Mehr Gefahrengebiet. Weniger Blabla. Mit Janis Varoufakis in die Volksbühne

Politik

19. Februar 2016

Wenn die Frage steht, wo es derzeit hingehen soll, kann die Antwort nicht sein: Mit Yanis Varoufakis in die Volksbühne. Gehen wir lieber mit allen, die noch Kraft haben, in die Kieze und Betriebe.

Yanis Varoufakis bei einem Besuch im Rathaus von Barcelona.
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Yanis Varoufakis bei einem Besuch im Rathaus von Barcelona. Foto: Marc Lozano (CC BY-SA 2.0 cropped)

19. Februar 2016
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Als Tragödie war er abgetreten, als Farce kehrte er zurück: Der mondäne griechische Ex-Finanzminister Yanis Varoufakis tourt durch Europa, um sein neues Projekt DiEM25 zu promoten. Unter dem Slogan „Die EU wird demokratisiert werden – oder sie wird sich desintegrieren“ versammelt der Verfasser des Bescheidenen Vorschlages zur Lösung der Eurokrise derzeit UnterstützerInnen in ganz Europa (und teilweise darüber hinaus) um sich und seine „Bewegung“.

Programmatisch liest sich das, was der Talkshow-Dauergast und seine AkademikerfreundInnen vorzuschlagen haben, als wäre Papst Franziskus zum Keynesianismus konvertiert und hätte zusammen mit Claudia Roth und Bernie Sanders nach einer runde schlechtem Weed Buchstaben auf eine Serviette gekotzt. Anstelle einer eingehenden „Kritik“, die man sich tatsächlich sparen kann, einige der Kernthesen des Projekts im Original: „Regeln sollten existieren, um den Europäern zu dienen, nicht umgekehrt“; „Währungen sollten Instrumente sein, nicht Selbstzweck“; und der Knüller: „Demokratie ist essentiell, um die schlimmsten Auswirkungen des Kapitalismus und seine selbstzerstörerischen Dynamiken zu begrenzen und um ein Fenster zu öffnen in Richtung auf einen neuen Ausblick auf soziale Harmonie und nachhaltige Entwicklung.“

Was will man dazu noch sagen? Man könnte ihn belächeln, diesen Versuch, Sozialdemokratismus mit hippem Antlitz zu promoten, würde nicht dieser Blödsinn tatsächlich in der Leere der deutschen Linken auf fruchtbaren Boden fallen, bis hinein in die sogenannte „postautonome“ Bewegung.

Im Zentrum des Ansatzes steht ein gleichsam metaphysischer Demokratiebegriff, der einerseits alle Probleme lösen soll, andererseits aber völlig unbestimmt und inhaltsleer bleibt. Da die ProtagonistInnen dieser Massenbewegung in spe ja allesamt studiert haben, wissen sie das wohl selber, kommen aber auf die lustige Idee, dass der Mangel an Analyse eine Stärke, keine Schwäche sei. „Der Fokus auf Demokratisierung ist klug gewählt. Demokratie ist ein leerer Begriff, der unterschiedliche Positionen hinter sich zu versammeln vermag“, schreibt Margarita Tsomou in der aktuellen Nummer von Analyse&Kritik. Leere Begriffe (sie meint im Alltagsgebrauch verschieden verwendete, ganz „leer“ sind sie ja nie) gibt es bekanntlich viele. Wir könnten uns unter dem Label „Glückseligkeit“, „Harmonie“ oder auch schlichtweg „Schubidubidu“ versammeln.

Für Harmonie und Schubidubidu

Anders als „Glückseligkeit“, „Harmonie“ und „Schubidubidu“ weckt allerdings der Bezug auf einen emphatisch als ultima ratio gehypten Begriff der „Demokratie“ mehr Illusionen in das Bestehende, als er Widersprüche zuzuspitzen in der Lage ist. Generell vermittelt das Projekt, so wie es sich derzeit präsentiert, den Eindruck, es bräuchte weder eine Überwindung der Verhältnisse, noch einen tatsächlichen antagonistischen Kampf, damit alles (wieder?) smooth und chillig wird. Wir müssen uns nur alle irgendwie zusammensetzen – am besten an Orten, wo die Zizeks und Brian Enos die schichtspezifisch angemessene Kulisse samt Mikro und Kamera vorfinden – dann reden wir ein bisschen über Demokratie und das bessere Europa, das wir total wollen und schwups, limitieren wir die „schlimmsten Auswirkungen des Kapitalismus“ auf ein erträgliches Mass.

Die angemessene Praxisform dieser Bewegung ist sodann auch die „Konferenz“ und das Talkshow-Interview. Und die angemessenen Forderungen sind die des engagierten NGO-Mitarbeiters, der dem Kapital und seinem Staat gerne ein paar Regeln auferlegen will, damits besser flutscht. „Der Realismus verlangt uns ab, Meilensteine in realistischen Zeitfenstern zu erreichen.“

Die lesen sich dann so, die Meilensteine: „Volle Transparenz in der Entscheidungsfindung“, die hergestellt werden soll durch (das steht da wirklich) „Live-Streaming-Übertragung von Treffen des EU-Rats, Ecofin, FTT und Eurogruppen-Treffen“, eine Liste aller Lobbyisten und der Veröffentlichung diverser Dokumente des EU-Finanzapparats.

Mittelfristig wird man sogar noch wilder: In zwei Jahren soll eine „constitutional assembly“ einberufen werden, in der man einen europäischen Gesamtstaat schaffen will, der als „vollwertige Demokratie mit einem souveränen Parlament, das nationale Selbstbestimmung und Machtteilung mit nationalen Parlamenten, regionalen Versammlungen und lokalen Verwaltungen respektiert.“

Kapitalismus gibt es in diesem Weltbild nicht, und wenn dann hat er jedenfalls gar nichts mit politischer Repräsentation zu tun, die man am Reissbrett frei nach Montesquieu oder wer einem sonst noch so einfällt, modeln kann. „Demokratie“ (welche ist wurscht, weil die Stärke ist ja ohnehin, dass das Ding „leer“ ist) ist irgendetwas Überhistorisches, das mit der gesellschaftlichen Produktionsweise gar nichts zu tun hat und kann wundersamer Weise aber doch die Verwerfungen, die aus selbiger resultieren, „limitieren“.

Wie alle guten Sozialdemokraten verkauft Varoufakis die Verbesserungen, die er im Kapitalismus umsetzen will, als letzte Rettung des Bestehenden. Die „Demokratisierung“ ist, so der passionierte Motorradfahrer, „eine historische Pflicht“, weil sich „Europa“ (gemeint ist die EU, aber da gibt's wohl keinen Unterschied für ihn) „sonst desintegrieren wird“.

Gefahrengebiet statt Gerede

Die „Bewegung“, die hier entstehen soll, hängt schon jetzt in einem luftleeren Raum. Sie ist ja nicht aus einem konkreten Bedürfnis entstanden, über das sich die Leute, die die Bewegung tragen, selbst vergewissern und in diesem Erkenntnisprozess Strategien und Taktiken entwerfen. Sie kommt auf als ein „Plan“, den eine Reihe „berühmter“ Menschen nun in der Gegend herumtragen in der Hoffnung, er möge dann von den dergestalt Überzeugten umgesetzt werden. Wer mit dem Gedanken spielt, sich hier „einzubringen“, der sollte sich dessen vergewissern, dass die Lage, in der wir uns befinden, zu ernst ist, um Zeit zu verschwenden. Und in einer Lage, in der keineswegs die dümmste aller Fragen irgendeine Berechtigung hat: „Aber was willst du denn sonst machen?“

Keine einzige Bewegung, von der in den vergangenen Jahren in düsterer Zeit irgendeine Art Hoffnung ausging, ist auf diese DIEM-Art-und-Weise entstanden. Ob wir uns die Platzbesetzungsbewegungen von Puerta del Sol bis Taksim, die „demokratische Autonomie“ in Kurdistan, die Streikbewegungen in verschiedenen europäischen Ländern oder die Versuche, „Hilfe“ für Flüchtlinge auf antagonistische Weise zu erkämpfen, ansehen – Bewegungen entstehen von „unten“ unter Leuten, die gemeinsame Interessen haben und haben dann eine Perspektive, wenn sie zur Durchsetzung ihrer eigenen Interessen bereit sind, sich zu verteidigen oder gar in die Offensive zu kommen. Sie entstehen nicht durch grossspurige Deklamationen im Fernsehen oder auf Theaterbühnen.

Reale Bewegungen, die in Kiez und Betrieb ansetzen, haben wir auch hierzulande: Erinnern wir uns an die Mall of Shame, an Streiks bei Amazon, Bahn und unter Erzieherinnen, an die Versuche, Zwangsräumungen zu verhindern, an die Kampagne gegen Olympia in Hamburg, an die – zum Teil erfolgreichen, zum Teil gescheiterten – Hausbesetzungen in verschiedenen Städten und jüngst an die Versuche, erkämpfte Positionen – wie in der Rigaer Strasse oder der Friedel – zu halten und auszubauen.

Führen wir dort Debatten, entwickeln wir dort Theorie, die kein Blabla von „Demokratie“ und „europäischen Werten“ ist. Entwickeln wir die Bereiche, in denen es Widersprüche gibt, zu Gefahrengebieten – im tatsächlichen wie im übertragenen Sinne. Denn der Diskursraum, den Gelaber wie das um DIEM25 eröffnet, ist das genaue Gegenteil eines Gefahrengebiets. Vor derart Gerede muss sich kein Staat, kein Kapital und keine EU fürchten.

Fatty McDirty / lcm