Subversive Beats und kopierte Spirits Die Goa-Party-Kultur

Kultur

Wenn eine Goa-Party ihren Höhepunkt erlangt, wird die Location im Idealfall zu einem Energiefeld, das zwar nicht sichtbar, aber dennoch sinnlich für alle spürbar ist. Die Körper bewegen sich unbeschwert, während sich die Wahrnehmung völlig auf den Moment konzentriert.

Goa Outdoor Party auf der Jurakette in der Schweiz.
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Goa Outdoor Party auf der Jurakette in der Schweiz. Foto: Mike Lehmann (CC BY-SA 3.0 unported - cropped)Mike Lehmann (CC BY-SA 3.0 unported - cropped)

7. September 2011
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Im Innern der Tanzenden breitet sich eine positive Leere aus, die nur durch den Rhythmus ausgefüllt wird. Überall wird ekstatisch getanzt, die Grenzen zwischen dem Dancefloor und den übrigen Bereichen verschwinden.

An diesem Punkt gleichen die Events grossen Trance-Ritualen. Das stundenlange Tanzen zur monotonen Rhythmik der Musik zum Teil in Verbindung mit dem Gebrauch psychoaktiver Substanzen ermöglicht den bewusstseinsverändernden Übergang in einen tranceartigen Zustand. Dabei werden im Körper Endorphine freigesetzt, die ein euphorisches Gefühl auslösen. Es wird möglich loszulassen, innere Blockaden zu lösen und in einen Flow zu gelangen.

Derartige Partys stehen in einer Traditionslinie, die von schamanischen Trommel-Ritualen über die geheimen dionysischen Feste und die Sabbate der Hexen bis zu einigen Underground-Kulturen der Gegenwart reicht. Für Aussenstehende sind diese Erfahrungen jedoch kaum nachvollziehbar. Wenn sich nach einer trancehafen Nacht am Sonntagnachmittag die Wege von SpaziergängerInnen und Party-Freaks kreuzen, gleicht dies der Begegnung zweier gegensätzlicher Welten, deren Unterschiedlichkeit allerdings oftmals im nächsten Schnellimbiss schon wieder aufgehoben wird.

Ausbruch und Flucht

In einer Gesellschaft, die auf Kontrolle und Rationalität basiert, kann eine Trance-Nacht zu einer Politik des Körpers werden. Wenn sich diese Erfahrung jedoch nur auf einen kurzen Moment des subjektiven Ausbruchs aus den Strukturen des Alltags beschränkt, dann ist der Übergang zur Flucht fliessend.

Wesentlich ist es vielmehr, sich mit den persönlichen Erfahrungen auseinanderzusetzen und diese auch in einen gesellschaftlichen Kontext zu stellen. Dadurch wird schnell deutlich, dass die eigenen Erfahrungen keine Zufallsprodukte sind, sondern im Kern eine Folge bestimmter Lebensverhältnisse und sozialer Strukturen.

Die bestehenden Gesellschaftssysteme benötigen einen blockierten Menschen, der widerspruchslos funktioniert und unablässig nach Erfolg strebt, auch wenn er sich im Grunde nach nichts mehr sehnt, als in den inneren und äusseren Flow zu gelangen. Weit über kurzzeitig befreiende, transzendente Erfahrungen hinausgehend ist es deshalb notwendig, blockierende persönliche und soziale Strukturen aufzubrechen.

Party-Politik

Wie in vielen anderen Underground-Szenen kam gerade in der Anfangszeit der Goa- bzw. Psychedelic-Trance-Szene unterschwellig die Sehnsucht nach einem Leben fernab der bürgerlichen Vorgaben zum Ausdruck. Werte wie Selbstbestimmung und Gemeinschaftlichkeit, sowie nicht zuletzt das Ideal einer lustvollen, kreativen Entfaltung im Sinne des Do-it-Yourself-Prinzips spielten dabei eine besondere Rolle.

Wenn Menschen zu einer Party zusammenkommen, um gemeinschaftlich feiernd aus den Fesseln des Alltags auszubrechen, dann kann im Idealfall für einige Stunden ein soziokultureller Freiraum bzw. eine "Temporäre Autonome Zone" entstehen. Der politische Charakter wird dabei nicht unbedingt durch Transparente oder Flugblätter bestimmt.

Vielmehr gehört zu den Party-Politics beispielsweise die Frage, ob die Gäste eher gemeinschaftlich oder egozentrisch miteinander umgehen. Politisch ist die Frage, ob nur Männer auf der Bühne stehen oder sich Frauen als Künstlerinnen gleichberechtigt einbringen können. Ebenso politisch ist die Frage, ob eine einzelne Person an einem Event verdient oder es einer Gruppe hauptsächlich um eine gute Party geht. Auch das Verhältnis zur Natur bei einem Open-Air ist in einem politischen Kontext zu sehen. Und nicht zuletzt sind insbesondere Partys politisch, mit denen sich bewusst den Vorgaben von Kontrolle, Kommerz und Konsum widersetzt wird.

Psychedelic Illusions

Die Reclaim-the-Streets-Aktionen zeigen nachdrücklich, dass es möglich ist, Politik und Party auch in einem enger definierten Verständnis sinnvoll miteinander zu verknüpfen. Projekte aus der Goa-Kultur nehmen allerdings nur selten an derartigen Aktionen teil. Ohnehin sind direkte politische Botschaften oder auch ein ganzheitliches Verständnis, das über Klischees hinausgeht, kaum zu finden.

Eine Ausnahme bilden die visionären Cybertribe-Konzepte, die an einer Verbindung von gemeinschaftlichen Lebensformen, kreativer Entfaltung und politischen Engagement ausgerichtet sind. Allerdings ist auch hier eine Entpolitisierung zugunsten einer verschleiernden spirituellen oder einer unreflektierten psychedelischen Haltung deutlich zu erkennen.

Ganz im Sinne der vorherrschenden Spass-Gesellschaft sind die meisten Goa-Freaks auf den Partys schon zufrieden, wenn der DJ gut auflegt, die Drogen endlich wirken und sie ansonsten nicht von tiefer greifenden Fragen gestört werden. Die Party am Wochenende wird so zu einer Insel, auf der scheinbar alles anders ist. Doch spätestes wenn sich der DJ wieder auf einem Ego-Trip befindet, die hohen Getränkepreise das persönliche Party-Budget übersteigen oder es zu einer Drogenrazzia kommt, wird deutlich, dass jede Insel von einem Meer umgeben ist.
Goa Outdoor Party auf der Jurakette in der Schweiz.

Bild: Goa Outdoor Party, Grenchenberg, Schweiz. / Mike Lehmann (CC BY-SA 3.0 unported - cropped)

Im Zusammenhang mit den zumeist schwammigen Beschreibungen eines Techno-Schamanismus wird zum Teil davon gesprochen, dass die Intensität einer massenhaften Trance-Erfahrung auf den Festivals positive Energien freisetzt. Dem Verständnis zufolge führen diese dann zu einem persönlichen Bewusstseinswandel, der sich in einem subtilen Prozess langfristig auch gesamtgesellschaftlich auswirken wird.

Ähnliche Positionen wurden in der Anfangszeit der Techno-Kultur vertreten, als die Hoffnung bestand, dass die ursprünglichen Ideale "Peace, Love, Unity, Respect" die Gesellschaft von Innen heraus in einem fliessenden Prozess verändern werden. Tatsächlich sind vergleichbare Ansätze im Zuge der Kommerzialisierung und der unterschwelligen Vereinnahmung wirkungslos geblieben. Dem kapitalistischen System gelingt es beständig selbst seine Antithesen zu vermarkten, wie sich unter anderem schon an der Hippie- oder der Punk-Kultur deutlich zeigte.

Das Om und die Bierdose

Vielfach ist die Goa- bzw. Psy-Trance-Kultur von einer klischeehaften Darstellung Indiens geprägt. So bildete lange Zeit die Darstellung hinduistischer Gottheiten das hervorstechende Merkmal vieler Party-Flyer und Dekorationen. Dabei blieb aus Unkenntnis oder Ignoranz unbeachtet, dass diese geradezu als Markenzeichen genutzten Figuren mit ihren Symbolen zum Teil für das äusserst repressive Kastensystem und für die Diskriminierung von Frauen stehen.

Aus der Innensicht der Szene heraus besteht bis in die Gegenwart oftmals ein Selbstverständnis, das sich in Bezug auf Offenheit, Tiefe und Kreativität von anderen Musikszenen bzw. von der bürgerlichen Gesellschaft abgrenzt. Dies trifft zweifellos auf verschiedene Bereiche zu. Gleichzeitig lassen sich allerdings viele Strukturen erkennen, die sich nicht von anderen Szenen unterscheiden. Charakteristisch ist die Stilisierung der DJs zu Szene-Stars oder die trendige Vereinheitlichung von Party-Namen, Tanzstilen und Kleidungsstücken. Auch der Gebrauch von psychedelischen Substanzen ist inzwischen oftmals von einer Konsumhaltung geprägt. Ohnehin teilen sich wie in anderen Szenen längst die eher dumpfe Spassdroge Bier und das aufputschende Speed die Rolle der prägenden Substanz.

Entgegen der ursprünglichen Ideale geht es in der Psy-Trance-Szene zumeist nicht mehr darum, eine andere Welt zu entwickeln, sondern nur noch um die kurzzeitige Flucht aus den bestehenden Strukturen. Wenn morgens über dem Dancefloor die Sonne aufgeht und die meisten Goa-Freaks trancehaft in der Musik versunken sind, dann liegen längst die zerknüllten Flyer mit dem psychedelisch-bunten Om zwischen unzähligen Bierdosen. Doch wer schaut schon nach unten, wenn der DJ sich feiern lässt.

Wolfgang Sterneck