Rund um die Pipeline Nord Stream I und II

Wirtschaft

24. August 2018

Seit geraumer Zeit gibt es Reibungen aller Art um das Pipeline-Projekt durch die Nordsee – es ist daher angebracht, sich anzuschauen, was da alles für Interessen im Spiel sind.

Verlauf der Nord Stream I Pipeline durch Europa.
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Verlauf der Nord Stream I Pipeline durch Europa. Foto: Samuel Bailey (CC BY 3.0 unported - cropped)

24. August 2018
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Österreich schloss in den 70-er Jahren im Rahmen seiner Sonderstellung gegenüber dem sozialistischen Block – als neutraler Staat – Verträge zur Lieferung von Gas. Seither fliesst dieses Gas ohne irgendwelche Störungen von Seiten Russlands und versorgt das ganze Land und teilweise auch die Nachbarländer. Österreich ist inzwischen zu einem Verteiler für russisches Gas geworden.

1. Eine Pipeline aus Russland gibt Energiesicherheit

Die Gaslieferungen waren unbeeinträchtigt vom Zerfall der Sowjetunion und den Verteilungskämpfen innerhalb Russlands um die Kontrolle der Gas und Ölfelder in den 90-er Jahren. Die einzigen Stockungen traten aufgrund der Ereignisse in der Ukraine ein, hatten aber auf die Versorgung in Österreich keine Auswirkungen, da die Energiekonzerne rechtzeitig ausreichende Lagerbestände angelegt hatten.

Russland ist also ein verlässlicher Partner, der seine Verträge einhält, die Ukraine hingegen ein unsicherer Kantonist, wo der Gastransit eine wichtige Quelle der Bereicherung der dortigen politischen Klasse ist.

Vom Standpunkt des Kunden ist es also angesagt, die Ukraine zu umgehen und eine direkte Leitung mit Russland herzustellen. Das hat Schröder mit Nord Stream I gemacht, das hatten Bulgarien und andere Balkanstaaten mit South Stream vor und das ist auch die Idee bei Nord Stream II.

2. Nationale Politik hat eine eigene Agenda und ist nicht blosser Vollstrecker ökonomischer Interessen

Die Wirtschaftstreibenden Deutschlands sind mit Nord Stream I hochzufrieden. Auch die deutsche Politikermannschaft hätte gerne noch mehr davon. Das russische Gas verschafft nämlich der Energiewirtschaft die Möglichkeit, die erneuerbaren Energien auszubauen und etwaig auftretende Engpässe mit Gas auszugleichen, wenn einmal die Sonne nicht scheint oder der Wind nicht bläst. Es gibt ihnen auch die Freiheit der Preisgestaltung, weil sie aus dem Vollen schöpfen und beim Ausbau der eigenen Quellen anfallende Verluste durch Aufschlag auf das Importgas kompensieren können.

Auch die Abnehmer haben durch das russische Gas bessere Wahlmöglichkeiten zwischen Energieformen. Für das alles würde übrigens Nord Stream I reichen. Aber die deutsche Politik und Energiewirtschaft hat mehr vor.

3. Über Abhängigkeiten, oder: Hahn auf, Hahn zu

Was das kleine Österreich seit Jahren, Jahrzehnten praktiziert, wäre auch in Deutschland vielen Akteuren recht: zu einem Verteiler für russisches Gas zu werden, am besten gleich EU-weit. Deutschland möchte mit Nord Stream nicht nur die Ukraine als Transitland quasi abschalten und damit eine wichtige Einnahmequelle ihrer eigenen Geschöpfe dort versiegen lassen. Es möchte auch die restlichen EU-Staaten darauf verpflichten, das Gas über Deutschland zu beziehen und nicht über die Ukraine. Deutschland würde gerne mit importiertem Gas zu einer Energie-Grossmacht in der EU aufsteigen, das die Energiepreise für andere Länder festlegen kann.

Deswegen hatte es auch etwas gegen South Stream, wo einige Balkanstaaten vielleicht gar nicht so ambitioniert waren wie Deutschland, aber doch gerne sich und die Nachbarländer direkt und günstiger aus Russland versorgt hätten. Energiekonkurrenz im Hinterhof? – nein danke! Da kam es der deutschen Politik sehr gelegen, dass die USA auch etwas gegen dieses Projekt hatten und mit einer Strassenrevolution die Olescharski-Regierung stürzte, die die South-Stream-Pipeline unterstützte.

Die USA wiederum wollten jegliche Konkurrenz zur Ukraine unterbinden, weil sie erstens auf diese Einkünfte für die dortige, ihnen genehme Politikermannschaft scharf sind und damit auch die EU ein Stück weit in der Hand haben.

Das Abdrehen und Aufdrehen von Pipeline-Hähnen erweist sich nämlich als ein weitaus geeigneteres Mittel zu zwischenstaatlicher Erpressung als irgendwelche Sanktionen, die zwar mit viel Getöse verkündet werden, aber letztlich relativ wirkungslos bleiben, wie die ärgerlichen Beispiele Kubas, des Iran und Russlands zeigen. Die Energie kann nämlich wirklich eine Nationalökonomie stillegen und Regierungen in schwere Bedrängnis bringen, da auf ihr Produktion, Transport und Heizen beruhen. (Serbien konnte z.B. die Zerstörung seiner Raffinerien 1999 nur durchstehen, weil es im Wasserkraftwerk Djerdap am Eisernen Tor und anderen, kleineren Wasserkraftwerken alternative Energiequellen hatte.)

4. Die verschiedenen Energiequellen

Zu Zeiten des Kalten Krieges stand bei Energieträgern die Versorgungsleistung im Vordergrund, die meisten Energie-Unternehmen waren staatlich und das Wichtige war, Unternehmen und Privaten günstige Energie zur Verfügung zu stellen.

Inzwischen ist der Gesichtspunkt, dass die Energieversorgung ein Geschäft für ihre Betreiber sein soll, in den Vordergrund getreten. Da es sich aber um eine Ware anderer Art handelt als Strümpfe, Maschinen oder Autos, kommt es immer wieder zu gröberen Störungen, wie Stromausfällen oder eben die Verwicklungen um Nord Stream II. Zusätzlich haben das Kyoto-Protokoll und der Kampf gegen den Klimawandel die Konkurrenz zwischen den Energieträgern und den Nationen angeheizt.

Gas gilt als „sauberer“, also vom Standpunkt der Umweltverschmutzung unbedenklicher Energieträger. Kohle hingegen wird als Dreckschleuder in Acht und Bann getan. Dadurch eröffnet sich eine zunächst ökonomische Front mit Polen. Dieses Land soll, wenn es nach Deutschland geht, auf seinen eigenen Energieträger verzichten, seine Zechen stillegen, seine Kumpel in die Arbeitslosigkeit entlassen und stattdessen über Deutschland russisches Gas beziehen. So das Drehbuch nach Willen der deutschen Politiker.

Man sieht also, wie sich allein in der EU und ohne die weltpolitischen Entwicklungen einzubeziehen, jede Menge nationale Gegensätze auftun: Polen soll seine Energiegewinnung nach Deutschlands Willen ausrichten und dabei seinen Sozialstaat und seine Handelsbilanz belasten, Bulgarien darf Deutschland keine Energie-Konkurrenz machen und damit seine darniederliegende Wirtschaft ein bisschen aufmöbeln.

Beiden Regierungen wird damit unter die Nase gerieben, dass sie Hinterhof für Deutschlands Glorie zu sein haben und sonst nix. Polen ist diesbezüglich in einer besseren Position, weil es Frontstaat an der Grenze Russlands ist und sich einer gesteigerten Aufmerksamkeit seitens der USA erfreut.

5. Die Pipelines und die imperialistische Konkurrenz. Der Aufstieg des Gases

Die USA haben sich in jüngerer Vergangenheit als Öl- und Gasproduzent sozusagen wiederentdeckt. Aus Geschäfts- und Autarkie-Überlegungen sind sie zu dem Schluss gekommen, dass das eigene Land diesbezüglich neu erschlossen gehört, und deshalb ihre eigenen Vorkommen neu sortiert.

Die Gas- und Ölförderung durch Fracking ist übrigens nichts besonders Neues. Pionier war diesbezüglich Rumänien zur Zeit Ceaucescus, das seine versiegenden Ölvorkommen auf diese Art noch einmal verlängerte. Unter kapitalistischen Bedingungen war es aber im Verhältnis zum Weltmarktpreis für beide Energieträger lange unrentabel. Auch heute ist es nur aufgrund von Wertpapierspekulationen und Autarkie-Überlegungen gewinnversprechend. Diese Option wurde durch politische Interessen wieder aktuell.

Solange sich Europa aus dem Nahen Osten mit Öl versorgte und Gas als Energieträger zweitrangig war, war die Welt aus der Sicht der USA in Ordnung. Die grossen Ölproduzenten wurden über die USA und die 7 Sisters beaufsichtigt, und die USA hatte damit die Kontrolle über einen Teil der Energieversorgung Westeuropas.

Mit der Wende im Osten änderte sich alles, und Russland, das gar nicht Mitglied der OPEC ist, trat als grosser Spieler auf den Plan. Zunächst in Form von Raubrittern, die sich Öl- und Gas-Förder-Anlagen unter den Nagel rissen, und in alle Richtungen zu Dumpingpreisen verkauften. Es dauerte ca. eineinhalb Jahrzehnte, bis die russische Regierung den Energiesektor wieder unter ihre Kontrolle bekam. Die ganze Show um die Demontage von Jukos und Chodorkowski war ein Teil dieser Wiedererlangung der Souveränität in Energiefragen.

Zwischen diesen beiden Polen sortierte sich auch die EU neu. Gas als Energieträger trat verstärkt auf den Plan. Immerhin gab es ja Gasleitungen aus Russland in die ganzen sozialistischen Staaten, da war ja einiges an Infrastruktur da. An die schlossen sich vermehrt westliche Staaten an. Gas kam sozusagen in Mode.

Im Westen wurden Gasheizungen und Herde, man erinnere sich, lange mit Gasflaschen betrieben. Seit Anfang der 90-er Jahre nehmen Gasleitungen verstärkt zu. Südwesteuropa hinkt noch nach, in Ermangelung von Pipelines. Dort böte sich für Deutschlands Energiefirmen, so die geschäftlichen Kalkulationen, noch einiges an Potential an, sollte Nord Stream II tatsächlich zustandekommen.

6. Wer beherrscht welchen Markt?

Man sieht, es gibt also potente Spieler, und die Karten sind verteilt. Dabei darf man auch die Ölstaaten in der Golfregion nicht vergessen. Für sie ist Russland ein Konkurrent, den sie mit allen Mitteln bekämpfen wollen. Die ganzen Verwicklungen und Kriege im Nahen Osten sind auch unter dem Gesichtspunkt zu betrachten, dass Saudi Arabien und Katar den Einfluss Russlands auf dem Energiemarkt zurückdrängen wollen.

Die EU ist somit ein Brennpunkt der internationalen Interessen auf dem Energiemarkt. Die eigenen Ressourcen sind bescheiden, und haben auch nationale Aufsichtsmächte: Grossbritannien und Norwegen können Europas Energiebedarf nicht decken. Deutschland will ihnen mit seinem Energie-Mix und russischem Gas den Rang ablaufen. Die Atomenergie und die Wasserkraft spielen auch eine Rolle in diesem Spiel, und das alles wird unter dem Deckmantel des geeinten Europa mit unvermittelter Härte ausgetragen, was dem p.t. Publikum von den Medien als Kampf der Systeme – Demokratie gegen Diktatur – verkauft wird.

Amelie Lanier