Wird Asylrecht ausgehöhlt? Willkommen hinterm Stacheldraht?!

Politik

13. April 2016

Deutschlands Asylpolitik wird immer grotesker. Die Verantwortlichen verstricken sich in ständig neue, hilflose Einfälle und orientierungslose Reglementierungen. Ein gutes Beispiel hierfür ist die ARE, die Aufnahme- und Rückführungseinrichtung auf dem Bamberger Konversionsgelände.

Willkommen hinterm Stacheldraht?!.
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Willkommen hinterm Stacheldraht?!. Foto: Norbert Nagel (CC BY-SA 3.0 unported - cropped)

13. April 2016
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Die GAZ zieht eine Zwischenbilanz, vier Monate nach Eröffnung der ARE. Die Idee, das ehemalige US-Areal mit seinen zahlreichen Wohnungen für Flüchtlinge zu nutzen, ist nicht neu. Bereits im August 2014 unterzeichneten auf Initiative der GAL 36 Bamberger Prominente und mehr als 1700 BürgerInnen den „Bamberger Asyl-Appell“. Man forderte die Verantwortlichen auf, sofort bezugsfähigen, leer stehenden Wohnraum für Asylsuchende zur Verfügung zu stellen und diese nicht in überfüllten Unterkünften, Zelten, Garagen und auf Betonboden schlafen zu lassen.

Doch es dauerte ein gutes Jahr bis endlich konkret etwas in Gang kam. Eine Entwicklung, die bedauerlicherweise wieder in ein anderes Extrem schwappte. Im Juni 2015 war davon die Rede, dass Gebäude der Flynn Housing Area gegebenenfalls für den Notfallplan der bayerischen Staatsregierung als Flüchtlingsunterkunft gebraucht werden. Im Juli plante man eine Erstaufnahmeeinrichtung für 600 Asylsuchende, egal welcher Herkunft. Im August überraschten die bayerische Staatsregierung und die Stadtspitze den Stadtrat in seiner Sommerferiensitzung mit dem Beschluss, ein so genanntes Balkanzentrum für 1500 Flüchtlinge einzurichten, mit dem Ziel, diese von dort aus schnell wieder abschieben zu können. Seit November 2015 ist geplant, das Lager auf 4500 Personen zu erweitern. Wo erst gar nichts passiert und Leerstand herrscht, gerät die Politik plötzlich in hektischen Aktionismus und pfercht Menschen auf engstem Raum zusammen.

Wird Asylrecht ausgehöhlt?

Mitte September wurde die ARE 2 (die Nummer 1 liegt in Manching) eröffnet, für Flüchtlinge aus dem Balkan mit so genannter „geringer Bleibewahrscheinlichkeit“, die hier ihr gesamtes Asylverfahren von Beginn bis Ende abwarten sollen. Zunächst wurden sie vor allem aus der Erstaufnahmeeinrichtung in Zirndorf hierher verlegt. Laut den Verantwortlichen sollten sie nur drei bis vier Wochen bleiben, um dann wieder abgeschoben zu werden, denn in der Regel werden Asylgesuche aus „sicheren Herkunftsstaaten“ (und dazu gehören inzwischen alle Balkanländer: Albanien, Bosnien, Kosovo, Mazedonien, Montenegro und Serbien) abgelehnt.

Kritische Stimmen befürchten bei einer solchen Aussonderung und Vorsortierung der Asylsuchenden gravierende Mängel bei der Bearbeitung der Asylanträge: Werden sie überhaupt noch individuell geprüft? Wird nicht vielmehr schon durch die Zuordnung zur ARE pauschal geurteilt, und ein Asylgesuch hat keine Chance?

De facto gab es bis Ende 2015 – nach Auskunft der ARE-Leitung – keinen einzigen positiven Bescheid. Abschiebungen hingegen funktionieren reihenweise. Und noch mehr die so genannte „freiwillige Rückkehr“. Denn da hat sich der Staat selbst ein effektives Druckmittel an die Hand gegeben: Wer abgeschoben wird, erhält automatisch für bis zu fünf Jahre ein Wiedereinreiseverbot, wer „freiwillig“ geht, hat Chancen, dem zu entgehen.

Gegenteil von Willkommenskultur

Die ARE in Bamberg ist kein Gefängnis, und die Flüchtlinge sind dort auch nicht unwürdig untergebracht, aber man merkt an vielen Dingen, dass den Menschen klar und deutlich gemacht werden soll, dass sie hier nicht erwünscht sind. Sie bekommen Bettdecken, die normalerweise in Deutschland als Umzugsdecken benutzt werden. Dazu papierähnliche Einweg-Zellstoff-Laken und -bezüge, die nicht waschbar sind.

Eine ca. 90 qm grosse Wohnung, die nur zum Teil aus abgeschlossenen Zimmern besteht, teilen sich 16 Personen – das ist die offizielle Version. Tatsächlich gibt es heftigere Beispiele wie etwa konkret eine 70-qm-Wohnung für 9 Erwachsene und 8 Kinder. Da gibt es zwar noch die Einbauküchen der US-Amerikaner, aber ohne Herd, Kühlschrank oder Geschirr. Mal eben einen Kakao kochen, geht nicht ohne Herd und Topf – und die Milch kann man auch nur jetzt im Winter auf dem Balkon aufbewahren. Gegessen wird in der Kantine, drei Mal am Tag.

Entsprechend bekommen die ARE-Bewohner/innen auch kein Geld, um sich selbst Lebensmittel zu kaufen. Essen darf aus der Kantine nicht mitgenommen werden, das wird kontrolliert. Wenn ein Kind zwischendurch mal Hunger hat … Pech. Und wer krank ist, im Bett liegt und nicht in die Kantine gehen kann, kriegt unter Umständen auch nichts zu essen. Die Mahlzeit aus der Kantine mit ins Zimmer nehmen – das dürfen die Angehörigen nur, wenn ein entsprechende Bescheinigung vom Arzt über die Krankheit vorliegt. Ein Arzt ist aber nur montags, mittwochs und freitags da.

Security ist allerorten auf dem Gelände. Beim Verlassen der ARE muss man sich abmelden, beim Zurückkommen wieder anmelden. Besuch von draussen empfangen – das ist allenfalls Glückssache, normalerweise kommt keiner rein.

Während Abschiebungen behördlicherseits immer fix organisiert wurden, ist bei der Asylsozialberatung noch überhaupt nichts geschehen. Dem Stadtrat gegenüber versicherte die bayerische Sozialministerin Emilia Müller, es werde eine ausreichende Asylsozialberatung geben. Doch bisher ist in der ARE noch keine einzige Stelle eingerichtet. In einer normalen Erstaufnahmeeinrichtung ist für 100 Bewohner*innen eine Vollzeitstelle zuständig. Mit einem so genannten „niederschwelligen Angebot“ versucht man die Öffentlichkeit zu blenden. Tatsächlich besteht dies aus einem Hausmeister, der mehrere Sprachen spricht und ein paar zusätzliche Stunden bezahlt bekommt. Drei Monate hat es gedauert, bis endlich das Rote Kreuz eine Kleiderkammer und der Verein „Freund statt fremd“ ein Spielzimmer für Kinder eröffnen konnten.

Ghettoisierung statt Respekt

Die „Unwillkommenskultur“ der ARE wird gar als Erfolgsrezept gefeiert. Ende Oktober besuchte Bundesinnenminister deMazière die Einrichtung und lobte das System der Aussonderung, Kasernierung und Abschreckung, wenn auch mit gewählteren Worten. Damit traf er einen zumindest realistischen Kern: Die ARE-Bewohner*innen werden auf herzlos effektive Weise vergrault. So gesehen ist die ARE tatsächlich „gelungen“.

Doch statistisch droht das System ARE auf lange Sicht zu scheitern. Als man im November beschliesst, die ARE auf 4500 Bewohner*innen zu vergrössern, war das „Abschiebelager“ noch zu keinem Zeitpunkt mit mehr als 700 Personen gefüllt. Der Anteil der Asylsuchenden aus dem Balkan aber geht zurück, im Herbst auf nicht einmal mehr 3%. Der ARE gingen die Bewohner*innen aus.

Im Dezember begann man deshalb Balkanflüchtlinge aus fünf bayerischen Regierungsbezirken, die bereits seit Monaten oder Jahren als Asylsuchende oder Geduldete hier lebten, in die Bamberger ARE zu verlegen. Einziges Kriterium: Herkunft aus einem Balkanstaat. Kinder wurden von heute auf morgen aus Schulen gerissen, Familien mussten über Nacht umziehen. Man mutet ihnen eine doppelte Abschiebung zu: Aus ihrem jetzigen Wohnort in die ARE und von dort in ihr Herkunftsland, das von Deutschland als sicher bezeichnet wird.

Wer heute in der ARE Leute anspricht, hat beste Chancen, sich auf Deutsch zu unterhalten. Nicht wenige Menschen sind hier, die bereits als Kinder während des Kosovo-Krieges hier waren, teilweise über Jahre und Jahrzehnte hier aufgewachsen sind, die Schule besucht haben und nun wieder hier Zuflucht suchen. Viele Kinder sprechen Deutsch, weil sie deutsche Schulen besucht haben, in Schweinfurt, Weiden oder anderen Orten, die sie Hals über Kopf verlassen mussten. Viele Fälle, bei denen Integration in Gesellschaft und Arbeitsmarkt ein Leichtes wäre.

Das Aufpeppen der Belegungsstatistik führte also dazu, dass in grosser Anzahl schulpflichtige Kinder in der ARE wohnen, denn nach drei Monaten Aufenthalt in Deutschland müssen Kinder in die Schule gehen (dürfen). Das hatte man im ursprünglichen Konzept von nur ein paar Wochen ARE-Aufenthalt nicht eingerechnet. 160 schulpflichtige Kinder aller Altersstufen und mit verschiedenen Sprachen lebten am Ende des Jahres in der ARE. Für sie strickte man mit heisser Nadel mal eben einen neuen Schulsprengel, der nur die ARE umfasst – mit zwei (!) Lehrern. So genannter Unterricht findet für jedes Kind nur drei oder vier mal die Woche statt, und dann allenfalls zwei Stunden. Ohne Not wurden sogar Bamberger Flüchtlingskinder, deren Familien aus Gemeinschaftsunterkünften im Stadtgebiet in die ARE verlegt wurden, aus ihren Schulen entfernt.

Trübe Ausblicke für Bamberg?

Um die ARE voll zu bekommen, wird es bei den Balkanflüchtlingen nicht bleiben. Ghana und Senegal gelten ebenfalls als sichere Herkunftsstaaten. Ausserdem kündigte Staatsministerin Emilia Müller bereits an, dass auch Antragsteller von Asylfolgeanträgen und Menschen ohne gültige Ausweispapiere demnächst hierher umverteilt werden sollen.

Geplant ist von Bayern ausserdem die komplette Umstellung von Geld- auf Sachleistungen in der ARE. Und diese sollen für Ausreisepflichtige und Menschen ohne Pass sogar noch gekürzt werden. Damit käme der Staat vermutlich mit der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vom August 2012 in Konflikt, die ein soziokulturelles Existenzminimum garantiert.

Das System ARE ist ein düsterer Fleck in der Weltkulturerbestadt Bamberg. Bisher hat man die Chance vergeben, auf dem Konversionsgelände eine menschenfreundliche und willkommen heissende Flüchtlingsunterkunft zu schaffen.

Sylvia Schaible
boell.de

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gaz – Grün-Alternative Zeitung - Nr. 82. 1-2/2016, S. 7.

Verfasserin:
Sylvia Schaible, Dipl.-Germanistin, Jahrgang 1969, arbeitet als Fraktionsgeschäftsführerin bei der Stadtratsfraktion der GAL in Bamberg. Engagiert sich ehrenamtlich (Vorstandsmitglied) im Verein „Freund statt Fremd – Verein zur Unterstützung Asylsuchender in Bamberg und Umgebung“.

Dieser Artikel steht unter einer Creative Commons (CC BY-NC-ND 3.0) Lizenz.