Klassiker, und solche, die es werden sollten (Teil 4) Primo Levi: Das periodische System
Belletristik
Von autobiografischen Notizen italienischer Partisanen über literarische Arbeiten zur Arbeiterbewegung bis hin zu Gedichten aus dem Klassenkampf: In der Reihe "Klassiker und solche, die es werden sollten" werden in unregelmässigen Abständen Bücher vorgestellt, die in keiner Bibliothek fehlen sollten - aber auch solche, die bereits in vielen stehen und besser anderen Platz machen sollten.
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3. Mai 2016
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Korrektur
Im deutschen weniger Bekannt als sein Auschwitz-Bericht wird das Werk in Italien als bestes populärwissenschaftliches Buch gehandelt. Dabei ist sein Charakter immer wieder schwer zu fassen. Auf den letzten Seiten findet sich dazu folgende Bestimmung: „Der Leser wird längst gemerkt haben, dass dies keine Abhandlung über Chemie ist […] Es ist auch keine Autobiographie oder allenfalls insofern, als jede Schrift, ja jedes Menschenwerk teilweise und sinnbildlich Autobiographie ist: aber irgendwie Geschichte ist es doch.“
„Irgendwie Geschichte“ ist es besonders Eindrücklich im ersten Kapital, „Argon“, in dem er seine jüdische Verwandtschaft in Turin der letzten 500 Jahre darstellt. Da war zum Beispiel dieser Onkel – eine Bezeichnung für jeden männlichen Juden im Dorf der älter war als Levi – der sich in ein Mädchen verliebte: „Dem Mädchen sagte er nichts, erklärte aber Vater und Mutter, er gedenke sie zu heiraten; die Eltern wurden fuchsteufelswild, und der Onkel legte sich ins Bett. Darin blieb er zweiundzwanzig Jahre.“
Neben diesen skurrilen, melancholischen, manchmal bestürzenden aber immer Unterhaltsamen Geschichten lebt dieses Werk von Levis Eigenart in verschiedenen Wissenschaften belesen zu sein und so durch die Geschichten immer wieder die Welt zu erklären: Meistens aus der Sicht eines Chemikers, der sich für die Elemente interessiert, aber auch über die Sprache weiss Levi viel zu erzählen, über Geschichte und manchmal über das Judentum. Dabei streift er immer wieder auch den Faschismus und hier vor allem die Täter, besonders im Kapital „Vanadium“:
20 Jahre nach Auschwitz erkennt er in einer geschäftlichen Korrespondenz in seinem deutschen Gegenüber, Dr. Müller, einen ehemaligen Leiter des wissenschaftlichen Labors in dem Levi als KZ-Häftling arbeitete. Wie mit ihm umgehen und mit seinem Wunsch, sich mit Levi zu treffen um die „Vergangenheit zu bewältigen“? „Er war weder gleichgültig noch unempfindlich und auch nicht zynisch, er hatte sich nicht angepasst, er rechnete mit der Vergangenheit ab, und die Rechnung ging nicht auf: so versuchte er sie hinzubiegen, mit ein wenig Mogeln vielleicht. Konnte man von einem ehemaligen SA-Mann viel mehr verlangen?“.
Alles in allem ist „Das periodische System“ schon lange ein Klassiker in Italien, und es kann ihm nur gewünscht werden, dass er diesen Stellenwert auch endlich in Deutschland erhält.
Primo Levi: Das periodische System. DTV Verlag, München 2016. 266 Seiten, 17 SFr. ISBN: 978-3423113342