Rezension zum Buch von Hartmut Krauss Faschismus und Fundamentalismus

Sachliteratur

Logos und Glaube, so Benedikt XVI. am 12. September 2006 auf seiner Bayernreise, bilden keine Gegensätze, denn die Vernunft walten zu lassen sei gottgefällig. Letzte Fragen jedoch – jene des Sinns und des Seins -, erläutert er im nächsten Atemzug, könne nur der Glaube beantworten.

Feier anlässlich Adolf Hitlers 50. Geburtstag. Aufgenommen in einem deutschen Club in Adelaide, Australien.
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Feier anlässlich Adolf Hitlers 50. Geburtstag. Aufgenommen in einem deutschen Club in Adelaide, Australien. Foto: image_author

12. September 2006
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Korrektur
An derer Stelle seiner Rede auf ausgesuchtem Resonanzboden ruft er einen unbedeutenden, in der Geschichte versunkenen byzantinischen Kaiser (Manuel II.) an, den kriegerischen und irrationalen Charakter des Islam zu bezeugen.Die römische Kirche hat ihre Giftzähne nicht freiwillig ausgespuckt – Aufklärung und Säkularisierung haben sie ihr gezogen.

So mag Benedikt XVI. mit überlegener Geste auf den Islam blicken, der von hegemonial gewordener Aufklärung unberührt im Vollbesitz seiner Giftzähne geblieben ist, doch es bleibt ein Schmücken mit fremden Federn. Bemerkenswert ist die Selbstverständlichkeit, mit der er Logos und unbefleckte Empfängnis in Einklang bringt. Nicht anders verhält es sich mit den zweiundsiebzig Jungfrauen, die dem Märtyrer winken: Der Glaube an diese Verheissung hindert ihn nicht, sich modernster Technologie zu bedienen.

In ihrem Verhältnis zu den technisch-wissenschaftlichen Errungenschaften der kapitalistischen Moderne gleichen sich christliche und islamische Religion. In seinem Buch "Faschismus und Fundamentalismus" (1) nennt Hartmut Krauss diese reduzierte Auffassung von Logos instrumentelle Vernunft und identifiziert sie als Ausdruck von Herrschaftsverhältnissen.

"Totalitäre Bewegungen/Regime", hebt er als zentrale These seines Buches in der Einleitung hervor, "gehen aus der eigentümlichen Synthese wirkungsmächtiger Bedeutungskomplexe prämoderner (vor- und nichtkapitalistischer) Herrschaftskultur mit bestimmten Aspekten ökonomischer, technologischer und bürokratischer Modernität hervor." Religion ist für ihn Herrschaftsressource, die unter bestimmten Bedingungen oder krisenhaften Entwicklungen fundamentalistisch aufflammen kann. Ein Beispiel dafür, dass diese Synthese auch in modernen westlichen Gesellschaften möglich ist, liefert gegenwärtig der evangelikale Aufbruch in den USA.

Mit "Faschismus und Fundamentalismus" tritt H. Krauss in die Tradition der europäischen Aufklärung seit der Renaissance und widmet sich einer Lücke, die durch die Annahme entstanden ist, das Zeitalter der Totalitarismen sei vorbei und zumindest die modernen Völker des Westens wären nach der Erfahrung zweier Weltkriege, Faschismus und Stalinismus und mit dem Fortschritt der Technik mündiger geworden. Davor warnt er und erinnert an die aus Profitinteresse und Herrschaftssicherung vom Bürgertum verratene "kulturelle Moderne", dem tragenden emanzipatorischen Impuls der Französischen Revolution. "Die kulturelle Moderne", so H. Krauss, "bezeichnet das im neuzeitlichen Geschichtsprozess hervorgebrachte Bedeutungsensemble, das die Fundamente der feudal-ständischen Herrschaftsordnung radikal in Frage stellt und das traditionelle Welt- und Menschenbild nachhaltig revolutioniert.

Im Einzelnen lassen sich folgende Konstitutionsaspekte anführen: Die Zurückdrängung des theozentrischen Weltbildes bzw. die tendenzielle Entgöttlichung des Mensch-Welt-Verhältnisses; die Entkoppelung von Wissen und Glauben, die Trennung von Politik und Religion sowie die Aufdeckung der herrschaftsideologischen Funktion des Religiösen; die grundsätzlich herrschaftskritische Idee des freien, zur Mündigkeit befähigten Individuums, die Erklärung der Menschenrechte, das Prinzip der demokratischen Selbstregierung des Volkes sowie die durchgreifende Säkularisierung der Kategorien Wahrheit, Gerechtigkeit, Tugendhaftigkeit, Schönheit, Glück und gutes Leben." (S. 9/10)

Ohne Konsensus zwischen Herrschenden und Beherrschten und nur auf nackte Gewalt gestützt ist Herrschaft nicht von Dauer. Wie er immer wieder neu hergestellt und der Entwicklung angepasst wird, insbesondere, wenn es um die Errichtung eines totalitären Regimes geht, zeigt H. Krauss am Beispiel des Faschismus, dem ersten Hauptkomplex des Buches.

In seiner Analyse distanziert er sich von bürgerlichen Totalitarismustheorien, die den Stalinismus als historische Konkretisierung der Marxschen Theorie herausarbeiten und den Faschismus mit unverkennbarer Vorliebe von seinen historischen, ökonomischen und politischen Wurzeln trennen, ihn mystifizieren und ihn der Faszination einer dämonischen Gestalt zuschreiben; oder beide Diktaturen gar als Zwillinge bezeichnen.

Faschismus, insbesondere in Gestalt des eliminatorischen deutschen Nationalsozialismus, verliert nach seiner Analyse nicht seinen Schrecken, dafür aber die von gängigen Theorien gepflegte Undurchschaubarkeit. Wenn man so will, macht er ihn begreiflich, so als erklärte er die Funktionsweise einer Bombe. Das mindert bekanntlich nicht ihren Schrecken, liefert aber das Wissen, sie zu entschärfen. Totalitäre Herrschaft definiert H. Krauss als "radikalen Antihumanismus, Entsubjektivierung des Menschen und militante Konterrevolution gegen die "kulturelle Moderne". (S. 9)

Der deutsche Faschismus ist durch die Unterstützung führender Wirtschaftskreise und konservativer sowie nationalistischer Kräfte zur Macht gelangt.

Doch um die Mehrheit der Bevölkerung zu gewinnen, musste er an geeignete, von Herrschaftsverhältnis zu Herrschaftsverhältnis tradierte Bewusstseinsinhalte anknüpfen. H. Krauss geht zurück bis zum gescheiterten Bauernkrieg, den "gebückten Gang der Deutschen in die Moderne", die deutsche "Miserabelität" (G. Lukács) zu beschreiben, greift also das ganze Spektrum an Deformationen auf, die herrschaftsideologisch erzeugt und immer subtiler in die Sinnhorizonte und subjektiven Verarbeitungsweisen der Beherrschten eingepflanzt worden sind. Antisemitismus, religiöse Infantilisierung, Untertanengeist existierten also lange vor Hitler. Die Nationalsozialisten bauten das Haus, wie er zeigt, mit vorhandenen Ziegeln auf dem "Nährboden der kapitalistischen Moderne", brachten die für den einzelnen Menschen undurchschaubaren Verhältnisse der kapitalistischen Vergesellschaftung in simple Erklärungsmuster und luden sie rassenbiologisch und nationalchauvinistisch auf.

Dem geistigen Schöpfer des Herrenmenschen und vermeintlich kühnen Religionskritiker Nietzsche schreibt H. Krauss bei dieser Gelegenheit postum noch eine treffende Replik in Sachen "christlicher Mitleidsmoral" ins Stammbuch: "Demnach schwächt die christlich/religiöse Moral nicht den Herrschaftswillen; sie schwächt vielmehr den herrschaftskritisch-antidespotischen Widerstandswillen." Seine Faschismusanalyse ist nebenbei bemerkt auch eine anschauliche Einführung in die materialistische Subjektwissenschaft und ein anregender Beitrag zum Thema Subjekt-Objekt-Dialektik.

Den Stalinismus ordnet H. Krauss den Systemen totalitärer Herrschaft zu, widmet ihm im Buch aber nur wenig Raum.
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Bild: Die grosse politische Rede Mussolinis in Mailand im Mai 1930. /Bundesarchiv, Bild 102-09844 (CC BY-SA 3.0)

Dies hat er ausreichend an anderer Stelle getan. Er beschränkt sich darauf, mit wenigen, stichhaltigen Argumenten klarzustellen, dass das stalinistische Herrschaftssystem nicht etwa die historisch zur Geltung gekommene kommunistische Intention ist, sondern ihre Entstellung.

So hebt er beispielsweise im Kontrast zum Marxschen kategorischen Imperativ, "alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist", die "spezifische Singularität" der stalinistischen Mordmaschine hervor, "der mehr Kommunistinnen und Kommunisten zum Opfer gefallen sind "als unter Hitler, Mussolini, Franco und Salazar zusammen".

Nach H. Krauss repräsentiert der Stalinismus "den Vollzug einer antiemanzipatorischen, mit pseudosozialistisch-dogmatischer Phraseologie und Symbolik verbrämte Konterrevolution gegen das Marxsche Konzept der herrschafts- und ausbeutungsfreien menschlichen Gesellschaft". Damit tritt er entschieden der Gleichsetzungsthese von Marxscher Theorie und stalinistischer Herrschaftspraxis samt linksdogmatischer Apologetik entgegen.

Zwei Drittel des Buches sind dem Religiösen gewidmet, insbesondere dem Fundamentalismus. Als Beispiel für christlichen Fundamentalismus nennt H. Krauss die "five points of fundamentalism" des amerikanischen Protestantismus in den ersten zwei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts als Reaktion auf die Herausforderungen der Moderne: "Absolute Gültigkeit und Irrtumslosigkeit der Bibel; Jungfrauengeburt; stellvertretendes Sühneopfer durch Jesu Christi; leibliche Auferstehung Christi; Wiederkunft von Gottes Sohn zur Errichtung eines tausendjährigen Reiches vor dem jüngsten Gericht." (S. 161)

Oben genannte Glaubensartikel finden, wie bereits am Beispiel USA erwähnt, heute in christlich geprägten Gesellschaften eine Massenbasis. H. Krauss verschont auch den jüdischen Fundamentalismus nicht, doch sein Hauptaugenmerk gilt dem islamischen, der durch Dschihad, Scharia, Judenfeindlichkeit, antiwestliche Aggressivität und weltweiten Terrorismus gegenwärtig seine bedrohlichste Ausprägungsform bildet.

An den Islam geht er differenziert heran, nennt progressive Entwicklungen in seiner Geschichte, sieht aber deren Niedergang und die neuzeitliche Herausbildung eines absoluten Herrschaftsanspruchs in Gestalt des Gottesstaates; demnach eines Herrschaftssystems, das die totale Unterwerfung des Individuums verlangt.

So ist für ihn klar: dass wenn schon das Beharrungsvermögen des Religiösen als Herrschaftsressource in den modernen westlichen Gesellschaften eine Herausforderung darstellt, der islamische Fundamentalismus die militante Negation des Freiheitsgedankens bedeutet: Er analysiert ihn nicht als neutralen Betrachter, sondern als Verfechter der kulturellen Moderne und des Marxschen kategorischen Imperativs als Leitmotiv des revolutionären Humanismus. Dabei übergeht er nicht die Demütigungen, kolonialen Unterdrückungen und imperialen Bestrebungen des Westens, die die islamischen Völker erfahren haben.

Er hebt das Hochzüchten der Taliban zur Schwächung der Sowjets während des Afghanistankrieges durch die USA, ihre Bündnisse mit reaktionären, totalitären islamischen Staaten wie Saudi Arabien hervor, doch er weist darauf hin, dass es sich in den moslemischen Gesellschaften um autochthone prämoderne Herrschaftskulturen handelt und die Versklavung, Verstümmelung und Steinigung von Frauen keine Westimporte sind; und so warnt er davor – und dies gehört zu den wesentlichen Botschaften des Buches -, den islamisch-fundamentalistischen Antiimperialismus, der sich vor allem antiisraelisch, antiamerikanisch und letztlich antiwestlich artikuliert, als Bündnispartner eines emanzipatorischen Projekts zu betrachten.

Die vorliegende Arbeit von H. Krauss lässt die Konturen einer emanzipatorischen Strategie erkenne, die als Ausgangsbasis das vom Bürgertum abgeworfene Projekt der kulturellen Moderne aufgreift und ihre Vollendung als Voraussetzung weiterer progressiver Entwicklung anstrebt. Die Schwierigkeiten hat er auf der letzten Seite des Buches knapp umrissen; und angesichts eines wieder belebten reformistischen Illusionismus, parteikommunistischer Apologetik, postmodernistischen Relativismus und der durch die Gleichsetzung von Marxscher Theorie und stalinistischer Praxis verursachten Denkblockade dürften sie immens sein.

Dennoch ist seine Forderung am Ende des Buches nach dem "Aufbau eines säkular-humanistischen Blocks emanzipatorisch-herrschaftskritischer Bewegungen" zur Überwindung kapitalistischer und traditioneller Herrschaftsverhältnisse realistisch – schon deswegen, weil andere Wege, die nicht den Marxschen kategorischen Imperativ "unverkürzt zur Geltung brächten", die Mühe nicht lohnen. Dies begründet H. Krauss im ersten Teil des Buches, in dem er sich mit der Dialektik der kapitalistischen Moderne auseinandersetzt. Er zeigt, dass sie ihren Zenit überschritten hat und einer emanzipatorischen Höherentwicklung zunehmend entgegenwirkt.

Hierzu hebt er drei Aspekte hervor: Die Moderne zwischen ideologischer Selbstbespiegelung und kapitalistischer Selbstnegation; Dialektik der kapitalistischen Moderne und Synthese prämoderner und moderner Herrschaftskultur; die kapitalistische Moderne als struktureller Nährboden totalitärer Bewegungen. Oben erwähnter strategischer Ansatz ist die Konsequenz, die er aus seiner Analyse der kapitalistischen Moderne zieht.

Das Buch "Faschismus und Fundamentalismus" ist auch eine Herrschaftskritik zur rechten Zeit. Vor allem definiert es die Befreiung von Herrschaft als "linke" Politik, was heutzutage selten geworden ist. Für eine emanzipatorische Diskussion dürfte er hierzulande gegenwärtig die beste Grundlage bieten.

ub

Hartmut Krauss: Faschismus und Fundamentalismus. HINTERGRUND-Verlag 2003. 312 Seiten, 10 SFr, ISBN 978-3000108839