Der Lebensmittelkonzern antwortet mit PR-Armee Nestlé: Illegal angebauter Kakao im «nachhaltigen» Produkt

Wirtschaft

30. Januar 2019

Schokolade von Nestlé ist mit einem Nachhaltigkeits-Label zertifiziert. Trotzdem ist darin illegal angebauter Kakao enthalten.

Nestlé Hauptsitz in Vevey.
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Nestlé Hauptsitz in Vevey. Foto: lewak (PD)

30. Januar 2019
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Der weltgrösste Nahrungsmittelkonzern Nestlé behauptet, seine Schokoladenprodukte würden aus nachhaltigem und fairen Handel stammen. Die «UTZ»-Zertifikation der Produkte und der hauseigene «Nestlé Cocoa Plan» bescheinigen dem Konzern die Einhaltung eines Verhaltenskodex durch die Landwirte, der soziale Kriterien, Anforderungen an die Umweltverträglichkeit und eine effiziente Bewirtschaftung festlegt. Damit gibt Nestlé den Konsumentinnen und Konsumenten die Garantie, Schokolade ohne schlechtes Gewissen geniessen zu können.

Journalisten von «rts» wollten herausfinden, wie viel von den Versprechen tatsächlich wahr sind. Sie verfolgten die Lieferkette des Kakaos bis zu ihren Ursprüngen auf der Elfenbeinküste zurück und präsentierten ihre Ergebnisse im 17-minütigen Dokumentarfilm «schockierende Untersuchungen». Der Titel passt: So stammt ein Teil des Kakaos, der zum Beispiel in den Pralinen von Cailler zu finden ist, aus einem geschützten afrikanischen Naturreservat, in dem jeglicher Kakaoanbau verboten ist. Weiter besichtigten die Journalisten eine von Nestlé unterstützte Landwirtschafts-Kooperative, die so nur auf dem Papier existiert. Ausserdem stellten sie fest, dass die Prämien, die für nachhaltigen Kakaoanbau bezahlt werden, manchmal von Zwischenhändlern eingesackt werden. Die Farmer gehen leer aus.

Die Farmer leben in Armut

Die Recherche beginnt in einem kleinen Dorf, wie es sie millionenfach in der Elfenbeinküste – dem Spitzenreiter der weltweiten Kakaoproduktion – gibt. Ein Farmer, der seit seiner Jugend Kakaofrüchte erntet, führt die Journalisten durch sein Zuhause. Zusammen mit seiner Frau und seinen fünf Kindern lebt er auf einer kleinen Farm: Lehmhütten, staubiger Boden, Dächer, die aus verrosteten Blechen und Zweigen bestehen. Die Frau kocht an der Feuerstelle, dazwischen wuseln Hühner.

Die Kakaoplantagen liegen am Rand des Dorfes. Der Farmer zeigt den Journalisten die reifen Früchte und erklärt, wie er sie abschneidet, wäscht und auf dem Kopf zurück ins Dorf trägt. «Die Arbeit ist ermüdend», erklärt der Mann. «Und man wird auch älter.» Trotzdem wird er seiner Arbeit noch lange nachgehen: «Wenn ich das nicht mache, habe ich nichts zu essen.»

Nachdem der Farmer die Früchte geerntet und ins Dorf getragen hat, werden die Bohnen von den Früchten getrennt, während sechs Tagen fermentiert und anschliessend getrocknet. Pro Kilo Kakaobohnen verdienen die Farmer rund einen Franken. Der Protagonist im Film hat im Jahr 2018 dreihundert Kilogramm Kakao verkauft, damit lebt er unter der Armutsgrenze.

Vom endgültigen Verkaufspreis der Schokolade erhalten die westafrikanischen Farmer nur rund 3,3 Prozent.

80 Prozent der Vegetation sind zerstört

Die Anzeichen für die Armut der Farmer sind überall zu sehen. Aber es gibt noch ein anderes Problem: die Zerstörung des Waldes. Einige Hundert Meter neben dem Dorf liegt der Nationalpark «Marahoué». An der Grenze zum geschützten Gebiet stehen grosse Schilder: Jagen, Fischen, Roden, das Entfachen von Buschfeuern, Weidewirtschaft und Goldwaschen sind verboten. Denn hier gibt es einen der letzten ursprünglichen Wälder der Elfenbeinküste. Er bietet vielen seltenen Tieren ein zu Hause.

Trotz den Verboten und zahlreichen Spendern – darunter auch die Europäische Union – die ein nationales Entwicklungshilfeprojekt zur Verbesserung des Managements geschützter Gebiete der Elfenbeinküste finanzieren, liegt das Naturreservat in den vorletzten Zügen. Landwirtschaft und vor allem der Anbau von Kakao, einschliesslich Brandrodung und illegaler Holzschlag, führten zur Zerstörung oder schweren Beeinträchtigung der Vegetation in etwa einem Viertel des geschützten Parks. Wilderei verringert die Tierbestände, Pestizide verunreinigen das Marschland.

Während die «rts»-Journalisten den Nationalpark erkunden, zeigt ihr Führer immer wieder auf Kakaobäume, die dort eigentlich verboten sind. Um sich einen Überblick über die Situation zu verschaffen, lassen die Journalisten eine Drohne steigen. Der Blick aus der Höhe ist ernüchternd: Es gibt zwar noch wilde Vegetation, in den letzten 20 Jahren ist sie aber beinahe komplett verschwunden. Auf nationaler Ebene sieht es nicht besser aus: Nur noch drei bis vier Prozent des ursprünglichen Waldes sind übrig.

Illegal angebaute Kakaobohnen erhalten Label

Im Herzen des Nationalparks treffen die «rts»-Journalisten einen jungen Kakao-Farmer. Obwohl die Regierung den Anbau im Park verbietet, sagt er, sein Vater habe ihm aufgetragen, die rund eine Hektar grosse Plantage zu bewirtschaften. Seinen illegal angebauten Kakao verkauft er an benachbarte Landwirtschafts-Kooperativen. In der «guten alten Zeit» habe er an die Kooperative «Kavokiva» verkauft, sagt der Farmer. «Kavokiva» ist auf der Internetseite von Nestlé als lokaler Partner gelistet.

Daneben erwähnt der Farmer mehrere Kooperativen, die ihm seine illegal angebauten Kakaobohnen abkaufen. Eine davon hat ihren Hauptsitz in der Stadt Gonaté. Sie ist seit sechs Jahren mit dem Nachhaltigkeits-Label «UTZ» zertifiziert. «rts» wird Zeuge davon, wie diese Nachhaltigkeit gelebt wird: Die Mitarbeiter der Kooperative vermischen die angelieferten, illegal angebauten Kakaobohnen aus dem Naturschutzgebiet mit Kakaobohnen, die aus legalem Anbau stammen. Es reiche, wenn die Bohnen sauber seien, sagt ein weiterer Farmer. Ausser der Sauberkeit werde nichts kontrolliert.

Ein weiteres, verstörendes Detail: Der Chef dieser «UTZ»-zertifizierten Kooperative und seine Käufer behalten die Prämien für sich. Sie werden eigentlich für nachhaltigen Handel ausbezahlt und sind als Unterstützung für die nachhaltig produzierenden Farmer gedacht.

Mit Cargill in die Schweiz

Dank dem Einsatz einer versteckten Kamera erfahren die Journalisten, wem der Zwischenhändler den Mix aus illegal und legal angebauten Kakaobohnen verkauft. «Ich verkaufe an Cargill.» Alle anderen Kooperativen, die von den «rts»-Journalisten befragt wurden, sagen dasselbe.

Cargill Incorporated ist ein multinationales Familienunternehmen mit Hauptsitz in den USA und beschäftigt sich mit dem Kauf, der Verarbeitung und dem Vertrieb von Getreide und Getreideprodukten sowie anderer landwirtschaftlichen Handelswaren. Mit einem Gesamtjahresumsatz von über 107 Milliarden US-Dollar im Jahr 2016, gehört Cargill zu den weltweit grössten Familienunternehmen.

Seit 1956 operiert die «Cargill International S.A.» auch in der Schweiz. An sieben Standorten beschäftigt sie 500 Mitarbeitende, der Hauptsitz ist Genf.

In einer westafrikanischen Ankaufsstelle von Cargill versuchen die Journalisten Antworten zum illegalen Kakaoanbau zu erhalten. Fehlanzeige. Ausserdem dürfen sie die Ware nicht zurück in die Schweiz begleiten. Immerhin erwähnt eine Cargill-Mitarbeiterin nebenbei, dass auch Nestlé zu den Kunden gehöre.

Cargill wäscht die Hände in Unschuld

Die Journalisten wechseln die Strategie und verfolgen die LKW's, die die Kakaobohnen weitertransportieren. Die Meisten fahren nach San-Pédro, einer Stadt im Südwesten der Elfenbeinküste. Von ihrem Hafen aus werden immense Mengen von Kakao in alle Welt verschifft. Auf Platz verweigert Cargill erneut ein Interview, antwortet aber schriftlich auf die Fragen der Journalisten. «In Übereinstimmung mit unseren Verpflichtungen kauft Cargill keinen Kakao aus Nationalparks oder Reservaten.» Man arbeite an einer kompletten Rückverfolgbarkeit der Warenkette und mache dabei gute Fortschritte. Das ist das Problem mit Lieferketten: Schuld sind immer die Anderen, die Verantwortung wird weitergereicht.

Weiter erklärt Cargill, man sei einer der führenden Lieferanten von Nestlé. Ein lukratives Geschäft. Gemäss «rts» importiert Nestlé rund 43 Prozent ihres Kakaos von der Elfenbeinküste in die Schweiz.

Nestlé antwortet mit PR-Armee

Die Journalisten klettern die Lieferkette eine Sprosse nach oben und besuchen die Nestlé-Zentrale in Vevey. Sie wollen mit Verantwortlichen über die Ergebnisse ihrer Recherche sprechen. Empfangen werden sie stattdessen von einem Heer von Sprechern und PR-Vertretern. Das anschliessende Interview gestaltet sich schwierig.

Wie bereits Cargill betont auch Nestlé, dass die Lieferkette gewissenhaft kontrolliert werde. Man habe dutzende Millionen ausgegeben, um den Naturschutz und den Lebensstandard der Bauern zu verbessern. Illegal produzierter Kakao habe in der Lieferkette von Nestlé keinen Platz, der Kakao, den man im Rahmen des «Nestlé Cocoa Plan» verwende, werde verantwortungsbewusst produziert und stamme nicht aus geschützten Wäldern. Man werde die Vorwürfe unverzüglich untersuchen und allenfalls geeignete Massnahmen ergreifen.

Unterstützungsmassnahmen greifen nicht

Wird Nestlé mit Vorwürfen betreffend mangelndem Umweltschutz, Nachhaltigkeit und Menschenrechten im Kakao-Bereich konfrontiert, antwortet der Konzern mit dem hauseigenen «Nestlé Cocoa Plan». Das Programm soll die Bauern und ihre Gemeinschaften durch «Training und langfristige wirtschaftliche Absicherung» unterstützen. Dazu finanziert Nestlé auch Schulen. Ausserdem soll das Programm die Nachhaltigkeit fördern.

Aber als die «rts»-Journalisten eine von «Nestlé» unterstützte landwirtschaftliche Kooperative besuchen wollen, stehen sie vor verschlossenen Türen. Sie hatte wegen Veruntreuung schliessen müssen. Eine von Nestlé finanzierte Schule befindet sich nicht am angegebenen Ort, auch die angefragten Behörden haben keine Kenntnis von ihrer Existenz. Erst als Nestlé Unterlagen nachliefert, taucht die Schule auf – in einem anderen Dorf.

«Die Schweiz hat eine grosse Verantwortung»

Überhaupt gibt es an den Unterstützungsprojekten von multinationalen Konzernen viel Kritik. Sie seien auf das Marketing ausgerichtet und zu wenig effizient, sagt zum Beispiel Sindou Bamba vom ivorischen Menschenrechtsbüro (RAIDH). Die Massnahmen der Konzerne würden bei weitem nicht ausreichen. Es zähle nicht die Installation von einzelnen Projekten, sondern die Auswirkungen, die sie auf die Bevölkerung hätten. «Die Schweiz hat eine grosse Verantwortung», sagt Bamba gegenüber «rts». Die Schweiz kaufe Kakao aus Ländern wie der Elfenbeinküste, also dürfe sie auch nicht die Augen vor dem Elend verschliessen, das dadurch angerichtet werde.

Die Situation bleibt – trotz des oft zitierten Engagements der Konzerne – mehr als bitter. Nach wie vor erhalten Kakaobauern nur 3,3 Prozent des endgültigen Verkaufspreises der Produkte und leben in Armut. Die Prämien, die für Nachhaltigkeit ausbezahlt werden, verschwinden in den Taschen von Zwischenhändlern. Kinderarbeit ist an der Tagesordnung. Fast 80 Prozent des ursprünglichen Waldes der Elfenbeinküste sind verschwunden. Und die Nachhaltigkeits-Zertifizierungen funktionieren immer noch nicht. Auf der anderen Seite der Gleichung stehen die Milliarden, die eine Handvoll multinationale Konzerne mit Kakao und Schokolade verdienen.

Tobias Tscherrig / Infosperber