Europas Intervention in der Ukraine Die EU in der Zwickmühle

Politik

14. Mai 2014

Die EU hat alles in ihrer Macht Stehende getan, um die ukrainische Regierung zu destabilisieren und hat wesentlich zu ihrem Sturz beigetragen.

Der polnische Verteidigungsminister Bogdan Klich bei einer Rede auf dem Militärstützpunkt in Morag mit amerikanischen Patriot-Raketen im Hintergrund.
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Der polnische Verteidigungsminister Bogdan Klich bei einer Rede auf dem Militärstützpunkt in Morag mit amerikanischen Patriot-Raketen im Hintergrund. Foto: Daniel J. Nichols PD

14. Mai 2014
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Es ist wichtig, sich das in Erinnerung zu rufen angesichts der nicht ganz zu verbergenden Verlegenheit, die sich inzwischen der EU-Politik bemächtigt hat.

Letztere hat nämlich dazu geführt, dass diejenigen Personen, die unbedingt in der EU eine Prosperität und Frieden stiftende Institution sehen wollen, gerne die Rolle der EU rückwirkend als völlig passiv darstellen und die Schuld an der angeblichen „Eskalation“ der Lage je nach politischer Präferenz wechselweise Russland oder den USA zuschreiben.

Es ist nämlich nicht zu übersehen, dass die EU als Akteur ziemlich ins Hintertreffen geraten ist.

In der Ukraine selbst

haben die Ereignisse rund um den Aufstand auf dem Maidan gezeigt, dass es schon unter der Regierung Janukowitsch schlecht um das ukrainische Gewaltmonopol bestellt war. Der Staat hatte weder die Mittel noch das nötige Personal, um sich gegen ein paar Tausend gut ausgerüstete Krawallmacher durchzusetzen. Als die Regierung die Armee ersuchte, sich an der Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung zu beteiligen, erhielt sie eine glatte Absage: Die Armee sei nicht für Inlandseinsätze da. Die Heeresführung berief sich dabei auf die ukrainische Verfassung. Dies geschah wenige Tage vor Janukowitschs Sturz und war offenbar einer der letzten Tropfen, die das Fass zum Überlaufen brachten: Janukowitsch musste feststellen, dass er weder auf die Truppen des Innenministeriums, d.h. die Polizei, noch auf die Elitetruppen von Berkut und Alfa, noch auf die Armee zählen konnte.

Es war also, das lässt sich im Nachhinein sagen, gar nicht schwer, die ukrainische Regierung zu stürzen. Das damit aber endgültig flöten gegangene Gewaltmonopol wiederherzustellen ist schier unmöglich – eine Erfahrung, die schon in islamischen Ländern gemacht worden ist, und jetzt in der Ukraine wieder neu durchgespielt werden wird.

Die neu ernannten Hampelmänner in Kiew sind zwar getreue Befehlsempfänger westlicher Institutionen und Regierungen, und unterschreiben fast alles, was man ihnen vorlegt, haben aber nicht einmal die Kontrolle über die Strassen von Kiew. Den nicht vorhandenen oder sich aufgelöst habenden staatlichen Gewaltapparat versuchen sie einerseits durch Aufruf an Freiwillige, durch das Anwerben von Söldnern und durch das Einsetzen der Oligarchen als Provinzverwalter zu ersetzen. Auf die Freiwilligkeit allein können sie sich dabei offenbar nicht verlassen. Ein in der Ostukraine von den dortigen Aufständischen gefangengenommene Mitglied der völlig neuformierten „Alfa“-Einheit gab bekannt, dass er durch Drohungen gegen seine Familie zum Eintritt in die Einheit gezwungen wurde.

Was die Kiewer Hampelmänner seit einigen Wochen nach Süden und Südosten schicken, ist eine Art letztes Aufgebot aus Faschisten und Söldnern, die zwar kleinere und grössere Massaker unter der dortigen Bevölkerung anrichten und vermutlich noch anrichten werden, aber die staatliche Autorität nicht wiederherstellen könnten.

Die Vorstellung, durch die für den 25. Mai angesetzten Wahlen zu einem stabilen Verhältnis von oben und unten zu gelangen, ist zwar höchst abwegig, wird aber dennoch von den westlichen Medien und Politikern als „Lösung“ dargestellt, die einzig und allein von Russland hintertrieben wird.

Mit dem Versuch, sich doch noch als Akteur einzubringen und gegenüber Russland zu positionieren, wird die Konkurrenz innerhalb der EU angeheizt. Man merkt wieder einmal, dass man es hier mit einem Bündnis imperialistischer Staaten zu tun hat, die sich durchaus gegeneinander positionieren, soweit es die Verhältnisse zulassen, und ihre Regierungen sich davon Vorteile versprechen.

Die EU und die Sanktionen

Es ist keineswegs im Interesse der EU-Staaten, Sanktionen gegen Russland zu verhängen. Sie schädigen dadurch die eigene Ökonomie, verlieren Märkte und Kaufkraft. Dennoch stellen sie derzeit – solange nicht überhaupt Krieg ausgerufen wird – die einzige Möglichkeit dar, Russland unter Druck zu setzen. Also kann sich die EU diesem Schritt nicht verschliessen.

Einzelne Staaten hingegen können es schon. Das tschechische Parlament hat Anfang März den Vorschlag der Regierung, sich den Sanktionen gegen Russland anzuschliessen, verworfen. Der ehemalige Präsident Klaus hat sogar ein öffentliches Statement abgegeben, in dem er die EU-Politik verurteilt und sich hinter Russland stellt. Die gerade frisch wiedergewählte ungarische Regierung spart nicht mit Verlautbarungen, dass es seine guten Beziehungen zu Russland nicht durch Sanktionen gefährden wird. Deutschland hingegen bemüht sich, bei sämtlichen Treffen den Sanktionen die Spitze zu nehmen, um seine ökonomischen Beziehungen zu Russland nicht allzusehr zu beschädigen, während sich die Politiker und die Medien einer um so schärferen Sprache bedienen, „Wir werden … wir müssen … keinesfalls … unbedingt … usw.“ – was nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass die selbsternannte Führungsmacht der EU in der Ukraine-Frage ebenso machtlos wie ratlos ist.

Polen hingegen sieht seine Chance gekommen, sich durch einen engen Schulterschluss mit den USA innerhalb der EU aufzuwerten und der deutschen Führung etwas auf die Zehen zu treten. Der Regierungschef Tusk machte den frechen Vorschlag, den Gaseinkauf in Zukunft zentral zu erledigen, sodass z.B. auch Deutschland sich seinen Gasverbrauch aus Brüssel genehmigen lassen müsste. Polen hingegen wäre kaum betroffen, da seine Energieversorgung immer noch zu einem hohen Prozentsatz auf einheimischer Kohle beruht. Propagandistisch wird alles aufgefahren, was an antirussischer Propaganda nur möglich ist, und der Bevölkerung signalisiert, die Russen könnten bald wieder in Polen einmarschieren. Der Staatspräsident Komorowski möchte gar einen eigenen Raketenschirm für Polen exklusiv errichten, zusätzlich zu dem von der NATO in Polen geplanten. Man müsse nur noch prüfen, ob dafür auch Geld im Budget da sei.

Die ganze Aussenpolitik Polens seit Monaten läuft daraus hinaus, der Regierung Janukowitsch jede Legitimität abzusprechen, während die jetzigen Hampelmänner von Polen sofort als legitime Regierung anerkannt wurden. Polen versucht sich mit dieser Position als das Eintrittstor der Ukraine in die EU und – mit der NATO im Hintergrund – als Schutzmacht der Ukraine zu präsentieren.

Polen pokert dabei hoch. Der Boom des letzten Jahrzehnts in Polen, der jede Menge Kapital nach Polen gelockt hat, beruht auf seiner Nähe zu und dem polnischen Know-How auf dem russischen Markt. Polen ist zu einem, ja eigentlich dem Brückenkopf europäischen Kapitals für den Sprung nach Russland geworden.

Ähnlich verhält es sich mit grenzüberschreitendem Business in der Ukraine, das im Gefolge der Fussball-EM 2012 an Volumen zugenommen hat. Wenn die Ukraine zahlungsunfähig wird, so geht eine Menge polnischen Kapitals den Bach hinunter.

Als weiterer antirussischer Scharfmacher innerhalb der EU hat sich zur Zeit der Annexion der Krim Schweden in Position gebracht. Inzwischen hört man jedoch nichts mehr aus dieser Richtung. Anscheinend hat sich in Schweden die Erkenntnis durchgesetzt, dass das schwedische Kapital, das sich in Polen und im Baltikum eingenistet hat, von Sanktionen gegen Russland schwer betroffen wäre.

Spanien fürchtet um seine zahlungskräftigen Touristen und um die dringend benötigten russischen Investitionen in den stark ramponierten Immobiliensektor, und London fürchtet um seine Stellung als erster Finanzplatz Europas, wenn das russische Kapital abgezogen würde bzw. Investitionen in Russland gefährdet wären.

Während also die meisten europäischen Regierungen schon keine besondere Freude mit den Sanktionen haben, so ist die Geschäftswelt vollends und ziemlich geschlossen dagegen. Man kann hier sehr schön sehen, wie verkehrt die Vorstellung ist, dass die Politik immer genau das macht, was ihr die wichtigen Kapitalfraktionen einflüstern. Hier tritt das genaue Gegenteil ein: Um irgendwelche Ansprüche in der Ukraine durchzusetzen, den grossen Verbündeten nicht zu verprellen und Russland in die Schranken zu weisen, setzen sich die meisten Regierungen Europas (noch?) über die Interessen der Wirtschaftstreibenden hinweg. Es ist jedoch anzunehmen, dass sowohl die Regierungen als auch die Brüsseler Politiker ständig von irgendwelchen Delegationen der Unternehmerschaft und der Banken bedrängt werden, es doch bitte ja zu keinem Wirtschaftskrieg mit Russland kommen zu lassen.

Also reist jetzt wieder einmal van Rompuy nach Kiew, überschüttet die Kiewer Hampelmänner mit Anerkennung und versucht sie zum „Dialog“ mit ihren Separatisten mit Russland zu bewegen, was diese kategorisch zurückweisen werden.

Vor den Trümmern ihrer Einmischungspolitik stehend, ohne Möglichkeit der Einflussnahme auf die Ereignisse in der Ukraine, gegen die Interessen ihrer Lieblingsbürger handelnd und untereinander uneinig – so präsentiert sich das Staatenbündnis, das mit den USA als Weltmacht konkurrieren und Russland dafür benützen wollte. Eine vertrackte Situation, in die die Politiker der EU – unter begeisterter Assitenz ihrer Medien – sich selbst hineingeritten haben.

Amelie Lanier