Über die Verantwortung von Intellektuellen in Zeiten des Rechtspopulismus Politische Konsequenzen

Politik

15. Mai 2019

Eine Einladung als Keynote-Sprecherin zur Love and Sex with Robots-Konferenz hat die Technik-Philosophin Janina Loh ausgeschlagen.

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Blankensteinpark. Foto: Mario Sixtus (CC BY-NC-SA 2.0)

15. Mai 2019
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Denn die Ausrichter*innen der Konferenz wollen sich nicht von einem ihrer Komitee-Mitglieder distanzieren, der Kandidat einer rechtsextremen Partei in Australien ist. Angesichts dessen appelliert Loh an das Verantwortungsbewusstsein von Intellektuellen: Sich an Debatten beteiligen ist Pflicht! Doch genauso wichtig ist das Framing: Wie ist die Bühne gebaut, auf der ich mich beteiligen soll? Ein Statement:

Vor ein paar Monaten wurde ich dazu eingeladen, auf der 4. Love and Sex with Robots Konferenz (LSR) eine Keynote zum Thema “Sexrobotik – Ethische Fragen und feministische Herausforderungen” zu geben. Meine Freude darüber währte allerdings ebenso kurz wie intensiv. Denn als ich das Event vor gut drei Wochen auf meinen social media Kanälen teilte, reagierten Arbeitskolleg*innen mit Skepsis.

Mir wurde berichtet, dass einer der beiden Chairs der LSR, nämlich Adrian Cheok, Computerwissenschaftler und Direktor des Imagineering Institute (Malaysia), im vergangenen Jahr zu der von ihm ausgerichteten 15. International Conference on Advances in Computer Entertainment Technology als Keynote Sprecher Steve Bannon eingeladen hat.

Kritikfähigkeit, Offenheit und Inklusion des Diskurses

Die Community reagierte empört (#boycottACE), nicht zuletzt auch deshalb, da Cheok, der im Übrigen als Kandidat für das Parlament im südaustralischen Boothby für die rechtsextreme Fraser Anning's Conservative National Party bei den Australian Federal Election 2019 antritt, seine Haltung im Folgenden mit befremdlichen Kommentaren zu stärken suchte wie etwa “Leftists are such weak sissies, and against free speech! They can't stand anyone not following leftist dogma and propaganda!” (4.9.18).

Dieses Ereignis führte auch zu einem Boykott der LSR, die Ende November 2018 abgesagt wurde. Die LSR soll in diesem Jahr am 1. und 2. Juli in Brüssel stattfinden. Adrian Cheok ist immer noch Chair, es fand keine Distanzierung von seiner Haltung vonseiten der Konferenzleitung und -organisation statt. Die letzten drei Wochen habe ich darüber nachgedacht, ob ich weiterhin als Keynote Sprecherin an der LSR teilzunehmen bereit bin.

Denn es spricht auch einiges dafür: Zum einen finden zwar vermehrt philosophische Fachtagungen zur Roboterethik allgemein bzw. zu den ethischen Herausforderungen, die mit den aktuellen technologischen Entwicklungen einhergehen statt. Allerdings gibt es bislang lediglich wenige akademische Veranstaltungen, die sich speziell dem Für und Wider der Sexrobotik, die einer meiner Arbeitsbereiche ist, widmen.

Zum anderen lädt dieses Ereignis dazu ein, die immer aktuelle Frage nach der Verantwortung der Wissenschaftler*innen erneut zu stellen: Gehört es nicht gerade zu unserer Aufgabe, einen kritischen Diskurs auch und gerade mit Querdenker*innen zu fördern und aktiv an diesem mitzuwirken? Meine Antwort darauf lautet unumwunden Ja – allerdings nicht zu jedem Preis. Der akademische Diskurs muss durch bestimmte Kriterien, die seine Kritikfähigkeit, Offenheit und Inklusion garantieren, fundiert und strukturiert sein. Dass diese Kriterien gewährleistet werden, dafür sind wir Wissenschaftler*innen verantwortlich. Was meine ich damit genau?

Als akademische Philosophin habe ich bereits von berufs wegen keine Angst vor Fragen, denen man in der Öffentlichkeit bspw. als Tabuthemen mit Bauchschmerzen begegnet. Auf der LSR wird etwa darüber diskutiert, inwiefern der Einsatz von Sexrobotern in Kindergestalt als Therapieassistenzsysteme für pädophile Menschen ethisch vertretbar ist oder auch, welche ethischen Argumente für oder gegen Sexroboter im Allgemeinen vorgebracht werden können. Denn die derzeit existierenden Modelle perpetuieren in der Tat höchst fragwürdige Geschlechterstereotype und bestätigen damit heteronormative, patriarchale, Frauen instrumentalisierende und diskriminierende Machtstrukturen.

Querdenkerin vom Fach

Als 'Querdenkerin vom Fach' setze ich mich unbedingt dafür ein, die ethischen Grundlagen unseres gesellschaftlichen Miteinanders und die politischen, ökonomischen und rechtlichen Normen, auf denen dieses Miteinander gründet, auf ihre ethische Tragfähigkeit hin zu überprüfen – auch und gerade dort, wo es 'weh tut' und ich meine eigenen Intuitionen immer und immer wieder zu hinterfragen bereit sein muss. Mich vor solchen Diskursen zu drücken würde bedeuten, dass ich meinem Auftrag als akademische Philosophin nicht gerecht werde. Natürlich gibt es auch Diskussionen über bspw. die Werte der Demokratie oder darüber, ob und unter welchen Umständen man 'mit Rechten reden' sollte. Auch solche Veranstaltungen sind in jedem Fall zu unterstützen.

Doch der Fall der LSR mit ihrem Chair Cheok ist anders gelagert. Denn hier geht es nicht um einen transparent und kritisch geführten akademischen Diskurs, sondern um die einem solchen Diskurs implizit und undiskutiert zugrundeliegenden Normen, die man bestätigt, wenn man sich überhaupt in den Diskursraum (in diesem Fall die LSR Konferenz) hinein begibt. Als Keynote Sprecherin im Rahmen der LSR würde ich diese unausgesprochenen Normen, die meinen Vortrag überhaupt ermöglichen, implizit akzeptieren und anerkennen. Ich würde die Haltung der Konferenzleitung und -organisation, sich von Cheok nicht zu distanzieren, nicht zu den Ereignissen 2018 Stellung zu beziehen, übernehmen, um einen auf diese Weise bereits geframten Diskurs über die ethischen und feministischen Fragen, die mit Sexrobotern einhergehen, zu eröffnen.

Stellen Sie sich zum Vergleich vor, es würde eine Ethikkommission eingerichtet werden, die über die serienmässige Produktion von Sexrobotern in Österreich zu verhandeln hat, was an sich absolut wünschenswert ist. Würde diese Kommission allerdings ausschliesslich aus weissen, heterosexuellen, männlichen Menschen bestehen, würde dies den Diskurs bereits in einer Weise prägen und einschränken, dass bestimmte Interessen vermutlich gefördert, andere Stimmen hingegen von Vornherein ausgeschlossen werden. Ebenso bspw. im Fall einer Podiumsdiskussion, die über Werte in der österreichischen Demokratie verhandeln soll, allerdings lediglich mit Diskutant*innen etwa aus dem rechten Parteienspektrum besetzt ist.

Die zwei Verantwortungen von Wissenschaftler*innen

Als Wissenschaftler*innen tragen wir also nicht nur die Verantwortung, dorthin zu gehen, wo es 'weh tut', also über bestimmte Sachverhalte, die zuweilen kontrovers sind, zu verhandeln. Sondern wir sind auch für die Art und Weise verantwortlich, in der wir diesen Diskurs gestalten und welche Normen wir ihm zugrunde legen, die wir notwendig akzeptieren, sobald wir in den Diskurs eintreten. Hannah Arendt hat sich 1967 in einer Vorlesung der Verantwortung der Intellektuellen gewidmet (in der Library of Congress ist dieses Dokument unter dem Titel “Intellectuals and Responsibility” einsehbar).

Als Expert*innen tragen wir im öffentlichen Raum immer “zwei Hüte”, sagt sie. Wie alle Bürger*innen sind auch wir dafür zuständig, den politischen Raum und die gemeinsame Welt, in der wir uns als Menschen bewegen, zu gestalten. Aber als Wissenschaftler*innen verfügen wir zudem über ein jeweiliges Spezialwissen, das uns einen bestimmten Zugang zu spezifischen Sachverhalten gewährt. Damit verfügen wir über eine zusätzliche Macht, den öffentlichen Raum und die Diskurse, die in ihm geführt werden, zu beeinflussen.

Dieser 'zweite Hut', der 'Hut' der Expertin, wenn ich ihn mit Arendt einmal so nennen darf, entpuppt sich nach meinem Dafürhalten bei genauerem Hinsehen als zwei 'Hüte' oder zwei Verantwortlichkeiten. Einerseits ist es die Verantwortung, die ich als Vertreterin einer jeweiligen Disziplin trage (als Philosophin, als Medizinerin, als Biologin, als Sozialwissenschaftlerin usw.), mich nicht vor anstrengenden und kontroversen Themen zu drücken.

Andererseits handelt es sich um die Verantwortung als Wissenschaftlerin unabhängig von einer spezifischen Disziplin, den Diskurs möglichst transparent, inklusiv und kritisch zu gestalten. Das bedeutet zum einen, Sachverhalte in einer Weise darzustellen, Sprache in einer Weise zu nutzen, dass Aussenstehenden eine Teilnahme und Mitsprache ermöglicht wird. Zum anderen ist damit aber auch das normative Fundament des Diskurses angesprochen, das ich als Wissenschaftlerin zu gestalten habe und das die Voraussetzung für ein Führen des Diskurses überhaupt darstellt.

Dieser zuletzt angesprochenen Verantwortung hätte ich als Sprecherin im Rahmen der LSR 2019 nicht gerecht werden können. Denn die Bedingungen, unter denen die LSR stattfindet und einen Diskursraum eröffnet, habe ich weder mitgestaltet noch unterstütze ich sie. Deshalb habe ich meine Teilnahme an der LSR 2019 abgesagt.

Janina Loh
berlinergazette.de

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