UB-Logo Online MagazinUntergrund-Blättle

Albert Ostermaier: Lenz im Libanon | Untergrund-Blättle

3219

Ermattende Dialoge und kleinbürgerlicher Egozentrismus Albert Ostermaier: Lenz im Libanon

Belletristik

Der neu erschienene Roman von Albert Ostermaier «Lenz im Libanon» ist ein Buch, welches unbedingt in jeder Bibliothek fehlen sollte. Ermattende Dialoge und kleinbürgerlicher Egozentrismus prägen die Geschichte von Ostermaier, die auf dem Original von Georg Büchner fussen. Sprachlich muss man dabei einiges ertragen.

Der Autor Ostermaier entwirft in seinem Roman abstruse Neologismen, bei denen Einschusslöcher in Wänden zu „Beton mit Hautausschlag“ und „Bürgerkriegsakne“ werden. Hier im Bild die zerschossene Fassade des Hotels «Holiday Inn» in Beirut, Libanon.
Mehr Artikel
Mehr Artikel

Der Autor Ostermaier entwirft in seinem Roman abstruse Neologismen, bei denen Einschusslöcher in Wänden zu „Beton mit Hautausschlag“ und „Bürgerkriegsakne“ werden. Hier im Bild die zerschossene Fassade des Hotels «Holiday Inn» in Beirut, Libanon. Foto: Francisco Anzola (CC BY 2.0 cropped)

10. Mai 2016
2
0
3 min.
Drucken
Korrektur
Jakob Michael Reinhold Lenz war Schriftsteller: Manisch, depressiv mit beginnender Schizophrenie. Bekannt u.a. mit Goethe, der ihn allerdings wegen einer „Narretei“ verstiess. Er trat eine Reise in das Bergdorf Waldersbach an, in dem ihn der Pfaffe Oberlin empfing, der seine Stücke kennt. Lenz Krankheit verschlechterte sich, er war unglücklich verliebt in die Geliebte Goethes und die Tochter des Pfarrers - und er versuchte sich an dessen Ruhe ein Vorbild zu nehmen.

Diesen Stoff verwendete Georg Büchner in seiner Erzählung „Lenz“, die 1839 postum erschien. 2015 wurde nun „Lenz im Libanon“ veröffentlicht, das sich frei an dem historischen Stoff so wie Büchners Klassiker orientiert, nur dass dieser nun nach Beirut fliegt statt wandern zu gehen. Dabei wird die Handlung der Erzählung übernommen, allerdings von den wenigen Seiten Büchners, der bereits den Bericht des Pfarrers Oberlin als Grundlage nahm und dessen Länge verdoppelte, auf nun 190 Seiten gedehnt.

Dabei verpasst die Verlegung der Handlung in den Libanon jede Chance, etwas Profundes über diesen neuerdings weltpolitisch wichtigen Ort zu verlieren. Der IS, die Flüchtlinge, Terrorismus und Kriege sind nur das Material des Autors um endlose, ermattende Monologe zu gestalten, die nichts über die Politik oder Kultur das Landes verraten, dafür allerdings lauter selbstgefällige Protagonisten präsentiert, deren Universum sich um den jeweiligen Egozentrismus und ihren kleinbürgerlichen Weltschmerz dreht.

Der ins 21. Jahrhundert entführte Schriftsteller und seine Weggefährten erkennen in der ganzen Welt nämlich nichts als eine einzige Abweichung von ihrem moralischen Empfinden und ein ästhetisches Problem für ihre Künstlerseelen: „Und was, wenn ich ein Terrorist wäre, fragte er sich“. So mitgenommen ist der arme Lenz, dass er sich selbst gar als Terrorist imaginiert! Woran soll sich einer noch halten, der so leidet?

Da kommt es gerade Recht, dass der Aussenminister in der Geschichte Vorort ist und den Arabern die menschliche Seite des deutschen Imperialismus zeigt. Steinmeier ist der Oberlin des 2015er Lenz und Ruhepol der Erzählung. Das Ostermaier „ein persönlicher Freund“ des Aussenministers ist und mit ihm tatsächlich selbst im Libanon war sorgt leider auch hier nicht dafür, dass man etwas erfährt, was nicht in jeder Zeitung zu lesen wäre – dafür ist das Lob der Politik derart widerlich, dass es selbst dem Deutschlandradio Kultur auffällt. Was soll man zu einem solchen Satz auch noch sagen? „Sein Verantwortungsgefühl war ein Motor, der länger lief als die alten Mercedes-Fahrzeuge in Beiruts Strassen, sein Gewissen kannte keine Schonung“.

So schön hat schon lange niemand mehr der deutschen Aussenpolitik die Eier geschaukelt, und so verwundert es nicht das Steinmeier auch bei der Vorstellung des Buches selbst zugegen war. Ob er sich in den Beschreibungen im Buch wiedererkenne? "In den schmeichelhaften Teilen - ja."

Sprachlich muss man dabei auch einiges ertragen: Sätze wie „Es bleiben nur die Gräber der Namenlosen und das namenlose Elend der Toten“ lösen Fragenwellen ab: „Betrügen wir uns beim Betrügen? Genügen wir uns nicht? Weil wir uns nicht genügen? Weil wir einander ungenügend finden?“ Dazu die abstrusen Neologismen, wo Einschusslöcher in Wänden zu „Beton mit Hautausschlag“ und „Bürgerkriegsakne“ werden. Ein Buch das in jeder Bibliothek fehlen sollte.

Berthold Beimler

Albert Ostermaier: Lenz im Libanon. Suhrkamp, 2015. 190 Seiten, ca. 14.00 SFr. ISBN 978-3-518-46669-8

Mehr zum Thema...
Beirut nach der Explosion im Hafen, August 2020.
Noch ein Failed State?Zum Libanon

20.08.2020

- Die Demonstranten im Libanon fordern ein neues „System“. Das hätten viele Menschen auf der Welt gerne. Angesichts des Zustandes des Libanon ist jedoch diesbezüglich guter Rat teuer.

mehr...
Der Hafen von Beirut nach der Explosion, August 2020.
In den verwüsteten Strassen von BeirutLibanon: In dem Moment, als ich zu den Verlorenen gehörte

19.10.2020

- Aus dem Libanon, diesem geschundenen Stück Erde, das so viel Krieg und Elend, Massaker und Verbrechen an der Menschlichkeit gesehen hat und in dem immer wieder “das Leben als Revolte” im Sinne von Camus begriffen werden muss (oder kann), kommen derzeit die vielleicht schönsten, klügsten, traurigsten, wütendsten und mutigsten Texte dieser Tage.

mehr...
Werner Herzog am Filmfestival von Venedig, September 1991.
WoyzeckDer Wahnsinn in der Normalität

27.06.2019

- Georg Büchners fragmentarisch gebliebener „Woyzeck” gehört wohl zu den auf Theaterbühnen meist gespielten Stücken.

mehr...
Die Büchners

31.07.2008 - - oder der Wunsch, die Welt zu verändern. eine Buchvorstellung mit anschliessendem Veranstaltungshinweis von Norbert Büchner (der mit Georg Büchner nicht verwandt ist).

Ein Blick nach Beirut mit dem Hammam Radio

20.08.2020 - Wir stellen an dieser Stelle ein neues Radioprojekt vor: Hammam Radio - ein feministisches, partizipatives Radio aus Berlin. Und wir schauten darauf, wie in der Episode "The aftermath of the Beirut explosion" von der Aktivistin Paula auf die aktuelle Situation in Beirut und ganz Libanon geblickt wird.

Dossier: Dannenröder Wald
Leonhard Lenz
Propaganda
Capitalism is Death Cult

Aktueller Termin in Düsseldorf

Gemeinsame Anreise zur Demonstration in Solingen

Am 29.05. (Pfingstmontag) treffen wir uns um 10.40 Uhr am Ufa Palast neben dem Hauptbahnhof um gemeinsam zur Gedenkdemonstration nach Solingen zu fahren.

Montag, 29. Mai 2023 - 10:40 Uhr

Linkes Zentrum Hinterhof, Corneliusstraße 108, 40215 Düsseldorf

Event in Winterthur

SAVE THE DATE! Pfingsten: Treffen gegen die Stadt der Reichen

Montag, 29. Mai 2023
- 12:00 -

Infoladen Rabia

Bachtelstrasse 70

8401 Winterthur

Mehr auf UB online...

Scherbengericht (Ostrakismos, altgriechisch ὁ ὀστρακισμός ho ostrakismós; früher überwiegend latinisiert Ostrazismus) in der griechischen Antike.
Vorheriger Artikel

Wie die Macht der Politiker begrenzt werden kann

Der Ostrakismos muss wiederkommen

Der Flughafen Daxing in Peking, Januar 2019.
Nächster Artikel

Kann das staatskapitalistische China die abgetakelten USA als Hegemon beerben?

Neue alte Weltordnung?

Untergrund-Blättle