Die Türkei - Ein Krisengewinner? Emerging Powers?

Wirtschaft

22. Mai 2013

„Erstmals seit 19 Jahren steht die Türkei beim IMF nicht in der Kreide. Die Begleichung aller Schulden wird von Ankara als historischer Wendepunkt und als Spiegel weltwirtschaftlicher Gewichtsverlagerungen betrachtet.

Kanyon Einkaufszentrum in Istanbul.
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Kanyon Einkaufszentrum in Istanbul. Foto: Gokhan (CC BY-SA 3.0 unported - cropped)

22. Mai 2013
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Die gegenüber dem IMF aufgetürmten Schulden, die im Nachzug zur Finanzkrise des Jahres 2001 rund 23,5 Mrd. $ betrugen, konnten in den vergangenen Jahren stetig abgebaut und am Dienstag vollumfänglich getilgt werden. … Noch vor wenigen Jahren sah es nicht danach aus, als ob die langjährige Kreditbeziehung zu einem raschen Ende kommen würde.“ … 2009 wurde monatelang „verhandelt, ehe man in Ankara vor dem Hintergrund anhaltend hoher Kapitalzuflüsse zum Schluss kam, auf den IMF nicht länger angewiesen zu sein.“ …

Die Türkei ist inzwischen „vom Schuldner zum Gläubiger mutiert. So hat die Türkei dem IMF im Juni vergangenen Jahres eine Unterstützung von 5 Mrd. $ zugesichert, und zwar zur Eindämmung der Euro-​Krise. Dass Ankara damit indirekt Brüssel zu Hilfe kommt, wird in der türkischen Regierung … mit einem nicht zu knappen Mass an Genugtuung registriert.“ NZZ, 14.5. 2013

Ein Staat, der zwischen Griechenland und Zypern liegt, und der EU nicht angehört, hat keine Schwierigkeiten, sich zu finanzieren, sondern ist sogar in der Lage, den in Turbulenzen geratetenen Euro zu stützen, wenngleich diese Hilfe angesichts der Summe, um die es geht, eher symbolischen Charakter hat. Aber gerade diese Symbolik hats in sich: Das Land, dem seit Jahren bei seinen Beitrittsverhandlungen mit der EU immer wieder auf die Zehen gestiegen wird, gibt satt und selbstzufrieden kund, dass es eigentlich die ganze EU nicht braucht und ausserhalb von ihr besser fährt. Gleichzeitig wird der EU grossmütig Hilfe gewährt und damit zum Ausdruck gebracht, dass man sie als Handelspartner durchaus schätzt und weiter erhalten möchte. Dem einstigen Erzrivalen Griechenland, der in einer politisch wie ökonomisch völlig auswegslosen Situation steckt, zeigt man damit so nebenbei, dass er mit „Europa“ aufs falsche Pferd gesetzt hat. Und den Griechisch-​Zyprioten, die seinerzeit in einem Referendum die Wiedervereinigung der Insel abgelehnt haben, dass man darüber jetzt beinahe dankbar ist, und sie jetzt allein in der Patsche sitzen, die die EU ihnen verursacht hat.

Zur Rückerinnerung: Die EU nahm 2004 mit Zypern ein Land auf, dessen territorialer Status nicht geklärt war. Der Umstand, dass dies kein Hindernis war, weist darauf hin, dass es offenbar ein starkes Interesse gab, Zypern dabei zu haben. Gegenüber den postsozialistischen Staaten, deren wirtschaftliche Entwicklung eher schleppend verlief, stellte Zypern in den Augen der EU eine echte Verstärkung dar, mit einem Zahlungsbilanzüberschuss und einer quasi Hartwährung. All das dank seines heute angeblich „überdimensionierten“ Banksektors.

Warum steht die Türkei so gut da? Ist der Traum Turgut Özals aufgegangen, der meinte, das 21. Jahrhundert müsste das Jahrhundert der Türkei werden? Er zielte dabei auf den Ausbau der Handelsbeziehungen mit den turksprachigen und ölreichen Nachfolgestaaten der Sowjetunion und der – nicht nur – ökonomischen Vermittlerrolle zwischen Orient und Okzident. Das Erstarken der Türkei ist also ausgelöst worden durch die Auflösung der SU. Die Türkei hat sich offenbar im Osten durchaus zahlungskräftige Märkte erschlossen und darüber z.B. ihre Bekleidungsindustrie, die durch die EU-​Konkurrenz seinerzeit schwer in Mitleidenschaft gezogen worden war, wieder in die Höhe gebracht. Ebenso hat sie auch ihren Finanzsektor saniert und ausgebaut, indem sie mit Know-​How über modernes Bankwesen den türkischen Brüdern und Schwestern im Osten unter die Arme gegriffen hat. Als Urlaubsparadies gewinnt sie seit zwei Jahrzehnten ständig an Bedeutung, nicht nur für Gäste aus der EU, sondern auch Russlands und anderer GUS-​Staaten. Schliesslich ist sie ein Gewinner der Krisen im Nahen Osten, wo sie inzwischen als sicherer Hafen für Vermögen angesehen wird, das von seinen Besitzern aus dem jeweiligen Land geschaffen wird.

Der Aufstieg der Türkei ist auch ein Ergebnis des Abstiegs Europas: Die Türkei kann es sich leisten, der EU nicht beizutreten. Sie macht auch kein Hehl daraus. Im Gegenteil. Die Ambitionen der Türkei gehen auf Schaffung eines Gegengewichtes, eines losen Bündnisses islamischer Staaten, denen sie sich als gelungene Mischung von religiöser Tradition und wirtschaftlichem Aufschwung präsentiert und als Führungsmacht anträgt. Das ist zwar derzeit noch Zukunftsmusik, und hängt davon ab, wie sich die Lage in Syrien, dem Iran und anderen Staaten der Region entwickelt. Und auch davon, wie die USA mit dergleichen Ambitionen umgehen werden.

Aber die Weichen sind gestellt …

Amelie Lanier