Eine dokumentarische Annäherung Petra Roth: Die Frankfurt-Chefin

Politik

Über Petra Roth wurde in den letzten Wochen viel geschrieben. Seit sie im November 2011 ihren vorzeitigen Abschied vom Amt der Oberbürgermeisterin von Frankfurt am Main verkündete.

Petra Roth und Michael Gorbatschow im Oktober 2010 auf dem Paulsplatz.
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Petra Roth und Michael Gorbatschow im Oktober 2010 auf dem Paulsplatz. Foto: Dontworry (CC BY-SA 3.0 unported)

20. Juni 2012
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Seit die Neuwahl zum Oberbürgermeister stattfand, die als Überraschungssieger einen SPD-Mann brachte; was eine tiefe Enttäuschung für Frau Roth bedeutet haben dürfte, weil ihr Protegé, der Parteifreund und hessische Innenminister Boris Rhein, durchfiel. Seit von ihr am 11. Juni 2012 in der Paulskirche und in Anwesenheit der Bundeskanzlerin quälend-zeremoniell-feierlich Abschied genommen wurde.

Nach 17 Jahren Dienst an der Stadt, ein Jahr, bevor ihre dritte Amtszeit ausgelaufen wäre und sie ein viertes Mal nicht hätte antreten dürfen, trat sie ab. Die Hessische Gemeindeordnung sieht keine 68jährigen Menschen als hauptamtliche Bürgermeister vor. Was ich in Ordnung finde, auch wenn achtzig- bis neunzigjährige Welt- und Politikerklärer durchs Land laufen; ich glaube nicht an die Weisheit des Alters, nur weil es welche gibt, die alt genug geworden sind und noch zusammenhängend reden können. Ich weiss nicht, wie geläufig der Name der Ex-Oberbürgermeisterin von Frankfurt in der Republik ist. Als ich vor drei Jahren einen ersten Versuch unternahm, sie in einem 45minütigen Film zu porträtieren, erlebte ich, grob unterteilt, zwei Haltungen.

In meinem Frankfurter Umfeld mokierte sich mancher darüber, dass ausgerechnet der Mieder, der nicht gerade als Werbeträger der Schwarzen (mit ihren orangefarbenen Schals und Trikots) unterwegs ist, einen Film über eine CDU-Frau machen wollte. Meiner Entgegnung, dass es mir um ihre Persönlichkeit, um ihren Werdegang und um ihre Leistung ginge (worum sonst in einem Porträt?), wurde mit einiger Süffisanz und dieser muffigen, halbelitären Frankfurter Blasiertheit entgegnet: Was habe sie denn schon für Frankfurt geleistet!? Die gelernte Ärztehelferin! Die von Helmut Kohl und anderen lokalen CDU-Granden gestützte! Die mehr repräsentiere als regiere und der bei öffentlichen Auftritten manch Sprachschnitzer passiere! Und dergleichen mehr.

Berliner Freunde wiederum waren von dem Vorhaben angetan. Als Präsidentin des Städtetages (im Wechsel mit dem Münchener SPD-Oberbürgermeister Ude) war sie ihnen bekannt. Als stets chic gekleidete und äusserst gepflegte Politikerin machte sie bella figura. Dass die Roth seit über einem Dutzend Jahren der fünftgrössten Stadt Deutschlands vorstand, fanden sie mindestens bemerkenswert. In einer Gesellschaft, deren führende Männer gern von Frauen in führenden Positionen faseln, und diese, scheint mir, insgeheim fürchten. Dass Deutschland eher wie eine Burschenschaft funktioniert und nicht wie ein nach allen Seiten offenes, modernes und von Geschlechterklischees freies Land – ich finde es betrüblich, ja düster. Jedenfalls konnte ich den Film machen. Ich sprach mit einem Dutzend ihrer Freundinnen, Freunde, Weggefährten, Konkurrenten vor der Kamera; mit ebenso vielen redete ich out off the record.

Das Team begleitete sie bei einigen Terminen. Ich führte mit ihr ein zweistündiges Interview in ihrem im Bauhaus-Stil errichteten Heim am Rande der Stadt. Ich lernte ihre beiden Söhne kennen. Wir fuhren nach Bremen, wo damals noch die Mutter lebte (sie starb 92jährig im Jahre 2010). Kurz: Ich unternahm all das, was Mühsal und Freude des Filmers ausmachen.

Den Film halte ich nicht für ausserordentlich gelungen. Es ist zuviel an Stadt-Problematik hineingeraten. Insbesondere war es schade, dass kaum Platz blieb für die Urteile, Meinungen, Ansichten über Petra Roth. Sie liess mir nach Ausstrahlung des Films eine gesimste Nachricht zukommen. Sie habe sich zum Anschauen des Films mit ihren Söhnen getroffen, sei aufgeregt wie ein Schulmädchen vor einer Prüfung und schliesslich froh darüber gewesen, wie ich über sie erzählt hatte.

Hatte ich was falsch gemacht? Es gibt eine Menge Leute, ein paar kenne ich, die immerzu von "investigativem Journalismus" reden und meinen, derselbe müsse unbedingt aufdeckend, kritisch, gnadenlos sein. Ich stehe dem einigermassen hilflos gegenüber; um einen Menschen zu porträtieren, muss meines Erachtens auch "investigiert" werden und braucht es Empathie, ja – Sympathie? Mit Arschlöchern möchte ich nicht reden. Für Arschlöcher gibt es andere Genres als das Porträt? Grad eben, im Mai 2012, wurde ich gefragt, ob ich den Film aus aktuellem Anlass überarbeiten könnte.

Ich freute mich über das Angebot. Ich würde auf das ursprüngliche Interview-Material zurückgreifen. Ich würde allerhand damals, vor drei, vier Jahren Aktuelles ersatzlos streichen. Andererseits war selbstverständlich wichtiger, neuer Politkram angewachsen. Der Trouble um den Ausbau der Nordwestlandebahn; die Proteste gegen Fluglärm und Emission hatten Petra Roth, die überzeugte Befürworterin des Flughafens wie des Wirtschafts- und Finanzstandortes Frankfurt in die Bredouille gebracht. Die ehrgeizigen Bauprojekte der Stadt, Altstadtsanierung, Umbau von Häusern und Vierteln für eine "energetische Zukunft" (soll heissen: energiebewusstes, energiesparendes Bauen) strapazierten das Budget der reichen Kommune Frankfurt.

Die Roth würde, wenn sie geht, einen Schuldenberg hinterlassen; auch wenn sie während einer Wahlveranstaltung, auf der sie zusammen mit Boris Rhein auf einer Bühne in orangefarbenen Schürzen kochte, davon sprach, dass sie die Schulden Frankfurts von drei Milliarden auf zwei Milliarden Euro während ihrer Amtszeiten gesenkt habe. Das alles durfte in einem neuen Film nicht unausgesprochen bleiben. Ausserdem sollte der Film keine Hagiographie der Petra Roth werden. Dass ich dennoch eine Erfolgsgeschichte erzählen würde und mich demnach nicht mit den vielen, kaum verifizierbaren Klischees, Anwürfen und Kritikastereien befassen wollte – das wurde allerseits akzeptiert; zumindest hörte ich nichts anderes.

Der Film entstand unter Zeitdruck, er musste binnen einer Woche fertig werden, er wurde binnen einer Woche fertig und enthält sehr viele Aussagen über Petra Roth. Der 2011 verstorbene Verkehrsdezernent Lutz Sikorski, die Bürgermeisterin Jutta Ebeling, die Freundin Alexandra Prinzessin von Hannover, der langjährige Geschäftsführer des FSV Frankfurt, Bernd Reisig, die einstige Grünen-Politikerin Margarethe Nimsch, die einstige Kulturdezernentin Linda Reisch, der SPD-Fraktionsvorsitzende im Römer, Klaus Oesterling – sie alle haben Worte des Respekts, nicht unbedingt Worte einer einhelligen Sympathie, doch die Leistung der Petra Roth steht ausser Frage. Vor ein paar Tagen blätterte ich in meinem Tagebuch, das den ersten Film begleitete. Zwei Eintragungen, die den Beginn einer Arbeitsfreundschaft vielleicht beschreiben, schenke ich aus:

19.12.2006

Im Januar 2007 wird der nächste Oberbürgermeister von Frankfurt gewählt. Er wird wohl wieder eine Oberbürgermeisterin sein; die Chancen stehen gut für Petra Roth. – Internationales Frankfurter Pressezentrum. Während auf dem Römer der Weihnachtsmarkt tost, lauschen die medialen Gäste der Oberbürgermeisterin. – Ich bin gekommen, um ein Gespür für die Frau zu bekommen. – Sie gefällt mir. Sie ist schnoddrig. Sie geniert sich nicht, sich ein bisschen zu fläzen, sie gibt die Bodenständige, die sie wahrscheinlich ist. Sie gebraucht Fremdwörter richtig. Auch die lateinischen Termini (etwa primus inter pares oder conditio sine qua non).

Ihre Kritiker, die gern Anekdoten erzählen, wie falsch die R. Fremdwörter gebraucht und wie holprig ihr Reden sei, werden auch jetzt wieder einwenden: Das kann man sich anlesen, einprägen, gegebenenfalls unters gelehrte Volk streuen. Ach, ihre Kritiker. Ich meine, eine Ahnung zu bekommen, warum sie zu Frau Roth auf Distanz gehen. Sie ist kühl und sachlich. Sie ist sehr bestimmt. Sie hält selbst auf Distanz. Sie ist ganz klar der Meinung, dass eine Stadt wie Frankfurt auch wie ein Konzern geführt werden müsse. Die Stadt ist an 200 Unternehmungen beteiligt, hat ihr Geld in 200 Unternehmen. Frau Roth ist ganz klar für den Flughafenausbau, da gibt's bei ihr kein Vertun.

Auch das gefällt mir und missfällt eventuell den sentimentalen Linken, die ihren 60er Jahren nachtrauern und sich gern am Pflasterstand sonnen: Sie hat ein paar Pflöcke, die sie einschlägt, von denen sie nicht lässt. Ausserdem macht sie sich nichts daraus, mal nach Wörtern zu suchen oder sich ans Publikum zu wenden mit einer Frage, auf die sie keine Antwort weiss: Wissen Sie das, weiss das jemand von Ihnen? Und als sie über Museen spricht, sucht sie… "wie heisst das… die Reservoirs von Museen?" "Magazine" hilft der Leiter des Pressezentrums aus. "Magazine, danke."

Das ist ein ziemlich authentisches Verhalten, das – meine ich – von den hochstilisierten Ironikern in meinem Umfeld nicht gemocht werden kann. Das wirkt irgendwie – unsouverän; dabei ist es genau das Gegenteil: es ist Souveränität. Souveränität zeigt sich nicht im ständigen Geistreicheln, immer eine Antwort parat zu haben, immer eine schnittige, möglichst ironische Wendung parat zu haben. Souveränität ist für mich eher, selbstbewusst aufzutreten und ungeniert zuzugeben, etwas nicht zu wissen. – Nach der Veranstaltung trinkt sie ein Glas Sekt. Ich betrachte sie aus der Nähe. Sie hat eine dicke Schicht Makeup aufgetragen. Das ist auch souverän: Denn sie ist in ihrer Rolle wohl auch eine Schauspielerin, und – sie ist eine Frau, die sich um ihr Äusseres kümmert. Das habe ich auch in den vielen, vielen TV-Schnipseln mitgekriegt: Sie legt wert auf ihr Äusseres. Sie dürfte wissen, dass es enorm wichtig für eine Frau ist, etwas darzustellen. Ist nun mal so.

Einem Manne in einer gewissen Position sähe man vermutlich eine gewisse Schlampigkeit nach. Dreitagebärte, ein Bäuchlein, ja es ginge als Originalität durch … Da waltet bei Frau Roth vielleicht zweierlei: die Selbstdisziplin und die Selbstachtung der Norddeutschen und die Erfahrung als Frau, die mit den Jahren immer öffentlicher wurde und zugleich verstand, ihr Privates zu schützen. Auch, indem frau sich stylt und nicht auf die Kumpeline von nebenan macht. – Mir ist auch sympathisch, dass sie (und auch das gefällt schon wegen der Wortwahl meinen linksgrünen Kameraden sicher nicht) von einem Zuhause spricht, von Heimat und von einer Seele der Stadt. Sie möchte nämlich, wenn sie 2013 abtritt, dass Frankfurt wieder ein Herz hat. Sie will, dass die Altstadt historisierend aufgebaut wird. Von den insgesamt 60 Häusern, die die Altstadt bildeten, sollen 30 wieder errichtet werden.

Nicht nachgebaut, aber zumindest in den Fassaden dem alten ähnlich. Wie in Dresden. Wie in Leipzig. Das ist doch eine Vision?! – Und natürlich gefällt diese soziale Aufsteigerin, diese Quereinsteigerin schon deshalb den linken Freunden nicht, weil sie ein parvenuhaftes Verhältnis mit der Geistesdynastie haben, der sie selbstverständlich anzugehören meinen. Eine Zahnarzthelferin wird Oberbürgermeisterin einer der grossen Städte Deutschlands! Na Hilfe. Meine linken Freunde wissen gar nicht, wie elitär, wie konservativ, wie bildungspolitisch ruckständig sie sind. – Ich stehe nach der Veranstaltung mit dem HR-Reporter F., dem Chef des Presseclubs und dem neuen Büroleiter von Petra Roth, ein Herr H., zusammen. Ich bin in den Kreis der Erlauchten gerückt, weil ich jüngst einen Medienpreis erhalten habe.

Allerdings verstehe ich vom Small Talk zwischen Reporter, Funktionär und Verwaltungsmenschen wenig. Es ist sehr intern. Es wird jede Anspielung verstanden. Ich verstehe mitunter nicht mal die Frage. Als ich mich verabschiede und noch mal sage, dass man sich vielleicht sehen wird. Eines Filmes über Petra Roth wegen, sagt der Büroleiter mit professionellem Lächeln und etwas süffisant, dass ich nicht der einzige sei, der so was vorhat. "Mag sein, sage ich, aber ich bin der fähigste!" Ein bisschen auf die Kacke hauen … – Sie spricht auch über die schwarz-grüne Koalition im Römer. In Frankfurt ist etwas geschehen, was in viel mehr deutschen Städten schon Gang und Gäbe sei: dass Grün und Schwarz zusammenarbeiten. In Sachfragen. Das habe es, meint Frau Roth, übrigens früher auch schon gegeben.

Bis die 68er kamen und das Kommunalpolitische politisiert haben, ideologisiert. - Ich habe mittlerweile an den 68ern einen solchen Narren gefressen, dass mir jeder Schuss in ihre Richtung wohltut. Das werde ich meinen linken Brüdern aufs Brot schmieren: dass sie mit ihrer Ideologisierung gesellschaftlichen Fortschritt oder wenigstens kooperative Formen, beschädigt, unmöglich, mindestens aber verzögert haben. - Nun vergesse ich, dass die Roth eine Parteipolitikerin ist. Aber ich glaube ganz sicher, dass es bei kommunalpolitischen Entscheidungen ziemlich wurscht ist, welches Parteibuch man hat. Dass auch ein Magistrat, dass ein Stadtparlament "grosse Politik" spielt und sich jedes Pillepalle um die Ohren haut als ginge es um das Schicksal Deutschlands – das muss wohl so sein.

Ansonsten hätte etwa ökologisches Verständnis längst in der CDU sich breit gemacht, wie sich andererseits auch die Grünen in Richtung einer marktwirtschaftlichen Zwanghaftigkeit bewegt hätten. Etwa ist es ja auch kurios, dass einerseits die TICUNA aus der Einflugschneise des geplanten Ausbaus des Flughafens entfernen wird, gleichzeitig hätten sich zig Unternehmen gemeldet, die genau an diesem Standort tätig werden wollen. Weil: Die Nähe des Flughafens ist es gerade, die einen Standort aufwertet. Jedenfalls, wenn man in die Welt möchte. So dass wiederum Frankfurt als Stadt einen Vorteil hat: nebbich bekommt sie Gewerbesteuern. TICUNA zu verlieren, heisst möglicherweise mehrere Firmen zu gewinnen. – Da ist sie wieder: die nüchterne Rechnerin. Es ist quasi das dritte Mal, dass ich Frau Roth näher erlebe. Anziehend.

16/1/07

Gestern Abend: dieses Bild. Frau Roth steigt vom Feuerwehrboot. Sie geht in Begleitung eines eitlen Fatzkes von der FAZ, der sich rasch verabschiedet, über die Strasse zum Römer. Über den Platz vor dem Rathaus. Sie trägt einen knielangen Mantel, und in der Hand schlenkert die Tasche. Da läuft eine Frau in den, nun ja, schon gewordenen Jahren, unerkannt, schlicht, da läuft das Stadtoberhaupt – und es verschwindet im hell erleuchteten Eingang des Römers. – Eine bizarre Szene möchte ich behalten. Das Schiff schipperte etwa anderthalb Stunden lang den Main hinauf und hinunter. Der Dezernent Schwarz (ich hatte ihn zwei Jahre zuvor für den Grossmarkthallenfilm interviewt) erklärt den anwesenden Medienheinis die Stadt. Mittendrin steht die Roth auf und holt sich einen weissen, schmutzigen Plastikaschenbecher. Sie will rauchen.

Sie zieht ein Etui heraus und bietet Zigaretten an. Niemand nimmt eine Zigarette an. Es sind ausser ihr ungefähr acht, neun Männer im Raum unter Deck – niemand nimmt eine Zigarette, niemand raucht. – Später frage ich mich, ob ich eine Zigarette hätte nehmen sollen, obwohl ich seit zig Jahren Nichtraucher bin. Ich wäre gern in dem Augenblick derjenige gewesen, der zusammen mit ihr eine Zigarette raucht. Blöd. Aber. – Und dann schaute ich ihr nach, wie sie das Schiff verliess, wie sie allein den kurzen Weg über den Römerberg ging. Zu ihrem Büro? Zu ihrem Dienstmercedes? Eine müde Hausfrau?

Eckhard Mieder