Sanktionenregime in Österreich übertrifft teilweise Hartz IV und gehört zumindest reformiert Hartz-IV-Sanktionen teilweise aufgehoben

Politik

8. November 2019

In geradezu „salomonischer“ Weise hat sich das deutsche Bundesverfassungsgericht aus der Affäre um die massive Gewalt durch das Sanktionenregime gezogen.

Arbeitsamt (AMS) an der Bahnhofstrasse in 33 Gmünd.
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Arbeitsamt (AMS) an der Bahnhofstrasse in 33 Gmünd. Foto: Duke of W4 (CC BY-SA 3.0 cropped)

8. November 2019
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Immerhin erklären die Höchstrichter Sanktionen als „ausserordentliche Belastung“ und Gefährdung des von der Deutschen Verfassung versprochenen Sicherung eines „menschenwürdigen Existenzminimums“ für die „strenge Anforderungen der Verhältnismässigkeit“ anzulegen seien und stösst sich vor allem an der starren Frist von 3 Monaten, unabhängig davon, ob mensch in diesem Zeitraum (wieder) der Mitwirkungspflicht nachkomme.

Andererseits hält er es trotz fehlender wissenschaftlicher Belege für „plausibel“ dass Bezugskürzungen durch „abschreckende Wirkung“ dazu beitragen würden, die „Mitwirkungspflicht“ bei der Überwindung der Notlage durchzusetzen und dass „mildere Mittel nicht ebenso effektiv wären.“ Positiv hervorzuheben ist, dass das deutsche Bundesverfassungsgericht eine generelle Möglichkeit fordert, Sanktionen aufgrund besonderer Umstände als unzumutbar zu unterlassen.

Sanktionenregime in Österreich härter als Hartz IV: Massiver Handlungsbedarf

Das Sanktionenregime beim AMS ist deutlich härter als bei Hartz IV: Selbst für den geringsten Vorwurf kann das AMS auf reinen Verdacht noch vor Anhörung der Beschuldigten den Existenz sichernden Bezug für 6 oder 8 Wochen komplett einstellen. Dazu genügt es schon bei der Stellensuche, „allgemeines Misstrauen gegen Unternehmen“ zu zeigen oder bessere Arbeitsbedingungen zu fordern. Keine Gnade gibt es bei den oft als sinnlos empfundenen Kursen und Wiedereingliederungsmassnahmen, selbst wenn mensch binnen 2 Wochen sich doch „willig“ zeigt und bereit ist, die Zwangsmassnahme doch über sich ergehen zu lassen.

Dank Abschaffung des teilweisen Ausgleichs der AMS-Sanktionen bei der Mindestsicherung in allen Bundesländern schlägt die massive Gewalt der Existenzbedrohung auf die Zwangsversicherten voll durch. Selbst im rotgrünen Wien von Peter Hacker und Birgit Heben, die sogar Sozialarbeiterinnengespräche mit der Sanktionenpeitsche erzwingbar machen, zeigen die Herrschenden keine Gnade mit den von der Wirtschaft und Staat aussortierten und missachteten Menschen.

Nachsichtsgründe werden nur sehr beschränkt gewährt. Eine Gesamtbetrachtung, wie vom Deutschen Verfassungsgericht gefordert, erst gar nicht vorgesehen. Nicht einmal eine Existenzsicherung durch Sachleistungen wie im Hartz-IV-Deutschland ist vorgesehen, weshalb AMS- und Sozialamtsmitarbeiterinnen Menschen in Österreich scheinbar rechtskonform verhungern lassen können! Die Gewalt der Sanktionenpeitsche zerstört Demokratie und Menschenrechte!

Obwohl es aus anderen Staaten viele wissenschaftliche Untersuchungen gibt, die zeigen, dass die Schwarze Pädagogik der Sanktionen massive Verletzungen bei den von der staatlich angeordneten Gewalt Betroffen anrichten, wird im paternalistischen Österreich über dieses Gewaltregime nicht einmal diskutiert, gibt es keinerlei wissenschaftlichen Untersuchungen zu den Auswirkungen.

Eine besser „Wiedereingliederung“ in den kapitalistischen Arbeitsmarkt ist nicht erwiesen, es steigt aber die Gefahr der Abwärtsspirale, weil Menschen so tendenziell in schlechter bezahlte Arbeit gezwungen werden.

Das Sanktionenregime verletzt nicht nur die Würde der auf den AMS-Bezug angewiesenen Versicherten, sondern auch jene der AMS-Mitarbeiterinnen, die vom Gesetz her gezwungen werden, ihren Mitmenschen grossen Schaden zuzufügen und das Arbeitsklima im AMS zu zerstören. Es zwingt Menschen dazu, nicht passende und daher nicht motivierende Arbeit anzunehmen und so auch Unternehmen Schaden zuzufügen, weil diese dann oft binnen kurzer Zeit erst recht wieder neue Mitarbeiterinnen suchen müssen.

Das Sanktionenregime ist für uns moralisch daher höchst verwerflich und kann durch nichts gerechtfertigt werden. Das Sanktionenregime gehört daher dringend abgeschafft, oder als ersten Schritt entsprechend dem Höchstgerichtsurteil wenigstens rasch entschärft:
  • Keine Sanktionen ohne vorheriger Anhörung der Betroffenen (Recht Parteiengehör!)
  • Keine Sanktionen von mehr als 30%
  • Keine vollen Sanktionen für geringfügige Vergehen! (Verhältnismässigkeitsprinzip)
  • Aufklärung der Arbeit Suchenden nicht nur über Pflichten sondern auch über Rechte und deren Durchsetzung!
  • Wirksame Verfahrenshilfe durch auf Sozial-und Erwerbslosenrecht spezialisierte Juristinnen und Peer-to-Peer-Beraterinnen (Erwerbslosen- und Sozialanwaltschaft als Rechtsdurchsetzungsagentur und Plattform der Erwerbslosenselbstorganisationen)

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