Gegen das Establishment Konkrete Utopie

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Der Akt der Revolution wird zwischen den Jahren 2010-12 darin bestehen, dass eine europäische Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche aller linken Massenorganisationen von den Arbeitslosen über die Behinderten bis zu den Frauen und Gewerkschaftlern die Abschaffung des Geldes beschliessen wird, und der letzte Kanzler zu Berlin.

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Foto: Westend Finnland

26. September 1998
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Der Präsident der europäischen Union wird ebenso zurücktreten und das sinkende Schiff verlassen, wie die dort tagenden Parlamente sich selbst auflösen werden, so dass für eine kurze Zeit eine Periode der Anarchie eintreten wird, bis überall im Land die schon vorher konstituierte Gegenmacht der Räte auf Dorf-, Stadtteil-, Stadt- und regionaler Ebene die Macht vollends übernommen haben werden.

Die ganze Revolution wird also ohne jedes Blutvergiessen stattfinden. Wenn es in der Zwischenzeit (nach dem Zusammenbruch der Weltwirtschaft) zu einzelnen Emeuten oder Revolten kommt, oder einzelne alt-dingliche Organisationen der Arbeiterbewegung (oder ihrer selbsternannten Stellvertreter) zu Protesten aufrufen werden, die die ganze alte Scheisse wieder herstellt, wird das nur episodischen Charakter haben. 

Wenn durch Reste der alten Staatsgebilde durch Abgaben (einmalige Steuern) und Arbeitszwang (sei es auch durch Polizei und Militär) die Re-Etablierung der alten Verhältnisse versucht werden sollte, wird das von der Mehrheit der Bevölkerung durch passiven Widerstand zurückgewiesen werden.

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In dem Masse, wie die bürgerliche Gesellschaft sich auflöst, verändern sich auch Arbeit, Arbeitsteilung, Familie und Sprache als ihre Substanz, so, wie der Tauschwert nur abgeschafft werden kann, indem sich der Gebrauchswert praktisch zum Gebrauchsgegenstand verändert. Also: die sachliche, verdinglichte Hochsprache hebt sich auf, indem die Dialekte dort, wo sie gesprochen werden, allgemeine Schriftform annehmen; die Familie, das Kapital des Staates, bedarf der Aufhebung der Form der Ehe, und d. h., dass aus permanentem (gewohntem) Geschlechtsverkehr ein einmaliger (leidenschaftlicher) Geschlechtsakt wird;

die gesellschaftliche Arbeitsteilung (auch die der Wissenschaften) hat die individuelle Arbeitsteilung zur Grundlage, die sich zur gemeinschaftlichen entwickeln muss; die gesellschaftliche oder die bürgerliche Arbeit hebt sich auf, indem die individuelle, alltägliche Arbeit zum gemeinschaftlichen Spiel wird; die Gesellschaft überhaupt stirbt dann ab, wenn aus den Gemeinschaften (der Dörfer, Stadtteile, Städte und Regionen) freie Assoziationen werden; das gesellschaftliche Individuum verschwindet, wenn die vereinzelten Einzelnen sich in informellen Gruppen organisieren (z.B. Räte bilden).

Das gleiche gilt auch auf der Metaebene, der Erscheinungsform der Gesellschaft: das Kapital stirbt dann ab, wenn das unbewusste Bewusstsein (die Seele) der für es arbeitenden Menschen zu einem für sie gegenständlichen Bewusstsein wird, d. h. dass die Spaltung des Bewusstseins in natürliches und unbewusstes Bewusstsein sich aufhebt (das Kapital also denkend erfahren wird), und in der Folge die Menschen nicht mehr für Geld arbeiten, sondern entweder arbeitslos, asoziale Rentner, Studenten oder alternativ tätig werden; der Staat verschwindet, sobald die Gesellschaft sich zur Form informeller Gemeinschaften entwickelt hat, die sich selbstverwalten; die Medien verändern ihren Inhalt in dem Masse, wie die Menschen selbst zu Medien geworden sind, wodurch sie in die Lage versetzt werden, jene sinnvoll zu gebrauchen; das Leben verändert sich, sobald die Liebe zum Lieben geworden ist (der Mann, der sich schon für einen Menschen hält, wird abgeschafft, wenn die Frau zur Frau (zur Hure, Geliebten oder Hexe) wird); das Auto z. B. wird dadurch abgeschafft, wenn es als Fortbewegungsmittel gegenständlich wird (also Fahrrad, Bus, Bahn oder zu einem konkreten Zweck gebraucht wird (wie der Krankenwagen, die Feuerwehr, der Lieferwagen usw.), aber nicht mehr als privater Pkw oder kommerzieller Lkw); usw. usf. - All das setzt allerdings die Abschaffung des Geldes voraus.

An die Stelle des Geldes tritt eine rationale sprachliche Kommunikation von Gruppen und Gemeinschaften bzw. Räten über Produktion, Verteilung und Konsumtion der Gebrauchsgegenstände des menschlichen Lebens (auch der Tiere und Pflanzen) durch die ehemaligen Gewerkschaften und die ehemaligen Verwaltungen der Dörfer, der Gemeinden, Städte und Regionen. "Die" Arbeit selbst wird damit zwar zur Wissenschaft, die Kultur zur politischen Sphäre und die Wirtschaft zur Anwendung von Technik (computergesteuerter vollautomatisierter Maschinerie).

Das könnte heute alles schon möglich sein, ist aber nicht im Interesse der Herrschenden, und wird deshalb von ihnen wie von den Beherrschten nicht verwirklicht. Dazu bedarf es 1. der Bewusstseinsveränderung, 2. einer Krise und 3. einer Gegenmacht. Diese dialektisch miteinander vermittelten Dinge herbeizuführen ist deshalb die Aufgabe des nächsten Jahrzehnts.

Walter G. Neumann