Eindrücke aus Kiew „Slava Deutschland“

Politik

Wir sind ja erst seit ein paar wenigen Stunden hier, aber soviel trauen wir uns jetzt schon zu sagen: Wer behauptet, dass die Rechte – ob parlamentarisch (Swoboda) oder ausserparlamentarisch (rechter Sektor) – hier keine zentrale Rolle spielt, lügt.

Proteste am 22. Januar 2014 in der Hrushevskyi-Strasse in Kiev.
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Proteste am 22. Januar 2014 in der Hrushevskyi-Strasse in Kiev. Foto: Amakuha (CC BY-SA 3.0 unported - cropped)

25. Februar 2014
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Schon die Taxifahrt ins Hotel gestaltet sich, zumindest für den Fahrer, nervenaufreibend. Zweimal wird er an Strassensperren von Vermummten mit Knüppeln angehalten, die seinen Wagen durchsuchen. Angekommen im Zentrum der Millionenmetropole fühlt man sich, als wäre man in einem Heerlager. Barris, noch grösser als vor einem halben Jahr am Taksim, hunderte Männer in soldatischer Kleidung mit Sturmmasken, Helmen und Waffen, einige eroberte Wasserwerfer, und sogar Panzer. Bullen gibt es keine mehr, zumindest sieht man nirgendwo welche. An und für sich eine angenehme und schöne Sache, wäre da nicht die ideologische Ausrichtung der Proteste.

Denn Faschismus ist hier kein politisches Projekt einer kleinen versoffenen Minderheit wie in der ostdeutschen Einöde. Die rechten Kräfte sind die präsenteste Kraft. Wie die Mehrheit der Bevölkerung – egal ob Opposition oder Regierungslager – denkt, darüber können wir noch nicht urteilen. Aber was die Sichtbarkeit hier im Zentrum Kiews angeht, ist hier wenig Interpretationsspielraum. Noch öfter als die Nationalfahne mit diversen Aufschriften wie „Ehre der Ukraine“ oder „Swoboda“ ist die schwarz-rote Fahne der Ukrainischen Aufständischen Armee, die im Zweiten Weltkrieg Zehntausende Juden, Polen und Kommunisten ermordete. Runen, Keltenkreuze, Bilder des Nazi-Kollaborateurs Stepan Bandera.

Meine zweite Zufallsbekanntschaft in der Stadt lässt sich so beschreiben: Ich steh da, will ein Foto machen, ärger mich, weil die Einstellungen nicht passen. Ein Typ um die 50 sieht das, kommt her, und sagt irgendwas, das ich nicht verstehe. Ich sag ihm: Ich versteh dich nicht. Er drückt mir eine Knoblauch-Zehe in die Hand und will, dass ich die esse. Er war sympathisch, also esse ich den Knoblauch und versuch ihm auf Englisch und Deutsch zu sagen, dass ich ihn nicht verstehe. Irgendwann fällt das Wort „Deutschland“. Er wird hellhörig, setzt die Mütze ab und zeigt mir seine erstklassige Hitler-Frisur. Er sagt „Slava Deutschland“ und präsentiert stolz eine Halskette aus 5 Hakenkreuzchen.

Viele Menschen sehen hier im „Rechten Sektor“ eine Art ausserparlamentarischer Kontrollinstanz. Vertrauen haben sie – natürlich nicht – in Janukowitsch und die Partei der Regionen, aber auch kaum in die westliche „demokratische“ Opposition. Sie hoffen, dass die Rechten von ausserhalb des Parlaments Druck ausüben, damit – egal, wer an die Macht kommt – nicht gegen die „Interessen des Volkes“ handelt. Da zu erwarten ist, dass – angesichts der ökonomischen Situation – jede Regierung, die an die Macht kommt, durch die Aufnahme von Krediten der USA, der EU und des IWF gezwungen sein wird, extreme Verschlechterungen für die Bevölkerung hier durchzusetzen (die Austeritätsprogramme sind schon fertig geschrieben), stehen den Faschisten goldene Zeiten bevor. Sie werden sich als Retter in der Not präsentieren können, wenn die nächste Regierung den hier üblichen Weg aus Selbstbereicherung, Korruption und Unterordnung des Landes unter den Westen oder Russland fortsetzt.

Lower Class Magazin