Übersicht der Massnahmen gegen abgewiesene Asylsuchende Schweiz: Abgewiesen und eingesperrt

Politik

21. Februar 2017

Angesichts von illegalisierten Fluchtrouten über das Mittelmeer oder Osteuropa ist Fluchthilfe mehr als legitim. Wenn sich ein Rechtsstaat gegenüber den Schwächsten in einen Unrechtsstaat verwandelt, wird ziviler Ungehorsam und praktischer Widerstand zur Pflicht.

Schweiz: Abgewiesen und eingesperrt.
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Schweiz: Abgewiesen und eingesperrt. Foto: Norbert Nagel, Mörfelden-Walldorf, Germany (CC BY-SA 3.0 unported - cropped)

21. Februar 2017
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Man könnte meinen, in der Schweiz gelten die gleichen Gesetze für alle, doch für eine Gruppe von Menschen wurde ein eigenes Gesetz geschaffen, das Ausländergesetz (AuG). Systematisch wird ein Teil der Menschen, welche in der Schweiz leben, ihrer Grundrechte beraubt. Am härtesten trifft es jene, die laut dem Staatssekretariat für Migration (SEM) keine Aufenthaltsberechtigung (mehr) haben. Ohne jemals eine kriminelle Tat begangen zu haben, können diese Menschen über fünfeinhalb Jahre eingesperrt werden. Sind sie nicht im Gefängnis, leben sie dank Zwangsmassnahmen und fehlenden Mitteln trotzdem nicht in Freiheit.

Nothilfe, überleben statt leben

Ohne gültige Aufenthaltsbewilligung ist es nicht möglich, in der Schweiz zu arbeiten und für seinen Lebensunterhalt aufzukommen. Das bedeutet, dass man auf Hilfe angewiesen ist. Seit 2008 erhalten abgewiesene Asylsuchende jedoch keine Sozialhilfe mehr (Personen mit Nichteintretensentscheid seit 2004), sondern Nothilfe. In den Nothilfestrukturen sind nicht nur Personen, die abgewiesen oder auf deren Asylgesuch nicht eingegangen wird, sondern auch die, welche ein zweites Asylgesuch gestellt und somit einen geregelten Aufenthaltsstatus (N) haben. In Artikel 12 der Bundesverfassung steht:

«Wer in Not gerät und nicht in der Lage ist, für sich zu sorgen, hat Anspruch auf Hilfe und Betreuung und auf die Mittel, die für ein menschenwürdiges Dasein unerlässlich sind.»

Mit der Nothilfe will man diesem Anspruch gerecht werden. Die Nothilfe ist kantonal geregelt, beträgt etwa 8 Franken am Tag und wird teilweise in Migros- oder Coop-Gutscheinen ausbezahlt. Ein Betrag, der kaum zum Überleben reicht, geschweige denn zum Leben. Doch das scheint nicht genug, um den Menschen zu zeigen, dass sie hier nichts zu suchen haben. Die Menschen werden durch die Nothilfe sehr stark prekarisiert und die Situation für die, die nicht ausreisen können, wird sich nicht in absehbarer Zeit verbessern. Gefangen in der Nothilfe und mit keinerlei Perspektiven führen diese Menschen ein Leben abseits der Gesellschaft, ohne Hoffnung. Die unmenschlichen Bedingungen in der Nothilfe und die Aussichtslosigkeit führen zu psychischen Problemen: viele Nothilfebezüger*innen können nur noch mit Schlaftabletten schlafen und einige sind auch in psychologischer Behandlung.

Illegaler Grenzübertritt und Aufenthalt

Mit der Asylgesetzrevision 2006 wurde ein neuer Tatbestand geschaffen, rechtswidrige Einreise und rechtswidriger Aufenthalt (Art. 115), was mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr bestraft werden kann. Das heisst, die blosse Anwesenheit einer Person kann bestraft werden, ohne dass sie sich jemals etwas hat zu Schulden kommen lassen. Kaum aus dem Gefängnis machen sie sich sofort wieder strafbar. Eine Person, deren Asylgesuch abgelehnt wird, wird also von den Behörden illegal gemacht.

Zwangsmassnahmen

Die Zwangsmassnahmen sollen helfen, eine Person aus dem Land zu schaffen oder ihr das Leben so schwer zu machen, dass sie selber geht. Ihren Ursprung haben die Zwangsmassnahmen in der Räumung des Lettenareals in Zürich und traten am 1. Februar 1995 in Kraft. Die Zwangsmassnahmen, Administrativhaft und Ein-/Ausgrenzung werden im Folgenden genauer erklärt.

Administrativhaft

Wird eine Person ohne gültigen Aufenthaltsstatus von der Polizei kontrolliert, kann sie zur Feststellung der Identität oder der Eröffnung einer Verfügung im Zusammenhang mit ihrem Aufenthaltsstatus bis zu 3 Tagen festgehalten werden (Art. 73). Während der Vorbereitung des Entscheides über ihre Aufenthaltsberechtigung kann die Person weiter bis zu 6 Monaten in Haft genommen werden (Vorbereitungshaft, Art. 75). Gibt es einen Weg- oder Ausweisungsentscheid folgt die Ausschaffungshaft (Art. 76) zur Sicherstellung des Vollzugs. Ist eine Anordnung der Ausschaffungshaft nicht zulässig, kommt die Durchsetzungshaft (Art. 78) zum Zug. Die Haft (Vorbereitungs-, Ausschaffungs- und Durchsetzungshaft) kann auf bis zu 18 Monate verlängert werden. Es gibt verschiedene Bedingungen für die Haft. Oft wird deren Erfüllen aber ungenügend überprüft oder Sachverhalte werden frei interpretiert, so dass sie den Bedingungen gerecht werden. So kommt es willkürlich zu Verhaftungen und Haftstrafen. Ausschaffungshaft wird beispielsweise angeordnet, obwohl eine Ausschaffung nicht möglich ist.

Ein- und Ausgrenzungen (Art. 75)

Die Behörden können einer Person verbieten, ein Gebiet zu betreten (Ausgrenzung) oder ein Gebiet zu verlassen (Eingrenzung). Missachtung einer Ein- oder Ausgrenzung kann mit Freiheitsstrafen von bis zu 3 Jahren oder Geldstrafen geahndet werden. Auch Aus- und Eingrenzungen hätten Bedingungen, um angewendet zu werden, werden in der Praxis aber auch willkürlich oder sogar systematisch ausgesprochen. Auch hier reicht die Anwesenheit einer Person ohne gültigen Aufenthaltsstatus.

Praxis im Kanton Zürich

Im Kanton Zürich erhalten Nothilfebezüger*innen 60 Franken in der Woche, sowie medizinische Notversorgung und Ihnen wird eine Unterkunft zugeteilt. Essen, Kleider und Hygieneartikel müssen sie selber bezahlen, mit 8.50 Franken pro Tag. Eine Tageskarte für den öffentlichen Verkehr würde also das Geld eines ganzen Tages verschlingen. Die Unterkünfte befinden sich in Uster, Kemptthal, Glattbrugg, Urdorf, Adliswil und Hinteregg. Geführt werden die Unterkünfte von der privaten ORS, ein profitorientiertes Unternehmen, das für Skandale bekannt ist. Durch die gewinnorientierte Ausrichtung der Firma wird nicht nur bei Nothilfebezüger*innen gespart, sondern auch bei den Angestellten. Zwei der Unterkünfte sind unterirdische Bunker, ohne Tageslicht, eine andere besteht aus Baracken in unmittelbarer Nähe des Flughafens. Alle sind sehr abgelegen und mit den öffentlichen Verkehrsmitteln meist schlecht erreichbar. Auch Einkaufsmöglichkeiten befinden sich oft nicht in der Nähe.

Dazu kommt, dass die Unterkünfte überbelegt sind, so müssen sich in Kemptthal sechs Personen ein dunkles, acht Quadratmeter grosses Zimmer teilen. Die etwa 80 Bewohner der Notunterkunft teilen sich gerade mal drei Toiletten und drei kleine Duschen. Eine kleine, im Aussenbereich liegende Küche mit zwei Kochherden muss für alle reichen. Der Aufenthaltsraum ist mittlerweile mit Containern vollgestellt, um die Kapazität der Unterkunft, und somit den Ertrag für die ORS, weiter zu erhöhen, auf Kosten der Bewohner*innen. Mängel am Inventar und an der Infrastruktur werden oft lange nicht behoben, zum Beispiel kommt es öfters vor, dass es für mehrere Tage kein Warmwasser gibt.

Pro Notunterkunft gibt jeweils ca. 10 Tageskarten für den öffentlichen Verkehr, diese bekommt man zum Beispiel für Arztbesuche. Übrige Fahrkarten kann man für drei Franken erwerben, wenn jedoch alle vergeben sind, hat man Pech gehabt. Dies führt zu Spannungen unter den Bewohner*innen, in der sonst schon unhaltbaren Lage, da Geld, um ein reguläres Ticket zu kaufen, nicht vorhanden ist. Für das Reinigen der Unterkunft erhalten die Bewohner*innen ein Entgelt, was je nach Unterkunft unterschiedlich viel ist. So bekommt man in Urdorf für das Putzen der Küche (ca 3 Stunden Aufwand) acht Franken, für die Räumlichkeiten der Mitarbeitenden hingegen nur 3 Franken, da der Aufwand geringer ist. Im Schnitt sind das etwa 2-3 Franken pro Stunde. Jedoch können nur wenige Leute mit Putzen beauftragt werden und alle anderen gehen leer aus. Wer putzen darf, entscheidet das Personal, willkürlich.

Frauen und Familien sind in den Notunterkünften in Adliswil und Hinteregg untergebracht. In den anderen 4 Notunterkünften sind ausschliesslich Männer. Die Praxis wie Frauen und Familien behandelt werden, ist sonst die gleiche.

Dynamisierung

Zwischen Sommer 2005 und Sommer 2016 wurden im Kanton Zürich viele Nothilfebezüger*innen der sogenannten "Dynamisierung" unterworfen. Jede Woche wurde ihnen eine neue Unterkunft zugeteilt. Dafür mussten sie zum Migrationsamt am Berninaplatz in der Stadt Zürich und dort erneut einen Antrag auf, die in der Verfassung garantierte, Nothilfe stellen. Von dort ging es dann zum Sozialamt, welches die Unterkunft für die nächste Woche bekannt gab, es sei denn, die Polizei wartete beim Migrationsamt mit Handschellen. Das Ticket zum Berninaplatz musste selber bezahlt werden, mit den damals üblichen 60 Franken Migros-Gutscheinen ein eher schwieriges Unterfangen. Daher sind viele ohne Ticket gefahren und sind dafür gebüsst oder verhaftet worden. Diese Massnahme verunmöglichte es, jegliche sozialen Kontakte zu pflegen und führte die Betroffenen in die Isolation. Dazu kam die ständige Angst vor Verhaftungen.

Eingrenzungen

Die Dynamisierung schien die erhoffte Vertreibung der abgewiesenen Asylsuchenden aus der Schweiz nicht genügend bewirkt zu haben und so wurde sie im Sommer 2016 durch systematisches Erteilen von Eingrenzungen abgelöst. Im Kanton Zürich wurden 2016 Sparmassnahmen (Lü 16) verabschiedet, wodurch auch im Asylwesen gespart werden muss, unter anderem soll die Anzahl Nothilfebezüger*innen gesenkt werden. Die Nothilfebezüger*innen müssen nun nicht mehr jede Woche die Unterkunft wechseln, sie dürfen jedoch die Gemeinde (später teilweise den Bezirk), in der sich die zugeteilte Notunterkunft befindet, nicht mehr verlassen. Auch diese Massnahme führt zur totalen Isolation der Nothilfebezüger*innen, denn sie können weder Freund*innen noch Familie besuchen, wenn diese nicht per Zufall in der Gemeinde wohnen, in der die Unterkunft steht. Auch können sie keine Angebote in Anspruch nehmen, die sich ausserhalb der Gemeinde befinden, nicht einmal rechtliche Unterstützung. Sie bleiben alleine und entrechtet ausserhalb der Gesellschaft, eine Missachtung der Eingrenzung hat Geld- oder Freiheitsstrafe zur Folge.

Bei dieser Massnahme wird auch nicht auf die familiäre Situation Rücksicht genommen. So kann es vorkommen, dass ein Vater seine Tochter nicht mehr besuchen kann, weil sie nicht in der gleichen Gemeinde wohnt. Oder eine Mutter den Ort, an dem sich die Schule ihrer Kinder befindet, nicht betreten darf.

Anwesenheitskontrolle

Auch die Eingrenzungen sind der Sicherheitsdirektion und dem Migrationsamt nicht genug. Seit dem 1. Februar 2017 gilt nun ein noch restriktiveres Regime. Die Nothilfebezüger*innen müssen zweimal am Tag in der Notunterkunft unterschreiben, morgens zwischen 8.30 bis 9.30 Uhr und abends zwischen 19 und 20 Uhr (variiert teilweise), auch am Wochenende. Die 60 Franken werden auf die Wochentage aufgeteilt, so bekommen sie Dienstag bis Donnerstag einmal am Tag 10 Franken und am Montag 20 Franken. Das heisst, das Geld fürs Wochenende wird erst am Montag ausbezahlt. Verpassen sie eine dieser Kontrollen, wird das Geld für den Tag gestrichen, bei zwei verpassten Kontrollen werden sie bei den Behörden abgemeldet. Das zwingt die Nothilfebezüger*innen noch mehr in die Isolation. Deutschkurse in den Gemeinden, Kirchen- oder Moscheebesuche und weitere Aktivitäten werden durch die Anwesenheitspflicht verunmöglicht. Das Vorgehen der Behörden entzieht sich jeglicher gesetzlichen Grundlage und verstösst massiv gegen die Grundrechte. Durchgesetzt wird die Massnahme von der privaten ORS, die somit die staatliche Repression übernimmt.

Polizeiliche Repression

Die Repression von Seiten der Polizei kennt bei den abgewiesenen Asylsuchenden keine Grenzen, denn sie können sich kaum wehren. Sie können jederzeit verhaftet und inhaftiert werden, wegen illegalem Aufenthalt oder zur Vorbereitung der Ausschaffung (welche nicht mal möglich sein muss) und leben daher in ständiger Angst. Es kann auch sein, dass die Polizei bei der Notunterkunft wartet und Leute, wenn sie ihr Geld abholen, direkt mitnimmt. Razzien und Kontrollen der Polizei in den Unterkünften kommen ebenfalls häufig vor, egal ob am Tag oder in der Nacht. Die Brutalität mit der die Polizei die abgewiesenen Asylsuchenden behandelt, sucht seinesgleichen.

Trotz all dieser Massnahmen bleiben viele abgewiesene Asylsuchende in der Schweiz, alleine, entrechtet und ohne jegliche Perspektive. Warum sie bleiben, hat viele Gründe, so wie auch jede*r eine individuelle Geschichte hat. Es wird verkannt, dass diese Menschen nicht ausreisen werden und dass ein noch so repressives Vorgehen diese Menschen nicht zur Ausreise bringt, sondern sie langsam daran zu Grunde gehen. Man sieht und hört sie kaum, an den Rand gedrängt warten sie darauf, dass es vorbeigeht.

Text zum Aktionstag «Wo Unrecht zu Recht wird»

18. März 2017 Zürich — Ein Samstag gegen die Bunker- und Eingrenzungspolitik