Alfons Botthof: Zukunft der Arbeit in Industrie 4.0 Was die Industrie 4.0 für die Arbeit bedeutet: Chancen und Risiken

Sachliteratur

Im Band „Zukunft der Arbeit in Industrie 4.0“ von Botthof/Hartmann 2015 soll folgende Frage im Mittelpunkt stehen: „Wie steht es um die Zukunft der industriellen Arbeit und welche Bedeutung hat diese für Beschäftigte und Beschäftigung in Deutschland?“ (VI).

Alfons Botthof: Zukunft der Arbeit in Industrie 4.0.
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Alfons Botthof: Zukunft der Arbeit in Industrie 4.0. Foto: Wikiwikigemwiki (CC BY-SA 4.0 cropped)

20. Oktober 2016
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Und hier weiss der Band einiges zu berichten: An Gutem! Aber natürlich werden auch „Verluste an Kontroll- und Steuerungsmöglichkeiten befürchtet“ (5). Und so ist allerorts von den „Chancen und Risiken“ der Industrie 4.0 zu lesen. Was aber, wenn für die meisten Menschen gerade in der Chance das Risiko liegt?

Industrie 4.0 als Chance

Allerlei technische Neuerungen, welche in der Logistik beginnen und bei Funktionen des „Managments und der Internetdienste“ (24) noch lange nicht aufhören, haben das Potenzial, „die vielfältigen industriellen Prozesse grundlegend [zu] verbessern“ (24). Natürlich hilft die Industrie 4.0 auch gegen den demografischen Wandel, und die cyber-physischen Systeme können Arbeit auch „belastungsmindernd“ (24) gestalten. Überhaupt kann die Arbeit so gestaltet werden, dass „die Produktivität älterer Arbeitnehmer in einem längeren Arbeitsleben“ (24) erhalten bleibt.

Dabei leistet es die Industrie 4.0 sogar, dass sich auf der einen Seite der Anteil „der von Mitarbeitern auszuführenden (körperlich und ggf. auch geistig) belastenden Tätigkeiten“ (24) verringert wird. Gleichzeitig wird es aber auch „weiterhin einfache Arbeiten geben. Es ist zu erwarten, dass diese Tätigkeiten durch Industrie 4.0 ebenfalls einen höheren Anteil an Wertschöpfung erbringen können. Das wird dazu beitragen, Arbeit auf unterschiedlichem Anforderungsniveau wettbewerbsfähig zu gestalten und so in Deutschland zu halten“ (24).

Die Chance der Industrie 4.0 besteht also darin, dass die Arbeit leichter und weniger wird. Der Arbeiter bleibt so länger produktiv und Deutschland wettbewerbsfähig. Bei Letzterem handelt es sich allerdings nach den Autoren nicht etwa um einen unter vielen Vorteilen, sondern um die Voraussetzung all der Wohltaten für die Arbeiter.

Das Risiko der Industrie 4.0

Denn „[e]rst eine wettbewerbsfähige Arbeit lässt eine flexible Arbeitsorganisation zu, die es den Mitarbeitern, [sic!] ermöglicht, Beruf und Privatleben sowie Weiterbildung besser miteinander zu kombinieren und so eine Balance zwischen Arbeit und Familie zu erreichen“ (24). Damit ist dann auch das Risiko der Industrie 4.0 benannt: Wenn Deutschland der Sprung in diese nicht erfolgreich gelingen sollte, dann wird es auch nichts mit all den Segnungen der modernen Technik für den Proleten. Also folgt stante pede die Frage, die jetzt alle umtreibt: Wie kann Deutschlands Arbeit die Konkurrenz gegen China und die USA gewinnen? Natürlich mit der neuen Technik, damit aber nicht alleine: „Die Frage der Wettbewerbsfähigkeit entscheidet sich jedoch nicht allein an den technischen und organisatorischen Möglichkeiten der Industrie 4.0 sondern an deren effizienten und produktivitätssteigernden sowie kostengünstigen Anwendung in den Unternehmen“ (24).

Auf was es also Ankommt ist die kostengünstige Anwendung der Technik und der Arbeitskraft als Bedingung der Möglichkeit für all ihre Segnungen. Erstmal heisst es also: Die Produktivität der Arbeit steigern; durch Technik mehr Leistung des Arbeiters herstellen. Kostengünstig heisst hier nichts anderes, als ein für das Unternehmen günstiges Verhältnis aus Produktivitätssteigerung und Kosten, also eine Verdichtung der Arbeit, damit Deutschland in der Konkurrenz als Sieger hervorgeht. In den „Hochlohnländern“ (79) – ganz so, als ob Deutschland nicht längst einen riesigen Niedriglohnsektor hat - heisst kostengünstige Produktion daher Lohnstückkostensenkung durch Technik.

Chancen und Risiko der Industrie 4.0

Von all den „Chancen“ für den Arbeiter bleibt am Ende die Chimäre von der Technik etwas „potenziell Emanzipatorisches“ (32) zu erhoffen – sich also unter Absehung des Zwecks, für den die Technik eingesetzt wird, ein wenig zu erträumen, was die Technik alles leisten könnte, würde es darum gehen, die Arbeit leichter zu gestalten. Der Text selbst ist allerdings recht beredt, wenn es darum geht, den tatsächlichen Zweck der Industrie 4.0 zu benennen: Deutschland in der internationalen Konkurrenz voranzubringen. Wenn Deutschland in diesem Wettbewerb erfolgreich sein will, dann gerade mit der erfolgreichen Anwendung neuer Technologien, um teure Arbeit einzusparen und die noch vorhandene produktiver und dichter zu machen.

Das Risiko des Arbeitsplatzverlustes ist für den Arbeiter also gar nicht nur dann gegeben, wenn das deutsche Kapital in der Konkurrenz gegen die USA unterliegt, sondern gerade wenn Deutschland seine „Chance“ nutzt: Die besteht nämlich darin, die Lohnstückkosten weiter zu reduzieren. Das Zynische an der Rede von den „Chancen und Risiken“ ist also, dass es für den Arbeiter in der Industrie 4.0 gar nicht darum geht, dass die deutsche Industrie die Risiken meidet und die Chancen nutzt: Vielmehr ist die Chance, die sich für diese auftut, für den Lohnabhängigen das Risiko.

Dass technische Neuerungen im Kapitalismus eine Zumutung für die Arbeiter sind, war diesen einmal klar – woran sich auch die Autoren noch erinnern, wenn sie schon im Vorwort auf die Maschinenstürmer anspielen. Allerdings wissen sie auch darum, dass sie heute keine Arbeiterschaft zu befürchten haben, die sich gegen die Zumutungen des Kapitals wehrt: „Wenn früher ‚Die Weber' ohnmächtig kämpften und später in England noch die ‚Maschinenstürmer' drastisch Entwicklungen zu verhindern suchten, so prägen heute konstruktive Debatten um die Zukunft von Arbeit im digitalen Zeitalter die Auseinandersetzung zwischen den Sozialpartnern“ (VI).

Es steht zu befürchten, dass es wirklich so konstruktiv zugeht.

Berthold Beimler

Alfons Botthof, Ernst Andreas Hartmann: Zukunft der Arbeit in Industrie 4.0. Springer Berlin 2014. 163 Seiten, ca. 64.00 SFr. ISBN 978-3-662-45914-0