Simon Strauss: »Sieben Nächte« Kniefall vor der Konvention

Belletristik

Was hätte das für ein Roman werden können, ein moderner Faust gegen die Saturiertheit und Langeweile seiner Zeit, gegen die »Superdaddys« und »Klappentextleser«, gegen »die Weichspüler und Dalai Lama-Nachahmer«, die wir sind.

Simon Strauss: »Sieben Nächte«.
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Simon Strauss: »Sieben Nächte«. Foto: d26b73 (CC BY 2.0 cropped)

21. August 2018
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Korrektur
Wenngleich dieser Faust kein alter Mann ist wie in der weltberühmten Tragödie, sondern ein echter Angry, ein bildungsbürgerlicher angry young man des 21. Jahrhunderts. Folgerichtig ist es auch nicht die Vergangenheit, mit der er hadert. S., so sein Name, hat Angst vor der Zukunft. Davor, sich festlegen zu müssen auf ein bestimmtes Leben, eine bestimmte Arbeit, eine bestimmte Frau.

Er fürchtet den Gang der Gewohnheit, den, wie er es nennt, »Kniefall vor der Konvention«. Um diesen, wenn er ihm schon nicht entkommen kann, zumindest noch ein wenig hinauszuzögern, schliesst er – ganz Faust-like – einen Pakt. Nicht direkt mit einem Mephisto, des Pudels Kern ist in diesem Falle ein nicht näher beschriebener Bekannter. Dieser aber unterbreitet ihm ein durchaus teuflisches Angebot: Noch einmal soll S. den Rausch der Jugend fühlen können und nach seiner Anweisung die sieben Todsünden begehen – sieben Todsünden in sieben Nächten.

Was hätte das für ein Debüt werden können des jungen SZ-Redakteurs Simon Strauss. Hätte. Denn was zunächst Aufregung verspricht, was nach Auerbachs Keller klingt und nach Hexenküche, versickert nach nur wenigen Seiten im allzu seichten Unterbau des Plots. Dass Strauss seinen Protagonisten tatsächlich die sieben Todsünden durchleben lässt, dass dieser sich auf seinen nächtlichen Streifzügen durch die Stadt nacheinander Hochmut, Völlerei, Faulheit, Habgier, Neid, Wollust und Jähzorn hingibt, ist reines Beiwerk, ist lediglich die Bühne, auf der der Ich-Erzähler unwidersprochen seinem Grössenwahn und seinen Machtphantasien nachhängen, auf der er von »Verschwörung, Geheimbund und Heldentum« träumen kann, und von einer Zeit, »in der Autorität noch eine Frage der Form war« und Uniformen als »Ehrinsignien« verstanden wurden; in der Mann noch Mann sein durfte, mit echten Verletzungen und allem, was eben zum Mannsein dazugehört, »als es noch Gegner gab, echte Feinde«.

Wehleidig ergibt er sich seiner Sehnsucht nach vermeintlicher vergangener Grösse, beschwört pathetisch die Abkehr von der Vernunft zugunsten eines neuen – ja, was eigentlich? »Kompromisse schwächen den Händedruck«, sagt er und »Was wir brauchen, sind wieder mehr Ausrufezeichen«. Aber das klingt dann auf einmal weit weniger nach jugendlicher Rebellion und Ausbruch aus dem Alltag als nach fingerdick mit Staub bedeckten Stammtischparolen.

»Wie mich diese Welt braucht. Wie sehr sie mich nötig hat. Jetzt. Heute. Hier. Nicht morgen. Nicht irgendwann, sondern jetzt«, hört man S. schwadronieren und man ist versucht, ihm entgegenzuhalten: Nein, nötig hat sie dich nicht, ebenso wenig wie dieser Roman die vielen sprachlichen Luftschlösser nötig gehabt hätte. Ein wenig mehr Handlung hätte ihm stattdessen gutgetan. So aber bleibt von diesem wahrhaft faustschen Stoff am Ende vor allem eines: viel heisse Luft.

Leo Eberhardt

Simon Strauss: Sieben Nächte. aufbau Verlag, Berlin 2017. 144 Seiten, ca. 21.00 SFr. ISBN 978-3-351-05041-2