Notfalls auch ohne dich! Die Zukunft findet statt

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Wenn du weiterhin mitbestimmen möchtest, musst du der Zukunft mit der richtigen Einstellung begegnen: proaktiv-positiv statt reaktiv-negativ. Unsere Zukunft findet auf jeden Fall statt - wenn nötig auch ohne dich!

Friedrich Albert Schwartz.
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Friedrich Albert Schwartz. Foto: PD

10. Dezember 1998
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Oski, dein Kühlschrank, reagiert wertneutral und sehr effizient. Auf deine Mitteilung, dass du am Abend ein paar Kollegen edel bekochen willst, teilt er dir objektiv mit, was er an Vorräten auf Lager hat. Er gibt dir drei Menüvorschläge sowie eine Liste, was du noch dazukaufen musst. Du entscheidest dich für Menü 3 - Vitello Tonnato, Amuse Bouche und Tirami Su zum Nachtisch.

Dann, per Mausklick am PC, bestellst du die Zutaten auf der MMM-Homepage und holst den JunkFood eine halbe Stunde später an der Ecke im Migros Grosssupermarket ab.

Was du aber zum Glück noch nicht weisst, ist, dass Oski sich schnell in der Zwischenzeit mit Kassandra, deiner bescheuerten Badezimmerwaage, kurzgeschlossen hat. Die lässt dir mitteilen, dass dein Cholesterin- und Fettspiegel ein Tirami Su-Kick nur dann vertragen würde, wenn du die vier VIP-Nutten, die Andy, dein Main-PC, inzwischen kontaktiert hat, anschliessend hintereinander richtig durchfickst.

Die Zukunft liegt viel näher als du denkst: Die Software ist bereit, an der Hardware wird intensiv und unnachgiebig gearbeitet, und die Einführung dieser Maschinen in deinem Haushalt wird kurz nach unserer Jahrtausendwende erfolgen. Du wirst 100%ig vernetzt werden. Die Frage ist nur: Bist du als einzelner bereit dafür?

Vielleicht wird 's aber doch nicht ganz so hart für dich werden: Du arbeitest ja meistens zu Hause und weisst daher sehr genau, was sich in deinem Kühlschrank befindet. Nicht zuletzt weil du einsam, isoliert und zuckersüchtig bist, nein, sondern auch weil du gerne reservierte Gäste empfängst.

Denn so sehr du es schätzt, daheim zu arbeiten, so vermisst du, auch wenn nicht oft, doch gelegentlich den Kontakt mit deinen ehemaligen Freunden.

Na ja, und die Firma, die du einmal verlassen hast, ist auch nicht mehr das, woran du dich erinnerst. Jedes Fusionsjahr erbrachte das gleiche paradoxe Resultat hervor: In der Kantine und beim Kaffeeautomaten wurde es immer stiller. Nach und nach waren deine Freunde entweder in die Selbständigkeit entlassen worden oder hatten sich für Tätigkeiten in anderen Lebensbereichen oder Ländern interessiert.

Einige sind zwar noch am Leben, aber nur noch virtuell: auch sie arbeiten weitgehend daheim.

Dafür ist dein Bedürfnis nach Kontakt mit deiner Frau, den Kindern, Pflanzen und Nachbarn gewachsen, und dein weitgehend manuelles, aber nicht weniger effizientes  Kühlschrank-Management ist auf spontane Einladungen ausgerichtet. Kommunikation hat eine neue Bedeutung erhalten, und plötzlich gibt es wieder ein Privatleben, auch wenn du es mit vielen Hobbys und anderen sozialen Tätigkeiten in Einklang bringen musst.

Daneben leistest du nochmals Sozialarbeit, widmest dich - nicht nur freiwillig - deiner Weiterbildung, und versuchst noch einem weiteren neuen Hobby - Balkon-, Pflanzen- und Zimmergestaltung für deine Kollegen: umweltgerecht, preiswert, liberal und elegant - nachzugehen.

Deine Arbeitszeit hat sich zwar stundenmässig verdoppelt, aber inzwischen hast du begriffen, dass interessante Arbeit keinen Stress verursacht, da nebenbei auch noch ein erfüllendes Privatleben möglich ist.

Aber was dich am meisten überrascht, ist die Tatsache, dass du die Stadt nicht mehr verlassen willst. Nein, du lebst gern dort. Diese Stadt hat sich allerdings ziemlich verändert. Moderne Architekten haben sie wieder als Lebens-, nicht nur als Arbeitsraum entdeckt. Sie haben begriffen, dass ein attraktives Zentrum ohne Bettler und Obdachlose, Junkies oder ausländische Läden viel organischer und befriedigender ist.

Auch hat die Aufwertung der Quartiere rund um die Bahnhöfe einen sehr hohen Einklang mit der Natur: Es entstehen offene Flächen für kommunikationsfreudige Bewohner, in der sie ungestört wohnen, leben, konsumieren und arbeiten können. Die Rendite steigt, sie haben das erste going public hinter sich und als Single und spontaner Sex-Partner haben sie sich ein ansehnliches Aktienpaket leisten können.

Der Shareholder Value ist beträchtlich und ihre Wohnsituation von hoher Qualität.

ub