Munch Existenzielle Gefühle

Kultur

„Munch“ erzählt vom Leben des norwegischen Malers in einer erfrischend kreativen Bildsprache, die sich dem gängigen Biopic verweigert.

Edward Munch im Garten der Villa des Dr. Max Linde, Lübeck (Deutschland) 1902.
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Edward Munch im Garten der Villa des Dr. Max Linde, Lübeck (Deutschland) 1902. Foto: Max Linde (PD)

27. März 2024
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Der norwegische Regisseur Henrik M. Dahlsbakken übersetzt damit den inneren Kern von Edvard Munchs Werk in ein filmisches Äquivalent.

Wer war Edvard Munch (1863 bis 1944), der berühmteste norwegische Maler, von dem fast alle das expressionistische Gemälde „Der Schrei“ kennen? Sein Landsmann Henrik M. Dahlsbakken gibt die filmische Antwort nicht in einem typischen Biopic, sondern in vier ineinander verschachtelten Episoden. Als 21-Jähriger verliebt sich der angehende Künstler (Alfred Ekker Strande) unglücklich in die verheiratete Milly Thaulow (Thea Lambrechts Vaulen). Mit 29 (nun dargestellt von Mattis Herman Nyquist) erlebt er eine katastrophale Niederlage, als seine Ausstellung in Berlin kurz nach der gefeierten Eröffnung geschlossen wird und ihm konservative Kreise vorwerfen, seine Bilder seien „unfertig“.

Als 45-jähriger (Ola G. Furuseth), nun künstlerisch längst etabliert, gerät er in eine tiefe Lebenskrise und lässt sich von dem Psychiater Dr. Jacobsen (Jesper Christensen) helfen. Als 80-Jähriger (Anne Krigsvoll) schliesslich rettet er im besetzten Oslo seine Bilder vor den Nazis. Die Stationen eines oft zerrissenen Künstlerlebens verwebt Regisseur Dahlsbakken zu bewegenden Impressionen zwischen Fantasie und Wahnsinn, die tief hinter die Fassade der äusserlich beschreibbaren Lebenswirklichkeit blicken lassen.

Existenzielle Gefühle

Berlin 1892: Edvard Munch driftet mit seinen Künstlerfreunden durch Berlin. Nach einem heftigen Gefühlsausbruch sitzt er erschöpft auf einem Fahrrad, zusammen mit dem Schriftsteller August Strindberg (Lisa Carlehed). Es dämmert, aber statt des Abendlichts erscheinen am Himmel die Farben eines Gemäldes von Munch. Nicht nur in dieser Szene vermischen sich Fantasie und Wirklichkeit. Ganz generell lehnt sich der Film an das Lebensmotto des Künstlers an: sich existenziellen Gefühlen wie Angst, Trauer, Schmerz oder Todesfurcht mit aller Konsequenz auszusetzen und sie in Bildern auszudrücken, die tief im Inneren etwas universell Verständliches ansprechen. Nicht die Ereignisse des äusseren Lebens als solche interessieren daher den Filmemacher, sondern die Subjektivität, mit der sie erlebt werden.

Auch wenn es der Film nur in Ansätzen tut, ist es nützlich, sich einen groben Überblick über Munchs Biografie zu verschaffen. Schon als Kind musste er heftige Schicksalsschläge verkraften, die sich später in seinen Werken wiederfinden. Seine Mutter starb an Tuberkulose, als er fünf Jahre alt war. Auch mit dem frühen Tod seiner älteren Schwester hatte er sein Leben lang zu kämpfen. Gegen den Willen seines Vaters brach er als junger Mann ein Ingenieursstudium ab und wechselte zur Kunst. Er lebte zeitweise in Paris, Berlin und Kopenhagen. 1909 kehrte er endgültig nach Norwegen zurück und starb mit 81 Jahren in Oslo. Verheiratet war er nie, mit Tulla Larsen (Gine Cornelia Pedersen) führte er eine turbulente, von Gefühlsschwankungen geprägte Liebesbeziehung.

Frauen spielen Männerrollen

Regisseur Henrik Martin Dahlsbakken vertraut mit Recht darauf, dass man die äusseren Fakten heutzutage problemlos nachlesen kann. Die 104 Minuten Filmzeit konzentrieren sich daher ganz darauf, wie ein Leben von innen heraus erfahren wird. So werden etwa Beziehungen zu verschiedenen Frauen parallel geschnitten, im Moment der Krise spaltet sich die Persönlichkeit in verschiedene Verkörperungen des Ichs. Frauen spielen teils Männerrollen, es gibt Handys sowie Techno-Musik. Insgesamt liegt der Fokus auf Fantasien, Alpträumen, aber auch Glückserlebnissen. Für jede der vier Lebensstationen findet der Film eine eigene Bildsprache, eigene Farben und in einem Fall sogar ein anderes Bildformat, nämlich das schmale 4:3 statt des sonstigen Breitbandes. Gerade die Jugendphase wirkt impressionistisch – Munch hat eine Zeitlang so gemalt, bevor er zum Mitbegründer des Expressionismus wurde.

Besonders berührend ist die Episode des Klinikaufenthalts (in Schwarz-Weiss und 4:3). Munch hatte das Glück, auf einen Psychiater zu treffen, der ein grosser Verehrer seiner Werke war und den brennend das Verhältnis von künstlerischem Genie und seelischer Disharmonie interessierte. „Genies leiden unter einem psychischem Ungleichgewicht“, sagt er einmal, „das man gemeinhin als Wahnsinn missdeutet“. Für Munch komme es darauf an, die innere Kraft zu bändigen, die in ihm wohne. Trotz eines bewegten Lebens und vielen Enttäuschungen scheint der hochsensible Künstler das geschafft zu haben. Sonst wäre er kaum so alt geworden und hätte der Nachwelt nicht seine gefühlsstarken und oft erschütternden Bilder schenken können. Im eigentlichen Film sieht man davon nur wenig, aber kurz vor dem Abspann bannt der Regisseur wenigstens die wichtigsten von ihnen beeindruckend auf die grosse Leinwand.

Peter Gutting
film-rezensionen.de

Munch

Norwegen

2023

-

105 min.

Regie: Henrik Martin Dahlsbakken

Drehbuch: Mattis Herman Nyquist, Gina Cornelia Pedersen, Fredrik Høyer, Eivind Sæther

Darsteller: Alfred Ekker Strande, Mattis Herman Nyquist, Ola G. Furuseth

Musik: Tim Fain

Kamera: Pål Ulvik Rokseth, Oskar Dahlsbakken

Schnitt: Philip Geertsen

Dieser Artikel steht unter einer Creative Commons (CC BY-NC-SA 4.0) Lizenz.