Demonstrationen und der polnische Geheimdienst Polen: Der Umbau von Medien und Verfassungsgericht

Politik

21. Dezember 2015

In Polen haben wieder zehntausende Menschen gegen die Politik der neuen Regierung demonstriert. Seit den Parlamentswahlen vom 25. Oktober verfügt dort mit der nationalkonservativen Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (Prawo i Sprawiedliwość, PiS) zum ersten Mal seit 1989 wieder eine Partei über die absolute Mehrheit im Parlament.

Im Sejm, einer Kammer des Parlaments, verfügt die PiS über die absolute Mehrheit.
Mehr Artikel
Mehr Artikel

Im Sejm, einer Kammer des Parlaments, verfügt die PiS über die absolute Mehrheit. Foto: Katarzyna Czerwińska (CC BY-SA 3.0 PL)

21. Dezember 2015
0
0
6 min.
Drucken
Korrektur
Die damit verbundene Macht nutzt sie nun zum Umbau von Justiz und Verwaltung – und stellt damit die Geheimdienstkontrolle, den Zugang zu Informationen und die Rechtsstaatlichkeit auf eine harte Probe.

Die PiS beherrscht Polen: Neben der Mehrheit in den Parlamentskammern Sejm und Senat hat sie mit dem im Mai direkt gewählten Präsident Andrzej Duda einen Parteifreund als Staatsoberhaupt, neue Premierministerin des Landes ist die PiS-Abgeordnete Beata Szydło. Viele vermuten, dass Jarosław Kaczyński im Hintergrund die Fäden zieht. Der Ex-Premier, Zwillingsbruder des 2010 verunglückten Präsidenten Lech Kaczyński, verfügt als Gründer und Vorsitzender der PiS über den notwendigen Einfluss in der politischen Landschaft Polens.

Wer ist Freund – wer Feind?

Für PiS oder gegen PiS – das scheint in diesen Tagen die Frage zu sein. Dabei ist nicht gesagt, dass eine andere Partei (etwa die liberalkonservative „Platforma Obywatelska“) unter umgekehrten Machtverhältnissen nicht ähnlich geradeheraus regieren würde. Die nun erstarkte ausserparlamentarische Bewegung „Komitet Obrony Demokracji“ (KOD) steht den Oppositionsparteien nahe – allen voran der aufstrebenden „Nowoczesna“. Sie hat zu den jüngsten Demonstrationen gegen die PiS aufgerufen, während PiS-Sympathisanten für die Politik der Regierung auf die Strasse gehen. Die Demonstrationen stehen damit unter einer Freund-oder-Feind-Rhetorik, es kommt zu Übergriffen. Lech Wałęsa, ehemaliger Präsident des Landes, warnte gar vor einem Bürgerkrieg.

Die Initiative „Patrzymy Na Was“ („We are watching you“) fühlt sich keiner politischen Partei zugehörig. Wie deren Mitgründerin Katarzyna Szymielewicz ausführt, tritt sie dafür ein, dass „demokratische Standards, die Menschenrechte und rechtsstaatliche Prinzipien in Polen“ eingehalten werden.

Weniger Geheimdienstkontrolle und neue Überwachungsmassnahmen

Das wird immer schwieriger: Die neue Regierung hat zunächst die Direktoren der zwei zivilen und zwei militärischen Geheimdienste ausgetauscht. Dort sitzen nun Vertraute des neuen, wegen antisemitischer Aussagen umstrittenen Verteidigungsministers Antoni Macierewicz. Einer der neuen Direktoren ist Mariusz Kamiński. Er war Anfang des Jahres wegen Amtsmissbrauch noch aus der Zeit als Leiter der gegen die Opposition vorgehenden Anti-Korruptionseinheit zu drei Jahren Haft sowie zehn Jahren Amtsverbot verurteilt worden. Ein nicht unüberwindbares Hindernis, hat er doch Präsident Duda hinter sich, der den Parteifreund rechtzeitig für seinen neuen Posten begnadigte.

Neben dem Austausch der Geheimdienstführung hat die PiS das parlamentarische Kontrollgremium verkleinert und wird diesem nun dauerhaft vorsitzen – in der Vergangenheit waren die jeweilige Regierung und Opposition in diesem Amt rotiert. Bürgerrechtlerin Szymielewicz weist darauf hin, dass nach diesen Massnahmen kaum mehr von einer wirklichen Aufsicht über die Dienste durch das Parlament gesprochen werden kann. Dass sich diese nun fest in der Hand der PiS und ihres Vorsitzenden Kaczyński befinden, gefährde politische Gegner ebenso wie unabhängige Aktivisten. Sie sei froh, dass sie noch keine Einschränkungen der Versammlungsfreiheit oder der freien Meinungsäusserung erfahren hat. Das war am Ende der vergangenen Woche. Die gestrige Demonstration in Warschau wurde jedoch nach Medienberichten wegen einer anonymen Bombendrohung abgebrochen.

Dem Sicherheitsdogma und einem Narrativ des „Kriegs gegen den Terror“ folgend soll es zudem ein Anti-Terror-Gesetz geben: Damit möchte die Regierung einen neuen Dienst zur Überwachung elektronischer Kommunikation schaffen. Szymielewicz merkt an, dass es gerade auch die Strassenkämpfe der Anhänger von PiS und Opposition sind, die der Regierung die Legitimation zum weiteren Ausbau des Sicherheitsapparates und zur Implementierung von „Präventivmassnahmen“ lieferten. Unabhängige Organisationen wie die Panoptykon Foundation oder die Helsinki Foundation for Human Rights seien sehr besorgt über die Geschwindigkeit, mit der das Anti-Terror-Gesetz angekündigt, wenn auch noch nicht veröffentlicht wurde: „Ich kann nur hoffen, dass wir dann mehr als eine Woche Zeit haben, um zu reagieren“, so die Bürgerrechtlerin.

Umbau bei öffentlich-rechtlichen und privaten Medien

Der Staatsumbau macht vor der Medienlandschaft nicht Halt. So wurde eine kritische Journalistin zwischenzeitlich entlassen. Sie hatte den neuen Kulturminister, Piotr Gliński, im öffentlich-rechtlichen Rundfunk TVP nach jüngsten Zensurmassnahmen gefragt und liess sich nicht von den ausweichenden Antworten des Ministers beeindrucken. Zuvor hatte dieser ein Theaterstück verboten, weil es auf der Bühne zu Geschlechtsverkehr kommen sollte. Grössere Umstrukturierungen der öffentlich-rechtlichen Medien dürften folgen: Als zukünftig staatliche „nationale Institute“ sollen sie von regierungsnahen Personen geführt werden.

Wirbel macht auch eine geplante „Repolonisierung“ (so PiS-Abgeordneter Jaroslaw Sellin) der privaten Medien: Näherungsweise 70 Prozent der polnischen Presseerzeugnisse stammen aus deutschen Verlagshäusern. Eine solche Monopolstellung könne nicht hingenommen werden, so Gliński. Daher sollen die entsprechenden Zeitungen nun von ihren ausländischen Eigentümern zurückgekauft werden, wobei noch unklar ist, wie das ablaufen soll.

Bei aller Kritik daran sei allerdings im Mediensektor eine ähnliche Polarisierung wie bei den Demonstrationen zu beobachten, meint Szymielewicz: Die PiS habe sich über die vergangenen Jahre eigene wichtige Medien geschaffen, die nun – gestützt mit staatlichem Geld – wohl deutlich an Bedeutung zunehmen werden, auch wenn sie extrem gefärbt berichten. Viele andere Medien nähmen zunehmend die Gegenperspektive ein, was es noch schwieriger macht, an eine ungefärbte Berichterstattung zu kommen. Der Zugang zu verlässlichen Informationen sei gefährdet, was die Meinungsführerschaft der PiS nicht gerade schwäche, so Szymielewicz.

Die Aushöhlung des Rechtsstaats

Im Hintergrund lodert immer noch eine Kontroverse um die Besetzung des Verfassungsgerichts. Kurz vor der Wahl im Oktober hatten die Abgeordneten der dafür zuständigen Kammer des Parlaments fünf neue Richter gewählt, obwohl im November nur drei Sitze vakant werden sollten. Aus Protest vereidigte Präsident Duda die Gewählten nicht. Das neue, PiS-geführte Parlament machte die Berufung nach der Wahl per Gesetz rückgängig und bestimmte fünf neue Verfassungsrichter, von denen Duda vier gleich vereidigte.

Nach Streitigkeiten wurde die Angelegenheit – gemäss der Verfassung – dem Verfassungsgericht selbst zur Prüfung vorgelegt. Am 3. Dezember kritisierte dieses, dass das alte Parlament statt fünf nur drei Richter hätte ernennen dürfen. Deren Ernennung sei allerdings rechtskräftig und müsse vom Präsidenten bestätigt werden. Duda folgte der Anordnung nicht und vereidigte den fünften, der PiS-nahestehenden Richter.

In der Zwischenzeit wird schon ein weiteres Gesetz vorbereitet, das für eine Entscheidung im 15-köpfigen Verfassungsgericht künftig eine Zweidrittel-Mehrheit vorsieht, womit die fünf neu eingesetzten Richter quasi über eine Art Veto verfügen würden. So könnte das Verfassungsgericht keine Gesetzesvorhaben mehr blockieren – was es vor allem in der letzten Amtszeit Kaczyński von 2005 bis 2007 in einigen Fällen getan hat. Eine späte Rache?

Das Verfassungsgericht ist entmachtet: In Polen ziehen so die beiden Kammern des Parlaments, Präsident und Premierministerin sowie der PiS-Vorsitzende Kaczyński an einem Strang – und dieser hängt um den Hals von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.

Fabian Warislohner

Dieser Artikel steht unter einer Creative Commons (CC BY-NC-SA 3.0) Lizenz.