Emilia Roig: Das Ende der Ehe Nach der Hochzeit kommt die Depression

Sachliteratur

Die Ehe als Institution ist überholt und muss endgültig abgeschafft werden.

Emilia Roig von Antira spricht beim Klimastreik von Fridays For Future, Reichstag, Berlin, 24. September 2021.
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Emilia Roig von Antira spricht beim Klimastreik von Fridays For Future, Reichstag, Berlin, 24. September 2021. Foto: Stefan Müller (CC-BY 2.0 cropped)

7. Januar 2024
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Als einen „der schönsten Tage meines Lebens” (S. 13) beschreibt Emilia Roig ihren Hochzeitstag. Bis die letzten Gäste abreisten, habe sie in einer „Glückswolke” (ebd.) geschwebt – und sei dann mit dem Eintreffen der Realität nach der Hochzeit in ein tiefes Loch gefallen. Denn bald darauf merkt Roig, dass die Hochzeit ihr langfristig kein glückliches Leben bescheren wird – und bleibt dennoch jahrelang verheiratet. Heute ist sie geschieden und sagt über sich, dass sie aus dem patriarchalen Alltag ausgestiegen ist.

Roigs Abkehr von der Ehe geht mit der Erkenntnis einher, dass eine Ehe viel mehr ist als eine intime Paarbeziehung: „Sie strukturiert den Staat, die Nation, die Religion, die Wirtschaft, die Kultur wie keine andere Institution.” (S. 15) Zudem fällt Roigs Meinung nach der Ehe die politische Funktion zu, „die allgemein unterlegene Position der Frauen zu verklären“ (S. 18). Ihrer Ansicht nach ist die Ehe zu eng mit der männlichen Dominanz verknüpft, „als dass eine Reform ihren Einfluss ändern könnte“ (S. 33). Sie könne daher nur noch abgeschafft werden.

Eheliche Pflichten

Roig legt dar, dass die Ehe für Frauen schon immer eine fundamentale Bedeutung hatte und bis heute hat – und für Männer nicht. Während Frauen ursprünglich für finanzielle und rechtliche Absicherung auf die Ehe angewiesen waren, habe sich die Macht der Ehe seit den 1950er und 60er Jahren „von der rechtlichen auf die emotionale Ebene verschoben“ (S. 44): In jener Zeit, in der die zweite Welle der Frauenbewegung Fahrt aufnahm und Frauen zunehmend autonomer wurden, hätten „kulturelle Skripte“ (S. 51) von der grossen Liebe den Frauen fortan die Ehe als Lebenssinn und Identitätsanker nahegelegt. Weil Frauen in patriarchalen Gesellschaften bis heute mit solchen Geschichten sozialisiert würden, neigten sie weiterhin dazu, sich in Relation zu ihrem Partner zu definieren.

Im Gegensatz dazu würden Männer Frauen bis heute „durch das Konstrukt der heterosexuellen Paarbeziehung ständig physisch verfügbar und zugänglich“ (S. 196) halten – eine provokante Aussage, die sich aus historischer Perspektive jedoch nicht so einfach von der Hand weisen lässt: 1966 definierte der deutsche Bundesgerichtshof den engagierten Beischlaf noch als Ehepflicht, erst seit 1997 ist die Vergewaltigung in der Ehe strafbar. Bis heute sind die „Verpflichtungen zur Herstellung des ehelichen Lebens“ gesetzlich fest verankert – sie lassen sich jedoch nicht mehr einklagen.

Natürlich haben sich viele dieser Dinge mittlerweile vor allem rechtlich geändert. Aber die Ehe ist und bleibt von patriarchalen Altlasten durchdrungen, die sich nicht so einfach abschütteln lassen. Ein Beispiel dafür ist das mit der Ehe einhergehende Steuerrecht, das die finanzielle Abhängigkeit der Frau weiter reproduziert. Roig berichtet in diesem Zusammenhang aber auch von einer Freundin, die in ihrer Ehe manchmal nur Sex hat, um Streit mit dem Partner zu vermeiden. Und von Frauen, die kein gemeinsames Bankkonto mit ihrem Ehemann hätten, sondern diesen jedes Mal wieder um Geld bitten müssten. Der Mann/Frau-Binarismus fungiere dabei als „Säule der Ehe“ (S. 205): „Solange es ‚Männer' und ‚Frauen' gibt, wird es auch die Rangordnung geben, die Männer über Frauen stellt. Die Ehe gehört zu der Infrastruktur, die den Binarismus aufrechterhält.“ (S. 337) Für Roig ist deshalb klar, dass die Abschaffung der Ehe mit der gleichzeitigen Abschaffung des binären Geschlechts einhergehen muss.

Ein intersektionaler Blick auf die Ehe

Diese Abrechnung mit der Ehe zieht sich bei Roig über 350 Seiten und wirft einen kritischen Blick auf die Paarbeziehung als solche, die Überhöhung von Kernfamilie und Mutterrolle sowie die Verteufelung von Scheidungen. In ihren Ausführungen legt Roig, die 2005 in Berlin das Center for Intersectional Justice e.V. gegründet hat, viel Wert auf die Berücksichtigung weiterer Unterdrückungsachsen über das Geschlecht hinaus. Sie nimmt Bezug auf Schwarze und queere Denker*innen wie bell hooks, Audre Lorde, Sara Ahmed, Monique Wittig und Judith Butler und würdigt in einem Teil des Buches mit dem Titel „Eine Ode an die Queerness” die wichtigen Impulse aus queeren, trans- und lesbischen Communities. Zugleich betont sie, dass auch queere Beziehungen „weder perfekt noch frei von Unterdrückung“ seien: „Die männliche Dominanz mag weitgehend neutralisiert werden, aber andere Achsen der Unterdrückung, wie zum Beispiel Rassismus, Klassismus oder Ableismus, können die Machtdynamik in solchen Beziehungen beeinflussen“ (S. 335).

Zwar würde Geschlecht in queeren Beziehungen längst „auf viel komplexere und freiere Weise verhandelt, ausgedrückt und gelebt als in heterosexuellen Beziehungen“ (S. 259). Da die Institution der Ehe diesen Gegenentwürfen aber nicht gerecht werden könne, bewirke die Öffnung der Ehe für alle keine Liberalisierung dieser, sondern erzeuge vielmehr Anpassungsdruck: „Wenn wir fordern, dass monogame queere Paare wie heterosexuelle Paare behandelt werden, wird die Ehe weiterhin als überlegene Norm hingenommen. Die Ehe bleibt die einzige Beziehung, die zählt.“ (S. 263)

Das Patriarchat beweisen

Zugänglich werden Roigs Thesen insbesondere durch ihre persönlichen Anekdoten über eigene Erfahrungen mit Eltern, Ex-Mann und Sohn. Als Veranschaulichung sind diese mutigen Beispiele wunderbar. Gleichzeitig fussen Roigs Thesen jedoch manchmal auf Alltagsbeobachtungen, die in verallgemeinernden Aussagen münden, die mit „Viele Männer/Frauen” oder „Die überwiegende Mehrheit der Frauen“ (S. 105) beginnen. Belegt werden diese Aussagen in der Regel nicht. Das ist zunächst einmal kein Problem: Feministische Debatten setzen sich oft gerade mit jenen Ungerechtigkeiten auseinander, die unsichtbar für diejenigen sind, die diese nicht erfahren. So sind etwa Betroffene von patriarchaler Gewalt immer wieder darauf angewiesen, dass man ihnen zunächst Glauben schenkt, auch wenn (noch) keine Beweise vorliegen, da sich Übergriffe nicht immer ohne weiteres nachweisen lassen. Es ist wichtig, sensibel für dieses Dilemma zu sein und nicht jedes Mal direkt Belege einzufordern, wenn auf Missstände hingewiesen wird. Roig macht sich jedoch an manchen Stellen unnötig angreifbar, wenn sie vage Mehrheiten suggeriert, die nicht belegt werden können. An manchen Stellen hätte es diese gar nicht gebraucht, andere hätten wahrscheinlich tatsächlich mit Studien belegt werden können.

Die eigenen Beziehungen loslassen

Dass die Ehe die Diskriminierung von Frauen untermauert hat und sich bis heute nicht aus dem Patriarchat herauslösen lässt, arbeitet Roig anschaulich heraus. Deutlich wird dabei einmal mehr, dass Patriarchat und Ehe sich gegenseitig bedingen und die Grenzen zwischen Ursache und Wirkung hier schwammig sind. So lässt Roig bis zum Schluss noch Raum für Zweifel an ihrer These, dass die Unterdrückung von Frauen „unmittelbare Folge […] der Ehe“ (S. 31) sei. In jedem Fall ist die Ehe aber noch Teil des Problems – und dieser Umstand kann bereits dafür sprechen, sie abzuschaffen.

Roig begründet die Ungerechtigkeit der Ehe in einem hohen Masse mit der ökonomischen Abhängigkeit der Frauen. Für sie ist deshalb klar, dass auf ein Ende der Ehe die Aufwertung von Care-Arbeit folgen müsste: „Es gilt, die fürsorglichen Aspekte der Ehe dem patriarchalen Gerüst zu entziehen“ (S. 348). Weil sie selbst eingesteht, dass die Abschaffung der Ehe momentan noch eine Utopie ist, fordert sie vorab die Einführung einer „feministischen Steuer“ (S. 346), die Frauen, Singles und Alleinerziehende nicht länger diskriminiert.

Darüber hinaus gibt uns Roig schliesslich noch einen kleinen Handlungsimpuls mit, der radikaler ist, als er zunächst anmutet: Sie ruft dazu auf, „sich regelmässig zu fragen ‚wer bin ich ohne meine*n Partner*in?'“ (S. 59). Anstatt zu versuchen, die eigene Beziehung aus den patriarchalen Fängen zu befreien, sollen gerade Frauen lernen, endlich loszulassen:

„Dann werden sie sehen, wie viel Energie dadurch freigesetzt wird, die sie vielleicht anders verwenden wollen – für sich selbst. Vielleicht können sie die Kraft zurückgewinnen, die ihnen zusteht. [...] Sie sollten aufhören, ihre Männer ändern zu wollen. [...] Und vielleicht wird das Ergebnis dieser Reise sein, dass sie ihre Beziehungen beenden, um Platz zu machen für das, wonach sie streben: authentische Liebe, stärkere Verbindung und emotionale Tiefe.” (S. 306 f.)

Roig will uns mit dieser Erkenntnis nicht in den Abgrund stürzen. Stattdessen ermutigt sie uns immer wieder dazu, Freund*innenschaften gleichwertig neben der monogamen romantischen Beziehung zu pflegen und den*die feste*n Partner*in vom Sockel zu stossen: Durch Freund*innen können wir den Support erfahren, der uns in der Paarbeziehung vielleicht fehlt – und so einen Ausgleich schaffen. Oder sie helfen uns dabei, diese unausgeglichenen Beziehungen zu beenden.

Clara Zink
kritisch-lesen.de

Emilia Roig: Das Ende der Ehe. Für eine Revolution der Liebe. Ullstein Buchverlage, Berlin 2023. 384 Seiten. ca. SFr. 26.00. ISBN: 9783550202285.

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