Wie funktioniert das Geschäft zwischen den Banken? Bankengeschäft, Leitzins und Finanzkrise

Wirtschaft

20. Oktober 2015

Seit dem Ausbruch der sog. „Finanzkrise“ im Jahr 2008, hat die US-amerikanische Notenbank Federal Reserve (Fed) den Leitzins auf einen historischen Tiefstwert von 0,25% gesenkt. Unterboten wird das lediglich von der Europäischen Zentralbank mit 0,05% seit 2014. Was hat es damit auf sich?

Das Eccles Gebäude der US-amerikanischen  Notenbank Federal Reserve (Fed) in Washington.
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Das Eccles Gebäude der US-amerikanischen Notenbank Federal Reserve (Fed) in Washington. Foto: Farragutful (CC BY-SA 3.0 unported - cropped)

20. Oktober 2015
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Der Leitzins ist derjenige Zins, zu dem sich Privatbanken von der Geld ausgebenden Notenbank eines Staates selbst (Zentralbank-)Geld leihen können, um damit ihre Geschäfte zu tätigen. Diese bestehen unter anderem darin, Wertpapierhandel zu betreiben, Kredite (vor allem an Unternehmen) zu vergeben und den Zahlungsverkehr der Unternehmen, die bei ihnen Konten haben, abzuwickeln.

Bei letzterem ist es zur Regel geworden, dass zwischen den Banken kein wirkliches Geld fliesst, sondern die meisten Transaktionen über den Zahlungsausgleich, die sogenannte Saldierung, stattfinden: Nehmen wir an ein Unternehmen A, mit einem Konto bei Bank a möchte eine Rechnung bei Unternehmen B, mit einem Konto bei Bank b, in der Höhe von 100.000 Euro begleichen. Dann müsste irgendeine Form der Überweisung stattfinden, Bank a müsste die 100.000 Euro entweder in einen Geldtransporter laden und zu Bank b fahren, oder aber als elektronisches Geld überweisen. In jedem Fall ist ein Transfer nötig – denn dasselbe Geld, auch als nicht mehr materiell, sondern nur noch digital existierendes, kann zur gleichen Zeit nur auf einem Konto, bei einer der Banken liegen.

Nun weiss aber die Bank b, dass das Unternehmen C, das ebenfalls bei ihr ein Konto führt, in zwei Tagen eine Rechnung von 100.000 Euro beim Unternehmen A (Konto bei Bank a) zu begleichen hat und verzichtet auf die Überweisung an Bank a. Die Bank b vereinbart nun mit der Bank a, weil die Zahlungen, die sie sich gegenseitig leisten müssten, sich ausgleichen, dass anstelle der Buchung die gegenseitigen Zahlungsforderungen sich in zwei Tagen ausgleichen können, ohne dass ein Cent reales Geld geflossen ist. Für die zwei Tage, die dazwischen liegen, räumt Bank b der Bank a einen Kredit ein und leiht ihr damit für zwei Tage das Geld.

Anstelle der beständigen Zahlungen und Überweisungen sorgt das Kreditsystem, die gegenseitige Kreditvergabe der Marktteilnehmer, dafür, dass das tatsächlich zirkulierende Geld, welches jede Bank vorrätig haben muss – egal ob digital oder, in früherer Zeit, als Münze/Papiergeld – auf ein Minimum reduziert wird. Da es in dieser Situation für jede Bank in der Konkurrenz mit anderen Banken ein Verlustgeschäft wäre, es anders zu handhaben, als die grösstmögliche Verwertung des zur Verfügung stehenden Kapitals anzustreben, basiert das Inter-Banken-Geschäft wesentlich auf gegenseitigen Zahlungsverpflichtungen, die saldiert werden und darauf, dass sich die Banken für kurze Perioden andauernd gegenseitig Kredite (mit entsprechenden Zinssätzen) einräumen.

Wie kommt es zu einer „Kreditklemme“?

Kommt nun Zweifel an der Zahlungsfähigkeit einer Bank auf, d.h. kann Bank b nicht mehr mit Sicherheit davon ausgehen, dass Bank a auch wirklich die 100.000 Euro überweisen kann (z.B. weil eine Reihe von Unternehmen, z.B. aufgrund allgemeiner Überproduktion, pleite gegangen ist, denen Bank a Kredite gegeben hat), steht die Zahlungsfähigkeit von Bank a in Gefahr. Bank b stellt nun Bank a keinen kurzfristigen Kredit mehr aus, sondern will logischerweise wirkliches Geld sehen. Der Handel mit Zahlungsversprechen (oder „Buchgeld“) bricht schlagartig zusammen und reales Geld muss an seine Stelle treten. Wie oben bereits erläutert, operiert die Bank a grösstenteils mit Buchgeld, und ihr Geschäft übersteigt bei weitem das tatsächliche bei ihr eingelagerte Guthaben. Dabei ist selbst dieses auf den Konten gutgeschriebene Guthaben nicht präsent, sondern wurde selbst weitergegeben, als Kredit, um daraus Zinsen zu schlagen.

Nun ist Bank b natürlich bemüht das Geld aufzutreiben und fordert ausgegebene Kredite zurück, verkauft Anleihen und Wertpapiere von anderen Unternehmen, um dafür wirkliches Geld zu erhalten, koste es, was es wolle. Und vor allem: Bank b fordert nun ihrerseits, dass die ausstehenden Zahlungen nicht nur „saldiert“, also auf dem Papier (als Buchgeld) ausgeglichen werden, sondern sie fordert sie von den Banken x, y und z in wirklichem Geld ein. Diese haben aber nun ihrerseits auch nicht solche Mengen an wirklichem Geld in ihrem nicht vorhandenen riesigen Tresoren liegen. Die Kette von gegenseitigen Krediten bricht ab, es kommt zu dem, was Marx den Umschlag vom Kredit- ins Monetarsystem nannte, und den die kapitalistische Geschäftswelt nicht ohne Grund fürchtet:

„Die Funktion des Geldes als Zahlungsmittel schliesst einen unvermittelten Widerspruch ein. Soweit sich die Zahlungen ausgleichen, funktioniert es nur ideell [also vorgestellt; Anm. d. Red.] als Rechengeld [hier: Buchgeld; Anm. d. Red. ] oder Mass der Werte. Soweit wirkliche Zahlung zu verrichten, tritt es nicht als Zirkulationsmittel auf, als nur verschwindende und vermittelnde Form des Stoffwechsels, sondern als die individuelle Inkarnation der gesellschaftlichen Arbeit, selbständiges Dasein des Tauschwerts, absolute Ware.

Dieser Widerspruch [eskaliert] in dem Moment der Produktions- und Handelskrise, der Geldkrise heisst. Sie ereignet sich nur, wo die prozessierende Kette der Zahlungen und ein künstliches System ihrer Ausgleichung völlig entwickelt sind. Mit allgemeineren Störungen dieses Mechanismus, woher sie immer entspringen mögen, schlägt das Geld plötzlich und unvermittelt um aus der nur ideellen Gestalt des Rechengeldes in hartes Geld. (…)

Eben noch erklärte der Bürger in prosperitätstrunkenem Aufklärungsdünkel das Geld für leeren Wahn. Nur die Ware ist Geld. Nur das Geld ist Ware! gellt es jetzt über den Weltmarkt. Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser, so schreit seine Seele nach Geld, dem einzigen Reichtum.“ (K. Marx, Kapital I, MEW 23, 151f.) [1]


Bis sich dieser Mechanismus herumgesprochen hat, dauert es nicht all zu lange und die Unternehmen und Einzelpersonen rennen zur Bank und wollen ihr Geld abheben, das, wie oben erwähnt, immer noch nicht im riesigen Geldspeicher vorhanden ist. Der „Schwindel“ ist aufgeflogen, die allgemeine Banken-, oder „Finanzkrise“ ist da: Die Banken leihen sich für ihre gegenseitigen Zahlungsverpflichtungen und Geschäfte kein Geld (kurzfristige Kredite) und den Unternehmen verleihen sie erst Recht keines (langfristige Kredite). Das Kreditsystem ist umgeschlagen in das Monetarsystem, das seine Grundlage war:

„Sowie die Krise hereinbricht, handelt es sich nur noch um Zahlungsmittel (= Bargeld zur Schuldtilgung). Da aber jeder vom anderen abhängig ist für den Eingang dieser Zahlungsmittel und keiner weiss, ob der andere imstand sein wird, am Verfalltag zu zahlen, tritt ein vollständiges Kirchturmrennen ein um die im Markt befindlichen Zahlungsmittel, d. h. für Banknoten. Jeder schatzt davon auf, so viele er erhalten kann, und so verschwinden die Noten aus der Zirkulation am selben Tag, wo man sie am nötigsten braucht.“ (K. Marx, Kapital III, MEW 25, 543.)

Obwohl bei einer solchen „Kreditklemme“ kein Cent Geld mehr oder weniger vorhanden ist, stellen die Funktionäre des Kapitalismus, die Regierungen und ihre Ökonomen, weltweit fest, dass dieses Geld nicht mehr fliesst (obwohl es, wie oben dargestellt, auch vorher nicht „geflossen“, d.h. tatsächlich zirkuliert ist), weder zwischen den Banken, noch zwischen Banken und Unternehmen – und letzteren ist der Kredit in seinen verschiedenen Formen eine zentrale Bedingung ihrer Verwertung. Um das Kreditsystem und damit das an dieses gekoppelte kapitalistische Produktionssystem aufrecht zu erhalten, müssen die (Privat)Banken nun schnellstmöglich und sehr günstig an Geld kommen, um den allgemeinen Zahlungskreislauf wieder in Gang zu bringen.

Die „Finanzkrise“ 2008 und der Leitzins

Und hier kommt die Zentralbank ins Spiel: Wie oben erwähnt, ist sie die zentrale staatliche Bank, die reales Geld ausgibt (das durch den Staat oder Staatenverbund, der sie trägt, als gesetzliches Zahlungsmittel abgesichert ist) und den Privatbanken eben jenes „Zentralbank-Geld“ selbst verleiht.

Die Zinshöhe, zu der die Banken sich bei ihrer Zentralbank das Geld leihen können, ist der Leitzins. Ist dieser Zins hoch, so leihen sich die Privatbanken bei der Zentralbank weniger Geld, da dieser Zins dem Preis entspricht, den die Privatbanken zahlen müssen, um sich eine gewisse Menge Geld zu leihen. Umgekehrt sind sie in diesem Fall sogar bemüht, eigenes Kapital bei der Zentralbank einzulagern und so die Geldmenge, die insgesamt existiert, zu reduzieren. Ist der Leitzins niedrig, haben die Privatbanken einen Anreiz, sich bei der Zentralbank Geld zu leihen, mit dem sie ihre Geschäfte machen können und somit den Zahlungsverkehr wieder in Gang zu bringen.

Mit der Finanzkrise seit 2008 erreichte die allgemeine Überproduktion des globalen Kapitals ihren bisher massivsten Krisenausdruck. Was die Regierungen, Ökonomen und Zentralbankchefs in der „Kreditklemme“ (die keineswegs die Ursache dieser Krise war, sondern eben nur ein Ausdruck!) der Finanzkrise 2008 mit ihren logischerweise systemimmanenten Anschauungen gesehen haben, ist, dass kein Geld mehr floss, ergo, zu wenig Geld verfügbar sein muss, ergo mehr Geld „in die Märkte gepumpt“ werden muss.

Ihre Schlussfolgerung daraus war, den Leitzins auf beinahe Null zu senken, somit die Privatbanken mit zusätzlichem Geld zu beschenken (ein Kredit ohne Zinsen ist faktisch eine Schenkung auf Zeit) und folglich „die Märkte mit frischem Geld zu fluten“, wie es so schön heisst. Die Privatbanken des Euro-Raums können, mit anderen Worten, seit dem 04.09.2014 für 0,05% praktisch neues Geld schaffen, um damit den Zahlungskreislauf wieder in Schwung zu bringen, den Unternehmen und „Konsumenten“ wieder Kredite zu geben oder z.B. Wertpapierhandel zu betreiben. Der drohende Zusammenbruch des Kreditsystems, der notwendigerweise in Massenpanik und Massenbankrotte umgeschlagen wäre, konnte auf diese Weise abgewendet werden.

Nun richtet sich aber die Bewegung des globalen Kapitals und damit das Handeln der Unternehmen und Banken im Kapitalismus nicht nach dem Wünschen der Einen oder dem Wollen des Anderen, sondern es richtet sich danach aus, wo die Verwertung am höchsten und die Gewinnerwartung am vielversprechendsten sind. Dass die inflationären Massnahmen, also den Leitzins auf fast Null zu setzen und somit massenhaft Geld in den Markt zu pumpen, einerseits nicht zu einer Inflation geführt haben, sondern in der BRD im bisherigen Jahresverlauf eine Inflationsrate von 0,24% herrscht, und andererseits nicht zu dem Boom, den man sich erhofft hat, verweist auf den eigentlichen Widerspruch, der in dieser Krise kulminiert. Dieser Widerspruch liegt nicht in der Sphäre des fiktiven Kapitals begründet, deren Verwerfungen nur ein Ausdruck dieser Krise sind, sondern ist in der Verwertung des Kapitals und ihren Bedingungen selbst zu suchen. Dem Widerspruch auf den Grund zu gehen wird Aufgabe einer der nächsten Artikel der Kritischen Perspektive sein.

Der folgende Artikel erschien ursprünglich in Kritische Perspektive 21/2015. Wiederabdruck mit freundlicher Genehmigung der AutorInnen.

[1] Hier nimmt Marx, um die Verblendungen des Waren- und Geld-Fetischs zu verdeutlichen, Anleihen aus der Nebelwelt der Religion, genauer: dem 42. Bibelpsalm, der im Original heisst: „(…) Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser, so schreit meine Seele, Gott, zu dir. Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott. Wann werde ich dahin kommen, das ich Gottes Angesicht schaue?“