Anlässlich der Wahlen in der Ukraine Portrait eines Oligarchen: Rinat Achmetov

Politik

9. Februar 2010

Rinat Achmetov gilt als der eigentliche Königsmacher der Ukraine. Der Wahlsieg Janukovitschs geht zu einem grossen Teil auf sein Konto.

Schachtarstadion in Donezk.
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Schachtarstadion in Donezk. Foto: Hoodrat (CC BY-SA 3.0 unported - cropped)

9. Februar 2010
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Während der Orangen Revolution wurde Justschenkos Wahlkampf mehr oder weniger von Boris Berezovski finanziert, und Justschenko konnte einen Etappensieg verbuchen. Achmetov stand auch damals auf der Seite Janukovitschs. Er hatte den längeren Atem. (Berezovsky hat seinen Schützling längst fallengelassen, weil der ihm nach seinem Wahlsieg gemeinerweise die triumphale Übersiedlung in die Ukraine verweigert hat.) Inzwischen hat sich also der einheimische gegen den auswärtigen Oligarchen durchgesetzt, in der Politik jedenfalls.

Wie kam der Sohn eines Bergarbeiters und Absolvent einer sowjetischen Wirtschaftsuni zu seinem Vermögen?

Zunächst einmal – Mitte der 90-er Jahre – gründete er, ähnlich wie andere der neuen Grossunternehmer der ehemaligen SU, eine Bank. (Hier erinnert man sich an Brechts Spruch aus der Dreigroschenoper: „Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank? “) Damit verschaffte er sich Kredit und begann, Betriebe zu kaufen.

Man muss sich vor Augen führen, wie die Situation in der Ukraine damals war. Nachdem Kravtschuk, Schuschkievitsch und Jelzin auf einer weissrussischen Datscha bei Konsum von einigen Flaschen Wodka beschlossen hatten, nach der Devise „small is beautiful“ die Zerschlagung der Sowjetunion einzuleiten, wurde die Ukraine 1991 unabhängig. Sie war gleichzeitig mehr oder weniger pleite. Zunächst liess die Regierung 1992 im Ausland – auf Kredit selbstverständlich – hübsche Banknoten drucken. Die ukrainische Regierung verschuldete sich also schon einmal ordentlich, um sich ein nationales Geld zuzulegen. Die Kosten für den Druck des Hrivna bei zwei kanadischen Firmen sollen sich auf ca. 200 Millionen US-​Dollar belaufen haben.

Dabei wäre das, wie sich herausstellte, gar nicht nötig gewesen. Der Hrivna wurde nämlich erst viereinhalb Jahre später in Umlauf gebracht. Bis dahin lagerten die Geldscheine in diversen Kellern von öffentlichen Gebäuden. Man wollte das gute Geld nämlich nicht durch eine schlechte Wirtschaft verderben.

Im Umlauf waren von 1992 bis 1996 die Kupony-​Karbowanzy, die aus irgendeiner ukrainischen Druckerei stammten. Und ihren Dienst, die Menschen von den Waren fernzuhalten, sofern sie keinen Karbowanez in der Hand hatten, auch tadellos versahen.

Der Staat war der Eigentümer seiner gesamten Wirtschaft, für deren Produkte es auf einmal keine Absatzmärkte mehr gab, da die meisten von ihnen Ausland geworden und nach den neuen, plötzlich geltenden Prinzipien genauso zahlungsunfähig wie die Ukraine waren: Auch sie verfügten nur über nationales Geld vom Schlage der Karbowanzy und nicht über die im zwischenstaatlichen Zahlungsverkehr nötigen Devisen.

Der Internationale Währungsfonds, die Weltbank, diverse Experten und andere menschenfreundliche Institutionen nahmen das frische Mitglied der internationalen Staatenfamilie unter ihre Fittiche, kreditierten es, um diese Nationalökonomie vor dem völligen Kollaps zu bewahren, und erteilten ihre bewährten immergleichen Ratschläge: Nicht zu viel Geld drucken, um eine Inflation zu vermeiden, und möglichst rasch alles privatisieren. Und ja keine Erhöhungen von Löhnen und Gehältern!

Die Löhne und Gehälter vieler Ukrainer wurden nicht nur nicht erhöht, sie wurden oft jahrelang nicht gezahlt. Die Regierung durfte ja nicht so viel Geld drucken! Also woher nehmen? Und so arbeiteten ukrainische Professoren, Bergarbeiter, Ärzte und so weiter jahrelang mehr oder weniger gratis und versuchten sich mit Kleinhandel oder anderen Nebenerwerbstätigkeiten irgendwie über Wasser zu halten. Hätten sie das nicht getan, wären sie nicht an ihrem Arbeitsplatz erschienen, wären sie nämlich laut Dienstvertrag sofort entlassen worden, ohne irgendwelche Ansprüche auf Wiedereinstellung, Abfertigung oder Arbeitslosenunterstützung. Dies war ein Erbe der sowjetischen Wirtschaftsordnung, in der Entlassung nicht vorgesehen war und man einen Arbeitsplatz auf Lebenszeit hatte. Lang ists her …

Alle Betriebe warteten also auf den rettenden Investor. Und er erschien, in Gestalt von Achmetov und seinen Geschäfts-​ und Bankpartnern. Da es in der Ukraine kein Kapital gab, so erschufen sie es durch Kredit, den sie sich über ihre neugründeten Banken gewährten.

Man sieht hier schlagend, dass es tatsächlich nur den richtigen Unternehmergeist braucht (und natürlich die nötige staatliche Unterstützung für ein solches Unterfangen), und dann ist das lumpigste Geld auch gerade gut genug, um zum Schmiermittel einer frisch angeleierten Kapitalakkumulation zu werden. Durch die Erteilung der Bankkonzession hat auch der Staat grünes Licht zur Kreditschöpfung gegeben und klargestellt, dass er auf dem seiner Hoheit unterstehendem Territorium auf Kapitalakkumulation Wert legt und für die Gültigkeit der zu diesem Zweck geschöpften Kredite qua dieser seiner Hoheit als lender of last resort geradesteht.

Natürlich gab es in der Anfangsphase einige Schwierigkeiten für Achmetov, sich durchzusetzen. Da kam es ihm sicherlich zugute, dass er früher einmal eine Zeitlang professioneller Boxer gewesen war. Die Idee, eine Bank zu gründen, aus nichts Kredit zu schaffen und dann einkaufen zu gehen, hatten nämlich sicher auch andere. So wahnsinnig originell ist sie ja nicht, wie überhaupt der ganze in den Medien stets hochgerühmte Unternehmergeist, näher betrachtet, eine ziemlich eintönige Angelegenheit ist.

Aber es wäre kleinlich, ihm das vorzuwerfen, wie das heute manche seiner Neider tun. So etwas gehört zu einer Gründerphase dazu, da gibt es eben eine natürliche Auslese, in der sich der Weizen der zukünftigen Kapitalistenklasse von der Spreu derjenigen Möchtegern-​Unternehmer trennt, die dann in irgendeinem Wald oder Strassengraben enden.

Nachdem Achmetov so zum Besitzer einiger grosser metallurgischer Kombinate und anderer Unternehmen geworden war und daran arbeitete, sie profitabel zu machen, legte er sich eine Fussballmannschaft zu, die seiner Heimatstadt: Schachtjor Donetsk.

Weil diese Affinität neureicher Unternehmer zu Fussballmannschaften oft als Spleen belächelt wird, ist es einmal angebracht, darauf hinzuweisen, dass der Besitz einer solchen Mannschaft zunächst eine ausgezeichnete Geldwaschmaschine ist, und nicht nur in der Ukraine, sondern weltweit. Die Ausgaben für Transferkosten, Spielergehälter, Sozialversicherung, Stadionbauten usw. sind ebenso gewaltig wie manipulierbar. Ebenso die Einnahmen von Sponsoren, Übertragungsrechten, Prämien und was es da noch so gibt. Da ist viel Platz, um Summen hineinzustecken und wieder herauszuziehen, die man woanders verdient hat und weder den Steuerbehörden noch der Justiz unter die Nase halten will.

Ausserdem schafft einem das Sponsoring und der Betrieb von so einem Fussballteam viele Sympathien und eröffnet einem gute Beziehungen, auf die man als Unternehmer immer angewiesen ist. Wer liebt nicht den Fussball?! Und das Herz jedes Patrioten schlägt höher, wenn die eigenen Burschen sich im internationalen Wettbewerb bewähren. Das lässt die Armen im Land ihre leeren Speisekammern vergessen, und schwellt den glücklichen neuen Reichen die Brust, nicht nur Geldfürsten und einflussreiche Leute zu sein, sondern auch einen Stolz auf ihr Heimatland zu entwickeln. Und die Fussball-​Anhängerschaft schafft auch das nötige Wähler-​Klientel, wenn man seine bevorzugten Politiker ins Parlament und die Regierung hieven will.

Schliesslich sieht man auch, wie heute das Proletariat weltweit bei der Stange gehalten wird: Von „panem et circenses“, mit denen die alten Römer ihre Besitzlosen zum Mitmachen brachten, ist nur letzteres übriggeblieben. Das moderne Proletariat ist bescheidener als seine antiken Namensgeber.

Bei der Geldwäsche und den illegalen Geschäften, für die sie nötig ist, muss man nicht immer an das Schlimmste denken, also an den im Zusammenhang mit postsozialistischen Staaten immer wieder beschworenen Menschen-​, Waffen-​ oder Drogenhandel. Nein, auch Produzenten von ganz biederen Gebrauchsgegenständen, wie Schuhen oder Autoreifen, oder womöglich Lebensmitteln haben oft die grössten Absatzschwierigkeiten, wegen mangelnder Zahlungsfähigkeit des p.t. Zielpublikums.

Ein Unternehmer in der Ukraine hat Unkosten, die z.B. ein österreichischer nicht kennt, und steht wegen seiner Staatszugehörigkeit immer schon mit einem Fuss im Kriminal.

Die oben erwähnten menschenfreundlichen Institutionen wie IWF usw. wollen zwar unbedingt, dass in der Ukraine Marktwirtschaft herrscht und ja nichts produziert wird, wo nicht am Ende Geschäft und Gewinn dabei herausschauen. Gleichzeitig werden aber viele Türen verschlossen, die dazu beitragen könnten, dass das Unternehmertum in der Ukraine vorankommt: Gerade diejenigen Staaten, die über „richtiges“, also Weltgeld verfügen, auf deren Märkte also jeder Unternehmer drängt, schützen ihren Markt und ihre Produktion durch Zölle und Quotenregelungen und verweisen die neuen Kapitalisten auf ihren inneren Markt und auf die genauso schwachbrüstigen Märkte ihrer ehemaligen Bruderländer.

Will also so jemand wie Achmetov irgendeines seiner Produkte in die EU verscheppern, so muss er zu Methoden greifen, für die das altertümliche Wort Schmuggel mit all seiner Romantik schon etwas überholt wirkt. Da müssen Ursprungszertifikate gefälscht, Partnerstaaten – meist auf dem Balkan – eingeschaltet werden, dann muss man noch irgendwo Zöllner bestechen – jede Menge Unkosten also, die aber nicht in der Bilanz aufscheinen dürfen, und nicht zum Abschreiben von der Steuer taugen. Und ist die Ware dann irgendwo „drüben“ glücklich an den Mann gebracht – wie weiter? Diesen Gewinn kann man ja auch wieder nicht durch die Bücher gehen lassen, und will ihn ja auch gar nicht versteuern. Die exportierte Ware muss aber doch irgendwo deklariert werden … Also muss man wieder was fälschen, usw. Und da ist so ein Fussballklub der ideale Filter, durch den alle Tätigkeiten, die den Blick der Behörden scheuen müssen, durchgedrückt werden können.

Der Sieg Janukovitschs über Timoschenko wird von westlichen Medien aus politischen Gründen als problematisch besprochen – zuviel Nähe zu Moskau, „unserer“ Einfluss ist gefährdet, usw. Das sind aber innerimperialistische Konkurrenzgedanken. Ökonomische Bedenken, wie es sie noch in den 90-er Jahren gab, ob die Enttäuschung über die Auswirkungen der Marktwirtschaft womöglich jemanden Falschen an die Macht bringen würde und ein Liebäugeln mit „sozialistischen“ Experimenten als Folge zeitigen können, sind heute längst vom Tisch. Dafür sorgen politische Paten wie Achmetov. Sie garantieren, dass in der Ukraine weiterhin alle Prinzipien des Kapitalismus in Kraft sind, auch wenn die Erfolge in der nationalen Bilanz eher spärlich ausfallen.

Amelie Lanier