Der Unbedeutende Johann Nestroy

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"Wir wollen es nicht hören, dieses kotige 'eh' und 'oh' des Hohns, wo immer ein edleres Gefühl zu beschmutzen ist, wir wollen sie nicht vernehmen, diese stinkenden Witze die zu erraten geben, dass das innerste Heiligtum der Menschheit einen Phallus verberge."

Illustration von Johann Nestroy's Theaterstück «Der Talisman».
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Illustration von Johann Nestroy's Theaterstück «Der Talisman». Foto: PD

12. September 1996
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Der romantische Dichter Friedrich Theodor Vischer konnte, wie so mancher Zeitgenosse Nestroys, dessen salopper Mundart und frivolen Witzen keinerlei Kunstverstand abgewinnen.

Johann Nepomuk Nestroy - ein Possenschreiber, einer, der sich vom Bühnendeutsch löste und die Sprache des "Unbedeutenden" in die Theatersäle brachte.Im Untertitel definiert Nestroy sein Stück als eine "Posse mit Gesang in drei Aufzügen". Wir sollten uns jedoch nicht irreführen lassen von etwaigen Vorurteilen bezüglich dieses Genres.

Vielleicht haben wir für zeitgenössische Possen nur noch ein müdes Lächeln übrig und finden sie bestenfalls zeitweilig komisch, was Nestroy zu bieten hat, geht weit über Schema-X-Schwänke des heutigen Sonntagabendprogramms hinaus.

Nicht, dass seine Stücke all der typischen Merkmale eines Volkstheaters entbehren würden, im Gegenteil: Auch Nestroy bedient sich der unerlässlichen Komik von Verwechslungen, welche sich nach mancherlei Irrungen und Wirrungen aufklären und zu einem noch unerlässlicheren Happy-End der Guten und einer gerechten Bestrafung der Bösen führen.Nestroys vielleicht grösstes Talent zeigt sich in seiner Beobachtungsgabe.

Möglicherweise lag es an seiner zweiten Berufung zur Schauspielerei, dass er das Verhalten seiner Mitmenschen so minutiös wahrnehmen und wiedergeben konnte. Seine Possen sind Kleinode der tragischen Komik, immer wieder durchbrochen von holprigen kleinen Couplets seiner Protagonisten, welche mit ihrer einfachen Weltanschauung ganze philosophische Abhandlungen in den Schatten stellen.

Im "Unbedeutenden" geht es um Puffmann, den Sekretär des Barons Massengold - Nestroys Namensgebungen sind übrigens einiger Beachtung wert - , welcher hinter dem Rücken seines naiv-zutraulichen Vorgesetzten krumme Geschäfte und Komplotte zu seinem persönlichen Vorteil schmiedet und dabei ungewollt mit dem "Plebs" in Tuchfühlung gerät.

Scheinbar harmlos mit der romantischen Zusammenführung zweier Liebender beginnt der erste Akt. Bald jedoch entpuppt sich die Szene als eine Verschwörung. Selbstverständlich hat Puffmann seine eigennützigen Hände im Spiel. Da leider nicht alle Herren der Oberschicht so hilflos-gutgläubig sind wie der Baron, gerät Puffmann bald in den Verdacht, mit der Sache was zu tun zu haben.
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Bild: Johann Nestroy. / PD

Um diesen Verdacht von sich abzulenken, braucht er ein Alibi. Und das beste Alibi, so denkt sich der Sekretär, ist eine Frau. Der zweite Akt setzt mit Puffmanns Suche nach einer geeigneten fiktiven Liebespartnerin ein. Dabei fällt seine eher zufällige Wahl auf Klara, Schwester des Zimmermanns Peter, der eine Hauptrolle innehat und mit seinem Witz und seiner Weitsicht beeindruckt.

Puffmann besticht einen Jungen, der in der Nähe geschlafen hat, mit einigen Talern, damit er nichts verrate von seiner "Mitwisserschaft" hinsichtlich seines Verhältnisses mit Klara.Der Junge weiss selbstverständlich gar nichts, freut sich jedoch übers Geld, erzählt es seiner Mama und bald ist die halbe Stadt über die vermeintlichen amourösen Abenteuer Klaras im Bilde.

Es gehört zu den Stärken Nestroys, dass er sich nicht von seiner Abneigung gegen die dekadente Aristokratie blenden lässt. Er malt nicht schwarzweiss. Sehr genau beschreibt er, wie sich Nachrichten beim gemeinen Volk wie Lauffeuer verbreiten, wie sie sich mit jeder Nacherzählung ein wenig verändern, wie schadenfroh Nachbarn sein können.

Im dritten Akt bringt Puffmann sein Alibi "mit affektierter Verschämtheit" vor. Es wird überprüft und als stichfest erachtet. Man stösst auf"Puffmanns verkannte Unschuld" an, man feiert den "Triumph verkannter Tugend".

Dass sich das Ganze zum Guten wendet, versteht sich von selbst. Nur ein kleiner Nachtrag noch: Sowohl die Belohnung der Guten, als auch die Bestrafung der Bösen äussern sich in einer Hochzeit. Die Wortspielereien Nestroys sind so köstlich, dass sie allein Grund genug wären, ihn zu lesen. Im Vormärz, jener für jeden Freigeist und Anhänger der Französischen Revolution schrecklichen Zeit der Restauration unter Metternich, wo Zensur und Überwachung zum Alltag jedes Intellektellen gehörten, machte Nestroy aus der Not eine Tugend.

Er führte dem Volk einen Spiegel vor Augen, zeigte mittels seiner Lustspiele die Tragik der Realität. Nestroy war auch ein politischer und gesellschaftskritischer Autor. Seinerzeit haben nur wenige die Bösartigkeiten zwischen den Zeilen lesen können, man mochte ihn seiner oberflächlichen Komik wegen. Und heute? Verstehen wir Nestroy über ein Jahrhundert später?

Um den Zensoren ein Schnippchen zu schlagen, strich Nestroy schon im voraus jegliche anstössigen Stellen heraus, um sie nach der Genehmigung wieder einzusetzen. Nicht zuletzt dank seinem feinen Gespür für Mehrdeutigkeiten, ist es ihm wohl immer wieder gelungen, die Zensur, "die jüngere von zwei schändlichen Schwestern, die ältere heisst Inquisition", so Nestroy 1849 in"Freiheit in Krähwinkel", zu umgehen.

So gibt es beispielsweise im"Unbedeutenden" diese herrliche Stelle, wo Peter gefragt wird, ob seine Freunde denn keine Reichen seien und dieser zur Antwort gibt: "Nein, Arme sind's - (seine Arme weisend) die zwei. Mit denen hab' ich mich und mein' Schwester erhalten, mit denen hab ich das, was ihr der Vater hinterlassen hat, vermehrt, dass sie ein anständiges Heiratsgut hat."

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Bild: Johann Nestroy, vor 1862. / unbekannter Fotograf (PD)

So läppisch diese Wortspielerei vielleicht manchem vorkommt, geschickt darin verpackt ist die Kritik an jenen, welche, ohne zu arbeiten, im Geld schwimmen, jene Puffmanns und Massengolds, welche an anderer Stelle als Kapitalisten im Sinne einer Spezies, die von ihren Zinsen leben kann, bezeichnet werden. Deutlich zeigt Nestroy, wie Tugend und Ehre dem einfachen Bürger alles, dem Adel nichts gelten. Klara wird von ihren nächsten Nachbarn zur Schlampe degradiert, Puffmann von seinen Adelsgenossen zum Teufelskerl emporgehoben.

Dem ebenso bestechlichen wie korrupten Adel werden einige wenige aufrechte Handwerker entgegengesetzt, die ihre persönliche Würde höher einschätzen als schmutziges Geld.

Dennoch sind Nestroys geniale Sätze niemals polemische Slogans im Klassenkampf gegen eine degenerierte Oberschicht, sondern kleine, gezielte Seitenhiebe mit umso schlagenderer Tiefenwirkung. So lässt er Peter dem reichen, rücksichtslosen Puffmann auf einen Bestechungsversuch hin entgegnen: "Wenn man die Nachsicht des gereizten Armen braucht, soll man ihn am wenigsten erinnern an die angeborene Feindschaft zwischen arm und reich."

Dass wir noch immer in den Genuss von Nestroys ungebrochenem Sprachwitz und seiner bis heute aktuellen Gesellschaftskritik kommen, verdanken wir nicht zuletzt dem grossen Kritiker und Publizist Karl Kraus, der als einer der ersten Nestroys wahren Wert hinter dessen ordinären "eh" und "oh" erkannte und diese salonfähig machte.

Von ihm stammt denn auch die abschliessende Bemerkung, nachzulesen in seinem berühmtgewordenen Essay "Nestroy und die Nachwelt": "Er, Johann Nestroy, kann es sich nicht gefallen lassen, dass alles blieb, wie es ihm missfallen hat."

ub