Russland setzt Fakten in Syrien Die Rückkehr einer Grossmacht

Politik

13. Oktober 2015

Das Comeback derjenigen Macht, die der US-Präsident zur Regionalmacht deklarieren wollte, könnte gar nicht besser gelingen. Russland bringt sein Kriegsgerät in Stellung, schmiedet Allianzen mit einigen Regierungen der Region und greift militärisch in Syrien ein.

Eine russische Su-34 wartet am 3. Oktober 2015 auf dem syrischen Flughafen Basil al-Assad in Latakia auf ihren nächsten Einsatz.
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Eine russische Su-34 wartet am 3. Oktober 2015 auf dem syrischen Flughafen Basil al-Assad in Latakia auf ihren nächsten Einsatz. Foto: Mil.ru (CC BY 4.0 cropped)

13. Oktober 2015
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Das erklärte Ziel Russlands ist die Wiederherstellung eines Gewaltmonopols in Syrien, und in der Folge wahrscheinlich auch im Irak. Damit durchkreuzt die russische Politik sowohl das von den Grossmächten gestiftete und geduldete Ende-Nie-Bürgerkriegsszenario als auch Pläne zur Neuaufteilung der Region, wie sie von einigen Strategen und Think Tanks der USA gewälzt wurden. Vor allem aber legt sie die Konzeptlosigkeit der Weltmacht Nr. 1 bloss. Dazu später.

1. Die Ziele und Vorgangsweise Russlands

Die russische Führung probiert ihr Kriegsgerät aus und zeigt gleichzeitig der Weltöffentlichkeit, was sie alles hat. Das ist ein wichtiger Aspekt ihres Eingreifens in den Nahostkonflikt, auch in Hinblick auf die Krim und die Situation in der Ukraine: lasst die Finger militärisch von uns, wir schiessen nicht mit Pfeil und Bogen!

Es ist das erste Mal, dass Russland Marschflugkörper einsetzt. Es zeigt damit, was ihre Fabrikate an Präzision und Reichweite leisten, dass die russischen Streitkräfte kein Problem in der Handhabung derselben haben und Russland es sich auch leisten kann, ein paar von diesen Dingern mir nix dir nix in Syrien zu verpulvern.

Diese Demonstration in Sachen Strategie und Waffentechnik ist bei der NATO mit Zähneknirschen aufgenommen worden.

Dadurch, dass die russischen Militärs mit der syrischen Armee und Regierung zusammenarbeiten, haben sie sozusagen die Bodentruppen, die es den USA bis heute nicht gelungen ist heranzuzüchten. Sie können daher Erfolge feiern, weil sie das Terrain kennen, ihre Aktionen mit der syrischen Armeeführung absprechen und die Ziele ihrer Bombardements präzise aussuchen und anfliegen können.

Es sollte niemanden wundern, wenn die Kooperation zwischen Russland, syrischer Regierung, Iran und anderen Verbündeten (irakische Regierung, Kurden-Milizen) binnen einiger Wochen dem ganzen IS-Spuk ein Ende bereiten würde – nachdem diese Organisation medial zu einer geheimnisvollen und unbezwingbaren Hydra aufgeblasen wurde, an der sich alle Massnahmen der zivilisierten Welt als wirkungslos erweisen müssen.

2. Die Reaktion des Freien Westens

Die Reaktion des Westens ist an Lächerlichkeit und Heuchelei nicht zu überbieten. Die Politiker und Medien greinen im Chor, dass die Russen auch unsere guten Terroristen bombardieren, die „Gemässigten“! Und das einige Tage, nachdem die USA bekannt geben mussten, dass alle ihre von ihnen ausgebildeten Hurensöhne als bewaffnete Truppe zerbröselt sind, weil sie entweder zu anderen Formationen übergelaufen oder sonstwie verschwunden waren. Also wird die Al-Nusra-Front, der Al-Kaida-Ableger in Syrien, kurzerhand zu Guten und Gemässigten erklärt, und die Russen werden beschuldigt, durch ihr „einseitiges“ Eingreifen zugunsten des bösen Diktators Assad die Lage in Syrien zu DESTABILISIEREN!

Man möchte sich, wenn es nicht so tragisch wäre und dauernd Menschen sterben, auf die Schenkel schlagen vor Lachen über die geistigen Verrenkungen, die die diversen NATO- und Regierungs-Sprecher und ihnen zutiefst verbundene Schreiberlinge in diversen Medien auf sich nehmen müssen, um sich über das russische Eingreifen zu empören.

Die Türkei jammert, dass ihr Luftraum verletzt wird, nachdem sie ihn vorsorglich schon einige Kilometer nach Syrien ausgedehnt hatte, und droht damit, kein russisches Gas mehr zu kaufen – was angesichts der Phase, in der sich die Operation inzwischen befindet, sehr kleinkrämerisch wirkt.

Den Vogel schiesst natürlich wieder die EU-Spitze ab. Erst zeigt sie, wie sie dank ihrer Festung Europa-Politik mit der Ankunft von ein paar Hunderttausend Flüchtlingen heillos überfordert ist. (Im Libanon allein befinden sich über eine Million.) Der Hort des Wahren, Guten und Schönen kann nämlich mittellose Hungerleider überhaupt nicht brauchen.

Dann macht die französische Führung ein paar Alibi-Bombardements, wo wahrscheinlich ein paar Esel und Ruinen in der Wüste dran glauben müssen, um zu zeigen, dass sie sich auch nicht lumpen lässt und auch ein paar Flieger und Bomben besitzt.

Gleichzeitig inszeniert die deutsche Führung ein Theater mit „Flüchtlinge willkommen!“ und versucht damit, sich einen Rechtstitel für eine Einmischung im Nahen Osten zu verschaffen. Die „Ursachenbekämpfung“ besteht dann, wie man so liest, darin, die Fluchtwege besser zu versperren und den Bau von mehr Lagern in der Nähe Syriens zu veranlassen. Die Beendigung des Krieges in Syrien, die Russland jetzt ins Auge fasst, war als „Ursachenbekämpfung“ nicht vorgesehen – so, als sei der von Gott gewollt und unabänderlich …

Während die Türkei noch versucht, von der NATO Rückendeckung für das Abbeissen eines Stückes von Syrien zu erreichen, um dann dort humanitär Flüchtlingslager zu errichten, erlebt die Weltöffentlichkeit die Desintegration der Weltmacht Nr. 1, deren Führung offenbar völlig ratlos ist, wie sie angesichts des von ihr angerichteten Schlamassels eine gute Figur machen soll.

Mit den Russen in offene Konfrontation zu gehen, kann die USA schon deshalb nicht, weil es kein dafür irgendwie verwendbares Kriegsziel gibt. Sie könnten nämlich nur beschliessen, den IS oder die Al-Kaida-Truppe vor der Vernichtung retten zu müssen und deswegen jetzt ihr Militär in die Schlacht werfen. Erstens will das die USA selbst nicht – keine der untereinander zerstrittenen Fraktionen, nicht einmal Hardliner wie McCain oder Falken im Pentagon – und zweitens liesse sich das wirklich nicht mehr als Verteidigung von Freedom and Democracy verkaufen.

Damit ist aber auch klar, dass sie ihre ohnehin schon sehr halbherzigen Kampfhandlungen in der Region entweder mit Russland koordinieren oder einstellen müssen. Ersteres wollen sie auf keinen Fall: die USA als Hilfs-Sheriff Moskaus, nicht auszudenken! Zweiteres wird dadurch notwendig, weil ein Zusammenstoss von US- und russischen Flugzeugen im syrischen Luftraum oder ein Abschuss durch eine Rakete ein casus belli wäre, der von den USA in diesem Augenblick aus den oben erwähnten Gründen nicht gesucht wird. (Man erinnere sich dabei daran, dass die von den USA initiierte „Koalition“ für ihre Flüge oder Bombardements weder das Einverständnis der syrischen Regierung noch irgendeine Rückendeckung durch die UNO hatte. Diese „Koalition“ ins Leben zu rufen war ein reiner Willkürakt der USA ohne völkerrechtliche Grundlage.)

Die Russen haben also durch ihr Handeln die USA aus dem Syrien-Konflikt hinausgeworfen.

3. Die Regionalmächte

Man muss sich bewusst machen, was das heisst. Es heisst, dass Russland jetzt dort bestimmt, und dass die USA-Vasallen – Israel, Saudi-Arabien, Katar – sich zurückhalten müssen, und dass ihre Unterstützung für den IS sie in unmittelbaren Konflikt mit einer Grossmacht bringen kann, die ihre Kriegsziele wohl definiert hat und verfolgt.

Schon allein dieser Umstand zeigt, dass die Tage des IS gezählt sind und dass das manche ihrer Kämpfer auch begriffen haben, wie die russischen Berichte über Fluchtbewegungen aus Mossul und Rakka zeigen.

Auch die Türkei weiss nicht, wo ihr der Kopf steht. Ihr Feldzug gegen die PKK verblasst zusehends angesichts der russischen Bombardements und der syrischen Bodenoffensive. Bombardements im Irak kann sie sich inzwischen nicht mehr guten Gewissens erlauben – die Marschflugkörper Russlands wurden mit gutem Grund aus dem Kaspischen Meer abgefeuert, um auch in dieser Richtung allen Beteiligten Ausmischung nahezulegen. Während die türkische Regierung mit der EU um Bedingungen für besseres Flüchtlings-Containment verhandelt, werden die Kurdenmilizen Syriens und des Iraks über das Koordinationszentrum in Bagdad in den Krieg zur Wiedereroberung des Territoriums für die Zentralmacht einbezogen und ihnen dadurch der Rücken gestärkt.

Die Türkei wird so auch zu einem blossen Zuschauer degradiert, der ohnmächtig der Wiederherstellung Syriens beiwohnen muss, wenn sie sich nicht mit Russland anlegen will. Auch der den USA überlassene Stützpunkt in Incirlik ist als Trumpfkarte verbraucht, da die Russen den syrischen Luftraum mit Flugzeug-Abwehrraketen verteidigen.

Der Krieg wird jetzt von Russland geführt, vermutlich mit Russland gewonnen, und Russland wird dann die Nachkriegsordnung im Nahen Osten bestimmen.

Russland kann sich dabei der Sympathie eines grossen Teils der europäischen Bevölkerung sicher sein, die den antirussischen Kurs der Politik und der Medien nicht unterstützt und mit Kopfschütteln die US- und EU-Politik in Nordafrika und dem Nahen Osten verfolgt hat.

Es wird sich weisen, ob die EU noch lange ihre Politik ohne und gegen Russland machen kann.

Amelie Lanier