Über die geplante Arbeitsmarktreform Frankreich in der Krise – warum eigentlich?

Politik

9. Juni 2016

In Frankreich brodelt es. Das sogenannte „El Khomri Gesetz“, benannt nach dem französischen Arbeitsminister, sieht unter anderem eine Verlängerung des Arbeitstags vor, Erleichterungen bei Kündigungen und Einschränkungen der Rechte von Gewerkschaften.1

Demonstration in Paris am 9. April 2016 gegen die geplante Arbeitsmarktreform der Regierung Hollande.
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Demonstration in Paris am 9. April 2016 gegen die geplante Arbeitsmarktreform der Regierung Hollande. Foto: Jules78120 (CC BY-SA 4.0 cropped)

9. Juni 2016
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Korrektur
Das erregt die Wut vieler Franzosen, welche sich aufgrund dessen jeden Tag zu grossen Versammlungen auf öffentlichen Plätzen bis in die Nacht hinein treffen. Sie wurden ganze Nächte lang durchgehalten und deswegen „nuit debouts“2 genannt. Dies ist nun auch der Name für die Bewegung. Mittlerweile findet aber vieles mehr statt. So werden Raffinerien und Atomkraftwerke blockiert, Druckereien, Flughäfen und öffentlicher Nahverkehr bestreikt usw.. Die Bewegung wird in der deutschsprachigen Linken abgefeiert – verdientermassen? Politökonomie

Der politökonomische Inhalt des Gesetzes ist es, die Arbeit in Frankreich rentabler zu machen. Also dafür zu sorgen, dass für Unternehmen von jeder Arbeitsstunde die sie arbeiten lassen mehr Geld übrigbleibt. Wie wird dies durch das neue Gesetz erreicht?

Arbeitszeitverlängerung

Sehen wir uns zuerst die Arbeitszeitverlängerung an. Oberflächlich erscheint es nicht so, dass diese Verlängerung die Arbeit billiger, also rentabler macht. Vorallem da für die zusätzlichen Stunden sogar mehr bezahlt werden muss. Jedoch führen solche gesetzlichen Bestimmungen über die Hintertür doch zu einer Verbilligung der Arbeitskraft – und zwar durch die Konkurrenz der Lohnarbeiter.

So führt eine Arbeitszeitverlängerung dazu, dass die notwendige Arbeit der Gesellschaft von weniger Arbeitern geleistet wird – also mehr Arbeitslose um die offenen Stellen konkurrieren. Dies erhöht die Macht der Unternehmen weniger Lohn anzubieten und schwächt die Macht der einzelnen Arbeiter mehr Lohn zu verlangen. Daher sinkt der Lohn insgesamt. Da die Arbeitslosigkeit in Frankreich jedoch allgemein schon hoch ist wird dieser Effekt eher gering sein.

Der zweite Effekt betrifft die Rechnung der Arbeiter selber. Für sie muss der Lohn den sie erhalten ungefähr zum Überleben reichen, ansonsten könnten sie nicht lange arbeiten. Der Lohn den sie erhalten, kommt zustande durch die Anzahl der Stunden die sie arbeiten, multipliziert mit dem Stundenlohn. Vergrössert sich nun die Anzahl der Stunden, so kann der Stundenlohn sinken ohne dass die Arbeiter dadurch zugrunde gehen3. Das heisst, Arbeiter können Arbeitsangebote mit niedrigerem Arbeitslohn annehmen. Die Unternehmen nutzen das indem sie den Arbeitern immer schlechtere Angebote machen, die diese durch die Konkurrenz mit den anderen Arbeitern annehmen müssen, wenn sie einen Arbeitsplatz haben wollen, und drücken damit das Lohnniveau.

Ein niedrigerer Lohn bedeutet nun aber, dass die Arbeiter verstärkt ausgebeutet werden. Sie arbeiten einen kleineren Teil des Tages daran, für ihre Reproduktion und einen grösseren Teil des Tages für ihr Unternehmen. Dadurch wird die Arbeit rentabler.

Kündigungsschutz

Wie sieht es mit den Lockerungen des Kündigungsschutzes aus? Zuerst einmal wirkt sich dieser so aus, dass Unternehmen Arbeiter die nicht mehr rentabel sind, einfacher kündigen können: Also unrentable Arbeitstellen besser abbauen können. Das bewirkt wiederum auch mehr Arbeitslose, da nun Arbeiter gefeuert werden können die man zwar als unrentabel einschätzt, aber nicht so sehr dass sich der Aufwand für die Küngigung gelohnt hätte. Durch verstärkte Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt bedeutet das wiederum niedrigere Löhne, also höhere Rentabilität.

Dieser Effekt ist nur einer von zwei Möglichen: Es könnte auch sein, dass Unternehmen eher dazu bereit sind Arbeiter einzustellen, bei denen sie sich nicht so sicher sind ob sie sie wirklich brauchen können, einfach weil sie sie einfacher feuern können falls die Arbeiter dann doch nicht gebraucht werden. Welcher dieser beiden Effekte dann überwiegt, ist schwer vorauszusehen.

Weil die Möglichkeit der Kündigung nun verstärkt im Raum steht (es ist ja nun einfacher), erhöht sich der Druck auf die Arbeiter. Sie werden darauf festgelegt in einer Art und Weise und so intensiv zu arbeiten, dass am Ende der vom Unternehmen gewünschte Effekt rauskommt: Nämlich möglichst viel Profit. Neben dieser Drohung kann der lockerere Kündigungsschutz natürlich auch gleich verwendet werden, um unproduktive Arbeiter einfach mit billigeren/hörigeren zu ersetzen. Dies senkt direkt die Löhne.

Motivation der Regierung

Warum macht die französische Regierung so ein Gesetz? Warum ist sie an rentablerer Arbeit in Frankreich interessiert? Die funktionierende Ökonomie, also möglichst viele, möglichst grosse Unternehmen die möglichst viel Gewinn machen, ist die Machtbasis eines jeden bürgerlichen Staates. Das dies in Frankreich gerade eher in die falsche Richtung geht, also die Wirtschaft nicht so stark wächst wie sie sollte, das merkt die französische Regierung an zwei Ecken.

Steuereinnahmen

Gibt es eine hohe Arbeitslosigkeit, so bedeutet dies, dass weniger Menschen Lohn erhalten und damit auch weniger Lohnsteuer anfällt. Ausserdem haben die Leute allgemein weniger Geld in der Tasche, können also weniger kaufen, womit weniger Mehrwertsteuer eingenommen wird. Gerade die Lohnsteuer und die Mehrwertsteuer sind die grössten Einnahmequellen des Staates. Damit diese Einnahmen wieder sprudeln, müssen mehr Leute rentable Arbeit finden. Es soll für Unternehmen wieder attraktiv werden Leute einzustellen: Genau das soll das Gesetz erreichen. In Frankreich macht sich dies so bemerkbar, dass zwar nicht die Steuereinnahmen sinken, dafür aber die Steuerquote sich erhöht: Der Staat kompensiert die sinkenden Einnahmen durch höhere Steuern.4

Sozialausgaben

Gibt es mehr Arbeitslose, so muss mehr für Arbeitslosenversicherung ausgegeben werden. An steigenden Kosten5 für das Sozialsystem merkt der französische Staat etwas: Bei ihm findet zu wenig rentable Arbeit statt. So zieht er die oben beschriebenen Schlüsse.

All das führt dazu, dass die Staatsschulden Frankreichs seit Jahren steigen.6 Von den Finanzmärkten werden alle diese Effekte in ihre Spekulationen einkalkuliert. Dies führt dazu, dass Frankreich sich nur vergleichsweise teuren Kredit besorgen kann. Dieser praktisch durchgeführte Vergleich wird verbunden mit dem ständigen sich messen an anderen Staaten, dass Staatsmänner ständig betreiben.

Das schlechte Abschneiden dabei will die französische Regierung ändern, indem sie es den Unternehmen wieder schmackhaft macht Leute einzustellen.7 Inspiration dafür, wie das zu ändern ist, musste Frankreich auch nicht lange suchen: Deutschland hat bei sich mit den Hartz4-Gesetzen schon vor mehr als einem Jahrzent entsprechende Reformen eingeführt und fordert seit geraumer Zeit, dass alle anderen Länder nachziehen und entsprechende Regelungen erlassen. Auch wenn das aktuelle Gesetz der französischen Regierung nicht den gleichen Umfang hat – beispielsweise wird das Arbeitslosengeld nicht gekürzt – so geht es doch in die gleiche Richtung.

Proteste

Was ist nun von den Protesten gegen diese Gesetze zu halten? Viele Linke in Deutschland beziehen sich sehr positiv auf diese. Sie sehen in dem Fakt, dass sich da Arbeiter und Studenten gegen die Regierung zur Wehr setzen, schon ein Anzeichen für das politische Programm, dass sie sich selber von den Arbeitern wünschen: Abschaffung des Kapitalismus und des Systems der Lohnarbeit! Ist das aber wirklich der Inhalt dieser Bewegung?

Zurechtkommen

Nein. Der Protest hat vielmehr folgenden Inhalt: Die Lohnarbeit soll auch weiterhin als Lebensmittel genutzt werden können. Die Arbeiter in Frankreich sehen durch die vorgeschlagenen Reformen ihren Arbeitsplatz und die Lohnhöhe, also ihren Lebensstandard, bedroht. Sie wollen auch nicht länger arbeiten. Den Studenten mag es mit Blick auf ihre Nebenbeschäftigung oder auf das in Zukunft notwendige Arbeiten ähnlich gehen. Manche sehen darin wohl auch einen Ausdruck des „Neoliberalismus“ welcher angeblich Staaten seit geraumer Zeit veranlasst Kürzungen im Sozialbereich und auch an den Universitäten vorzunehmen. Als solcher gehört der Neoliberalismus aus der Sicht der Studenten bekämpft.

All diese Beschwerden sind jedoch Beschwerden darüber, mit der Lohnarbeit als Lebensmittel zurechtzukommen, bzw. wieder damit zurechtkommen zu wollen. Sie greifen nicht die Existenz der Lohnarbeit an: Sich anderen Leuten mit feindlichen Interessen zur Verfügung stellen müssen, um an einen Lebensunterhalt zu kommen. Würden sich die Proteste dagegen richten, würde es gar keinen Sinn ergeben sich gegen ein einzelnes Gesetz zur Wehr zu setzen: Die Franzosen müssten ihren ganzen Staat bekämpfen, sich die Fabriken aneignen und nach einem geteilten Plan für die Bedürfnisse aller zu produzieren.

Nur zur Klarstellung: Dies bedeutet nicht, dass die Proteste abzulehnen wären. Solange der Kapitalismus besteht, man sich also in ihm irgendwie zurechtfinden muss, muss man sogar gegen solche Verschlechterungen vorgehen, um mit dem eigenen Interessen noch halbwegs vorzukommen. Allerdings muss man die Proteste sehen als das was sie sind, als Versuch die Lohnarbeit angenehmer zu gestalten, statt als Möglichkeit zur Systemüberwindung.

Unterstützer

Manchen der Unterstützer ist der Inhalt der Proteste auch klar. Jedoch hoffen sie, ihre Unterstützung auf andere Weise zum Mittel zu machen, die eigenen Inhalte unterzubringen.

Sympathiegewinn?

Erstens wollen sie sich bei den Protestierenden durch ihre Unterstützung in Wort und Tat beliebt machen. Dadurch hoffen sie, eher Ohr zu finden, wenn sie dann ihre Agitation gegen die Lohnarbeit führen. Hilft man allerdings Leuten mit der Lohnarbeit zurechtzukommen, dann macht man sich nur dafür bei ihnen beliebt. Ein Argument gegen die Lohnarbeit würde nicht zu dieser Beliebtheit führen sondern diese schnell wieder kaputtmachen. Dann ist man wieder davon abhängig, ob nun die Leute aufnahmefähig sind für die eigenen Argumente, womit man wieder am Anfang wäre. Ausserdem kann das ganze auch nach hinten ausschlagen: Wenn man vorher unterstützt und später klarstellt, dass das Vorhaben eigentlich gar nicht so unterstützenswert ist, könnten sich Leute denken man meint es nicht ernst.

Erkenntnissgewinn?

Zweitens denken manche der Unterstützer der Proteste, dass das von ihnen prognostizierte Scheitern der Bewegung den Teilnehmern die Augen öffnen wird. Sie hängen sich an den konkreten Forderungen auf, denken sich, dass die Leute einfach die gleiche Arbeitszeit haben wollen wie vorher. Wenn sie sich erhöht, kommen sie eben selber drauf dass der Kapitalismus nichts für sie ist und wollen dann eben Sozialismus. Stattdessen stehen diese Forderungen der Protestierenden für den Willen, mit Lohnarbeit über die Runden zu kommen. Geht das nur mit verlängerter Arbeit, na dann wird dass halt auch geschluckt. Schliesslich ist Lohnarbeit schon ohne das neue Gesetz kein Zuckerschlecken.

Die Leute betrachten das Fortbestehen des Kapitalismus, also dass Unternehmen genug Gewinne machen und der Staat etwas darstellt in der Welt, als Bedingung für ihre Interessen. Deswegen ist es zweifelhaft warum gerade die Enttäuschung über das neue Gesetz zur grossen Erkentniss führen sollte. Stattdessen wäre es eher die Aufgabe die Leute mit einer Kritik der Lohnarbeit zu konfrontieren. Ihnen also klarzumachen, dass sie den allergrössten Teil ihrer Zeit am Arbeitsplatz nicht für sich selbst, sondern für andere arbeiten.

Fazit

Zusammenfassend lässt sich also sagen: Die Proteste in Frankreich sind weder supertoll und ein Grund zum Feiern, noch sind sie in irgendeiner Weise negativ. Es spricht überhaupt nichts dagegen, ja es wäre sogar zu begrüssen, wenn man sich an diesen Protesten beteiligt und dort versucht ein paar Argumente unter die Leute zu bringen. Jedoch kann man so etwas auch ausserhalb von Protesten machen. Warum sich gerade die Linke in Deutschland und Österreich dafür begeistert, die doch sowieso gar nicht eingreifen kann, ist zwar komisch, aber nicht verwunderlich: Schliesslich ist man auch hier allenthalben mit Arbeitern konfrontiert, die von einer radikalen Kritik nichts hören wollen. Da kann man sich solche Wunschfiguren schnell mal in Frankreich vorstellen, zumal es da ja wirklich kracht.8

Bassisgruppe Gesellschaftskritik Salzburg
[geskrit]

Fussnoten:

(1) http://www.deutschlandfunk.de/frankreich-protest-gegen-neues-arbeitsrecht.795.de.html?dram:article_id = 346550

(2) Debouts heisst so in etwa sich erheben, und ist das erste Wort in der französischen Version der Internationale.

(3) Reichen muss der Lohn aus Perspektive eines jeden Arbeiters für die Existenz. Das heisst aber noch lange nicht dass diese Kalkulation wie jetzt beschrieben von jedem Arbeiter so mitgemacht werden muss. Ob der Lohn entsprechend niedrig ist hängt vor allem davon ab wie gross die Konkurrenz für die Stellen ist, für die man qualifiziert ist – niedrigqualifizierte Arbeiter werden also eher davon betroffen sein als höherqualifizierte, da bei ihnen die Konkurrenz meist dementsprechen grösser ist.

(4) http://de.irefeurope.org/SITES/de.irefeurope.org/local/cache-vignettes/L800xH440/anteile-steuer-sozialabgaben-deutschland-frankreich-steuerabsprachen-preisabsprachen-steuereinnahmen-mobilitat-c3783.png

(5) http://blogs.faz.net/fazit/files/2011/11/Staatsausgaben.JPG

(6) https://upload.wikimedia.org/wikipedia/de/timeline/67fbd1136534154ec97a8df410f9e13a.png

(7) http://derstandard.at/2000034927172/Paris-Neue-Ausschreitungen-bei-Protesten-der-Bewegung-Nuit-debout

(8) https://www.youtube.com/watch?v=MG_EJ3M6hgU