Warengesellschaft und Widerstand im Zeitalter von Deregulierung und Entstaatlichung Out Of Area – Out Of Control

Politik

10. Juni 2015

Seit den Tagen des Ersten Weltkriegs bis tief in die 70er Jahre hinein galt es als ausgemacht: Zukunft hat nur eine durch Staatseingriffe modifizierte und sozial eingehegte Marktwirtschaft.

Hoover Staudamm mit abgesenktem Wasserspiegel infolge der Wasserknappheit in Kalifornien, USA.
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Hoover Staudamm mit abgesenktem Wasserspiegel infolge der Wasserknappheit in Kalifornien, USA. Foto: Alex Proimos (CC BY-NC 2.0 cropped)

10. Juni 2015
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Korrektur
Insbesondere zur Zeit des Nachkriegsbooms teilten alle tonangebenden gesellschaftlichen und politischen Kräfte in den Weltmarktzentren diese Perspektive.

I. Die Unselbständigkeit der Politik

1.

In den 60er Jahren firmierte dieses Programm hierzulande unter dem Markennamen „Soziale Marktwirtschaft”, in den USA zur gleichen Zeit unter dem Label „Great Society”. Da wie dort stand ausser Frage, dass der Staat als Gegengewicht zum freien Spiel der Marktkräfte aufzutreten hat. Insbesondere der Sozialstaat wurde als Synonym von Modernität gefeiert und „Reformpolitik” bezeichnete an beiden Ufern des Atlantiks nichts anderes als dessen energischen Ausbau.

2.

Mittlerweile hat sich dieses Szenario von Grund auf verändert. Das Leitmotiv des globalisierten Kapitalismus, wie er sich seit den 80er Jahren herausgebildet hat, lautet: „Wo Staat ist soll Markt werden”. Vor allem der Sozialstaat, ehemals Inbegriff des Fortschritts, steht nun für Rückständigkeit und Verknöcherung. Bekanntlich bleibt es auch in den Weltmarktzentren nicht bei der ideologischen Generalmobilmachung. Seit der Jahrtausendwende gehen wie vorher schon in Grossbritannien und den USA auch in Kontinentaleuropa mit atemberaubender Geschwindigkeit die sozialen Errungenschaften von Jahrzehnten über Bord.

3.

Die Liquidatoren des Sozialstaats und Fürsprecher von Privatisierung und Deregulierung rechtfertigen ihre Bestrebungen als überfällige Korrektur politisch motivierter Fehlentwicklungen. Die jede Privatinitiative lähmende „Überregulierung” blockiere zusammen mit dem „sozialstaatlichen Wildwuchs” den Weg zu Wachstum und Wohlstand. Die Beseitigung all dieser Hindernisse sei dringend geboten, leiern die marktwirtschaftsideologischen Gebetsmühlen.

Die Verteidiger staatlicher Regulation und sozialstaatlicher Umverteilung sehen das anders. Nicht die sozialstaatlichen Errungenschaften seien das Resultat einer falschen, am arbeitsgesellschaftlichen Gemeinwohl desinteressierten Politik, sondern deren Beseitigung. Die beiden streitenden Parteien bewerten zwar die laufende Entwicklung diametral entgegengesetzt, ihre Deutungen folgen indes dem gleichen Interpretationsmuster. Die einen wie die anderen behandeln staatliche Regulation stur und ausschliesslich als abhängige Variable politischer Kämpfe und Entscheidungen. Die Irrungen und Wirrungen politischer Auseinandersetzungen scheinen letztinstanzlich dafür verantwortlich zu zeichnen, welcher Stellenwert dem Staat bei Produktion und Verteilung des warengesellschaftlichen Reichtums zukommt.

4.

Die linke Variante dieser Argumentationsweise dürfte vertraut sein: Arbeitsschutzgesetze, Arbeitszeitverkürzungen, Tariflöhne, Kranken-, Unfall-, Renten- und Arbeitslosenversicherungen sind in harten Klassenkämpfen dem Kapitalismus abgetrotzt worden. Heute nutzt „das Kapital” die Schwäche der organisierten Arbeiterklasse zur Zurücknahme dieser Zugeständnisse und zur Reinstallierung des alten „Manchesterkapitalismus”.

So viel ist an dieser Sichtweise richtig: Der Prozess sozialstaatlicher Formierung verdankt den Kämpfen der Arbeiterbewegung wesentliche Impulse. Und auch die Abwicklung des Sozialstaats lässt sich kaum ohne die wilde Entschlossenheit seiner neoliberal indoktrinierten Totengräber denken. In die Irre führt diese Interpretation aber insofern, als sie die politischen Richtungsentscheidungen als voraussetzungslose Prima Causa behandelt. Damit fällt aber das Wesentliche unter den Tisch. Bei den grossen politischen Konzepten handelt es sich bereits um Reaktions- und Verarbeitungsformen auf tieferliegende strukturelle Entwicklungen, die ausserhalb der Reichweite politischen Handelns liegen.

Die Väter des Sozialstaats konnten nur deshalb dauerhafte Erfolge verzeichnen, weil sie dem System kapitalistischer Reichtumsproduktion etwas für dessen Durchsetzung und Verallgemeinerung Unerlässliches hinzufügten. Und auch beim derzeit laufenden marktideologisch begründeten Abrissunternehmen handelt es sich um mehr als um eine ungünstigen politischen Kräfteverhältnissen geschuldete Verirrung; es entpuppt sich näher besehen als durchaus folgerichtige innerkapitalistische Antwort auf die grundlegende strukturelle Krise von Arbeit und Verwertung. Der politische Paradigmenwechsel verweist auf einen fundamentalen inneren Widerspruch warengesellschaftlicher Reichtumsproduktion; Etatisierung und partielle Deetatisierung lassen sich als die historische Verlaufsform dieses inneren Widerspruchs fassen.

II. Kleine Politische Ökonomie des Staatssektors

1.

Beginnen wir bei der Klärung des widersprüchlichen Verhältnisses zunächst auf einer sehr grundsätzlichen Ebene, bei der Frage nämlich, was in der kapitalistischen Logik überhaupt unter Reichtum zu verstehen ist. Eine Antwort liefert Marx gleich in den ersten beiden Sätzen des „Kapitals”: „Der Reichtum der Gesellschaften, in welchen kapitalistische Produktionsweise herrscht, erscheint als ungeheure Warensammlung, die einzelne Ware als seine Elementarform.” Diese Bestimmung lässt sich auch als „historische Mission” lesen. Die kapitalistische Gesellschaft kennzeichnet der Drang, einen möglichst grossen Teil des gesellschaftlichen Reichtums in Waren zu verwandeln und alle Reichtumsproduzenten in Warenproduzenten. Je konsequenter einer Gesellschaft dies gelingt, desto reiner bildet sich ihr kapitalistischer Charakter aus.

Was die Vernichtung traditioneller nicht-monetärer Reproduktionsformen angeht, hat sich die historische Entwicklung buchstabengetreu an dieses Programm gehalten. Zumindest in den Metropolenländern wurden sie spätestens im 20. Jahrhundert ausgelöscht oder völlig marginalisiert. Parallel dazu machte freilich ein in Sachen Reichtumsproduktion neuer Akteur Karriere: der Staat. Die Expansion der Staatstätigkeit ordnet sich zwar selber in den grossen Prozess der Monetarisierung und der Verwandlung aller gesellschaftlich gültigen Tätigkeit in bezahlte Arbeit ein, doch hat er nicht direkt an der Kommodifizierung Teil. Der Staatstätigkeiten entspringende gesellschaftliche Reichtum setzte sich gerade nicht aus zusätzlichen, auf optimale Verkäuflichkeit hin erzeugten Waren zusammen. Wo der Staat Güter bereitstellt oder bei deren Händewechsel die Finger im Spiel hat, hebelt er vielmehr den Äquivalententausch, die soziale Beziehungsform von Warenbesitzern, aus. Was jedoch hat die Warengesellschaft dazu animiert, eine von ihrer Idealgestalt abweichende Form von Reichtumserzeugung und -verteilung in die Welt zu setzen?

2.

Die Lösung dieses Rätsels liegt im spezifischen Charakter, den Reichtum durch seine Verwandlung in Waren annimmt. Diese Transformation verbindet in sich zwei widersprüchliche Momente. Die „Elementarform” des kapitalistischen Reichtums, die einzelne Ware, steht für etwas von Grund auf Paradoxes, nämlich für „ungesellschaftliche Gesellschaftlichkeit” (Marx).

Einerseits führt der Aufstieg der Ware zur herrschenden Reichtumsform zur Ausbildung eines hochgradig arbeitsteiligen und vergesellschafteten Systems. Zum logischen Fluchtpunkt hat der Vormarsch der Ware den Weltmarkt und damit die Verschmelzung von Produktion und Konsumtion zu einem einzigen planetaren Zusammenhang. Die Einzelproduzenten und die Warensubjekte agieren als allseitig abhängige Glieder eines gigantischen gesellschaftlichen Aggregats.

Gleichzeitig bedeutet die Reduktion von Reichtum auf Warenreichtum aber gleich in zweifacher Hinsicht eine systematische Entgesellschaftung. Zum einen insofern, als mit der Herrschaft der Warenform gesellschaftliche Beziehungen nur noch als die Beziehung von Sachen existieren. Soweit Gesellschaft ohne direkte soziale Beziehung nicht auskommt, ist für sie nur in einer vom eigentlichen grossen gesellschaftlichen Zusammenhang abgespaltenen Sondersphäre Platz. Zum anderen handelt es sich aber auch bei der in Warenbeziehung verwandelten Beziehung zu den materiellen Gütern um einen radikal entgesellschafteten Bezug, und zwar für jeden im unendlichen Warenuniversum vorgesehenen sozialen Ort. Vom Standpunkt des Produzenten erscheinen die sinnlich-stofflichen Qualitäten des Erzeugnisses und damit auch dessen gesellschaftliche Wirkung und Wirklichkeit völlig irrelevant. Von Belang ist allein deren Verkäuflichkeit. Zwischen Giftgas und Gummibärchen, Gewaltvideo und Gardine gibt es dementsprechend aus der Produzentenperspektive keinerlei Unterschied.

Der Käufer seinerseits kann immer nur isolierte Endprodukte erwerben, deren Entstehungsbedingungen und damit ihre gesellschaftliche Dimension völlig ausserhalb seines Zugriffs liegen. Schliesslich bleibt das Warensubjekt all den Waren gegenüber ganz und gar verhältnislos, denen es nicht aktuell als Käufer oder Verkäufer gegenübertritt. Nur zu einen im Nanobereich angesiedelten Bruchteil des Warenkosmos kann das Warensubjekt via Zahlung überhaupt in eine Beziehung treten. Wer im Warenuniversum aus dem Zirkel von Kauf und Verkauf herausfällt, gerät sofort in die unkomfortable Lage eines Fisches auf dem Trockenen und ist in einer hochgradig vergesellschafteten Welt von allem abgeschnitten, was eine menschliche Existenz ausmacht.

3.

Der innere Widerspruch von totaler Vergesellschaftung und radikaler Ungesellschaftlichkeit läuft zu Ende gedacht auf nichts anderes als auf Selbstzerstörung hinaus. Eine Gesellschaft, die ihre Mitglieder tatsächlich bei absolut jeder Lebensäusserung durch das Nadelöhr des Äquivalententauschs treiben wollte, wäre reproduktionsunfähig. Um der Selbstdemontage zu entgehen, kommt die Warengesellschaft nicht umhin, Teile der gesellschaftlichen Reichtumsproduktion auszugliedern, um sie der Warenform nicht direkt, sondern nur indirekt zu subsumieren. Das gilt zunächst einmal für die breite Palette häuslicher Tätigkeiten. Sowohl die unerlässliche Nach- und Vorbereitung des privaten Warenkonsums als auch zentrale Aspekte der sozialen Grundversorgung werden ins Reich des Abgespaltenen abgedrängt. Die Warengesellschaft verlässt sich stillschweigend darauf, dass irgendwelche, in der Regel weiblichen Geisterhände ausserhalb der warengesellschaftlichen Buchführung Kinder erziehen, sich um Angehörige kümmern und Haushalte führen.

Die Warengesellschaft ist aber nicht allein auf diese Schrumpfform unmittelbarer sozialer Beziehungen angewiesen, für die all diese ohne grosses Aggregat leistbaren Tätigkeiten stehen. Um als Warensubjekte agieren zu können, müssen die Menschen gewisse allgemeine infrastrukturelle Voraussetzungen dieser Daseinsweise vorfinden. Kein Individualverkehr ohne von allen Privatfahrzeugen benutzbare Strassen. Keine Arbeitskraft kann auf den Arbeitsmarkt treten, ohne vorher Bildungsinstitutionen zu durchlaufen, die sie auf die notwendigen allgemeinen kulturellen Standards trimmt. Damit diese Voraussetzungen der Existenz als Warensubjekt allen potentiellen Warensubjekten universell zugänglich sind, dürfen sie selber aber nicht die Form der Ware annehmen. Je weiter die Produktivitätsentwicklung voranschreitet, desto tiefer gestaffelt und umfänglicher fällt dieses System infrastruktureller Vorleistungen aus, und nur der Staat ist als abstrakte Allgemeinheit in der Lage für dessen Unterhalt Sorge zu tragen. Der ungesellschaftliche Charakter der Warengesellschaft erzwingt die Herausbildung einer zweiten, abgeleiteten Form warengesellschaftlichen Reichtums. Der Siegeszug des primären Warenreichtums hätte ohne die Entstehung eines umfänglichen Sektors staatlich organisierter Reichtumsproduktion gar nicht vonstatten gehen können.

4.

In der Warengesellschaft erfährt Reichtum immer auf dem gleichen Weg gesellschaftliche Anerkennung, nämlich durch die Verwandlung in Geldverhältnisse. Was sich nicht gegen die Ware aller Waren umsetzt, ist irrelevantes Privatvergnügen. Wo Geld fliesst, da ist gesellschaftliche Bedeutung.

Auch die Ausdehnung des Staatssektors ordnet sich in den grossen historischen Monetarisierungsprozess ein. Allerdings unterscheidet sich die etatistische Sekundärvariante entscheidend von der Monetarisierung durch den Vormarsch der Ware. Die Produktion von verkäuflichen Waren vermehrt gesamtgesellschaftlich betrachtet den monetären Reichtum. Die staatlich organisierte Reichtumsproduktion dagegen erscheint gesamtgesellschaftlich vornehmlich als Konsum – als Staatskonsum. Die sekundäre Form warengesellschaftlichen Reichtums muss vom primären Warenreichtum alimentiert werden.

Dieser insgesamt defizitäre Charakter ist einer grundlegenden Differenz in der sozialen Vermittlungsform geschuldet. Die Tauschbeziehungen funktionieren streng nach dem Äquivalenzprinzip. Wer eine Ware erhalten will, muss deren Gegenwert an den Verkäufer abtreten und realisiert ihn damit. Im Staatssektor ist dieses Prinzip durchbrochen. Wert tauscht sich nicht gegen Wert. Geben und Bekommen fallen zumindest partiell auseinander. Das eine nimmt die Form administrativ-juristisch festgesetzter Zahlungsverpflichtung (Steuern, Abgaben) an, das andere die Form rechtlich festgeschriebener Ansprüche.

Bei ausschliesslich aus Steuern und Abgaben finanzierten Staatstätigkeiten, die allen potentiellen Nutzern kostenlos zur Verfügung stehen, ist diese Entkoppelung vollständig. Aber auch die an Geldleistungen gebundene Nutzung öffentlicher Infrastruktur unterliegt keineswegs dem Äquivalenzprinzip. Das gilt nicht allein für defizitäre, sondern selbst für gewinnbringend arbeitende öffentliche Versorgungsunternehmen. Ihr Infrastrukturcharakter, die Ausrichtung auf eine für ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereich flächendeckende Versorgung, findet in der allgemeinen Versorgungspflicht ihren juristischen Niederschlag. Die öffentlichen Unternehmen sind gehalten, unabhängig von den jeweiligen besonderen Gestehungskosten jedem Bürger ihre Leistung für das gleiche Entgelt anzubieten. An die Stelle des Preises tritt die Gebühr.

5.

Die Warengesellschaft hat die Ware Arbeitskraft zur Basisware. Das System der Wertverwertung ist auf verwertungstaugliches Menschenmaterial angewiesen. Zu den staatlicherseits zu garantierenden allgemeinen Voraussetzungen der Warenproduktion gehört dementsprechend auch die Verfügbarhaltung der Ware Arbeitskraft, und zwar in einer dem erreichten Produktivitätsniveau entsprechenden Qualität.

Partiell fällt diese Aufgabe mit den allgemeinen Infrastrukturleistungen des Staates zusammen. Auch amtierende, künftige und ehemalige Arbeitskraftverkäufer nutzen wie alle anderen Kategorien von Warenbesitzern das Bildungssystem, das Verkehrsnetz und Kultureinrichtungen oder die öffentliche Wasserversorgung. Im gleichen Mass wie der Arbeitskraftbesitzer zur vorherrschenden Kategorie von Warenbesitzer aufstieg, fiel der staatlichen Regulation aber noch eine zusätzliche, dem spezifischen Charakter dieser Ware geschuldete Funktion, zu. Sie obliegt dem Sozialstaat im engeren Sinn.

Der Besitzer der Ware Arbeitskraft erfreut sich doppelter Freiheit. Wie jedes andere Warensubjekt kann er frei über seine Ware verfügen und darf seine Haut selber zu Markt tragen. Gleichzeitig ist er von allen Reproduktionsmöglichkeiten befreit, die ihm diesen Gang ersparen könnten. Diese zweite Freiheit bedeutet nichts anderes als strukturellen Arbeitszwang.

Der strukturelle Arbeitszwang garantiert indes nicht immer auch die Möglichkeit vom Verkauf der eigenen Arbeitskraft leben zu können. Die Existenz als Arbeitskraftverkäufer ist nämlich mit gewissen biographischen Regelrisiken verbunden. Das Arbeitsvermögen kann zeitweise (Krankheit) oder auf Dauer (Alter, Erwerbsunfähigkeit) verloren gehen oder es findet sich vorübergehend kein Anwender. Der Sozialstaat und seine Zwangsversicherungen organisieren auf den Eintritt solcher Risiken abgestimmte alternative Revenuequellen und verschaffen damit den ausser Kurs gesetzten Arbeitskraftbesitzern einen sekundären Ersatz-Zugang zur schönen Warenwelt. Die sozialstaatliche Redistribution hat den strukturellen Arbeitszwang nie prinzipiell ausser Kraft gesetzt, im Gegenteil. Zum einen sind die sozialstaatlichen Leistungen in der Regel in Dauer und Umfang an vorab erzielte Lohneinkünfte gekoppelt; zum anderen rückt für alle offiziell Arbeitsfähigen an die Stelle tatsächlicher Arbeit allemal amtlich zu kontrollierende Arbeitsbereitschaft. Wo Arbeitsbereitschaft anfängt und wo sie aufhört, lässt freilich Interpretationsspielräume offen. Eine gewisse Lockerung des rigorosen Zwangs sich zu verkaufen, stellt die kollektive Absicherung gegen die Risiken der Arbeitskraftverkäuferexistenz allemal dar.

III. Der Pyrrhussieg des Marktes

1.

Der Siegeszug der Warengesellschaft im 20. Jahrhundert ging mit dem Vormarsch des Staates einher. Nur auf diesem Weg konnte der schreiende innere Widerspruch „ungesellschaftlicher Gesellschaftlichkeit” überhaupt eine provisorische Lösung finden. Diese provisorische Lösung hatte allerdings einen Haken. Sie funktioniert nur solange problemlos, solange die Masse der sich in Waren vergegenständlichenden wertproduktiven Arbeit wächst. Spätestens mit der mikroelektronischen Revolution ist aber eine Auszehrung der Arbeitssubstanz in den industriellen Kernsektoren zu verzeichnen. Die Diskrepanz von weiter steigendem Aufwand für den Unterhalt des infrastrukturellen Rahmens und schrumpfendem wertproduktiven Kern führt zu einer strukturellen Finanzierungskrise des aktiven Staates. Die Warengesellschaft droht von ihren Faux Frais erdrückt zu werden.

2.

Die Krise der Arbeitsgesellschaft macht aber nicht nur die Finanzierung der allgemeinen staatlichen Rahmenleistungen zum Problem. Mit ihr steht zugleich die bisherige Aufgabenbeschreibung staatlicher Tätigkeit zur Disposition. Das betrifft zunächst einmal vornehmlich den eigentlichen Sozialstaat.

Für das Zeitalter der fordistischen Massenarbeit lässt sich die Warengesellschaft als eine Gemeinschaft repressiver Integration beschreiben. Der Sozialstaat machte wie schon angedeutet in diesem Zusammenhang als ein Instrument der Verfügbarmachung und Flexibilisierung von Arbeitskraft Karriere. Sein Ausbau war eine der unabdingbaren Voraussetzungen für die Individualisierung der Daseinsvorsorge und damit für die Zurückdrängung vorkapitalistischer auf familiale Selbstversorgung gestützter Reproduktionsformen. Ohne diese Absicherung gegen die Regelrisiken einer Existenz als Arbeitskraftverkäufer hätten sich die Menschen schwerlich vorbehaltlos auf diese Daseinsform einlassen können.

Angesichts der Krise der Arbeitsgesellschaft fällt in wachsendem Umfang im kapitalistischen Sinne überflüssiges Menschenmaterial in den sozialstaatlichen Zuständigkeitsbereich. Mit der Veränderung seiner Klientel beginnen die Integrations- und die Zurichtungsfunktion des Sozialstaats für das Wertverwertungssystem auseinander zutreten. Die sozialstaatliche Absicherung, bis dato Voraus- und Begleitkosten produktiver Vernutzung, wird zumindest partiell vom gesamtkapitalistischen Standpunkt zur notorischen „Fehlallokation von Ressourcen”. Aus der Perspektive der an die Stelle der Nationalökonomie tretenden Standortgemeinschaft ist es „Luxus”, stets knappe monetäre Mittel in Menschen zu investieren, bei denen schwerlich eine entsprechende Amortisation zu erwarten ist. Die „Grosszügigkeit”, mit der bis dato freigesetzte Menschen unter der Prämisse, ihre Freisetzung sei vorübergehend Honoris Causa als potentielle Arbeits- und Warensubjekte mit durchgeschleppt wurden, verliert ihre materielle Grundlage. Der Sozialstaat mutiert zur Selektions- und Exklusionsinstanz, die zwischen verwertbarem und unverwertbarem Menschenmaterial zu scheiden hat. Für Letzteres bleibt, die warengesellschaftliche Logik bis zu ihrem bitteren Ende gedacht, nur die Existenz von Geldsubjekten ohne Geld.

3.

Die Dynamik fiktiver Kapitalschöpfung überspielt in den 80er und 90er Jahre die basale Krise der Arbeitsgesellschaft. Der Vorgriff auf die Vernutzung künftiger Arbeit diente als Ersatztreibstoff für die erlahmende tatsächliche Arbeitsvernutzung und hielt die Wertverwertungsmaschine auf Touren. Stofflicher Träger der kasinokapitalistischen Hoffnungen waren in erster Linie die neuen Kommunikationstechnologien. Eine neue zusätzliche gigantische Infrastruktur entstand in diesem Bereich, diesmal eine, die sich privatwirtschaftlich rechnen sollte.

Der New Economy Crash demonstrierte zweierlei. Erstens das Kunststück noch nicht geförderte Kohle zu verheizen trägt auf Dauer nicht. Zweitens dem Versuch, die erklecklichen Investitionen in die neue Kommunikationsinfrastruktur in verkäufliche Waren umzumünzen, sind Grenzen gesetzt.

Damit endete freilich nicht das Unternehmen Privatisierung der Infrastruktur; gefördert durch die prekäre Finanzlage der öffentlichen Hände verschiebt sich vielmehr nur dessen Schwerpunkt. An die Stelle der Kapitalisierung ungedeckter Zukunftserwartungen tritt zusehends ein anderes handfesteres Heizmaterial. Aus den schon existierenden staatlich organisierten allgemeinen Voraussetzungen gesellschaftlicher Reproduktion sollen verstärkt profitable Waren werden. Sie wandern jetzt als Brennstoff in den Rachen der Profitmaschine und was partout keinen Heizwert freisetzen will, geht als Ballast über Bord.

4.

Der Kapitalismus unserer Tage ebnet die Differenz zwischen infrastruktureller Voraussetzung der Warenproduktion und Warenproduktion im eigentlichen Sinn ein. Ihr Vorbild hat diese Variante kapitalistischer Akkumulation in einer Szene aus Jules Vernes „In 80 Tagen um die Welt”. Auf dem Dampfschiff, das den Helden des Romans Phileas Fogg über den Atlantik zurück nach England bringen sollte, gingen vorzeitig die Kohlevorräte zur Neige. Daraufhin brachte er Kapitän und Besatzung dazu, das Schiff selber Stück um Stück verheizen, um die Kessel weiter unter Dampf zu halten.

Welche Folgen hat die Übernahme von Foggs Methode für die Warengesellschaft?

Die ganz grundsätzliche Antwort liegt nach dem bereits Entwickelten auf der Hand: Die Ware steht für das Paradox ungesellschaftlicher Gesellschaftlichkeit. Damit trotz dieses inneren Widerspruchs die allgemeinen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der Warengesellschaft sichergestellt werden können, musste neben die Produktion von Waren eine sekundäre, staatlich organisierte Form von Reichtum treten. Wo Waren den staatlichen Beitrag zur Reichtumsproduktion substituieren, sind sie nicht mehr sichergestellt. Der Vormarsch der Ware führt zu Entgesellschaftungsschüben. Die Exklusion der Unverwertbaren, die Demontage der sozialstaatlichen Sicherungssysteme, um die Daseinsvorsorge sukzessive dem Markt zu überantworten, erweist sich näher besehen als ein blosses Teilmoment eines viel umfassenderen allgemeinen Entgesellschaftungsprozesses.

5.

Was Entgesellschaftung im Einzelnen heisst, ist davon abhängig, welche bis dato staatlich organisierte Funktion dem Markt jeweils überantwortet wird. Was die klassischen Infrastrukturunternehmen wie die Bahn, die Strom- und Wasserversorger, die Post usw. angeht stellt sich bei deren Infrastrukturgütern und -leistungen vor allem ein Problem. Reine Marktbeziehungen sind partikulare Beziehungen getrennter Tauschpartner, keine universellen. Der Warenverkäufer tritt nie mit der Gesamtheit aller Warensubjekte in Beziehung, sondern nur in viele möglichst rentierliche Einzelbeziehungen. Das kollidiert mit dem flächendeckenden allgemeinen Charakter von Infrastruktur. Privatisierung führt unweigerlich zur Rosinenpickerei und zur Konzentration des Angebots auf profitable Kernbereiche. Es liegt in der Falllinie betriebswirtschaftlicher Logik Angebote zu vernachlässigen und herunterzufahren, die sich nicht oder nur bedingt rechnen. Die Koppelung von Privatisierung der Infrastruktur und juristisch festgeschriebener Grundversorgungsauftrag führt im Zeichen der Kostenoptimierung zu einer beständigen Herunterdefinition dessen, was Grundversorgung bedeutet.

Für eine funktionierende Infrastruktur hat Versorgungssicherheit einen sehr hohen Wert. Versorgungssicherheit ist an Reserven gebunden. Die Verwertungsmaschine als Ganze ist darauf angewiesen, dass sich bei Strom, Wasser und Kommunikationsinfrastruktur die potentiellen Kapazitäten von den aktualisierten unterscheiden. Die Aufrechterhaltung einer solchen Differenz schlägt der betriebswirtschaftlichen Logik indes ins Gesicht. Die kennt nur das Gebot der Kostenminimierung pro Einzelware. Profitmaximierung impliziert die Minimierung des Unterschieds zwischen potentieller und aktueller Leistungsfähigkeit von Infrastruktursystemen. Das führt aber notwendig zu Flexibilitätsdefiziten bei Schwankungen und Störungen. Wo der Markt der Infrastruktur seine Logik aufzwingt, sind periodische Zusammenbrüche vorprogrammiert. Die Stromausfälle in den USA im letzten Sommer demonstrieren in dieser Hinsicht recht deutlich den gesellschaftlichen Preis betriebswirtschaftlicher Kostenminimierung bei Infrastrukturunternehmen.

6.

Auch die Nutzung öffentlicher Infrastrukturleistungen kostete und kostet in den meisten Fällen. Wer Wasser und Strom ins Haus bekommt oder Beförderungsleistungen in Anspruch nimmt, hat auch dann zu zahlen, wenn ein öffentliches Unternehmen diese Güter bereitstellt. Die Zahlungsverpflichtung nimmt die Form der Gebühr an. Fällt Infrastruktur dem Markt in die Hände, wechselt die monetäre Beziehungsform und an die Stelle der Gebühr tritt der Preis. Was ändert sich damit? Vor dem Versorgungsauftrag des öffentlichen Unternehmens sind alle gleich. Die Gebühr kennt keinen prinzipiellen Unterschied zwischen Gross- und Kleinverbraucher und sie ist in der Regel über einen längeren Zeitraum konstant. Beim Preis sieht das anders aus. Er präferiert grundsätzlich den Grosskunden und zeigt deutliche Schwankungen.

Privatisierung wurde und wird als Entbürokratisierung verkauft. Konkurrenz und Profitorientierung sollen angeblich dafür sorgen, dass sich auf dem Markt schliesslich die kundenfreundlichsten Unternehmen mit dem bequemsten Service durchsetzen. Die Konkurrenz der Infrastrukturanbieter nach dem Ende der staatlichen Monopolbetriebe sorgt für ein heilloses Angebots- und Preiswirrwarr. Das Einkaufen von Infrastrukturleistungen wird für den an einem günstigen Preis Interessierten zum Full-Time-Job. Die Ausgliederung von Aufgabenbereiche an Subunternehmen schafft ein Zuständigkeitswirrwarr, das den umstandskrämerischen früheren Staatsbetrieb im Rückblick als Hort von Übersichtlichkeit und Effizienz erscheinen lässt und gelegentlich auch lebensgefährliche Risiken in sich birgt.

7.

Der Kommodifzierungsprozess erfasst auch die Krankenversicherungen und die Altersversorgung. Die Antwort auf die durch die Krise der Arbeitsgesellschaft ausgelöst finanzielle Misere dieser Sozialversicherungen heisst „Eigenverantwortung”, sprich Überantwortung an Marktkräfte. Was zieht diese Zuständigkeitsverlagerung nach sich? Zweierlei liegt auf der Hand. Erstens: wenn aus dem individuellen Arbeitseinkommen bestritten werden soll, was vorher aus Lohnnebenkosten und Steuern finanziert wurde, gehen die Reproduktionskosten der Ware Arbeitskraft im Schnitt in die Höhe. Zweitens: viele sind ausserstande diese Zusatzausgaben zu tätigen. Das Niveau der Daseinsvorsorge und der akkumulierten Versorgungsansprüche sinkt insbesondere bei der jüngeren Generation dramatisch. Nicht nur Arbeitslosigkeit, auch die beiden anderen Regelrisiken der Arbeitskraftverkäufer-Biographie Alter und Krankheit, reimen sich wieder auf Armut.

8.

Dass der Vormarsch des Marktes in den Bereich der Daseinsvorsorge immer mehr Menschen die Teilhabe erschwert, ist vor allem der sukzessiven Veränderung des Zugangsmodus geschuldet. Die Etablierung des Sozialstaats bedeutete die partielle Entkoppelung von individuellem Beitrag und Leistungsanspruch und gleichzeitig die Zusammenfassung von Menschen mit unterschiedlichen Versicherungsrisiken zu monetären Haftungsgemeinschaften. Der Vormarsch des Marktes beseitigt gerade diese beiden unter dem Schlagwort „Solidargemeinschaft” gefeierten Qualitäten. Zum einen führt er unweigerlich zur Sortierung nach guten und schlechten Risiken. Menschen müssen die höhere biographische Wahrscheinlichkeit, eine Versicherungsleistung auch tatsächlich in Anspruch zu nehmen, mit höheren Beiträgen bezahlen. Zum anderen erlaubt es das Äquivalenzprinzip nicht, die gleichen Versicherungsleistungen bei unterschiedlichen Beiträgen zu gewähren. Die umlagefinanzierten Sozialversicherungen kamen vor allem den unteren Einkommensschichten zugute. Deren Bevorzugung fällt dem Vormarsch des Äquivalenzprinzips zum Opfer.

Am deutlichsten tritt dieser Systemwechsel beim Krankenversicherungswesen zu Tage. In Konkurrenz von gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen stehen sich letztendlich zwei entgegengesetzte Interpretationen von Gleichheit gegenüber. Die gesetzlichen Krankenversicherungen vertreten das Prinzip gleichen Zugangs für alle Versicherten. Die „Eigenverantwortung” im Gesundheitswesen verhilft dem heiligen Äquivalenzprinzip zur Geltung. Gesundheit mutiert von einem allgemein zugänglichen Gut zu einer Ware, die man sich auch leisten können muss. Der Trend, Menschen von Gesundheitsleistungen abzuschneiden mag einige Empörung auslösen; mit der zugrunde liegenden Logik kann man indes hierzulande sogar werben. Bis vor kurzem machte jedenfalls eine grosse deutsche Versicherung mit folgendem Slogan Reklame: „Einem Karies-Bakterium ist es egal, wie viel Sie verdienen. Einer Krankenzusatzversicherung der Allianz auch. ”

Was aus dieser Analyse der laufenden Deregulierungsprozesse für die Neubestimmung einer emanzipativen Perspektive folgt, untersucht der zweite, in der nächsten Ausgabe erscheinende, Teil dieses Beitrags.

Marktradikale Ideologie und Systemimperativ

Im ideologischen Richtungsstreit haben sich die gesamte Geschichte des Kapitalismus hindurch immer solche Ideen durchsetzen und Einfluss gewinnen können, die auf ihre Weise die Systemlogik und das von der kapitalistischen Gesellschaft jeweils erreichte historische Widerspruchsniveau reflektierten. Als Formen fetischistischer Bewusstheit waren sie dabei indes nie einfach nur die unmittelbar funktionale Übersetzung der aktuellen Systemimperative. In der reinen Exekutorenfunktion ist noch keine politisch-weltanschauliche Strömung je aufgegangen. Das gilt auch für den heute herrschenden Markt- und Selbstverantwortungswahnsinn. Dessen Vertreter imitieren zwar begeistert die steinzeitmarxistische Geschichtsteleologie; wie die Anhänger der 2. Internationale die eherne historische Notwendigkeit hinter sich glaubten, so schwadronieren die Marktradikalen von „unabweisbaren Sachzwängen”, wenn sie ihr Entstaatlichungsprogramm betreiben.

Dieses Selbstverständnis lenkt indes von der eigentlichen Kraftquelle der marktradikalen Strömung ab. Der Markt- und Selbstverantwortungswahnsinn zeichnet sich nicht nur, wie alle Ideologien, durch ein überschiessendes Moment aus. Als die Erlösungsreligion des gegenwärtigen Zeitalters hat er darüber hinaus im schlimmsten Sinne utopisch-visionären Charakter und liefert einen ideellen und zugleich reellen Gesamtzugriff auf die Wirklichkeit. 1 Die Marktradikalen sind nicht blosse Krisenverwalter. Ihre sozialdarwinistische und arbeitsterroristische Ideologie treibt sie zur Übererfüllung und zu einem höchst einseitigen, dabei aber hochgradig kohärenten Verständnis2 der Systemimperative.

Das macht zugleich die Stärke wie die Schwäche des marktradikalen Projekts aus. Einerseits richtet es in seiner Wirklichkeitsverachtung von vornherein absehbare Folgeschäden an wie kaum ein anderes Weltveränderungsprogramm vor ihm. Auf ihrem Weg durch die gesellschaftliche Realität hinterlässt die marktradikale Weltverbesserungs-Dampfwalze einen Trümmerhaufen nach dem anderen. Damit schafft die marktradikale Umgestaltung aber immer neue potentielle Angriffsflächen und gesellschaftliche Konfliktfelder. Nicht nur das grosse Selbstverheizungsprojekt insgesamt zeichnet sich, selbst kapitalimmanent gesehen, durch, gelinde gesagt, dysfunktionale Züge aus; das gilt auch für fast alle Einzelmassnahmen.

Auf der anderen Seite setzt die gnadenlose Totalidentifikation mit der Geldlogik die Marktradikalen in den Stand, als einzige Kraft auf dem Boden der Warengesellschaft überhaupt noch eine kohärente Weltdeutung und Perspektive zu bieten und mit einem universellen Anspruch aufzuwarten. 3 Angesichts dieser Fähigkeit verkehren sich in der Konkurrenz mit neokeynesianischen Krisenbewältigungskonzepten die von der marktradikalen Heilslehre geforderten Opfergänge fast schon wieder in ein Pro-Argument. Was vorderhand nicht weh tut, kann langfristig nicht helfen. Mit dem Marktradikalismus tritt eine Ideologie auf den Plan, die zur Not selbst noch offenes Maschinengewehrfeuer und standrechtliche Erschiessungen den Getroffenen als leider notwendige Kollateralstörung verkaufen kann, die sie schon aus wohlverstandenem, längerfristigem Eigeninteresse hinzunehmen haben.

Diese seltsame Dialektik lässt sich rein immanent nicht aufbrechen. Um die vielen sich auftuenden Konfliktfelder in einem emanzipativen Sinn zu besetzen, bedarf es schon einer Gegenpositionierung, die ebenfalls einen universellen Standpunkt bezieht, und zwar universell in einem fundamental systemkritischen Sinn.

Kein erfolgreicher Widerstand ohne Gegenvision zum Marktwahnsinn

Die Warengesellschaft macht unterschiedslos alle Menschen zu Waren- und Geldsubjekten. Dementsprechend musste auf dem Boden der bestehenden Ordnung auch das Ringen emanzipatorischer Strömungen um eine breitere Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum die Form der Durchsetzung banaler Konkurrenzinteressen annehmen bzw. in sie einmünden. Mit den übrigen Kategorien von Warenbesitzern verbindet die Verkäufer der Ware Arbeitskraft das Streben, ihre Ware zu möglichst günstigen Konditionen loszuschlagen. Empfängern von Sozialleistungen geht es im gesellschaftlichen Verteilungsstreit nicht weniger ums liebe Geld als den Kapitalisten. Und doch hat die kapitalistische Geschichte strenggenommen noch keinen Kampf für verbesserte Lebensverhältnisse gesehen, der in der Exekution banaler Konkurrenzinteressen aufgegangen wäre. Selbst noch die kollektive Durchsetzung ganz simpler Errungenschaften, setzte die partielle Sistierung des Wettbewerbs unter dem kapitalistischen Humanmaterial voraus. Sämtliche immanente Kämpfe lebten mit von einem Gegenbild zur herrschenden Konkurrenzgesellschaft, auch wenn das noch so unscharf gewesen sein mag. Mit dem Verblassen dieser Gegenbilder verloren sie denn auch an Vehemenz, um schliesslich weitgehend zum Erliegen zu kommen.

Im Zeitalter der Arbeiterbewegung diente die Vorstellung der „Expropriation der Expropriateure”, also die Vision von der Überführung der grossen Arbeitsmaschine in die solidarische Regie des Proletariats, als Kraftquelle. Diese Vorstellung von einer anderen Gesellschaft hat sich gründlich erschöpft. Der Unmut angesichts der marktradikalen Generaloffensive wird sich nie zu einer neuen emanzipatorischen Gegenbewegung transformieren, wenn nicht ein neuer, weiterreichender Traum an Stelle des verblichenen tritt. Ein Prozess der Resolidarisierung ist daran gebunden, dass der Gedanke der direkten Aneignung des gesellschaftlichen Reichtums und der produktiven Potenzen gesellschaftlich virulent wird. Die Arbeits- und Verwertungsmaschine monopolisiert alle Ressourcen für sich und hat gleichzeitig für die Humankapitalressource immer weniger Verwendung, sodass selbst in den Metropolen keine halbwegs erträglichen Knechtschaftsbedingungen mehr abfallen.

Die adäquate emanzipatorische Antwort auf diesen Zustand kann nur der Wunsch sein, die an ihrem eigenen Güterreichtum erstickende Arbeitsmaschine zu demontieren. Erst das aus der radikalen Kritik des Fundaments der Warengesellschaft entspringende Gegenbild erlaubt eine offensive Reformulierung der gesellschaftlichen Konfliktlinie. Wenn Markt und staatlicher Maschinist das Gros der Menschen für überflüssig erklären, beweisen sie damit etwas anderes als ihre eigene Überflüssigkeit? Die Gesellschaft muss sich vom Strukturzwang befreien, allen Reichtum auf Warenreichtum zu reduzieren und alle gesellschaftlichen Beziehungen auf Waren- und Rechtsbeziehungen. Für die Güterproduktion bedeutet das den Übergang zu einer direkt und allein an sinnlichen Bedürfniskriterien orientierten gesellschaftlichen Reproduktion, die ohne den Umweg über Geld und Staat auskommt.

Natürlich lässt sich die Gegenperspektive nicht in ein Ad-hoc-Aneignungs-Programm übersetzen. Sie zielt vielmehr auf tiefgreifende und entsprechend langfristige Umwälzungsprozesse. Ohne eine solche weitreichende Orientierung, bleiben die Gegner des Marktradikalismus aber nicht nur diskursiv im Hintertreffen, sondern auch in den unmittelbaren Kämpfen dazu verurteilt, sich in aussichtslosen Abwehrgefechten zu verschleissen.

Vorauseilender Gehorsam und Finanzierbarkeitsparadigma

Die derzeitige Situation spricht in dieser Hinsicht eigentlich eine recht eindeutige Sprache. Die grosse neoliberale Aufbruchseuphorie der 80er und frühen 90er Jahre hat sich mittlerweile gelegt. Dennoch oder vielmehr gerade aufgrund der Krise des Kasinokapitalismus zeigen sich alle tonangebenden gesellschaftlichen Kräfte mehr denn je dem marktradikalen Programm verpflichtet. Weltweit gelten Kommodifizierung und Privatisierung als das absolute Gebot der Stunde. Damit „Wachstum” und „Beschäftigung” wieder möglich werden, müssen endlich auf breiter Front „Markt” und „Eigenverantwortung” die staatliche Fürsorgepflicht ersetzen, heisst es allenthalben. Die Umsetzung dieses Programms hinterlässt eine breite Schneise sozialer Verwüstung und löst Widerstand und Proteste aus. Die immer neuen Scheusslichkeiten bringen in einigen Ländern durchaus auch schon mal Millionen von Menschen auf die Strasse. Und doch bleiben die Gegner des marktradikalen Amoklaufs in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung im Hintertreffen und im öffentlichen Meinungsstreit hoffnungslos in der Defensive – und das weltweit.

Entscheidend mitverantwortlich für diesen unerträglichen Zustand sind die Grundprämissen der landläufigen Kritik. Wesentlich von der nostalgischen Rückerinnerung an den fordistischen, wohlfahrtsstaatlich eingehegten Kapitalismus zehrend, unterstellen die Opponenten des Marktradikalismus ganz selbstverständlich, was auch den Marktradikalen als selbstverständlich gilt: Die gesellschaftliche Reproduktion kann immer nur Abfallprodukt gelingender gesamtgesellschaftlicher Wertverwertung und der Anhäufung von monetärem Reichtum sein. Und ebenfalls in Übereinstimmung mit dem dominanten Marktradikalismus wird auch von dessen Gegnern Geldreichtum und stofflichen Reichtum als deckungsgleich behandelt. Wer mit diesen Grundannahmen operiert, leistet aber entgegen der eigenen Intention vorauseilenden Gehorsam gegenüber der warengesellschaftlichen Killerlogik. Der Neokeynesianismus argumentiert stur so, als legitimere erst der Nachweis, dass kapitalistisches Wachstum auf anderem, weit opferärmerem Wege zu erzielen wäre, den Widerstand gegen den marktradikalen Amoklauf. Indem er die „Finanzierbarkeitsfrage” durch Anwendung ihrer Konzepte als lösbar unterstellt, hat er dieses Totschlagargument als das Kriterium aller Kriterien bereits anerkannt und damit den Primat der Geld- und Profitlogik insgesamt. Damit steht er aber immer schon auf der Verliererstrasse. Im Kampf der konkurrierenden Halluzinationssysteme haben, auf einer solchen Basis, die Marktradikalen allemal die besseren Karten.

Die Warengesellschaft steht vor zwei Aufgaben, die immer weniger miteinander zu vereinbaren sind. Der Systemzwang gebietet ihr Reichtum in akkumulierbaren Geldreichtum zu übersetzen. Gleichzeitig kommt sie aber nicht umhin, die gesellschaftliche Reproduktionsfähigkeit aufrechtzuerhalten und den Absturz in anomische Zustände zu verhindern. Die Opposition ist schlecht damit beraten, sich über die strukturelle Unvereinbarkeit hinwegzulügen, um den Marktradikalen alternative, gesamtkapitalistische Verwertungskonzepte entgegenhalten zu können. Statt die Energie damit zu verschwenden, sich selber und dem werten Publikum dubiose monetäre Konzepte als plausibel zu verkaufen, sollte sie sich lieber darauf konzentrieren, die von den Marktradikalen im Zeichen eines neuen Sozialdarwinismus durchgestrichene Frage der Reproduktionsfähigkeit der Gesellschaft und des sinnlich stofflichen Reichtums in den Mittelpunkt zu rücken. Wer konsequent die direkten Kosten und Folgekosten marktradikaler Streichungen herausarbeitet und die rigorose Kommodifizierung als gesellschaftliches Suizidprogramm brandmarkt, hat es gar nicht nötig, Widerstand als mit dem System der Wertverwertung kompatibel zu verkaufen. Die Legitimitätsfrage ist vielmehr von vornherein offensiv zu wenden. Wenn die kapitalistische Ordnung die gesellschaftliche Reproduktion nicht mehr vorsieht, welchen Grund gibt es dann für den Kotau vor ihrer Logik?

Emanzipatives Denken fängt nicht dort an, wo Menschen aus Respekt vor der Heiligen Kuh des Geldes die vier Grundrechenarten verlernen und phantasieren, „Geld sei ja genug da”, um sich als die besseren Maschinisten des kapitalistischen Gesamtbetriebs zu imaginieren. Emanzipatives Denken streicht vor allem anderen das Finanzierbarkeitsparadigma als das Kriterium aller Kriterien durch. Dass sich soziale Absicherung und die Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Reproduktionsvoraussetzungen nicht mehr rechnen, ist nur für den wahnwitzigen Marktradikalismus ein Argument gegen medizinische Versorgung und öffentliche Bildung usw. Das Ansinnen, der aussichtslosen staatlichen Haushaltssanierung wegen die Infrastruktur und die Lebensperspektiven von Millionen zu opfern, ist verrückt und verdient nur eines: offensive Verständnislosigkeit. Wenn das Rechnen in monetären Grössen gesellschaftlich unübersehbar suizidal wird, dann ist der Zeitpunkt gekommen, dieses seltsame Verfahren als irrsinnig zu attackieren.

Der Marktradikalismus hat die Finanzierbarkeitsfrage systemfunktional gesehen überaffirmiert. Paroli kann ihm nur eine Strömung bieten, die demgegenüber das Problem des stofflichen Reichtums und der sozialen und kulturellen Beziehungen zum Dreh- und Angelpunkt macht, und zwar in demonstrativer Gleichgültigkeit gegenüber den Systemimperativen und damit von vornherein in einem über deren warengesellschaftliche Bedeutung hinaustreibenden Sinn. Unter den Bedingungen des Krisenkapitalismus eröffnet erst der grundsätzliche Streit um die Frage, was eigentlich unter Reichtum zu verstehen ist, einen Zugang zu einer emanzipativen gesellschaftlichen Konfliktformulierung.

Der Kampf um die staatliche Konkursmasse

In der Warengesellschaft scheidet nur ein Kriterium zwischen Tätigkeiten und Gütern, die Teil des gesellschaftlichen Reichtums sind, und solchen, denen diese Anerkennung versagt bleibt – das Kriterium der Verkäuflichkeit. Findet Giftgas zahlungsfähige Nachfrage, gehört seine Produktion zum gesellschaftlichen Reichtum; Kinderbetreuung, die niemand bezahlt, hingegen nicht. Diese strukturelle Blindheit kann die Warengesellschaft – wie im ersten Teil dieses Beitrags schon entwickelt – nur auf einem Weg umgehen und zumindest die für ihren eigenen Betrieb unerlässlichen, allgemeinen gesellschaftlichen Reproduktionsvoraussetzungen nachträglich sicherstellen: durch die Einmischung der staatlichen Gewalt. Genau diese beschränkte Form der Berücksichtigung sinnlich-stofflicher Bedürfnisse liegt im Fadenkreuz des marktradikalen Projekts. Zum einen sollen die von den staatlichen Instanzen gegenüber der zerstörerischen Wirkung unreglementierter Konkurrenz errichteten Barrieren verschwinden (Umweltgesetzgebung, Arbeitsbedingungen, Ladenöffnungszeiten usw). Zum anderen nimmt das Deregulierungsunternehmen mit seiner Forderung nach Ausgabenbeschränkung und allgemeiner Kommodifizierung die staatliche Umverteilungsmacht ins Visier, soweit sie die Resultate totaler Konkurrenz im Nachhinein zu mildern versucht (Sozialstaat).

Eine Opposition, die gegen die Diktatur des abstrakten monetären Reichtums eine stofflich-sinnliche Neubestimmung des gesellschaftlichen Reichtums und der Beziehungsform setzt, kann sich nur in Frontstellung zu dieser Entwicklung formieren. Sie kommt nicht umhin, sich in den Konflikt um die staatliche Redistributionsgewalt einzumischen, und dem marktradikalen Konzept der Fokussierung aller Staatsausgaben auf die unmittelbar verwertungsrelevanten Sektoren eigene, der marktgerechten Zurichtung zuwiderlaufende Forderungen entgegenzusetzen. Solange das Gros des gesellschaftlichen Reichtums durch das Nadelöhr des Geldes hindurchgepresst wird, nehmen diese Ansprüche unweigerlich auch monetäre Form an.

Auf den allerersten Blick könnte das vielleicht als Abkehr von der gerade proklamierten fundamentalen geld- und staatskritischen Grundausrichtung erscheinen. Auf den zweiten allerdings schon nicht mehr. Während reformistische Konzepte die in Zersetzung begriffene staatliche Maschinistenrolle als unhintergehbare gesellschaftliche Norm nehmen und sie restaurieren möchten, behandelt eine um die Neubestimmung des gesellschaftlichen Reichtums kämpfende Opposition die staatliche Redistributionspotenz lediglich als faktischen Ausgangspunkt. Das Nein zum Marktradikalismus impliziert kein Ja zur Staatsherrlichkeit, perspektivisch geht der Streit vielmehr um deren Konkursmasse. Wird das, was in 150 Jahren an öffentlicher Struktur aufgebaut wurde, binnen kürzester Zeit marktwirtschaftlich verbrannt oder gelingt es, die rettenswerten Momente am staatlichen Infrastrukturwesen vor dem Verwertungsofen zu bewahren, damit sie dann eine soziale Aneignungsbewegung sukzessive instandbesetzen und neu, von der Maschinistenfunktion entkoppelt, organisieren kann.

Was heisst zukunftsfähig?

Die öffentliche Diskussion steht vorderhand unter dem berühmt-berüchtigten Finanzierbarkeitsparadigma. Emanzipatives Denken kann der Misere der Staatsfinanzen nur mit offensiver Gleichgültigkeit begegnen und demgegenüber auf dem Primat anderer Kriterien beharren.

Der Streit um die Finanzierbarkeitsfrage lässt sich auch als Kampf um die Bedeutung des Begriffs „Zukunftsfähigkeit” fassen. In den 70er Jahre hiess es schon einmal, die heute Lebenden würden sich an der Zukunft künftiger Generationen vergehen. Damals war damit bekanntlich die Zerstörung der ökologischen Grundlagen gemeint. Mittlerweile legitimiert die Aufforderung, doch die „Zukunft unserer Kinder nicht zu verspielen” immer nur eine restriktive Haushaltspolitik. Gegenwärtiger, vom Staat garantierter gesellschaftlicher Reichtum soll auf dem Altar einer fiktiven monetären Zukunft geopfert werden. Hohe Zeit beim Begriff Zukunft wieder die Perspektive auf sinnlich-stoffliche Fragen zu lenken, nur diesmal breiter angelegt.

Die Weigerung, die Frage der Finanzierbarkeit als die Frage aller Fragen anzuerkennen, ist freilich nicht mit der Forderung nach einer absoluten Vermehrung der Staatsausgaben zu verwechseln und hat nichts mit irgendeiner Nachfrageorientierung zu tun. Diese Differenz ist schon insofern wichtig, als der auf den Standortwettbewerb geeichte Staat auch angesichts der Krise keineswegs grundsätzlich auf eine restriktive Gesamthaushaltspolitik vereidigt ist, zumindest nicht in den Weltmarktzentren. Das ist nicht nur für eine ferne Zukunft von Bedeutung, sondern bereits für die Auseinandersetzungen der nächsten Jahre. Praktisch zeichnet sich nämlich der Übergang zu einer exzessiven, börsenkeynesianisch motivierten Verschuldungspolitik auch auf dem Boden des Marktradikalismus entweder bereits ab (Europa) oder ist sogar schon vollzogen (USA).

Das impliziert aber früher oder später, auch was den öffentlichen Meinungsstreit angeht, eine Wendung. Demnächst dürfte in den staatskreditwürdigen Ländern weniger darüber gestritten werden, ob im grossen Stil Verschuldung betrieben wird, sondern zu welchem Zweck, und wohin die monetären Mittel zu dirigieren sind. Soll die in den Metropolen nach wie vor enorme staatliche Redistributionspotenz auf Ausgabenbereiche konzentriert werden, die zur Erneuerung kapitalistischer Wachstumsillusionen als relevant gelten? Nehmen diese Gesellschaften bereitwillig riesige Vorauskosten für Eliteuniversitäten und zukunftslose Zukunftsindustrien in Kauf, bei verschärfter Vernachlässigung der sonstigen gesellschaftlichen Infrastruktur?

Der linken neokeynesianischen Nachfragepolitik steht kein theoretisch begründbares Kriterium zur Unterscheidung von guten und schlechten Staatsausgaben zur Verfügung. Im keynesianischen Bezugssystem existiert, was die versprochene wachstumsfördernde ökonomische Wirkung angeht, kein Unterschied, ob der Staat seinen Nachfrage-Aufgabe durch das sinnfreie Graben und Wiederzuschütten von Löchern4, durch gesteigerte Militärausgaben oder durch „soziale Wohltaten” nachkommt. In einer Situation, in der auch die Gegenseite mit anderen Vorzeichen auf Nachfragepolitik umschwenkt, kommt der Linkskeynesianismus mit seiner Argumentation notwendig ins Schleudern. Gleichzeitig gerät er angesichts der absehbaren Folgen einer solchen Wendung (Entwertungsprozesse, was das Geldmedium selber angeht) in ideelle Haftungsgemeinschaft mit seinem Gegner. Emanzipatives Denken, das von vornherein die stofflich-sinnlichen Fragen als solche in den Mittelpunkt rückt, statt „materielle und immaterielle Güter” als im Grunde austauschbare Träger von prekären Wachstumseffekten zu behandeln, büsst dagegen nichts von seiner Fähigkeit zur gesellschaftlichen Konfliktformulierung ein. Sowohl die vom Börsenkeynesianismus von morgen als auch die wahrscheinlich von inflationären Prozessen wesentlich mitgekennzeichnete Konstellation von übermorgen sind dieser Form von Kritik von vornherein auf den Leib geschrieben.

Gegen den Standortstaat

Die Staatsgewalt nimmt auf drei Wegen variierend Einfluss auf die schöne Konkurrenz-Welt der Warenbesitzer und damit auf die gesellschaftliche Gesamtreproduktion. Erstens hält sie als Gebots- und Verbotsstaat mit allgemeinen Auflagen und Vorschriften die einzelkapitalistischen Akteure partiell davon ab, unbekümmert um jedwede Folgelast der betriebswirtschaftlichen Kostenexternalisierungslogik entsprechend Arbeitskräfte und Naturressourcen im Schnellverfahren zu ruinieren (Umweltgesetzgebung, Arbeitsschutz). Ebenfalls mit juristischen Mitteln behelligt sie die Akteure bestimmter Teilwarenmärkte (Drogen, Waffen) und behindert deren freie marktwirtschaftliche Entfaltung. Zweitens sichert der Sozialstaat qua Redistribution durch bestimmte biographische Umstände definierten Personengruppen Ersatz- und Zusatzrevenuen zum Arbeitseinkommen. 5 Drittens schliesslich treten staatliche Instanzen oder vom Staat finanzierte Institutionen als Produzenten von Infrastrukturgütern (Verkehrnetz, Bildungsinstitutionen) auf.

In seiner Polemik gegen diese drei Varianten von Staatsintervention vertritt der Marktradikalismus eine extrem monotone Logik. Der neoliberalen Hardcore-Theorie ist noch nie irgendetwas anderes eingefallen als „bürokratische Hemmnisse” abzuschaffen und sowohl die Existenzsicherung als auch die Infrastruktur restlos dem Markt zu überantworten. Die marktradikale Praxis geht schon etwas differenzierter vor. Dass die Verhinderung von offenem Mord und Totschlag gewisse Einschränkungen der Marktfreiheit gebietet, akzeptiert sie in der Regel, auch wenn die Vorstellungen, was zu den dazu notwendigen Massnahmen zählt, von Land zu Land variieren kann. 6 Wo staatliches Eingreifen im Standortwettbewerb direkt zum Vorteil gereicht, ist es im Zweifelsfall nicht nur zugelassen, sondern sogar dringend erwünscht.

Auch das emanzipative Lager kann sich auf die bisherigen Staatsfunktionen nur selektiv beziehen; allerdings dürften die Kriterien, nach denen es gut verzichtbare und unverzichtbare allgemeine Rahmenaufgaben voneinander trennt, diametral der Wahl entgegengesetzt sein, zu der Marktwirtschafts-Apologeten in ihrer „Wir stärken den Standort-Perspektive” kommen. Während die Marktradikalen auf die massive Förderung von Eliteuniversitäten setzen, wird eine emanzipative Position eher am Gedanken allgemeiner Bildung erhaltenswerte Momente entdecken. Die Marktradikalen reden der bedingungslosen Konkurrenz aller Verkehrssysteme das Wort. Dazu passt die staatlich subventionierte Entwicklung von Energie und Landschaft fressenden, unbemannten Schienenverkehrsgeschossen, die mit dem Flugzeug in Wettbewerb treten und sich wie dieses auf die Anbindung von Grossstädten beschränken. Aus einer emanzipativen Perspektive erscheint die Sicherstellung einer vergleichsweise umweltschonenden und vor allem flächendeckenden und von daher als Alternative zum Individualverkehr geeigneten Bahn weit wünschenswerter.

Sinnlich-stoffliche Kriterien und die Monotonie des Geldes

Die Warengesellschaft verfügt über einen absoluten Massstab, um die Existenzberechtigung von Zweigen stofflicher Reichtumsproduktion zu beurteilen, nämlich deren betriebswirtschaftliche Profitabilität. Die Marktradikalen wollen diese tumbe Messlatte auch an alle Infrastrukturgüter angelegt sehen, selbst wenn dadurch deren flächendeckender Charakter und die Versorgungssicherheit zerstört wird. An der Höhe der Rendite lässt sich die Notwendigkeit einer Einrichtung ablesen.

Eine an sinnlichen, stofflichen und sozialen Bedürfnissen orientierte Gesellschaft würde eine derart eindeutige, objektivierte Richtschnur nicht kennen. Soziale Bewegungen, die sich in der Konfrontation mit dem warengesellschaftlichen Irrsinn formieren, geht es in dieser Hinsicht erst recht so. Eine gewisse provisorische Rangfolge dürfte sich freilich insofern faktisch herausmendeln, als sich für den Kampf um eine nicht dem Rentabilitätsdiktat unterworfene Sicherstellung von Reichtumsproduktion unweigerlich recht unterschiedliche Mobilisierungserfolge ergeben werden. Indem Menschen sich bereit zeigen, sich zu engagieren und gemeinsam gesellschaftlichen Druck aufzubauen oder es bleiben lassen, setzen sie de facto Prioritäten.

Ein abstrakt allgemeiner Massstab fehlt freilich notwendigerweise nicht nur, was die Bedürfnisseite angeht; genauso wenig lassen sich die Produktionsformen, die eine Gegen- und Aneignungsbewegung ansteuert, auf einen simplen Universalnenner bringen. Eine befreite Gesellschaft unterwirft die Organisation der Reichtumsproduktion keinem verbindlichen Gegenprinzip zur betriebswirtschaftlichen Kostenminimierung. Vielmehr lotet sie aus, wie unterschiedliche Ziele (minimaler Ressourcenverbrauch, stressarme und anregende Bedingungen für die unmittelbaren Produzenten, langlebige Endprodukte usw. ) in unterschiedlichen (Re-)Produktionssektoren am besten zur Deckung zu bringen sind. Ein kontinentales Verkehrsnetz lässt sich nicht mit den gleichen Methoden organisieren wie der lokale Gemüseanbau oder ein Kulturbetrieb – es ist schliesslich der spezifische Irrsinn der gegenwärtigen Gesellschaft, qua Unterwerfung unter die Geldlogik in allen Bereichen eine Gleichschaltung herzustellen.

Die sinnlich-stofflichen Unterschiede finden unweigerlich auch in Hinblick auf Formen des Kampfes um die Ausgestaltung der Reichtumsproduktion seinen Niederschlag. Ein tiefgestaffeltes, hochkomplexes Infrastruktursystem (Stromversorgung, Verkehrnetze) lässt sich schwerlich aus dem Stand heraus in Selbstorganisation überführen. Die gesellschaftliche Gegenbewegung zum Marktirrsinn wird, gerade was die traditionell als Staatstätigkeit organisierten Infrastrukturleistungen anbelangt, zumindest in den Metropolen bis auf weiteres eher Forderungen stellen und energisch deutlich machen, was sie will, während sie in anderen Bereichen (Wissensproduktion) schon zeigt, was sie kann. 7 Eine durch antipolitischen Druck erzwungene, quer zur Standortlogik liegende Staatstätigkeit hat unweigerlich einen schillernden Charakter. Von der monetären Potenz des Staates abhängig, bleibt sie bei der Ressourcenmobilisierung auf den warengesellschaftlichen Betrieb angewiesen. Gleichzeitig will der antipolitische Druck den Staat als Reichtumsproduzenten dazu nötigen, unabhängig von seiner Rolle als Maschinist die Sicherstellung bestimmter öffentlich-allgemeiner Güter zu garantieren.

Äquivalenzprinzip versus freier Zugang

Für eine an sinnlich-stofflichen Kriterien orientierte soziale Bewegung wäre es absurd, eine einheitliche Form der Reichtumsproduktion anzustreben. Was die Zugangsweise angeht, sieht das allerdings anders aus. Die Warengesellschaft bindet die Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum an das Prinzip des Äquivalententauschs. Eine soziale Aneignungsbewegung muss demnach die Forderung nach freiem Zugang entgegenhalten.

Natürlich variieren die Aussichten diesem Prinzip in absehbarer Zeit Geltung zu verschaffen von Gut zu Gut erheblich. Verteidigen ist grundsätzlich einfacher als angreifen. Leistungen, die der Staat traditionell kostenlos zur Verfügung stellt, vor der Kommodifizierung zu retten ist das eine (Lernmittelfreiheit, öffentliche Strassen). Die Dekommodifizierung etwa von Strom, Gas oder öffentlichem Nahverkehr wäre schon etwas ganz anderes.

Eine soziale Bewegung wird sich notgedrungen immer wieder mit Teilerfolgen zufrieden geben müssen und bei der Abwehr des marktradikalen Ideals vom universellen Äquivalententausch einstweilen auch weniger ausschliessende Formen monetären Zugangs akzeptieren. Zwischen den Alternativen Für die Mehrheit unerschwinglich und Für alle kostenlos zugänglich liegen viele Zwischenstufen. Eine, was den Beitrag angeht, einkommensabhängige, in der Leistung aber umfassende und für alle gleiche Krankenversorgung ist auf jeden Fall erstrebenswerter als die von den Neoliberalen propagierte Kopf-ab-Versicherung.

Ein apartes, weil dem neoliberalen Diskurs entwendetes Argument haben die Befürworter des freien Zugangs allemal auf ihrer Seite: die Abneigung gegen Bürokratie. Nichts ist so unbürokratisch und gesellschaftlich kostengünstig wie der freie Zugang zu den gesellschaftlichen Gütern. Keine Zäune, keine Mauthäuschen. Nichts ist so unübersichtlich und überkompliziert, wie hochgradig individualisierte Tarife. Vor allem der Versuch, nachträglich einem in Richtung Äquivalentenidiotismus umstruktierten Versicherungswesen wieder ein soziales Element zu reimplantieren, führt zu Zuständen, denen gegenüber der alte Realsozialismus als Hort der Rationalität gelten könnte.

Die Orientierung auf freien Zugang läuft übrigens keineswegs auf eine Art Selbstbedienungsvorstellung hinaus, die den kapitalistischen Reichtum in seiner stofflichen Gestalt blind akzeptieren würde. Die Frage, was für eine Produktion überhaupt als wünschenswert gelten kann, ist nämlich strikt getrennt von den Zugangskonditionen zu diskutieren. Es gibt gute Gründe, nach der Automobilmachung der Gesellschaft einen allgemeinen Prozess der Autodemobilmachung einzuleiten. Aus einer emanzipativen Perspektive besteht aber keinerlei Anlass, Besserverdienenden den Individualverkehr vorzubehalten und die „sozial Schwachen” laufen zu lassen oder aufs Fahrrad zu setzen. Es hätte zweifellos katastrophale Folgen für das Weltklima, wenn Länder wie China oder Indien zum US-amerikanischen Motorisierungsgrad aufschliessen würden. Das ist aber nur ein Argument gegen die automobile Gesellschaft als Ganze und keines für den Ausschluss dieser Weltteile aus ihr. Die überaus berechtigte Kritik an der Apparatemedizin legitimiert in keiner Weise die Kontingentierung medizinischer Massnahmen. Die Inhalte der gesellschaftlichen Standards sind zu hinterfragen und neu zu bestimmen. Standards haben aber aus einer emanzipativen Perspektive immer allgemein zugängliche Standards zu sein.

Dekommodifizierung und Einkommenssicherung

Den zeitgenössischen Kapitalismus, so der Ausgangspunkt meiner Überlegungen, kennzeichnet das Auseinandertreten von monetärem und sinnlich-stofflichem Reichtum. Eine emanzipative gesamtgesellschaftliche Perspektive kann angesichts dieser irreversiblen Entwicklung nur noch in der sukzessiven Dekommodifizerung und Demonetarisierung der gesellschaftlichen Beziehungen und im Übergang zu einer direkt vergesellschafteten, allein sinnlich-stofflichen Kriterien folgenden Reichtumsproduktion liegen. Mit dem Nadelöhr von Geld und Tausch verschwindet das Problem der Knappheit.

Als gesamtgesellschaftliche Perspektive verspricht Demonetarisierung und Dekommodifizierung den Übergang zu einer reichen Gesellschaft und das Ende von Not und Elend. Wen auf dem Boden dieser Gesellschaft indes individuell das Schicksal der Dekommodifzierung und Demonetarisierung trifft, hat es weniger mit einer glücklichen Fügung als vielmehr mit einer handfesten Katastrophe zu tun. Wessen Arbeitskraft dekommodifiziert ist, also unverkäuflich auf der Couch sitzt und auch auf keinem anderen Wege zu Geld kommt, ist nicht reich, sondern ausgesprochen arm dran. Eine Emanzipationsbewegung kommt nicht umhin, diesem traurigen Umstand Rechnung zu tragen. In Sachen Reichtumsproduktion ist sie aufgerufen, gesellschaftlichen Reichtum vor der Kommodifizierung und Monetarisierung zu bewahren und kommodifizierten und monetarisierten Reichtum zu dekommodifizieren und zu demonetarisieren.

Solange aber ein Grossteil des gesellschaftlichen Reichtums indes Warengestalt annimmt, muss sich ihr Augenmerk natürlich auch darauf richten, wie mensch selbst im dekommodifizierten Zustand doch zum notwendigen allgemeinen Äquivalent, alias Geld, kommt. Das Offensivprojekt Dekommodifizierung der gesellschaftlichen Reichtumsproduktion ist ohne ein parallel geschaltetes Defensivunternehmen gar nicht zu denken, das die Geldversorgung der im kapitalistischen Sinne Überflüssigen sicherstellt und ihnen einen hinreichenden Zugang auch zum Warenreichtum ermöglicht. Nur in dem Masse, wie gesellschaftlicher Reichtum tatsächlich frei zugänglich wird, entkoppelt sich die Frage des Auskommens vom Einkommen und erübrigen sich alle monetären Verteilungskämpfe auf dieser Ebene.

Elendsegalitarismus

Dieses Defensivunternehmen knüpft, zumindest in den Metropolen, natürlich an den Sozialstaat an. Genauer gesagt, es kann nur Konturen annehmen, indem soziale Bewegungen sich gegen die derzeit auf Hochtouren laufenden Angriffe auf das traditionelle Zwangssozialversicherungswesen und ihr Ergebnis formieren.

Der Sozialstaat kam als Instrument der Verfügbarmachung der Ware Arbeitskraft zur Welt (vgl. 1. Teil des Beitrags in Streifzüge 31/2004). Er sicherte die Besitzer der Ware Arbeitskraft zwar gegen die mit dem Leben als Arbeitskraftverkäufer verbundenen Regelrisiken ab; gleichzeitig verpflichtete er sie, mit der Belohnung durch erarbeitete Ansprüche, auf diese Existenzweise. Die so genannten Sozialstaatsreformen richten sich gegen die Verabreichung von Zuckerbrot. Gesetzliche Rentenansprüche und andere Sozialversicherungsleistungen sollen so weit wie irgend möglich heruntergefahren werden. Mit der sukzessiven Enteignung der qua Arbeitskraftverkauf erworbenen Rechte wächst die Bedeutung von elends-egalitär organisierten Formen der Armutsversorgung. Sie sind von der früheren Position der Bezieher in der Arbeitsgesellschaft abgelöst.

Diese Schwerpunkt-Verschiebung vollzog sich in den letzten Jahren zunächst einmal insofern automatisch und schleichend, als mit der Beseitigung anderer sozialer Sicherungen, immer mehr Menschen in das unterste, schon immer in dieser Weise strukturierte soziale Netz abrutschten; mittlerweile wird aber nicht nur in Deutschland der Rest-Sozialstaat zusehends auf solche Institutionen der Armenabspeisung umgestellt (Grundrente, Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe).

Allen gegenteiligen Beteuerungen zum Trotz zeigt der Übergang zu den neuen elends-egalitären Sicherungssystemen an, dass sich die Perspektive, die Unverwertbaren in reguläre Lohnarbeit zu integrieren, verflüchtigt hat. Der mit dem System sozialer Sicherungen verbundene Zwang zur Arbeitsbereitschaft löst sich mit dem Modellwechsel aber keineswegs in Wohlgefallen auf. Im Gegenteil: Je weniger eine reale Einbindung in die Arbeitsgesellschaft in Aussicht steht, desto rigider zunächst einmal die Verpflichtung zu simulativen Arbeitsübungen. Administrative Gewalt ersetzt das Zuckerbrot.

Zwangsarbeit und Zeit-Aneignung

Angesichts der strukturellen Schwäche aller auf der Basis der Arbeit operierender Interessenskämpfe ist zumindest für Deutschland absehbar, dass der Kampf gegen die Exklusionslogik künftig vor allem im Kontext der elends-egalitären Mini-Revenuen zu führen sein wird.

Dieser erzwungene Terrainwechsel, weg von der Sicherung erarbeiteter Ansprüche, kommt einer radikal-arbeitskritischen Position in gewisser Weise sogar entgegen. Vor allem zwei Konfliktfelder tun sich offensichtlich demnächst auf, die möglicherweise für eine breite Debatte und Mobilisierung taugen. Zum einen geht es schlicht und einfach um die Frage, wie hoch die für die Unverwertbaren vorgesehene Minimalabspeisung ausfällt. So viel ist dabei klar: Es existiert keine aus der Logik der Politischen Ökonomie selber resultierende Untergrenze für das Versorgungsniveau. Marx hat zu Recht darauf hingewiesen, dass in den Wert der Ware Arbeitskraft auch ein „moralisches Moment” eingeht. Was die Warengesellschaft den Unverwertbaren zugesteht und ob überhaupt etwas, ist dagegen allein von diesem „moralischen Moment” abhängig.

Zum anderen liefert die Koppelung der Teilhabe an der Armenspeisung an das Zelebrieren von Arbeitsersatzhandlungen reichlich Konfliktstoff. Die Delegitimierung dieses Irrsinns ist dringend geboten und führt uns zurück zur Ausgangsüberlegung der Neubestimmung von gesellschaftlichem Reichtum. Wenn Marx Recht hat, dass der wahre Reichtum einer Gesellschaft in der disponiblen Zeit besteht, dann handelt es sich hier um ein einziges gigantisches, staatlich erzwungenes Reichtumsvernichtungsunternehmen. Die Aneignung des sinnlich-stofflichen Reichtums hat die Aneignung von Lebenszeit zur Voraussetzung und zum Inhalt.

Ernst Lohoff
streifzuege.org

Anmerkungen

1 Auch was den Weltveränderungsanspruch angeht, hat der Marktradikalismus quasi das Erbe des Sozialismus angetreten.

2 Wahnsysteme sind immer kohärent.

3 Die rassistischen Ideologien lassen den universellen Anspruch fahren.

4 Dieses Beispiel habe ich mir übrigens nicht ausgedacht. Es stammt von dem in dieser Hinsicht recht offenherzigen Keynes. Er erläuterte die den allgemeinen Wohlstand angeblich vermehrende Wirkung seines Nachfrage orientierten Konzepts vorzugsweise am Beispiel offensichtlich unnützer Arbeiten. Ein besonderes Faible zeigt er in seinen Schriften für staatliche Pyramidenbauprojekte.

5 Eine Zusatzrevenue wäre etwa das Kindergeld, unter die Rubrik Ersatzrevenue fallen neben der Sozialhilfe vor allem die diversen Sozialversicherungsleistungen.

6 Ich denke hier etwa an die Differenz zwischen den liberalen amerikanischen und den eher restriktiven Regelungen in Europa beim privaten Waffenbesitz.

7 Die Warengesellschaft weiss über die von ihr selber geschaffenen realen, stofflichen Zusammenhänge erschreckend wenig. Weil sie als Anhängsel der monetären Flüsse organisiert sind, ist das Wissen um sie zerstreut und immer punktuell zufällig. Eine zentrale Aufgabe jeder auf die Neubestimmung gerichteten Bewegung besteht zunächst einmal darin, Licht ins Dunkel zu bringen. Eine solche Untersuchung ist nicht nur wichtig, um den Irrsinn dieser Produktionsweise offenzulegen. Sie liefert auch eine Orientierung für eine spätere Umorganisation und macht auch Punkte sichtbar, an denen das hochkomplexe kapitalistische System verwundbar ist.