Interview mit Freerk Huisken „Abgehauen…Neue deutsche Flüchtlingspolitik“

Politik

7. April 2016

Ein Gespräch von KeinOrt mit Freerk Huisken zu seinem neuen Buch, zur derzeitigen Flüchtlingspolitk, über das Problem der Linken des immer Partei ergreifen müssens und Merkels unfreiwillige Bekämpfung bei der Etablierung eines im Kern ausländerfeindlichen Nationalismus.

Die „politischen Gründe“ der deutschen Regierung für die derzeitige Migrationspolitik - die Kollateralschäden westlicher Zerstörungswerke im Nahen Osten und in Afrika in Gestalt der Flüchtlingsströme politisch so kontrollieren und in den Griff bekommen.
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Die „politischen Gründe“ der deutschen Regierung für die derzeitige Migrationspolitik - die Kollateralschäden westlicher Zerstörungswerke im Nahen Osten und in Afrika in Gestalt der Flüchtlingsströme politisch so kontrollieren und in den Griff bekommen. Foto: Kreuzschnabel (CC BY-SA 3.0 unported - cropped)

7. April 2016
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Korrektur
KeinOrt: In Ihrem neuen Buch „ abgehauen. eingelagert aufgefischt durchsortiert abgewehrt eingebaut. Neue deutsche flüchtlingspolitik “ stellen Sie die Flüchtlingspolitik Deutschlands 2015/2016 dar. Dabei fällt schnell auf, dass Sie gängige linke Urteile über Asyl und Flüchtlinge nicht teilen: Eines davon ist, dass viele Linke Merkel gerade in Schutz nehmen gegen ihre Kritiker von rechts: Während die AfD der Kanzlerin vorwirft, Deutsche Interessen zu verraten und dem Humanismus verfallen zu sein, gibt es von linker Seite die komplementäre Vorstellung, Merkels Flüchtlingspolitik sei „nicht die Schlechteste“. In Ihrem Buch hingegen wollen Sie zeigen, dass Merkel „für diese humanitäre Aktion ihre politischen Gründe “ (Seite 68) hatte. Was sind das für Gründe?

Freerk Huisken: Eine Einmischung in den Streit zwischen der Seehofer- und der Merkelfraktion in der Flüchtlingspolitik ist meine Sache nicht. Mir kam es in meinem Buch allein darauf an, einmal den Gesamtzusammenhang der Flüchtlingspolitik abzustecken und dabei die Politik der Merkel-Regierung zu kritisieren. Deswegen gibt es ein Kapitel „Flüchtlinge“, ein Kapitel „Fluchtursachen“ und eines über das Asylrecht, bevor ich die neue imperialistische Offensive in der Flüchtlingspolitik zum Thema mache.

Die „politischen Gründe“ der deutschen Regierung unter der Kanzlerin lassen sich kurz etwa so zusammenfassen: Merkel will weder über Verschärfung des Schengengrenzregimes die Flüchtlinge von Europa fernhalten noch hat sie vor, sie unkontrolliert einreisen zu lassen. Sie will vielmehr die Kollateralschäden westlicher Zerstörungswerke im Nahen Osten und in Afrika in Gestalt der Flüchtlingsströme politisch so kontrollieren und in den Griff bekommen, dass sie die imperialistische Politik des „freien Westens“ nicht mehr stören bzw. durcheinanderbringen.

Und das ist der Fall, wenn Staaten, die nach westlichem Muster umgekrempelt werden sollen, von Völkern – die dafür gebraucht werden – verlassen werden, wenn riesige Lager mit Flüchtlingen das Leben und die staatliche Ordnung in „Lagerländern“ durcheinanderbringen, wenn Flüchtlingstrecks illegal Grenzen überschreiten, ein Schleusergeschäft anheizen, das inzwischen alle sonstigen mafiösen Geschäfte in den Schatten stellt, und sich auch von Europas Aussengrenzbefestigungen nicht aufhalten lassen.

Allein deswegen hat Merkel vor, an allen Fronten der „Flüchtlingskrise“ tätig zu werden, das Fliehen einzudämmen, zu überwachen und einen Teil der Flüchtlinge auch in der EU zu verteilen.

KeinOrt: Was sagen Sie zu dem Urteil mancher Linken, dass Merkels Flüchtlingspolitik – zumindest zur Zeit der „Willkommenskultur 2015“ – „nicht die Schlechteste“ war?

Freerk Huisken: Diese Linken halten die „humanitären Aktionen“ für den Kern der Flüchtlingspolitik und übersehen dabei, dass die herrschende Politik so etwas nie ohne politische Berechnung betreibt. Es interessiert sie deswegen die gerade angeführte Kalkulation nicht. Sie begreifen nicht, wie ernst es die Kanzlerin meint, wenn sie warnt, dass an der Bewältigung der Flüchtlingspolitik die Zukunft Europas hängt. Europa unter deutscher Führung ist für sie das Instrument, mit dem sich die europäischen Führungsmächte in die Weltmachtkonkurrenz eingemischt haben und dabei weiter Boden gegenüber den USA, China etc. gut machen wollen.

Merkels imperialistische Offensive in der Flüchtlingspolitik sucht in dieser Konkurrenz mit den Weltmächten Boden dadurch zu gewinnen, dass sie mit deutschgeführter Europapolitik ein ganz neues Kapital imperialistischer Weltpolitik aufschlägt und darin deutschen Führungsanspruch reklamiert. Was daraus wird, das ist offen. Dass diese Politik den Flüchtlingen auf allen Stationen ihrer Flucht nicht gut bekommt, muss nicht ausgeführt werden.

KeinOrt: Ein anderes Urteil von Ihnen, dass dem linken Commen sense merkwürdig erscheint, betrifft das Asylrecht: Während Linke sich zumeist für das Asylrecht aussprechen und die elende Lage von Flüchtlingen in Deutschland als mangelhaft um gesetztes Asylrecht deuten, kritisieren Sie das Asylrecht selbst: „ Es ist eine Richter rolle über die Innenpolitik eines anderen Staates, die sich der deutsche Staat mit dem Art. 16 Grundgesetz (GG) heraus- und ganz selbstverständlich in Anspruch nimmt. Er mischt sich in Belange des fremden Souveräns ein und sorgt mit der Wahrnehmung dieser Richterrolle für eine Sortierung der Staatenwelt nach Verfol gerstaaten und Nichtverfolgerstaaten“ (Seite 42). In einer Debatte über Ihr Buch in Facebook habe ich den Post gelesen: „ Besser noch ein imperialistisches Asylrecht als gar keines “ – was würden Sie zu diesem Satz sagen?

Freerk Huisken: Warum müssen Linke immer Partei ergreifen? Und warum sind sie selbst dann, wenn sie eigentlich nichts entdecken, das ein Parteiergreifen rechtfertigt, für das „kleinere Übel“. Sie führen sich auf wie Politiker in Merkels Regierungsrunde, die sich mit Sachzwängen konfrontiert sehen – die sie selber herbeigeführt haben – und nun wegen ihrer „nationalen Verantwortung leider zwischen Übeln“ wählen müssten. Immer geht es diesen Linken darum, in der deutschen Politik doch noch irgendeinen Strohhalm zu finden, mit dem sie sich mit ihr versöhnen können. Nur so kommt man auf diese Alternative. Dabei gibt es – und das plaudert der Facebook-Kommentar ja selbst aus – hier nicht einmal diesen Strohhalm in Gestalt eines „kleineren Übels“.

Ich will bei der Gelegenheit noch einmal darauf verweisen, dass das Asylrecht nur bei „politischer Verfolgung“ greift und dass die genau definiert ist: Es müssen, wie es im Asylgesetz heisst, „in staatlicher Handlung, Verfolgung, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung“ nachgewiesen werden. Was im Privat-, Stammes oder Wirtschaftsleben an Gewalt und „unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung“ abgeht, das interessiert die Asylrechtsgelehrten einen feuchten Kehricht.

Das heisst im Kern: Nicht was den Menschen in ihrer Heimat so alles angetan wird, steht auf dem Prüfstand, sondern nur ob der Herkunftsstaat sich gegenüber seinem Volk an die Regeln hält, die hierzulande den Umgang der Staatsgewalt mit dem Staatsvolk ausmachen – womit dieser Umgang, zum positiven Massstab erklärt, natürlich jeder Kritik enthoben sein soll.

KeinOrt: Wie passt denn dazu die aktuelle EU-Grenzpolitik, derzufolge erst einmal kein Flüchtling, der Griechenland erreicht, weiterreisen darf? Das sieht doch alles wieder mehr nach Abschot tungspolitik aus? Wie passt zu Ihrer These der Deal mit der Türkei?

Freerk Huisken: Merkel hat nicht kapituliert, sondern zieht ihr Ding unter der neuen innereuropäischen Konstellation weiter durch. Mit der Regelung, erst einmal keine illegal anlandenden Flüchtlinge weiter gen Norden ziehen zu lassen, hebelt die neue Beschlusslage zum ersten die Grenzpolitik Österreichs, Mazedoniens, Sloweniens etc. ziemlich aus; dass die in Idomeni gestrandeten Flüchtlinge nicht unter diese Beschlusslage fallen, wird dabei erst einmal als Kollateralschaden abgebucht. Mit dem Deal, alle Illegalen nach Schnellbearbeitung in Griechenland in türkische Lager zurückzuschicken, soll zum zweiten den Schleusern – wenigstens in der Region – das Handwerk gelegt werden.

Dadurch werden drittens türkische Lager zu Dauerprovisorien – der Widerspruch ist von der EU beabsichtigt – nahe der Grenze Syriens, um syrische Flüchtlinge dann in das zerstörte und ruinierte Land zurückzuschicken, wenn sie im Land bzw. in „sicheren Landeszonen“ für den Friedensaufbau benötigt werden; der ist dann natürlich Heimatdienst und nicht etwa neuer Fluchtgrund. Viertens werden per Tauschhandel gegen Illegale erst einmal 72.000 Flüchtlinge – von den dort existierenden ca. 3 Mio (!) – aus der Türkei legal in die EU verbracht und dort – wie auch immer – verteilt.

Hübscher Tausch: Wenn ein syrischer Flüchtling sein Geld den Schleusern geopfert, sein Leben auf der Ägäis riskiert hat und als Illegaler im Hotspot kaserniert ist, darf ein anderer Flüchtling aus einem türkischen Lager legal einreisen. Und wer wird zu den „Glücklichen“ gehören? Auf jeden Fall keiner, der es schon einmal illegal versucht hat! Weitere Sortierungskriterien werden nichts zu wünschen übrig lassen. Da bin ich mir sicher.

Festzuhalten ist: Das politische Interesse der Merkel-Politik, der „Flüchtlingskrise“ auf allen Fluchtstationen Herr zu werden, kann man nicht mit einer Hilfe verwechseln, die die Flüchtlinge brauchen. Das zeigt erneut der Türkei-Deal: Hilfe gibt es nur , soweit das politische Programm sie erfordert. Auch darin bleibt sich Merkel treu. Und dass jetzt von Rechtsidealisten darüber gejammert wird, dass mit dem Deal internationales Recht gebrochen wird, belegt nur eines: politisches Interesse hält sich nur soweit und solange an solche Konventionen, Prinzipien und Rechte, wie diese zu ihm passen. Ist das nicht mehr der Fall, werden sie passend gemacht. Auch dabei ist Deutschland mit der „Reform des Asylgrundrechts“ bereits 1993 beispielhaft mit der Erfindung des Kriteriums „sichere Herkunftsstaaten“ und der „Drittstaatenregelung“ vorangegangen.

KeinOrt: Nachdem die AfD nun zwischen 12 und 25% in den Landtagswahlen 2016 erreicht hat – und das vor allem wegen ihres Standpunkts zu Flüchtlingen – ist es endgültig vorbei mit der Willkommenskultur. Was ist Ihre Kritik an den „Willkommensfeiern“ wie sie im kurzen Sommer 2015 das Bild von Deutschland geprägt haben?

Freerk Huisken: Es ist keineswegs vorbei mit der Willkommenskultur. Das Ergebnis der Landtagswahlen unterstreicht für alle etablierten Parteien nur die Notwendigkeit, mit ihr fortzufahren. Willkommenskultur erschöpft sich nämlich nicht in den von TV, Presse und Funk zu nationalistischen Toleranz-Bekenntnissen hochgejubelten Begrüssungsorgien vom Oktober 2015. Willkommenskultur ist das Synonym für das Anliegen von Politik, Kirche und linken Vereinen, den völkischen AfD- und Pegida-Nationalismus mit einem neuen, globalisierungstauglichen Nationalismus zu bekämpfen.

Deutsche Bürger sollen sich eine etwas andere nationale Identität zulegen, in der die imperialistischen Anliegen der Merkel-Regierung Platz haben. Das geht natürlich nur, wenn denen die Nationalerziehung der Ausländerpolitik der vergangenen Jahrzehnte – „Das Boot ist voll!“, „Wir sind nicht das Sozialamt der Welt!“, „Kinder statt Inder“… – wieder ausgetrieben wird. So gesehen bekämpft die Politikergarde um Merkel mit der Willkommenskultur nur die eigenen Erfolge bei der Etablierung eines im Kern ausländerfeindlichen Nationalismus.

KeinOrt

Über den Interviewpartner: Freerk Huisken, Dr., *1941, studierte in Oldenburg Pädagogik und arbeitete bis 1967 als Lehrer. Anschliessend Studium der Pädagogik, Politik und Psychologie in Erlangen-Nürnberg. Von 1971 an Professur an der Universität Bremen: Politische Ökonomie des Ausbildungssektors. Seit März 2006 im Ruhestand.