Der Streit um die Eurobonds Schulden in der EU

Wirtschaft

3. Mai 2020

Hier werden einige Statistiken der Schulden der EU-Staaten angeführt und interpretiert.

EZB in Franfurt am Main.
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EZB in Franfurt am Main. Foto: Blogotron (PD)

3. Mai 2020
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Für die Euroländer wurde diese Quelle verwendet. Da die Statistik vorige Woche zusammengestellt wurde, sind die Zahlen bereits veraltet, weil sie laufend aktualisiert wird. Für die Nicht-Euro-Staaten wurde diese Quelle von Ende 2019 verwendet, die natürlich noch mehr veraltet ist und keine Daten zur Pro-Kopf-Verschuldung enthält.

Die Verschuldung in absoluten Zahlen

Frankreich 2 409 900 400 000 steigend
Italien 2 395 000 000 000 steigend
Deutschland 2 051,840.750.000 fallend
Spanien 1 273 217 400 000 steigend
Holland 522 736 020 000 steigend
Belgien 506 669 320 000 steigend
Griechenland 362 075 175 000 steigend
Österreich 313 980 830 000 steigend
Portugal 266 576 710 000 steigend
Polen 240 920 000 000
Irland 221 232 355 000 steigend
Finnland 163 485 022 000 steigend
Schweden 163 430 000 000
Dänemark 104 990 000 000
Ungarn 93 000 000 000
Rumänien 75 980 000 000
Tschechien 69 080 000 000
Slowakei 44 985 848 000 steigend
Kroatien 40 050 000 000
Slowenien 29 885 784 150 fallend
Luxemburg 19 566 598 500 steigend
Lettland 17 266 463 000 steigend
Zypern 16 223 047 600 fallend
Litauen 15 880 323 396 stagniert
Bulgarien 12 280 000 000
Malta 6 983 781 700 steigend
Estland 2 447 239 400 steigend

Von den Euroländern gibt es demzufolge nur 3 Staaten, deren Schulden fallen.

Während die Gründe bei Zypern und Slowenien unterschiedlich sein mögen, ist der Grund bei Deutschland der, dass die Bundesanleihe zu einer Referenzanleihe für Bonität geworden ist und sich daher zu Null- und Negativzinsen bedienen kann. Je mehr Schulden Deutschland daher aufnimmt, um so mehr entschuldet es sich.

Von dieser kommoden Position her kann es natürlich andere Länder belehren, sie möchten doch gefälligst mehr einnehmen und weniger ausgeben, also ihren „Haushalt in Ordnung bringen“.

Es hat dadurch auch die Möglichkeit, die Schulden gegen andere als Druckmittel einzusetzen, weil es selbst über praktisch unbegrenzte Verschuldungsfähigkeit verfügt und aus dieser Position der Stärke anderen ihre Verschuldung begrenzen bzw. verteuern kann. Für diejenigen Staaten nämlich, deren Schulden steigen und die Zinsen zahlen müssen, erhöht sich die Schuld auch noch durch den Schuldendienst, also die zusätzliche Zinslast, die bei jeder neuen Schuldaufnahme hinzukommt.

Es ist daher begreiflich, dass Deutschland von Eurobonds nix wissen will. Es müsste dann auf einmal selbst wieder Zinsen zahlen.

Dieses Spiel mit: Ich kann ausgeben, soviel ich will, ihr hingegen müsst sparen! – lässt sich nur solange fortsetzen, als der Euro besteht und stabil bleibt. Sobald er in die Krise geraten würde, wären auch die Bundesanleihen nicht mehr so gefragt. Deutschland muss also immer genau so viele Zugeständnisse machen, dass dieser Fall nicht eintritt. Das wird dann eben von Treffen zu Treffen ausgetestet.

Am Schlusslicht dieser Liste, Estland, kann man sehen, dass dieses Land offenbar von Verschuldung nichts hält. Seine Politiker sehen Schulden nicht als Mittel der Konjunkturförderung an, und auch nicht als eines der Krisenbewältigung.

Es ist wahrscheinlich, dass die Schulden, die es hat, vor allem aus der Zeit vor der Euro-Einführung stammen und der Währungspflege dienten – Estland gab Anleihen in Euro heraus, um den Wechselkurs der Estnischen Krone gegenüber dem Euro zu halten.

Aber nicht einmal diese Schulden wird es seither los, sondern sie steigen an. Es ist allerdings möglich, dass die estnischen Politiker nicht unangenehm auffallen wollen als praktische Kritiker der Schuldenpolitik und deshalb diese kleine Schuldenlast weiter mit sich herumschieben.

Die Verschuldung in Prozent in Bezug auf das BIP

Griechenland 176,9
Italien 132,7
Portugal 128,9
Zypern 109,1
Irland 106,5
Belgien 106
Spanien 103
Frankreich 96
Österreich 86,2
Slowenien 83,2
Kroatien 74,9
Deutschland 71,2
Ungarn 68,2
Holland 65,2
Finnland 63,7
Malta 63,9
Slowakei 52,9
Polen 47,4
Litauen 42,7
Lettland 36,4
Rumänien 35,4
Schweden 35,1
Dänemark 34,1
Tschechien 32
Luxemburg 22,8
Bulgarien 20,6
Estland 10

Unter den ersten 5 Staaten finden sich ausser Italien die 4 Rettungsschirm-Opfer. Der „Rettungsschirm“ war nämlich eher ein Hinkelstein, der ihnen in die Arme gelegt wurde. An dieser Statistik sieht man, dass diese Staaten aus der Schuldenfalle nicht mehr herauskommen, welche Jubelmeldungen der Art „X ist zurück an den Märkten!“ auch immer in den Medien verkündet werden. Sogar Portugal, das kurzfristig auch Negativzinsen verlangen konnte, oder Irland, das sich schon seit längerer Zeit zu einem vergleichsweise moderaten Zins verschulden kann, können diese einmal aufgebürdete Last nie mehr abschütteln.

Italien ist zwar, was die absolute Schuld angeht, inzwischen von Frankreich überholt worden, aber die relative Schuldenlast wird sich weiter in Richtung auf den Spitzenreiter zubewegen, weil die Wirtschaftsleistung Italiens immer mehr zurückgeht und dieses Land wahrscheinlich auch in der Coronakrise noch schwerere Einbussen als die anderen EU-Industriestaaten verzeichnen wird.

An der hohen relativen Verschuldung Sloweniens und Kroatiens sieht man, dass diese Staaten offenbar ihre Möglichkeiten überschätzt haben und ihre Wirtschaft sich nicht so entwickelt hat wie ursprünglich erwartet.

Während Slowenien lange als eine Art Ausreisser und Vorzeige-Land galt, das seine sozialistische Ökonomie erfolgreich in die Marktwirtschaft hinübergerettet hat, ist es im Zuge der Finanzkrise 2008 ff. von der Realität eingeholt worden, weil seine Märkte sowohl in den EU-Staaten als in den ehemaligen Teilrepubliken Jugoslawiens geschrumpft sind.

Belgien und Spanien sind seinerzeit knapp an einer Zahlungsunfähigkeit und einem Rettungsschirm vorbeigeschrammt. Sie hatten das Glück, dass diese Stützungsfonds-Politik damals aufgegeben wurde, weil sich das Verhältnis von stützenden zu gestützten Staaten nicht noch weiter nachteilig verändern sollte. Damals wurde dann auf das Anleihen-Aufkaufprogramm durch die EZB umgestellt, das diese beiden seither über Wasser hält. Mehr aber auch nicht. Sie sind ständig davor gefährdet, dass ihre Anleihen von den Rating-Agenturen auf Ramsch-Status (BB) heruntergestuft werden.

Vermutlich mit diesen beiden Staaten im Blickfeld hat Christine Lagarde deshalb vor einigen Wochen verkündet, dass die EZB auch solche Anleihen aufkaufen wird, um eine Abwärtsspirale und eine neue Eurokrise schon im Vorfeld abzuwehren. Spanien ist nämlich eine grosse Nationalökonomie, Belgien ein Gründungsmitglied der EU und ihr Sitz, Schuldenprobleme in diesem Land hätten eine sehr schiefe Optik.

Ungarn betrat das Nach-Wende-Europa mit einem grossen Schuldenberg, nachdem es bereits 1982 dem IWF beigetreten war, um seine Verschuldungsfähigkeit zu erhöhen. Nachher kam auch noch einiges dazu, und da sich die Wirtschaftsleistung nicht so entwickelt, wie es sich Viktor Orbán bei seinem Amtsantritt vorgenommen hatte, wird es diese Schuld auch nicht los. Ausserdem muss es wie andere Nicht-Euro-Staaten auch eine Euro-Verschuldung zum Zweck der Währungspflege betreiben und Euro-Anleihen auf Euro-Börsen herausgeben, um den Wechselkurs des Forint stabil zu halten.

Genaugenommen handelt es sich um 2 Wechselkurse, da sich das Misstrauen der Finanzwelt in die ungarische Währung darin ausdrückt, dass ein ziemlicher Unterschied zwischen dem Ankaufs- und dem Verkaufspreis des Forint besteht. Mit dem heutigen Tag muss man 356 Ft für einen Euro hinlegen, für einen Euro erhält man aber nur 328 Ft – wenn überhaupt, weil hohe Wechselgebühren werden auch noch abgezogen. Vor allem der Verkaufspreis des Forint ist seit den Anti-Corona-Massnahmen Mitte April stark gestiegen.

Die Pro-Kopf-Verschuldung der Euro-Staaten

Irland 43.509 Belgien 38.565 Italien 35.721 Österreich 33.864 Frankreich 31.605 Griechenland 28.805 Deutschland 26.523 Holland 26.133 Finnland 23.895 Spanien 23.088 Zypern 22.390 Portugal 22.299 Luxemburg 19.848 Slowenien 15.546 Malta 13.091 Slowakei 7.619 Litauen 5.437 Lettland 4.467 Estland 1.717

Bei der Pro-Kopf-Verschuldung führt nach wie vor Irland. Die Euphorie über den wirtschaftlichen Aufschwung und die Einführung des Euro, was auch als Unabhängigkeit von GB wahrgenommen wurde, hat dem Land erst eine Immobilienspekulation und dann einen Crash beschert. Die Gewinne aus dem Immobilienboom blieben grösstenteils bei deutschen Landes- und Kommunalbanken, die dort gross eingestiegen waren, und die bei der Schuldenübernahme durch den Rettungsfonds mit einem blauen Auge davonkamen. Die Kosten für den ganzen Spass wurden den künftigen Generationen in Irland aufgebürdet.

Noch ein Wort zu den Niederlanden. Holland liegt bei absoluten Schulden im Spitzenfeld, relativ zu BIP und Bevölkerung im Mittelfeld. Es kann sich also seine hohe Verschuldung leisten, ohne ins Gerede zu kommen. Warum eigentlich? Was kann Holland, was dem benachbarten Belgien nicht gelingt?

Wie sich schon bei der Griechenland-Krise und auch jetzt wieder gezeigt hat, scheint Holland ein Sonderverhältnis zu Deutschland zu pflegen, als eine Art Schildknappe, und das könnte auf einem Kreditstützungs-Deal beruhen. Die Bundesbank kauft holländische Anleihen zu einem sehr niedrigen Zins oder Nullzins, und Holland betätigt sich als Scharfmacher, um die Rolle Deutschlands als Schulden-Champion und Schulden-Diktator nicht allzu deutlich hervortreten zu lassen.

Das ist also das Szenario, auf das die Eurobonds-Vorstellungen Italiens stossen und vor dem sie zuschanden werden. Irgendetwas müssen Deutschland und seine Flügeladjutanten Italien aber auch geben. Erstens wäre die Verfahrensweise von 2012-2015 mit Troika und Bedingungen nicht wiederholbar, schon allein deshalb, weil der IWF nicht mehr mitspielen würde. Zweitens ginge das auch mit einem Land von der Bedeutung Italiens nicht.

Es war nur einer besonderen Konstellation der italienischen Innenpolitik zu verdanken, dass Monti und Renzi, die Supersparer, überhaupt ihr Programm durchziehen konnten. Der Schock über das Zerplatzen der Euro-Illusionen und aller darauf aufbauenden Kreditblasen machte die italienischen Eliten diesbezüglich willfährig.

Aber die jetzige Politikermannschaft und der strauchelnde Banksektor Italiens stellen diesbezüglich eine etwas härtere Nuss dar.

Amelie Lanier