Simon Strauss: »Sieben Nächte« Kniefall vor der Konvention
Belletristik
Was hätte das für ein Roman werden können, ein moderner Faust gegen die Saturiertheit und Langeweile seiner Zeit, gegen die »Superdaddys« und »Klappentextleser«, gegen »die Weichspüler und Dalai Lama-Nachahmer«, die wir sind.


Simon Strauss: »Sieben Nächte«. Foto: d26b73 (CC BY 2.0 cropped)
Er fürchtet den Gang der Gewohnheit, den, wie er es nennt, »Kniefall vor der Konvention«. Um diesen, wenn er ihm schon nicht entkommen kann, zumindest noch ein wenig hinauszuzögern, schliesst er – ganz Faust-like – einen Pakt. Nicht direkt mit einem Mephisto, des Pudels Kern ist in diesem Falle ein nicht näher beschriebener Bekannter. Dieser aber unterbreitet ihm ein durchaus teuflisches Angebot: Noch einmal soll S. den Rausch der Jugend fühlen können und nach seiner Anweisung die sieben Todsünden begehen – sieben Todsünden in sieben Nächten.
Was hätte das für ein Debüt werden können des jungen SZ-Redakteurs Simon Strauss. Hätte. Denn was zunächst Aufregung verspricht, was nach Auerbachs Keller klingt und nach Hexenküche, versickert nach nur wenigen Seiten im allzu seichten Unterbau des Plots. Dass Strauss seinen Protagonisten tatsächlich die sieben Todsünden durchleben lässt, dass dieser sich auf seinen nächtlichen Streifzügen durch die Stadt nacheinander Hochmut, Völlerei, Faulheit, Habgier, Neid, Wollust und Jähzorn hingibt, ist reines Beiwerk, ist lediglich die Bühne, auf der der Ich-Erzähler unwidersprochen seinem Grössenwahn und seinen Machtphantasien nachhängen, auf der er von »Verschwörung, Geheimbund und Heldentum« träumen kann, und von einer Zeit, »in der Autorität noch eine Frage der Form war« und Uniformen als »Ehrinsignien« verstanden wurden; in der Mann noch Mann sein durfte, mit echten Verletzungen und allem, was eben zum Mannsein dazugehört, »als es noch Gegner gab, echte Feinde«.
Wehleidig ergibt er sich seiner Sehnsucht nach vermeintlicher vergangener Grösse, beschwört pathetisch die Abkehr von der Vernunft zugunsten eines neuen – ja, was eigentlich? »Kompromisse schwächen den Händedruck«, sagt er und »Was wir brauchen, sind wieder mehr Ausrufezeichen«. Aber das klingt dann auf einmal weit weniger nach jugendlicher Rebellion und Ausbruch aus dem Alltag als nach fingerdick mit Staub bedeckten Stammtischparolen.
»Wie mich diese Welt braucht. Wie sehr sie mich nötig hat. Jetzt. Heute. Hier. Nicht morgen. Nicht irgendwann, sondern jetzt«, hört man S. schwadronieren und man ist versucht, ihm entgegenzuhalten: Nein, nötig hat sie dich nicht, ebenso wenig wie dieser Roman die vielen sprachlichen Luftschlösser nötig gehabt hätte. Ein wenig mehr Handlung hätte ihm stattdessen gutgetan. So aber bleibt von diesem wahrhaft faustschen Stoff am Ende vor allem eines: viel heisse Luft.
Simon Strauss: Sieben Nächte. aufbau Verlag, Berlin 2017. 144 Seiten, ca. 21.00 SFr. ISBN 978-3-351-05041-2
05.02.2021
- Am Abend des 02. Februar versammelten sich 300 Menschen auf dem Marktplatz Basel, um ein Zeichen gegen sexualisierte Gewalt [...]
mehr...01.04.2021
- Die Kollektive des feministischen Streiks/Frauenstreik Schweiz haben mit Empörung die Ankündigung des Präsidenten der Türkei, Recep Tayyip Erdogan, zur Kenntnis genommen, mit welcher der Austritt der Türkei aus dem Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention) verkündet wurde.
mehr...31.05.2023
- Ständig beziehen sich alle auf die Arbeiter*innenklasse. Doch warum redet niemand mit ihr? Ein Kollektiv geht von der Praxis in die Theorie.
mehr...Podcasts zum Artikel
23.09.2010 - ... wir hätten doch eine Alternative für ihre Gesundheitsreform gehabt.
28.11.2022 - Wir hören ein Gespräch mit der Autorin Judith Kleibs, denn sie hat im Frühjahr den Roman Königinnenreich im Mosses Schröter Verlag veröffentlicht.
Mehr auf UB online...
02.12.2023
- „Die Liebesfälscher“ ist eine Mischung aus Liebes- und Essayfilm. Abbas Kiarostami verhandelt Themen wie die [...] mehr...06.12.2023
- Am 8. April 2023 wurde in Rümlang von Aktivist*innen ein Waldstück besetzt - mit dem Ziel, die Rodung von 11 [...] mehr...