Affront (Hg.): Darum Feminismus! Facetten des Feminismus

Sachliteratur

Das Buch liefert vielseitige Einblicke in feministische Debatten, Praxen und Perspektiven.

Monumemt gegen Femizid, Mexiko-City, Januar 2020.
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Monumemt gegen Femizid, Mexiko-City, Januar 2020. Foto: Juan Carlos Fonseca Mata (CC BY-SA 4.0 cropped)

21. Januar 2021
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Ein genaues Hinsehen auf gesellschaftliche aber auch eigene Unterdrückungsmechanismen wird gefordert, denn: Ein Leben ausserhalb der Verhältnisse gibt es nicht.

Wieso denn eigentlich noch Feminismus? Frauen haben doch bekommen, was sie wollten! So oder so ähnlich lautet der mehrheitliche Sprech, wenn versucht wird, feministische Themen und Notwendigkeiten in der Gesellschaft zu platzieren. Diese Blindheit gegenüber andauernden geschlechtsspezifischen Gewaltverhältnissen und der negative bis höhnische Bezug auf Feminismus offenbaren sehr deutlich einen antifeministischen Backlash.

Die einzige Forderung, die bestehen bleibt, ist die nach einer Quote, die das Beschäftigungsverhältnis zwischen Männern* und Frauen* (das * lässt Raum für jegliche Selbstdefinition und Formen der Sozialisation) in Führungspositionen regeln soll. Ignoriert wird dabei ein gesellschaftliches Klima, das nur wenigen Frauen* ermöglicht, sich nach neoliberalen Prämissen ein unabhängiges Leben einzurichten. Genauer gesagt werden mehrheitlich nur bestimmten Frauen* – weiss, gesund, heterosexuell, leistungsorientiert – solche Möglichkeiten gewährt. Währenddessen werden vielfältige Unterdrückungsverhältnisse auch ausserhalb marktwirtschaftlicher Interessen, die mitunter solche Ungleichheiten hervorbringen, negiert und damit der Feminismus als nicht notwendig erachtet.

Wie sehr feministische Themen und Praxen aber nötig sind, bringt der beim Unrast-Verlag von dem Herausgeberinnenkollektiv Affront herausgegebene Band „Darum Feminismus! Diskussionen und Praxen“ auf den Punkt. Dabei wird nicht nur – und das ist die grosse Stärke dieses Buches – das Spektrum „klassischer“ feministischer Themen wie Genderfragen, Sexismus und Patriarchat aufgerollt, sondern die Verschränkungen mit anderen Unterdrückungsverhältnissen wie Rassismus und Klassismus vielfältig beschrieben und ein Zusammendenken dieser gefordert! Denn: Geschlechterspezifische Gewaltverhältnisse sind nicht ohne andere Gewaltverhältnisse zu denken und so lassen sich diese nur angreifen, wenn ihre Verschränkungen mitgedacht und reflektiert werden.

Neue alte Herausforderungen

Was hat Feminismus mit Antimilitarismus zu tun? Wie können feministische Freiräume gestaltet werden, was bedeutet das im Rahmen der Stadt? Was bedeutet Feminismus im Faschismus? Wie sind die Empfindungen feministischer Antifaschistinnen innerhalb ihrer Szene? Wie können soziale Kämpfe feministisch gedacht werden? Wie wird Sexarbeit in linken und feministischen Kreisen diskutiert? Wie wirken Normalisierungstechniken auf uns ein? Wie alt sind Feminist_innen? Wie politisch ist das Private? Was sind Gemeinsamkeiten und Kontroversen feministischer Bewegungen und welche Perspektiven sind denkbar? Diese und noch einige Fragen mehr werden in „Darum Feminismus“ aufgegriffen.

In einer sicherlich verkürzten (was schlicht der Materie geschuldet ist), aber prägnanten Einführung in feministische Denkrichtungen und deren Verbindungen und Kontroversen heben die Herausgeberinnen Orientierungspunkte hervor, die für die Frage, wer Subjekt des Feminismus ist, richtungsweisend sind. Ausgangspunkt ist, dass Geschlecht eine soziale Konstruktion ist, deren Herstellung stets wiederholt werden muss und deren Vollendung nie erreicht werden kann. In dieser Bewegung zeigen sich Brüche, innerhalb derer Verschiebungen möglich sind. Das Subjekt Frau* kann somit nicht als biologische Konstante betrachtet werden. Diese Sicht auf Geschlecht als Konstruktion bedeutet jedoch nicht, dass Geschlecht nicht existiert, vielmehr ist Geschlecht ein machtvoller Apparat der Gesellschaft. Oder wie es die Philosophin Cornelia Klinger treffend ausdrückt: „Theoretisch existieren Frauen nicht, politisch aber schon.“ (S. 32) Insofern kann das Ausblenden dieser zugeschriebenen Subjektposition kein Mittel für feministische Kämpfe sein, da es wirkmächtige Einflüsse mit ausblendet.

Die Motivation des Buches ist es, einen solidarischen Beitrag zu leisten für feministische Debatten und Praxen, egal welcher Tradition sie folgen und welche Position sie vertreten. Der kritische Bezug, nicht nur auf die Verhältnisse „ausserhalb“, sondern auch auf die eigenen Praktiken und Blindheiten, Ausschlüsse und Hierarchien, zieht sich wie ein roter Faden durch alle Beiträge. Die kritische (Selbst)Reflexion wird immer wieder – von unterschiedlichen Autor_innen – als wichtige und schwierige Aufgabe bezeichnet. Denn den unterschiedlichen Bedürfnissen und Problemen der Menschen kann nicht einfach mit einem einheitlichen Patentrezept begegnet werden.

Menschen bewegen sich in den unterschiedlichsten sozialen Positionen, die im Kampf gegen Unterdrückung mit einbezogen werden müssen. Dazu gehört auch die Abkehr von der Sicht auf die Frau* als universell gleich, denn asymmetrische Machtbeziehungen verlaufen nicht nur zwischen den Subjekten Mann* und Frau*, sondern auch entlang anderer Achsen konstruierter Machtgefälle. So können beispielsweise weisse Frauen* mit ihrem spezifischen und privilegierten Hintergrund wiederum zur unterdrückenden Instanz werden, wenn sie ihren Feminismus universell anwenden und rassistische Diskurse dabei ausblenden.

Deshalb wird die Forderung nach kritischem Weisssein und Bezügen zu postkolonialen Perspektiven mehr als einmal betont. Und nicht nur das: „Wir denken, dass feministische Theorie und Praxis sich insgesamt gegen Herrschafts-, Ausschliessungs- und Unterdrückungsverhältnisse richten sollte.“ (S. 9) Dass weisse Feminist_innen ein Gespür für kritisches Weisssein entwickeln müssen, zeigt das Interview zwischen Affront und der Schwarzen Aktivistin Nissar Gardi deutlich. Diese betont die Wichtigkeit für weisse Aktivist_innen, über ihre dominante Position ständig zu reflektieren, denn rassistische Denk- und Handlungsmuster seien nicht zu verlernen. Es gelte, „die Selbstverständlichkeit der unmarkierten Normalität des Weissseins zu durchbrechen“ (S. 70). Feministische Politik kann also nicht aus einer privilegierten Position heraus gleichförmig für alle gemacht werden, da dies Gewaltverhältnisse ignoriert und reproduziert.

Die Instrumentalisierung des Feminismus

Ein weiterer Punkt, an dem Affront mit dem Buch kritisch ansetzen, ist die Instrumentalisierung feministischer Forderungen für Imperialismus und Krieg. Hier ist deutlich, dass es sich bei diesem Feminismus um eine anschlussfähige Mainstreamversion handelt, deren Inhalte mehr und mehr kulturelle Hegemonie erlangen. Eine Aktivistin aus antimilitaristischen Zusammenhängen streicht heraus, wie sehr sich trotz der Rede vom Feminismus das Geschlechterverhältnis und patriarchale Dominanzen im Krieg und vor allem auf Kriegslegitimation auswirken.

In postkolonialer Manier werden kriegerische Einsätze begründet nach dem Bild, dass „aufgeklärte“ westliche Männer unterdrückte Frauen vor ihren „unaufgeklärten“ patriarchalen Männern retten müssen. Dass es dabei nicht um die Frauen*, sondern um die Aufrechterhaltung von Gewalt- und Ausbeutungsverhältnissen geht und der kriegerische Alltag nicht nur aufgrund der sexualisierten Gewalt ganz anders aussieht als von konservativen, auf den Feminismus scheissenden Kräften propagiert, ist anscheinend schwer zu durchschauen. Aber: „Krieg zerstört jegliche Form der Emanzipation.“ (S. 99)

Für antimilitaristische Arbeit in feministischen Kontexten sei ein Hinterfragen der Kriege für „Befreiung“ elementar. Auf dem Wege gelangt mensch schnell zu den patriarchalen Interessen ökonomischer und machtgeleiteter Couleur, die hinter dem Reden über die Befreiung stecken.

Eine andere Art des Missbrauchs feministischer Ideale zeigt sich im System der Reproduktion. Frauen* sind hier einer doppelten Vergesellschaftung unterworfen: Arbeit und familiäre Fürsorge. Letztere ist immer noch auf Frauen* konzentriert. Aufgrund dieses doppelten Drucks werden Abhängigkeitsbeziehungen zementiert. Gelingen die Aufgaben nicht, werden die Probleme als persönliches Versagen der Frau* bezeichnet und die moralische Keule lenkt den Blick noch mehr von gesellschaftlichen Strukturen weg: „Frauen, das müsst ihr doch packen, schliesslich habt ihr's doch so gewollt.“ (S. 152) Die feministische Forderung, die darauf folgen muss, ist, die Mitverantwortlichkeit aller Menschen radikal durchzusetzen. Um ökonomischer Ungleichverteilung zu begegnen reicht jedoch die Quote nicht aus, denn von dieser profitieren erneut die ohnehin Privilegierten.

Warum dieses Buch? Darum!

Dies sind nur ein paar Missstände einer patriarchalen, kapitalistischen und rassistischen Gesellschaft, die in „Darum Feminismus“ auf- und angegriffen werden. Und genauso häufig, wie mit dem Finger auf die Verhältnisse gezeigt wird, wird auch der Blick nach innen gerichtet und Raum für konstruktive Kritik geschaffen. Das Buch motiviert, sich zusammenzusetzen, egal aus welchen politischen Kontexten mensch kommt.

Zum Abschluss liefert das Buch noch Anstösse für eine Utopie. Damit ist keine Ideologie gemeint, denn diese erhebt wiederum einen totalisierenden Anspruch. Utopien sollen spezifisch sein, auf die Möglichkeit eines Anderen verweisen und vor allem das als unveränderbar Scheinende in Frage stellen:

„Utopien greifen die Wahrheitsregime an, die vermitteln, dass es keine Alternative gebe, dass die bestehende Welt mit ihren Gesellschaftsordnungen nicht nur die beste, sondern auch die einzig mögliche sei. (…) Einer Utopie ist partielle oder radikale Kritik des Gegebenen immanent.“ (S. 259)

Nach dem Lesen dieses Buches ist die Frage „Warum Feminismus?“ völlig überflüssig! In leicht zugänglicher Sprache wird vielschichtig auf die Notwendigkeiten des Feminismus Bezug genommen. Es werden Zustände zusammengedacht, die bisher zu wenig zusammengeführt wurden, obwohl das so sehr auf der Hand liegt. Und auch wenn die Perspektiven zumeist auf der Ebene des Überdenkens der eigenen Positionen und des Reflektierens verbleiben (was schon eine grosse Herausforderung ist), liefert dieses Buch viel Stoff zum Nachdenken, Reden und Umsetzen.

Andrea Strübe
kritisch-lesen.de

Affront (Hg.): Darum Feminismus! Diskussionen und Praxen. Unrast Verlag, Münster 2011. 288 Seiten, ca. SFr 24.00, ISBN 978-3-89771-303-1

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