Sexualisierte Übergriffe müssen Konsequenzen haben Offener Brief: Schluss mit sexualisierter Gewalt in linken Räumen!

Gesellschaft

Dieser offene Brief ist nach einem sexualisierten Übergriff in einem linken Raum in Luzern entstanden. Auf die Nennung des Ortes wird verzichtet. Es hätte überall passieren können. Es darf sich nicht wiederholen.

Offener Brief: Schluss mit sexualisierter Gewalt in linken Räumen!
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Offener Brief: Schluss mit sexualisierter Gewalt in linken Räumen! Foto: We stand Together

17. Juni 2022
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Wir verwenden in diesem Brief einige Wörter, die du vielleicht nicht kennst, sie sind unten am Brief kurz erklärt.

Im April 2022 haben wir von einem sexualisierten Übergriff in einem linken Raum in Luzern erfahren. Mit diesem Brief wollen wir uns dazu äussern. Es ist uns wichtig, öffentlich und ausführlich zu sprechen. Wir sind eine Gruppe aus dem Umfeld der von sexualisierter Gewalt betroffenen Person. Einige von uns sind Aktivistinnen der ASL. Wir möchten die betroffene Person und ihre Bedürfnisse unterstützen und uns zusammen organisieren.

Eine Person hat in einem linken Raum ohne Zustimmung der betroffenen Person gehandelt. Wir möchten keine Details des Vorfalls schildern. Ein sexualisierter Übergriff beginnt bei Sprache, Blicken oder Berührungen, all das ist nicht in Ordnung. Wir möchten ebenfalls nicht über die gewaltausübende Person sprechen. Diese Person muss die Verantwortung für ihr Verhalten tragen und ihr Verhalten ändern. Wir nennen keine Namen, denn es hilft nicht, sich nur auf diese Person zu konzentrieren. Das sexistische und gewaltvolle Verhalten ist nicht ein Problem von dieser Person alleine und schon gar kein Einzelfall. Es ist ein strukturelles Problem. Und damit ein Problem, das alle betrifft.

In linken Räumen wollen wir uns sicher fühlen. In diesen Räumen soll es weniger Diskriminierung geben. In diesen Räumen wollen wir Energie tanken und uns zusammen stark fühlen. Dieses Gefühl von Sicherheit kommt nicht von selbst. An linken Orten wird viel Arbeit geleistet, um problematisches Verhalten anzusprechen und Verantwortung zu übernehmen. Wir glauben, dass sich an solchen Orten alle Mühe geben. Zu merken, dass dies manchmal trotzdem nicht reicht, das tut verdammt weh. Flintas* wissen das nur zu gut - kein Ort ist wirklich sicher. Sexismus macht auch vor linken Räumen keinen Halt. Linke Orte als sicher zu sehen, bleibt eine Illusion.

Und hier sprechen wir direkt zu euch, solidarische cis-Männer: Immer wieder versichert ihr uns, dass ihr eine kritische Auseinandersetzung mit Männlichkeit wichtig findet und euch tiefer mit Feminismus und eurer Rolle darin auseinandersetzen wollt. Und dann passiert: NICHTS! Wir sind es, die diesen Brief schreiben. Wir sind es, die eine Auseinandersetzung rund um sexualisierte Gewalt und Awarness anstossen. Wir sind wütend und enttäuscht. Darüber, dass ihr uns im Stich lasst.

Zusammen mit der von sexualisierter Gewalt betroffenen Person haben wir entschieden, diesen Brief zu schreiben. Wir werden nicht ein weiteres Mal schweigen. Wir schreiben diesen Brief, obwohl es nervt diese Arbeit übernehmen zu müssen. Wir schreiben, obwohl es verdammt viel Mut braucht, sich zu wehren. Zu oft werden von Gewalt betroffene Personen nicht ernst genommen oder die Übergriffe werden verharmlost. Diese Reaktionen sind gewaltvoll und schmerzhaft, die Angst vor ihnen lässt viele verstummen. Darum schreiben wir auch in Gedanken an alle, die vielleicht nicht die Kraft oder die Möglichkeit gehabt haben, über eigene Gewalterfahrungen zu sprechen.

Sexualisierte Übergriffe werden nicht aufhören, weil dieser Text gelesen wird. Wir müssen jeden Tag unser Verhalten hinterfragen und Verantwortung übernehmen. Nur so können wir diskriminierende Strukturen erkennen, ansprechen und bekämpfen.

Diese Strukturen existieren auch in linken Räumen, und darum beginnen wir hier.

Wir fordern alle Menschen auf:
  • Denkt über eure Privilegien (zum Beispiel weiss sein, männlich sein, Geld haben, gut deutsch sprechen) nach und übernehmt Verantwortung.
  • Seid euch bewusst: Sexualisierte Übergriffe können überall passieren. Wir wollen das nicht. Es dürfen nicht noch mehr Menschen verletzt werden.
  • Akzeptiert ein Nein als Nein. Jede Person hat ihre eigenen Grenzen.
  • Nehmt es ernst, wenn euch von sexualisierten Übergriffen erzählt wird. Unterstützt die Person nach ihren Bedürfnissen, wenn ihr könnt.
  • Verharmlost nie einen sexualisierten Übergriff, von dem euch erzählt wird.
  • Sexualisierte Übergriffe müssen Konsequenzen haben. Kämpft weiterhin gegen jegliche Formen von Sexismus und sexualisierten Übergriffen. Vergesst nicht, was geschehen ist. Die betroffenen Personen können das auch nicht!
  • Cis-Männer*, die sich in linken Räumen bewegen: Bildet euch zum Thema Konsens (Sexuelle Handlungen nur mit Zustimmung, keine Antwort heisst nicht Ja) und Gewalt. Sprecht miteinander darüber. Ihr könntet eine kritische Männlichkeitsgruppe bilden. Und wenn das anstrengend klingt, was denkt ihr denn, wie anstrengend es ist, tagtäglich mit dieser sexistischen Scheisse zu leben!
Wir haben in unserer Gruppe in den letzten Wochen viel gelernt, das meiste Wissen haben wir nicht selbst erfunden. Wir lernen von einem langjährigen Wissensaufbau vieler Flinta*-Personen vor uns. Dieser Weg hat sich für die von Gewalt betroffene Person bis jetzt richtig angefühlt. Wir möchten mit diesem Brief auch Personen ermutigen, die sexualisierte Gewalt miterlebt oder selbst erlebt haben, sich zusammen zu schliessen, um einen gemeinsamen Weg zum Heilen und Aufarbeiten zu finden.

Wir sagen es nochmals: Sexualisierte Gewalt geht uns alle an! Hört auf nach dem Täter zu fragen, setzt euch stattdessen mit eurer eigenen Verantwortung auseinander. Es kann nicht sein, dass wir FLINTAs alle Awarness-Arbeit machen müssen, und ihr euch dann für feministisch haltet. Der Übergriff muss als das verstanden werden, was er ist: ein strukturelles Problem, das uns alle betrifft. Darum: Werdet aktiv!

Wenn du dich bei uns melden möchtest, schreib uns ein E-Mail auf: our-resistance@immerda.ch

Flinta: Kurz für Frauen, Lesben, inter Personen, trans Personen, agender Personen. Cis-(Männer): Die eigene Geschlechtsidentität (zb. Mann) ist dasselbe Geschlecht, wie das Geschlecht, das bei der Geburt zugewiesen wurde.

Kritische Männlichkeitsgruppe: Eine Gruppe wo sich hauptsächlich cis-männliche Personen kritisch mit männlichen Rollen und Klischees auseinandersetzen.

Strukturelle Gewalt: Beschreibt das nicht nur Einzelpersonen Gewalt auslösen können, sondern auch Gesellschaft und Staat.

pm