Isaak N. Steinberg: Gewalt und Terror in der Revolution Das Schicksal der Erniedrigten und Beleidigten in der russischen Revolution

Sachliteratur

Soeben erschienen ist bei Anares die erweiterte die Neuauflage eines Schlüsselwerkes zum Verständnis der sowjet-russischen Geschichte, von der Russischen Revolution bis in die Gegenwart.

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21. März 2024
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„Gewalt und Terror in der Revolution - Das Schicksal der Erniedrigten und Beleidigten in der russischen Revolution“ von Isaak N. Steinberg erschien zuletzt vor 50 Jahren im Karin Kramer Verlag. Das es damals einen Bedarf gab, hing mit der Entwicklung der „68er“ zusammen: Anfang der 1970er Jahre spaltete sich diese Bewegung zunehmend in diverse kommunistische Gruppierungen („K-Gruppen“) auf.

Die antiautoritären Fraktionen betrachteten das Buch seinerzeit als wichtiges Argumentationsmaterial gegen diese zunehmenden autoritären Tendenzen und diskutierten das Buch intensiv.

Doch auch angesichts der derzeitigen epidemischen Ausbreitung autoritärer Denkweisen und autoritär-populistischer gesellschaftlicher wie politischer Strömungen, einschliesslich zunehmender Militarisierung der Köpfe („Zeitenwende“) bietet das Buch wichtiges Grundlagenmaterial zur Frage der Gewalt in Politik und Revolution. Nicht zuletzt ist die russische Revolution ein Ereignis, das bis heute im russischen Denken und im politischen Handeln virulent ist und insofern eben auch das heutige Geschehen mit erklärt.

Isaak Steinberg war 1917/ 1918 einige Monate lang sowjetrussischer Justizminister, zu einem Zeitpunkt, als die Bolschewiki noch die linken Sozialrevolutionäre als nützlich erachteten. Aufgrund seiner Kritik an den zunehmend autoritären Tendenzen geriet Steinberg jedoch schon bald ins Abseits und emigrierte nach Berlin, wo 1931 auch erstmals das nun wieder aufgelegte Buch erschien.

Steinberg ist dabei jedoch keiner jener Renegaten, die sich enttäuscht von jedwedem sozialistischen Denken ab- und dem konservativen Lager zuwandten, im Gegenteil, er versuchte sich an einer Rettung der emanzipatorischen Bestände des Sozialismus. „Der Sozialismus ist sittlicher Aktivismus. Nur als eine moralische Bewegung wird der Sozialismus den Menschen befreien oder gar nicht“, so Steinberg.

Für Isaak Steinberg ging es in Russland um die Verteidigung dessen, was er – in einem Brief an den Schriftsteller Ernst Toller – das „historische Erbgut des Sozialismus“ nannte – den Humanismus. Freiheit oder Sozialismus war für Steinberg die falsche Fragestellung. Um es mit den Worten von Michael Bakunin zu sagen: „Freiheit ohne Sozialismus besteht aus Privilegien und Sozialismus ohne Freiheit bedeutet Gewalt und Unterdrückung“.

Seit Jahrzehnten ist das Leben und Werk des äusserst produktiven Isaak Steinberg in weitgehende Vergessenheit geraten, obwohl das hier vorgelegte Werk immer wieder in Beiträgen zur Russischen Geschichte gewürdigt wurde, so vom Historiker Stefan Plaggenborg: „Eines der wichtigsten Bücher über die Gewalt in Sowjetrussland“. Der Anarchosyndikalist Rudolf Rocker hob das Werk als „eines der besten Erzeugnisse des zeitgenössischen Sozialismus“ hervor.

Bedeutsam ist dieses Buch auch als Vorläufer späterer bedeutender politikwissenschaftlicher Werke, etwa von Hannah Arendt („Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“), benennt Steinberg als bekennender Sozialist doch die Gefährdung des Sozialismus durch autoritäre und menschenverachtende Entwicklungen, mit dem diese sozialistischen Richtungen dem faschistischen Terror immer ähnlicher werden.

Steinberg steht damit für das Erbe eines antibolschewistischen und antistalinistischen Sozialismus. Denn angesichts der globalen Verwerfungen und immensen Zerstörungen, die Kapitalismus, Faschismus und Staatlichkeit mit sich bringen, ist die Entwicklung libertär-sozialistischer Alternativen heute drängender denn je. Die nun erschienene Neuausgabe kommt mit einem neuen Vorwort und einem Nachwort von Steinberg-Kenner Hendrik Wallat.

Der Ziegelbrenner

Isaak N. Steinberg: Gewalt und Terror in der Revolution. Anares Verlag, 2024. 356 Seiten. ca. SFr. 28.00. ISBN: 978-3-935716-83-3.