Wie internationale Konzerne afrikanische Länder als Müllkippe nutzen Giftmüll, Öl, Elektroschrott

Politik

Giftmüll verpestet Wohngebiete und Schulwege, verätzt Haut und Lungen. Rohöl und Elektroschrott töten alles Leben und nehmen den Menschen ihre Lebensgrundlage. Mehr als 30 Millionen Menschen in verschiedenen Staaten Afrikas haben eine um 10 Jahre verkürzte Lebensdauer.

Fischer in einer Lagune vor Abidjan, Elfenbeinküste.
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Fischer in einer Lagune vor Abidjan, Elfenbeinküste. Foto: ivoire8 (CC BY-SA 3.0 unported - cropped)

25. März 2016
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Wenn internationale Konzerne Giftmüll in der Elfenbeinküste abladen, weil ihnen die Entsorgungsgebühren in Europa zu hoch sind, wenn Öl-Unternehmen das Niger-Delta verpesten und das Trinkwasser im Südsudan verseuchen und wenn der westliche Elektroschrott nach Ghana exportiert wird, zeigt sich die dreckige, die oft tödliche Seite der Globalisierung. Doch damit nicht genug. Meist kommen die involvierten Firmen mit minimalen Strafen davon. Und während die lokale Bevölkerung an verpesteter Umwelt leidet, streichen die Konzerne Milliarden-Profite ein. Dabei sorgen weder die Heimatländer der Konzerne für eine (juristische) Aufklärung, noch interessieren sich die Regierungen der geschädigten Länder für das Leid ihrer Bevölkerung.

Der Fall Trafigura: 17 Tote, 30.000 Verletzte, um 500.000 Euro zu sparen

Kein Hollywood-Studio würde diesen Stoff annehmen, so haarsträubend und surreal klingt die Umweltverschmutzung, die der niederländische Rohstoff-Händler Trafigura in der Elfenbeinküste verursacht hat.

Im Jahr 2006 entlädt das für Trafigura fahrende Schiff Probo Koala 500 Tonnen einer mit Chemikalien durchsetzten Substanz im Hafen Amsterdams. Doch die HafenarbeiterInnen bemerken schnell einen stark fauligen Gestank. Einigen wird übel, andere bekommen Kopfschmerzen. Nach einer Analyse der Substanz wird deutlich: Es handelt sich um Giftmüll, der einer speziellen Entsorgung bedarf. Doch anstatt eine Gebühr von 500.000 Euro zu zahlen, nimmt die Probo Koala den Giftmüll wieder auf und setzt Kurs auf die Elfenbeinküste.

Während sich die Probo Koala mit ihrer giftigen Fracht auf dem Weg an die Elfenbeinküste befindet, wird dort eine Firma namens „Compagnie Tommy“ gegründet. Diese „Compagnie“, ganz offensichtlich eine Scheinfirma, erklärt sich bereit, den Giftmüll für knapp 15.000 Euro zu „entsorgen“. Doch es findet keine fachgerechte Entsorgung statt. Stattdessen wird das giftige Material illegal an 12 Stellen um und in der Hauptstadt der Elfenbeinküste auf Brachland, auf öffentlichen Müllkippen, teilweise sogar einfach entlang von Strassen in dicht besiedelten Gebieten abgeladen. Die traurigen Folgen dieses Umweltverbrechens lassen nicht lange auf sich warten: 17 Menschen sterben in den kommenden Wochen durch giftige Dämpfe. 30.000 Menschen klagen über Kopfschmerzen und ernsten Verätzungen an Haut und Lunge, 100.000 lassen sich medizinisch behandeln.

Freigekauft in der Elfenbeinküste …

Die Gefährdung von Menschenleben, die dubiose Gründung der „Compagnie Tommy“ und die Verteilung des Giftmülls auf 12 Stellen einer afrikanischen Hauptstadt sind jedoch nicht die einzigen traurigen Höhepunkte dieser Geschichte. Auch die juristische Aufklärung der illegalen Giftmüll-Entsorgung ist ein Skandal für sich allein. Nicht nur kauft sich Trafigura in der Folge in der Elfenbeinküste frei, auch in Grossbritannien und in den Niederlanden war es vor ernsthafter juristischer Verfolgung sicher.

In der Elfenbeinlüste lässt die dortige Regierung zwar recht schnell nach dem Unglück zwei Manager Trafiguras verhaften und behält sie auch trotz des Drängens des Konzerns zunächst in Gewahrsam. Doch der ivorischen Regierung ist nicht an einer Aufklärung des Skandals gelegen. Stattdessen werden die Manager nur als Faustpfand benutzt, um eine Entschädigungszahlung des Konzerns zu erpressen. Im Frühjahr 2007 lenkt der Konzern schliesslich ein und zahlt 198 Millionen US-Dollar an die ivorische Regierung, um die Umwelt vom Giftmüll zu bereinigen.

Kurz nachdem Trafigura sich bereit erklärt, diese Summe zu überweisen, werden die beiden Manager freigelassen. So hoch die Entschädigungssumme zunächst klingen mag, Trafigura kann sie aus der Portokasse zahlen. Im Jahr 2015 macht das Unternehmen einen Netto-Gewinn von 1,1 Milliarden US-Dollar und zahlt seinen 600 höchsten Managern Bonuszahlungen von 775 Millionen US-Dollar. Während eine kleine Klasse von Managern Millionensummen einstreichen, haben zig tausende Menschen an den Umweltverbrechen ihres Konzerns zu leiden.

Und damit nicht genug: Die ivorische Regierung sichert Trafigura zudem zu, von einer strafrechtlichen Verfolgung des Konzerns abzusehen. Zudem gibt es Anhaltspunkte dafür, dass die ivorische Regierung Kompensationen nicht an die Opfer der Giftmüll-Entsorgung ausgezahlt hat. Die Korruption in der Elfenbeinküste führt also dazu, dass die Schuldigen sich freikaufen, während die Opfer auf ihre Entschädigung warten.

… sicher vor ernsthafter juristischer Verfolgung in Grossbritannien und den Niederlanden

Doch nur nicht die Regierung der Elfenbeinküste lässt Trafigura gewähren. Auch die Rechtssysteme Grossbritanniens und der Niederlande haben dem Treiben Trafiguras wenig entgegen zu setzen. Stattdessen hilft ein britisches Gericht sogar dabei, die Berichterstattung über den Fall zu erschweren!

Englische Gerichte helfen Konzernen seit den 2000er Jahren immer häufiger, illegale Machenschaften vor der Öffentlichkeit zu verstecken. Auf Bestreben der angeklagten Unternehmen verfügen die Gerichte, dass Medien nicht über den Stand der Ermittlungen und Verfahren berichten dürfen, solange es nicht zu einem Richterspruch kommt. Der britische Staat schafft somit Möglichkeiten, um fragwürdige Unternehmenspraktiken im Geheimen zu belassen.

Trafigura erreicht dabei sogar eine sogenannte Super-Verfügung (super-injunction). Dadurch ist es beispielsweise dem englischen Guardian nicht nur untersagt, den Inhalt der Anklage wiederzugeben, sondern es ist Medien sogar verboten, überhaupt über die Existenz einer solchen Anklage zu berichten. Im Falle Trafiguras reicht diese Verfügung sogar so weit, dass der Guardian noch nicht einmal über eine Parlaments-Debatte über den Trafigura-Fall berichten darf. Als der Eindruck entsteht, die Freiheit der Presse und das Recht der Bevölkerung, über Parlamentsdebatten unterrichtet zu werden, wären weniger wert, als die Geheimhaltung unternehmerischen Handelns, wird die Super-Verfügung schliesslich aufgehoben.

Ende 2006 reichen über 30.000 geschädigte Ivorer in London eine Sammelklage gegen Trafigura ein. Das Unternehmen kontert mit einer Verleumdungsklage gegen einen der Anwälte der Gegenseite. Nach knapp drei Jahren werden beide Anklagen fallengelassen. Es kommt zu einer aussergerichtlichen Einigung. Obwohl Trafigura weiter jede Verbindung zwischen der Umweltverschmutzung und den Krankheiten und Todesfällen verleugnet, ist es bereit, jedem der über 30.000 Ivorer eine Summe von 1.546 US-Dollar zu zahlen. Erst im Jahr 2010 wird Trafigura schliesslich das erste Mal in einem Gerichtsverfahren schuldig gesprochen. Das höchste Gericht der Niederlande befinden das Unternehmen schuldig, giftigen Müll durch Amsterdam transportiert zu haben und verurteilt Trafigura zur Zahlung von 1 Millionen Euro. Ende 2012 stimmen die niederländischen Behörden zu, die Anklage gegen Trafiguras Vorstandsvorsitzenden gegen die Zahlung einer Geldstrafe in Höhe von 67.000 Euro fallen zu lassen.

Britisches Umweltamt räumt fehlende Expertise ein, um im Trafigura-Fall zu ermitteln

Während die Gerichte die Berichterstattung über solche Umweltverbrechen erschweren, geben britische Behörden offen zu, dass Ihnen sowohl die Expertise als auch die Mittel fehlen, um Trafiguras Machenschaften in der Elfenbeinküste aufzuklären. Das britische Umweltamt räumt in einem Bericht ein, dass es sich in einer „finanziellen Drucksituation“ (1) befände. Dem Amt zufolge würde Trafigura alle juristische Schritte unternehmen, um eine Untersuchung des Falls zu verhindern, was die Kosten für das Umweltamt in die Höhe treibe. Das Amt schlussfolgert: „die Kosten-Nutzen-Bilanz spricht entschieden gegen die Durchführung einer Untersuchung“ des Trafigura-Falls.

Eine Rechtsprechung, die nach Kosten-Nutzen-Kalkül ermessen wird, hat wenig mit einem Rechtsstaat und der Gleichheit vor dem Gesetz zu tun. Vor allem, da Milliarden-Konzerne viel eher Druck auf öffentliche Stellen ausüben können, indem sie Gerichtsverfahren verschleppen und somit verteuern, als es kleinere Unternehmen oder Privatleute können. Die Gleichheit vor dem Gesetz ist also in Gefahr, wenn Unternehmen zu gross und zu reich sein können, um strafrechtlich verfolgt zu werden (2). Die fehlende Expertise und die fehlenden Mittel staatlicher Stellen sind ein Armutszeugnis für den britischen Staat und signalisieren internationalen Konzernen, dass sie auch in Zukunft wenig zu befürchten haben (3).

Nico Beckert
zebralogs.wordpress.com