Illegitime Kapitalflüsse Rohstoff-Steueroase Schweiz blutet arme Länder aus

Wirtschaft

10. Februar 2014

Laut einer Londoner Studie entzieht der Rohstoffhandelsplatz Schweiz den ärmsten Ländern Kapital in Milliarden-Höhe.

Panoramablick auf Genf, einer der grössten Handelsplätze für Rohstoffe weltweit.
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Panoramablick auf Genf, einer der grössten Handelsplätze für Rohstoffe weltweit. Foto: Ork.ch (CC BY-SA 2.0 cropped)

10. Februar 2014
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Das «Center for Global Development» (CGD) geht in einer Studie über «Illegitime Kapitalflüsse» mit dem weltweit wichtigsten Rohstoffhandelsplatz Schweiz hart ins Gericht (siehe Link unten). Das Londoner Center, das die «globale Armut und die Ungleichheit mit rigoroser Forschung und aktivem Engagement» bekämpfen will, kommt zum Schluss, dass die Entwicklungsländer jährlich mindestens 8 Milliarden Dollar verlieren, weil die Schweiz den internationalen Rohstoff-Konzernen als Steuerfluchthafen dient. Zum Vergleich: Die gesamte Schweizer Entwicklungshilfe beträgt rund 3 Milliarden Dollar.

Alex Cobham, Co-Autor der Studie, betont, dass aufgrund der Undurchsichtigkeit des internationalen Rohstoffhandels eine genaue Berechnung sehr schwierig sei. Die Zahl von 8 Milliarden Dollar bezeichnet Cobham als «sehr konservative Schätzung». Das CGD hat insgesamt vier Modelle mit unterschiedlichen Annahmen durchgerechnet. Die höchste Schätzung beläuft sich auf über 100 Milliarden Dollar, also in der Grössenordnung der gesamten internationalen Entwicklungshilfe von rund 135 Milliarden Dollar.

Gewinne und Steuern nicht in den armen Ländern

Das System der Steuervermeidung über das Steuerparadies Schweiz funktioniert im Prinzip sehr simpel, meistens sogar innerhalb derselben Holding-Gesellschaft: Die Tochterfirma im Entwicklungsland baut den Rohstoff ab und verkauft diesen zu einem extrem niedrigen Preis (Unterfakturierung) an die eigene Muttergesellschaft in der Schweiz, welche den Rohstoff zu einem massiv höheren Preis weiterverkauft, ohne dass der Rohstoff je die Schweiz durchquert.

Mit diesem sogenannten «Trade Mispricing» erzielt die Holdinggesellschaft Riesengewinne, die nicht im armen Entwicklungsland anfallen und besteuert werden, wo der Rohstoff abgebaut wird, sondern in der reichen Schweiz, wo die Kantone die Rohstoff-Konzerne mit happigen Steuerreduktionen und diversen Sonderregeln locken. Die Geld- und Güterflüsse bleiben dabei im Dunkeln, weil die Schweiz keine diesbezüglichen gesetzlichen Regelungen kennt. Während die Schweiz von den Rohstoff-Konzernen profitiert, fehlen in den Entwicklungsländern die entsprechenden Steuereinnahmen, die für ein funktionierendes Ausbildungs-, Sozial- und Gesundheitswesen notwendig wären.

Die Autoren der CGD-Studie haben zudem die An- und Verkaufspreise für 244 Länder verglichen und kamen zum Schluss, dass die durchschnittlichen Rohstoffpreise für Exporte in die Schweiz tiefer und für die Exporte aus der Schweiz höher liegen als in den anderen Ländern. Laut einer Statistik der Schweizerischen Nationalbank (SNB) ist der Rohstoffhandel über die Schweiz von 2001 bis 2011 um den Faktor 11 gewachsen. Der gesamte Umsatz von rund 760 Milliarden Franken übersteigt das Bruttoinlandprodukt der Schweiz mittlerweile um 35 Prozent.

«Transparenzskepsis und Regulierungsunwilligkeit»

Während die Entwicklungsländer zu wenig Einfluss haben, um sich gegen solche Kapitalflüsse zu wehren, machen die EU-Länder zunehmend Druck auf die Schweiz. Denn auch ihnen entgehen via Holdinggesellschaften in der Schweiz Steuergelder. Dieser Druck von aussen und die Publikation des Buches «Rohstoffe: Das gefährlichste Geschäft der Schweiz» durch die Erklärung von Bern (EvB) haben den Bundesrat aus dem Tiefschlaf geweckt. Im März 2013 veröffentlichte er den «Grundlagenbericht Rohstoffe» (siehe Link unten). Darin anerkennt er, dass in diesem Zusammenhang «Praktiken zur Steuerhinterziehung und -vermeidung eine wichtige Rolle» spielen, welche dazu führen, «die Besteuerung von Gewinnen dort anfallen zu lassen, wo die Steuersätze besonders niedrig oder null sind. Gemäss verschiedenen Studien neigen namentlich auch im Rohstoffsektor tätige Unternehmungen stark zu dieser Praxis ».

Obwohl der Bericht des Bundesrates die Problembereiche der Menschenrechte, der illegitimen Geldflüsse und der fehlenden Transparenz benennt, ist er von «Transparenzskepsis und Regulierungsunwilligkeit» geprägt ist, wie die EvB in ihrer Stellungnahme festhält. Freiwillige Vereinbarungen reichen aber laut EvB «längst nicht mehr». Der Rohstoffhandel brauche «dringend gesetzliche Regelungen».

Kurt Marti / Infosperber