Punk Poem aus dem Norden
Was uns der Punk-Autor aus Deutschland in seiner zweiten Buchveröffentlichung präsentiert, ist unterhaltsam und umsichtig zugleich, was wir vor allem seinem blühenden Wortschatz und der treffsicheren Analysefähigkeit seines noch einigermassen intakten Arbeitsspeichers zu verdanken haben. Seine Ehrlichkeit sich selbst und seinen Mitmenschen gegenüber geht bis zur Schmerzgrenze und darüber hinaus, seine ewige Suche nach Alkohol und Ablenkung amüsiert und interessiert. Dabei sind aber keine harten, hochprozentige Absturzgeschichten à la Jörg Fauser zu erwarten, der wohl wie kein zweiter mit seiner Prosa und Lyrik die harte Betonrealität eines Aussenseiters im grauen Deutschland der 80-Jahre eingefangen hat. Vielmehr entführt uns der Bier- und Musikliebhaber aus Andernach in die Partywelt der Punk- und Technogeneration der Nullerjahre. Es wird gekotzt und diskutiert, geprügelt und flaniert.Hardcore und Subkultur
Was dabei am meisten erfreut und fesselt, sind die leisen Zwischentöne im Getümmel, die Reflexionen am Katermorgen danach, die schonungslose Analyse der eigenen Gedankenwelt. Hier wird niemand geschont, weder der Hip-Hopper um die Ecke noch der Punkrockbesucher an der Trese in der Dorfdisco, und schon gar nicht das eigene Ego des selbstkritischen Softalkoholikers. Subkultur wird hier gelebt, und nicht zelebriert, geschildert in einer ironisch-witzigen und bildhaft-schönen Kolumnensprache, die mit viel Sprachwitz und Ironie ausgestattet ist.Nach mehreren Psychiatrie-Aufenthalten und unzähligen Alk-Abstürzen wird dann auch noch in Las Vegas gefeiert und geheiratet. Aber keine Angst, das Leben des Kolumnisten mit all seinen Storys bleibt ansprechend: Dabei bewegen sich die Geschichten je länger desto mehr weg von der Strasse und hin in die nervenaufreibende Hausmann-Realität eines gescheiterten Mittdreissigers mit liebevoll gepflegter Einbauküche und arbeitender Ehefrau. Ob wir nun in Zukunft mit einer dreckigen Neo-Punk-Variante unseres erfolgreichsten Hausmanns der Nation, Benz Friedli, rechnen müssen, bleibt noch abzuwarten. Der etablierte Migros-Lohnempfänger unterhält seit Jahren mit seinen sterilen Putz- und aseptischen Pädagogik-Kolumnen wöchentlich die gutbürgerlichen Schweizer Leser des Konzern-Blattes "Brückenbauer".
Nichts gegen maskuline Putzteufel: Witzig und unterhaltsam sind solche Hausmänner-Kolumnen allemal, und wenn wir schon ganz auf Subversion und Revolution verzichten sollen und den Untergang des momentan vorherrschenden, menschenverachtenden Konsumkapitalismus zeitweilig verschieben müssen, dann lassen wir uns doch gelegentlich gerne einlullen von den scharfsinnigen, eher unpolitischen Texten eines Punk-Intellektuellen, die viel gesellschaftskritischen Tiefgang enthalten.
Beauty-Tips und Botoxbehandlungen
Notorischen Vielleser und hartnäckigen Bücherjunkies, die Erholung suchen zwischen der sensiblen Genialität eines Stendhal oder Nietzsche, seien die Texte von Alex Gräbeldinger auf jeden Fall wärmstens empfohlen, den nur wenige zeitgemässe Alltagschronisten verstehen den alltäglichen Wahnsinn unserer dekadenten Wohlfühldemokratien humorvoller und treffender zu entlarven als dieser OX-Fanzine-Kolumnist, der nicht gewillt ist, ein Blatt vor den Mund zu nehmen und schonungslos dort seine Kritik ansetzt, wo es gilt, die Schwächen und Belanglosigkeiten der menschlichen Natur offenzulegen.Chronischen Drogenusern und krankhaften Null-Bock-Rebellen, denen Hochglanz-Lifestyle-Gazetten wie GQ und MensHealth zu sauber daherkommen, sich aber trotzdem gelegentlich für Beauty-Tips und humorvolles Getratsche interessieren, können sich unbeschwert in den Weltuntergangs Kolumnen begleitende Tips zu Botoxbehandlungen und regelmässigen Selbstbräuner Anwendungen abholen. Fader Nachgeschmack für Süchtige: Das unstillbare Verlangen nach härterem Material ist leider auch nach mehrmaligem Durchgehen der Lektüre nicht wegzukriegen.