Nobelpreisträger Robert J. Shiller will Armut nicht dem Zufall überlassen Weniger Nationalismus, mehr Leistung?

Politik

26. Juni 2017

Es ist nicht gerade alltäglich, dass in der Süddeutschen Zeitung ein Wirtschaftsnobelpreisträger für die »anti-nationale Revolution« plädiert. Grund genug, sich den Beitrag von Robert J. Shiller in der Ausgabe vom 27. September 2016 genauer anzuschauen.

Nobelpreisträger Robert Shiller am World Economic Forum (WEF) in Davos, Januar 2012.
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Nobelpreisträger Robert Shiller am World Economic Forum (WEF) in Davos, Januar 2012. Foto: World Economic Forum (CC BY-SA 2.0 cropped)

26. Juni 2017
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Laut dem Professor für Ökonomie an der Yale-Universität wird im Verlauf des 21. Jahrhunderts eine »derartige Revolution« eintreten, die die »wirtschaftliche Logik des Nationalstaates infrage stellen« wird. Den Auslöser vermutet Shiller in der »Ungerechtigkeit«, »die aus der Tatsache herrührt, dass einige Menschen aus purem Zufall in armen und andere in reichen Ländern geboren werden«. An dieser Stelle könnte schon einiges auffallen.

Zum Beispiel, dass die Gerechtigkeit eine Kategorie ist, bei der danach gefragt wird, was wem zusteht und was nicht und daran oft anschliessend, wem wie viel Verzicht zuzutrauen ist, statt zu fragen, wer was braucht und wie man das hergestellt bekommt. Oder dass es keineswegs ein »Zufall« ist, dass es mehr arme Länder gibt als reiche – deren Rang in der Weltordnung ist schliesslich ein Ergebnis der kapitalistischen Konkurrenz zwischen den Nationalökonomien. Übrigens gibt es in den reichen Ländern auch jede Menge arme Menschen. Und es ist auch überhaupt kein Zufall, dass in den armen Ländern mehr Menschen geboren werden – in Gesellschaften ohne jegliche staatliche Sozialversorgung fungiert der Nachwuchs als eigene Überlebensgarantie im Alter.

Dass daran mal etwas geändert werden sollte, da hat Herr Shiller ja recht. Wie kommt es denn nun zu der versprochenen »Revolution«? »Da immer mehr Menschen für multinationale Unternehmen arbeiten und Menschen aus anderen Ländern kennenlernen, wird dies unseren Gerechtigkeitssinn treffen«. Allein die Tatsache, dass Menschen überhaupt im Ausland arbeiten und dabei »in der Kommunikation« auf Ungleichheiten stossen, wird nach Shiller also eine Veränderung in Gang bringen – ob die Arbeiter_innen als illegale Erntehelfer_innen dienen oder als hochbezahlte Spezialist_innen, die bessere Nutzung von billigen Arbeitskräften organisieren, da macht der Nobelpreisträger keinen Unterschied. Die Lohnhierarchie innerhalb eines Landes ist eben nicht Shillers Problem und so wird diese von seiner imaginierten Revolution wohl auch unangetastet bleiben. Dass die Armut der Menschen in vielen Ländern sie erst für die multinationalen Unternehmen interessant macht – ebenfalls geschenkt. Shiller freut sich über alle, die ins Ausland reisen – bei völligem Absehen von den Gründen für die internationale Jobsuche.

Shiller spekuliert darüber, dass den Arbeiter_innen im Ausland allein durch die gegenseitige Begegnung die »Ungerechtigkeit« von Armut auffiele. »Letztlich wird das Erkennen, dass etwas falsch ist, grosse Veränderungen auslösen«. Bei dem, was so offensichtlich falsch sei, nämlich Armut, unterscheidet er allerdings zwischen Armut aus zufälligen und nichtzufälligen Ursachen. Als einziger, legitimer Grund für Reichtum und Armut soll die Eigenleistung gelten. Denn, wenn die Arbeiter_innen Leistung bringen, sei es schliesslich egal, wo sie geboren wurden. Und wenn nicht, dann ebenso: Es gibt in seinen Augen also auch jede Menge legitimer Armut. Aber selbst dort, wo er sie für abschaffenswert hält, erklärt er, dass »die nächste Revolution die Folgen des Geburtsortes nicht beseitigen [wird], aber die Privilegien der Nationalität werden abnehmen«. Das Argument sollten sich die Kassierer_innen bei den Discountern mal auf der Zunge zergehen lassen: Wenn sie sich für den Mindestlohn abrackern, dann geniessen sie ein Privileg der Nationalität.

Die Erkenntnis, dass Leistungsfähigkeit wichtiger sei als Nationalität, würde sich laut Shiller aller fremdenfeindlichen Stimmung zum Trotz durchsetzen. Was für Aussichten, dass die nationalistische Sortierung zurückbleiben könnte hinter der Orientierung am alltäglichen Leistungsvergleich vor dem Kapital – sollte es so eintreten, dann wird diese Entwicklung dem Kapital zu gute kommen, aber sicher nicht jenen, die sich bei ihrer Lohnarbeit krumm machen müssen.

»Letztlich wird die nächste Revolution vermutlich aus den täglichen Interaktionen mit Ausländern auf Computerbildschirmen herrühren, die wir als intelligente, anständige Leute wahrnehmen – Menschen, die ohne eigenes Verschulden in Armut leben«. Konkret bedeutet das: Beim Skypen mit Plantagenarbeiter_innen stellen ihre Arbeitgeber_innen fest, dass die Leistung der Arbeiter_innen mit mehr Lohn honoriert gehöre? Das war vor Skype nicht so und das wird auch jetzt nicht der Fall sein. Und wenn sich die Leute an den Computerbildschirmen dann gegenseitig zu »unintelligent« und »unanständig« finden – was immer das jeweils sein mag – bleibt die Revolution dann aus? Mal ganz abgesehen von denen, die aus „eigenem Verschulden“ – was immer das ist – arm sind. Denen ist so oder so nicht mehr zu helfen.

Nun könnten kritische Geister fragen, weswegen denn die »Interaktion« zwischen Arbeitgeber_innen aus den Industrieländern und ihren tüchtigen Mitarbeiter_innen anderswo überhaupt zustande kommt. Der Umstand, dass die Chefs in der »1. Welt« die niedrigen Lebenshaltungskosten, nicht vorhandene Arbeitsschutzmassnahmen und die effektive Unterdrückung jeder Unmutsäusserung durch die Staatsapparate in den »zufällig« armen Ländern als sehr förderlich für die Vermehrung ihres privaten Reichtums ansehen – das trübt den Optimismus Shillers keineswegs. Nur in einem Punkt hat Shiller recht: Die Arbeitgeber_innen erkennen die Leistung der Arbeitnehmer_innen insofern an, als dass sie sich diese zunutze machen.

Nachdem die Revolution stattgefunden hätte, bräuchte es nach Shiller nicht mehr viel, um auch in Niedriglohnländern mehr Lohn zu bekommen: »In einer idealen Welt müssen die Menschen nicht in ein anderes Land ziehen, um einen höheren Lohn zu erhalten. Letztlich müssen sie nur an der Produktion von Waren partizipieren, die international verkauft werden«. Dass diese Waren in einem Niedriglohnland hergestellt werden, gerade weil dort billiger zu produzieren ist, lässt Shiller aussen vor. Die Produktivkraft ist niedrig, solange Arbeitskraft billiger ist als Maschinen. Auf entsprechend niedrigem Niveau sind dann Lebenshaltung und Lebenshaltungskosten – alles eine Form der systematischen Armutsproduktion einer kapitalistischen Weltordnung. Kurz gesagt: Es ist das kapitalistische Wirtschaften, das sowohl Armut im Land wie überhaupt arme Länder schafft – das durch Freihandel weiter zu fördern, schafft keinen Deut Armut ab.

Shiller ruft dazu auf, »sich auf die Forderung der wirtschaftlichen Freiheit [zu] konzentrieren« und lobt mit Berufung auf Paul A. Samuelson die »Bedingungen unbeschränkten Freihandels«. Er verspricht sich davon eine Angleichung der Löhne (nach oben), ruft aber zugleich dazu auf, die »Verlierer des Aussenhandels in den bestehenden Nationalstaaten [zu] schützen«. Eine Wirtschaft ohne Verlierer liegt offenbar ausserhalb dessen, was für Shiller vorstellbar ist. Genau genommen sind Shillers Vorschläge weder antinational noch revolutionär, sondern bleiben in der Vorstellung verhaftet, materielle Versorgung von Menschen an deren Arbeitstauglichkeit und Leistungsfähigkeit zu koppeln.

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