machen. Auf diese Notwendigkeit bezieht sich Marx, wenn er die Lohnarbeit als Ausbeutung charakterisiert. Für den alten Sozialisten habe die Autoren indes nur Spott übrig: „Industriearbeit als Fron: eine Sichtweise, auf die man kommen kann, wenn man zwar das Kapital von Marx und Engels gelesen hat, Fabriken ansonsten aber nur vom Höhrensagen kennt und gerüstet mit dieser Art von Halbwissen den langen Marsch durch die Institutionen antritt“ (48).
Nichts ist heute eben einfach als mit einem Halbwissen über Marx und Engels diese blamieren zu wollen, weil man einmal eine Fabrik von innen gesehen hat. Wer sich also in der Absicht über die Industrie 4.0 informieren will etwas über sie zu erfahren und dabei nicht sofort den Standpunkt der deutschen Nation einnehmen will; wer sich also tatsächlich erklären will, was Industrie 4.0 ist, und nicht sofort die Frage stellen will: Wie gewinnt Deutschland die Konkurrenz in diesem neuen Bereich?; wer also ein Interesse daran hat, jenseits der Affirmation sich einmal diesen neuen Produktionsmitteln gedanklich zu nähern, dem sei der Artikel zu Industrie 4.0 ans Herz gelegt, der im Gegenstandpunkt 2-16 erschienen ist.